modgnikehtotsyek
ALLE WETTBEWERBSERGEBNISSE, AUSSCHREIBUNGEN UND JOBS Jetzt Newsletter abonnieren

Einladungswettbewerb | 07/2016

Wohnquartier an der Ratoldstraße

Anerkennung

Preisgeld: 5.000 EUR

PETER HAIMERL . ARCHITEKTUR

Architektur

Mettler Landschaftsarchitektur

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

feldmoching 24+
Wohnen und Leben in einem neuen Vorort Münchens muss mehr sein, als ein Kompromiss zwischen Einfamilienhaussiedlung und Stadt. Gegenwärtig überformen suburbane Siedlungen die ehemals sehr belebten dörflichen Strukturen der Münchner Randgebiete. Auf diese Misere der Peripherie antwortet dieser Entwurf für ein Grundstück in Münchens 24. Stadtbezirk, Feldmoching. Eine bewährte städtebauliche Typologie der Vergangenheit wird mit mehreren räumlichen Innovationen zu einem verdichteten urbanen Stadtquartier der Gegenwart.

Der öffentliche Raum:
Süddeutsche Stadtgründungen des Mittelalters wie beispielsweise Straubing, Landsberg am Lech oder Offenburg, überzeugen bis heute durch einen verdichteten urbanen Stadtraum, der spannungsvoll und abwechslungsreich aus der Positivmasse der Gebäude „herausgeschnitten“ zu sein scheint.
Nach den Erkennissen von Klaus Humpert und Martin Schenk, wurden diese Stadträume aus einem Wechselspiel von geraden und gebogenen Platzbegrenzungen bewusst geplant. Der Entwurf für das langgezogene Grundstück spürt diesen Prinzipien nach und verzichtet deshalb im Zentrum des Grundstückes auf Typologien des modernen Städtebaus wie Zeile und Punkt. Verdichtete Gebäudeformen umschließen einen dynamisch fließenden Stadtraum und ermöglichen heterogene Wohnungen. Diese stehen, trotz regelmäßiger Grundrisse, stets in einem speziellen Bezug zum Stadtraum bzw. zum privateren Hof. Das Quartier gliedert sich in zwei Teile, verbunden durch Gewerbe und Einzelhandel, sowie dem gemeinsamen S-Bahn-Zugang in ihrer Mitte.
Richtung Süden wandelt sich der Binnenraum mehr und mehr zu Erholungs- und Spielflächen, durchbrochen durch stark begrünte Rechtecke. Diese Räume nehmen im Bereich des S-Bahnzugangs einen urbanen, vertikalen Garten auf, schaffen im Zentrum Platz für einen Biergarten und im Süden Flächen für das Kindergartenareal.
In Richtung Norden, über die Dülfer- Straße hinweg, ändert sich der Charakter der Bebauung grundsätzlich zu einer kleinteiligeren Struktur und bietet an den Rändern unterschiedliche Nischen für private, durch die Bewohner geformte Freiflächen.
Auch im nördlichen Teil öffnen sich rechteckige Grünflächen zur Umgebung des neuen Quartiers.

Die Gebäude
Die städtebauliche Konzeption für ein nachhaltiges und zukunftsfähiges Stadtquartier zeichnet sich durch verdichtete Heterogenität aus und geht weit über das Bild der leblosen Münchner Stadtrandsiedlungen hinaus.
Das der ursprünglich dörflichen Umgebung entnommene Giebeldach-Motiv entwickelt sich durch die gekurvten Anschnitte zu einer abwechslungsreichen und identitätsstiftenden Fassadenabwicklung über die ausgedehnte Längsseite des Grundstücks entlang der Bahn.
Die konsequente Drehung aller Firste in Nord-Süd-Richtung ermöglicht eine Ost-West-Ausrichtung der Wohnungen und somit eine hohe Flexibilität der Typologien.
Die gewünschte Dichte und somit die minimierten Abstandsflächen werden zum Einen durch das Ausnutzen des Schrägdachs, zum Anderen durch vorgelagerte vertikale Grünzonen erreicht.
Die Wohnungen können in dieses anliegende Grün hinein um Wintergärten oder untergeordnete Balkone erweitert werden. Um die stetig sich wandelnden Formen zu homogenisieren, entstehen an den angeschnittenen Gebäudeseiten Balkone, Loggien und Wintergärten, die den Standardwohnungen jeweils zusätzliche Spezifität geben.

