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Nichtoffener Wettbewerb | 09/2016

Burg Botzlar

Perspektive Bergfried

Perspektive Bergfried

ein 2. Preis / Zuschlag

Preisgeld: 15.000 EUR

Reinhard Angelis, Planung • Architektur • Gestaltung

Architektur

Die Planergruppe

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

Bergfried

Konzept

Die Burg wird begriffen als ein Relikt, das Zeugnis ablegt über seine Geschichte.
Ein Objekt, anhand dessen seine Vergangenheit und die seiner Umgebung lesbar ist. Diese Geschichte beinhaltet alle noch ablesbaren Epochen, bis hin zu dem Radikalumbau in den 80ger Jahren. Ein Treppenturm bietet funktionale Ergänzungen zu dem als puren Veranstaltungsort begriffenen Burggebäude. Weiterhin ermöglicht er den Blick von außen, er dient als Rezeptionshilfe. Seine Anmutung folgt dem Bild eines Bergfrieds,
ein archaisches, monolithisches Bauwerk vor der Kulisse der schlossartigen Burg.

Die Freianlagen folgen ebenfalls diesem Grundgedanken, auch sie sind aus der Kenntnis der historischen Situation, die abstrahiert in die Jetztzeit fortgeschrieben wird, entwickelt.

Die Burg

Die dienenden Nebenräume aus den 80ger Jahren werden entfernt um eine Folge von Räumen zu erhalten, die flurlos aneinander gereiht sind. Die räumliche Struktur der Burg wird gleichsam herauspräpariert. Ergebnis ist ein vielfältig nutzbares Raumgerüst, eine Raumfolge, die immer wieder neu interpretierbar und offen für vielfältige Aneignungen ist. Auch wenn diese Raumfolge wahrscheinlich nicht dem historischen Grundriß entspricht, so wird doch das mittelalterliche Grundrissverständnis, eine Addition von Räumen / Sälen, deutlich. Die Epoche der Nutzung als Wohnhaus bleibt bei diesem Konzept unberücksichtigt, da die vermutlich der Wohnnutzung dienenden Ergänzungsbauten beim letzten Umbau in den 80ger Jahren abgebrochen wurden.

Das Eingangsfoyer bildet das Zentrum dieser Abfolge. Eine herausgeschnittene Öffnung im Boden verbindet die historische Eingangshalle mit der unteren Halle, die als barrierefreier Eingangsort aufgewertet wird. So entsteht ein zweigeschossiges Foyer.
Die Öffnung ermöglicht einen Blick auf den Kamin im Sockelgeschoß sowie
auf einen der vermutlich ältesten Teile des Bauwerks, den massiven Mauerwerksblock.

Die funktionale Gliederung folgt der Bestandssituation, im Souterrain eine clubartige Atmosphäre mit Kamin und Bar, dem Gewölbekeller als besonderer Attraktion und einem ergänzenden Gruppen- / Veranstaltungsraum. Auf der Empfangsebene die zwei bestehenden Seminarräume, nunmehr mit einer Schiebewand zusammenschaltbar.
So können sie als kleiner Saal, ohne die Sichteinschränkungen des Saals im Sockelgeschoß, genutzt werden. Darüber, in der Bell – Etage, der Festsaal, ebenfalls teilbar und darüber im Dach zusätzliche Gruppenräume, Büros, Archiv und Lager.
Dieses zusätzliche Angebot im Dachgeschoß erweitert das Nutzungsspektrum und stärkt somit das Profil der Burg als offenes Bürgerhaus. Der Ausbau dieser Flächen kann gegebenenfalls in einem zweiten Bauabschnitt oder in Selbsthilfe geschehen, nachdem die bauliche Hülle im Zuge des Umbaus hergestellt worden ist.

Dem Konzept folgend, die räumliche Struktur der Burg lesbar zu machen, werden die dienenden Räume in einen Anbau ausgelagert. Hier befindet sich weiterhin ein Aufzug zur barrierefreien Erschließung aller Ebenen sowie die baurechtlich erforderliche zusätzliche Treppe als „zweiter baulicher Rettungsweg“, der aufgrund des Nutzungsprofils des Gebäudes nötig ist. Dieser Rettungsweg ist aufgrund der Gruppenräume zwingend, unabhängig von der Frage, ob der Saal als Versammlungsstätte genutzt wird. Weiterhin eröffnet dieser Bergfried beim Aufsteigen Blicke auf den neu angelegten Park und die Hermannssiedlung. So wird eine weitere Brücke zur Geschichte des Ortes geschlagen.