Die Dichte
Um der zerrissenen Gestalt von modernen Wohnsiedlungen entgegen zu wirken, wird die Regelung der Abstandsflächen mit einseitig 1H angesetzt, sonst wird mindestens ½ H erfüllt. Die Gebäude im westlichen Teil entlang der Bahn sind viergeschossig, entlang der Ratoldstraße staffelt sich die Bebauung von Süden von drei auf vier Geschosse und folgt somit der gegenüberliegenden Bebauung. Nördlich des Bahnhofes ist die Bebauung auf der Ostseite zweigeschossig, das Stadthaus in der Mitte und der Wohnturm am Eingang setzen Akzente zur Orientierung.
Gegenüber dem Aldi-Markt liegt eine abgesenkte Park-and-Ride-Fläche mit einem Parkdeck, das an der Westseite in Verlängerung des Biotopstreifens begrünt wird. Über dem Parkdeck schwebt ein aufgeständerter Gewerberiegel mit unterschiedlichen Nutzungen.

Der städtebauliche Ansatz geht von einem starken Unterschied zwischen bebauter Masse und freier Fläche als einem wesentlichen Merkmal eines urbanen Raumempfindens aus. Auch wenn die höhere Dichte an manchen Stellen zur Überschreitung der Abstandsflächen oder z.B. zur Unterschreitung des Mindestabstandes zur Biotopfläche führt, stellt dies insgesamt trotzdem eine aus ökologischer und ökonomischer Sicht nachhaltigere Lösung dar. Die höhere Dichte ist das wirkungsvollste Mittel zur Verringerung von Energieverbrauch und versiegelter Fläche.

Das Erdgeschoss
Jede Erdgeschoss-Einheit ist so konzipiert, dass verschiedene Nutzungen, möglich sind. Home-Offices, Hobbyräume oder Ateliers sind genauso möglich wie gewerbliche Nutzungen. Jede Erdgeschosswohnung kann direkt von der Straße, bzw. vom Platz betreten werden. Lediglich in den Hinterhöfen der bahnseitigen Bebauung ist auch im Erdgeschoss reines Wohnen vorgesehen.

Die Hinterhof- Gärten
In Anlehnung an die beliebten Münchner Hinterhöfe führen grüne Gassen oder Gärten als enge und sehr private Bereiche durch die verdichteten Gebäudeformen - so können die Abstandsflächen größtenteils bis bis auf ½ H reduziert werden. Die längliche Form der grünen Gassen ermöglicht Nähe zum Gegenüber.
Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, diese grünen Bereiche in unterschiedliche Hinterhöfe einzuteilen, diese mittels Vor- und Rücksprüngen zu strukturieren und zu Nischen auszuformen, die von den Bewohnern individueller definiert werden können.

Die Erschließung
Alle Wohnungen werden direkt von der Ratoldstrasse, dem Stadtspielplatz oder der Raheinstrasse betreten. Die Bereiche, die entlang der Bahn in zweiter Reihe stehen, werden als Rückgebäude über die Vordergebäude vom Platz, bzw. von der Raheinstrasse erschlossen. Der gesamte Autoverkehr wird vom städtischen Innenraum ferngehalten, nur Feuerwehrzufahrten sowie Anlieferungsverkehr sind im Gebiet vorgesehen. Im südlichen Gebiet ist das Erschließungsniveau mit Ausnahme der Häuserzeilen entlang der Ratoldstraße um einen Meter angehoben. Darunter befindet sich eine halboffene Tiefgarage, die nach Westen, zu den Gleisen hin, durchgehend geöffnet ist. Neben den PKWs können auch Bereiche für Carsharing freigehalten werden, außerdem sind die Kellerräume der Wohnungen auf dieser unteren Ebene angeordnet.
Grundsätzlich wird oberirdisch von einem Minimum an Parkplätzen ausgegangen. Anwohnerparken findet nur in den Parkgaragen statt. Es werden vermehrt Fahrradstellplätze vorgesehen, sowohl im öffentlichen Raum, als auch in den großzügigen Erdgeschossbereichen der Geschosswohnungen.

Der Schallschutz
Der Entwurf reagiert auf die erhöhten Schallimmissionen ausgehend von der Bahnlinie durch eine konsequent geschlossene Bebauung, wodurch die übrigen Gebäude sowie die zugehörigen Freibereiche des Areals schalltechnisch abgeschirmt werden. Die Fugen zwischen den Gebäuden entlang der Bahnlinie werden wo nötig mit einfachen Glaselementen geschlossen.
Die dem Gleisfeld zugewandten Gebäude weisen wellenartig geschwungene Fassadenausformung auf und reduzieren so die gerichteten Schallreflexionen zu den Gebäuden in der Nachbarschaft.
In Verbindung mit den vorgesehenen Wohnungsgrundrissen, die eine Belüftung der Schlaf- und Aufenthaltsbereiche über die Lärm abgewandten Fassaden ermöglichen, reagiert der Entwurf auf den vorhandenen Lärmkonflikt. Für die Freibereiche der Kinderkrippen werden aktive Lärmschutzwände gebaut.

Die Freiräume
Durch die Gestaltung des Außenraums wird die besondere Identität des Areals gestärkt und der Freiraum der Siedlung mit der Umgebung vernetzt.
Der Freiraum folgt der architektonischen Geste und stärkt die Idee der Differenzierung von Gebäudemasse und Leerraum. Zusätzlich gliedert er die Anlage in vielfältige Bereiche, die einen unterschiedlichen Grad an Öffentlichkeit/Privatheit generieren. So entstehen die repräsentative, gewerblich genutzte Vorplatzsituation, der halböffentliche Hof und die direkt den Erdgeschosswohnungen zugeordneten privaten Gartenbereiche.
Die Gestaltung der Anlage wandelt die jetzt identitätslose Fläche zu einem vielfältigen und artenreichen Naturraum zum Verweilen, Beobachten und Spielen. Die westlich angrenzenden bahnbegleitenden Flächen, die gleichzeitig als (potenzieller) Verbindungskorridor für Arten magerer Lebensräume dienen, werden in die Gestaltung einbezogen und stärken die attraktive Wohnlage.
Die Gebäudekörper werden von der Ratoldstraße erschlossen. In Ausweitungen des Gehweges entstehen kleine, intimere Plätze die den Eingang in die Siedlung markieren. An der Bahntrasse entlang lädt ein in freier Form verlaufender Weg zu einem Spaziergang über die teilweise von lockeren Baumgruppen gesäumten ruderalen Rasen ein. So wird die Wahrnehmung der Biotopverbundachse entlang der Bahn unter Berücksichtigung der artenschutzfachlichen Belange für alle ermöglicht. An ausgewählten Orten entstehen auch dort kleine Bereiche, die Möglichkeiten zu Entspannung bieten.
Das Herz der Siedlung, der großzügige stadtplatzartige Bereich, schafft mit Sitzgelegenheiten und Spielflächen einen Treffpunkt für die Anwohnerinnen und Anwohner. Gleichzeitig markiert er die Adresse für die Wohnungen.
Mehrere Einzelbäume und Baumgruppen verbinden die unterschiedlichen Bereiche der Anlage. Großkronige Bäume in lockeren Gruppen begleiten das Wegesystem. Sie gliedern den Freiraum und fügen alle Teilbereiche der Anlage zusammen. Kleinere mehrstämmige Bäume und Büsche in direkter Nachbarschaft zu den Wohnungen, ergänzen das Pflanzensortiment. Sie verleihen den Vorgärten der Erdgeschosszone mit ihrer Blüte und Fruchtpracht einen mediterranen Gartencharakter.