Die barrierefreie Erschließung erfolgt gleichberechtigt über den leicht veränderten Haupteingang. Rampen führen in die untere Halle, von hier ist der Aufzug und somit alle Ebenen des Bürgerhauses erreichbar.

Die innere Gestaltung wird aus der Idee der lesbaren Zeitschichten entwickelt. Die historischen Mauerwerksfragmente werden herauspräpariert und klar gegen die teilweise sichtbare Betondecke abgesetzt. Die Holzbalkendekoration bleiben in einigen Bereichen erhalten und schalltechnisch ertüchtigt. Sie dient der Verdeutlichung der Dimensionen eines Holztragwerks sowie dem „historischen Flair“.

Die Lüftungstechnik wird erneuert. Die Heizungs- und Lüftungsanlagen befinden sich nunmehr im Obergeschoß des Bergfrieds. Der Bergfried ist als ein Monolith aus Stampfbeton gedacht. Diese sehr präsente Materialität ergänzen haptisch angenehme Details. Sie verfeinern die archaische Materialauswahl.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Arbeit 9008 organisiert das Raumprogramm im Wesentlichen im Bestand der »Burg Botzlar«. Dienende Räume wie die Küche, WC-Anlage, Lager und Technik werden jedoch zusammen mit einem zweiten Treppenhaus und einem Aufzug in einen monolithisch gestalteten Turm, östlich des Gebäudes untergebracht. Dieser Turm, von den Verfassern »Bergfried« genannt, ist durch eine proportional angemessene Fuge vom Hauptbau abgesetzt und erschließt alle Ebenen barrierefrei. Auch wenn damit der barrierefreie Zugang quasi auf der Rückseite liegt, wirkt dagegen die Schaffung eines barrierefreien Haupteingangs unter der Freitreppe unangemessen und überflüssig.
Die angestrebten Funktionen sind sinnvoll auf die verschiedenen Gebäudeebenen verteilt, wobei das Foyer im Erdgeschoss gegenüber der Souterrainebene deutlicher ausformuliert werden sollte. Anstelle des Bodendurchbruchs zum Keller sollte hier ein Empfang angeordnet werden. Die multifunktionale Nutzbarkeit des Saales im 1. Obergeschoss mit Lagerfläche und Küche auf gleicher Ebene ist überzeugend. Zur Teilbarkeit der Saalfläche müssen hier allerdings noch weiterführende Überlegungen angestellt werden. Überprüft werden sollte auch eine Belichtung des ansonsten funktional gestalteten Dachgeschosses.
Die Gestaltung des Freiraumes ist vollkommen ahistorisch und sollte nicht weiter verfolgt werden. Die Rampensituation im Vorfeld stellt eine erhebliche Beeinträchtigung des historischen Erscheinungsbildes dar. Die Ausführung des sogenannten »Bergfrieds« als monolithischer Baukörper ist aus denkmalpflegerischer Sicht deutlich vom Bestand abgesetzt, jedoch eine Beeinträchtigung. Die Bezeichnung als »Bergfried« sollte zudem nicht weiterverfolgt werden, da sie irreführend ist. Die Erhaltung der historischen Öffnungen sollte unbedingt beachtet werden. Insbesondere das gotische Gewände ist ein wichtiger Teil des Denkmals. Zudem erfordert der Anbau mit Fahrstuhlschacht einen ca. 50 m2 extra Eingriff, der bauvorbereitende Untersuchungen notwendig macht.
Die Freiraumplanung des Verfassers ist dem Ort nicht angemessen, wirkt teilweise überzogen und wird vom Preisgericht kritisch hinterfragt. Die »barocke« Rampen- und Treppenerschließung des Untergeschosses ist zu aufwändig und nicht praktikabel. Die Ausformulierung der Freianalgen in Form von »renaissance«-artigen Bastionsstrukturen wirkt fehlplatziert und ist historisch fragwürdig.
Insgesamt stellt die Arbeit schlüssige Raumnutzungsmöglichkeiten dar und löst mit dem vorgesetzten Turmanbau auch die Frage der Barrierefreiheit und des Brandschutzes konsequent. Die massive und sehr eigenständige Gestalt des »Bergfrieds« tritt jedoch der ebenfalls sehr massiven Wirkung der »Burg Botzlar« sehr nahe. Hier sind in Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege weiterführende Überlegungen erforderlich.
Perspektive, Blick auf den Anbau

Perspektive, Blick auf den Anbau

Lageplan

Lageplan

Lageplan, M 1:200

Lageplan, M 1:200

Erdgeschoss

Erdgeschoss

Grundriss EG, M 1:100

Grundriss EG, M 1:100

Leitbild, Neuinterpretation der historischen Anlage

Leitbild, Neuinterpretation der historischen Anlage