Die Hauptachse der Siedlung wird von mineralischen Natursteinbelägen charakterisiert.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Verfasser sehen im Spannungsfeld extrem unterschiedlicher Gebäudebestände die Chance, eine neue, dichte Typologie in den Stadtkörper zu implementieren, oder – in ihrem Sinn formuliert – eine dichte urbane Textur einzuführen, aus der die öffentlichen Räume herausgeschnitten werden. Diese interessante experimentelle Methode wird von der Jury als sehr eigenständige Haltung gewürdigt. Die ganz bewusste Referenzierung auf historische Typologien städtischer Räume und deren Qualitäten führt dabei zu einer eigenständigen neuen Stadtraumtypologie.
Der geschwungene, zentral in Nord-Südrichtung orientierte Binnenraum des neuen Quartiers, wird gekonnt an Stellen verdichteter Begrünung zäsiert. Gleichzeitig versprechen die Erschließungen der einzelnen Adressen von diesem Binnenraum aus, eine hohe urbane Lebendigkeit.
Auf Höhe des Rambertwegs wird der zentrale Raum um ein öffentliches Gebäude ergänzt. Dieses bildet zusammen mit dem benachbarten Grünraum ein gut gesetztes Zentrum im südlichen Abschnitt der neuen Struktur. Den nördlichen Abschluss des beschriebenen zentralen Raums bildet ein 13-geschossiger Hochpunkt, der gleichzeitig zur räumlichen Akzentuierung des Platzes am S-Bahnzugang beitragen soll. Das Gebäude an der Raheinstrasse 3 wird erhalten. Als Gegenüber der neuen Park+Ride Anlage zum bestehenden Verbrauchermarkt kann jedoch die räumliche Prägnanz des südlichen Quartiers nicht erreichen.
Parallel zum zentralen Freiraum, im südlichen Teil der Planung, finden sich interessante, ruhige, innere Freibereiche, zu denen sich die Wohnungen wenden. Sie versprechen eine eigenständige Nachbarschaft. Sie bieten einerseits ruhige, private Freiräume; die gewählten Dimensionen dieser Binnenräume erscheinen dabei jedoch als zu knapp bemessen.
Zusätzlich verlangen die entstehenden Formate der Baumasse teils sehr spezielle Wohnungszuschnitte und Erschließungstypologien. Die gezeigten Lösungen der exemplarischen Wohngrundrisse, können diesen Erwartungen teilweise nicht genügen.
Im nördlichen Abschnitt bieten die Verfasser eine grundsätzlich gelungene Vermittlung zu den bestehenden Einfamilienhäusern, erreichen jedoch ebenfalls nicht die Qualitäten des südlichen Stadtgefüges.
Inwiefern die, über das gesamte Gefüge rigide gezogene Dachlandschaft zu einem konsistenten Stadtbild führen kann, wird bezweifelt. Ebenfalls kritisch zu kommentieren sind die Artikulation des Bauvolumens zur Ratoldstraße und zur Bestandsbebauung sowie die zu knapp formulierte Querwegeverbindung zu den bestehenden Quartieren. Die längs verlaufenden Wegebeziehungen im Inneren der Struktur sowie das Angebot des durchlaufenden Radweges entlang der Bahn verspricht jedoch eine spannende Raumfolge.
Die vorgeschlagene Mischung der Nutzungen im Erdgeschoss erscheint innerhalb der eigenen Axiomatik des Entwurfs schlüssig. Der Anteil gewerblicher Flächen ist in Lage und Ausdehnung jedoch deutlich überzogen und nicht umsetzbar.
Die Lage und Anbindung der KITA Standorte erscheint richtig.
Der Biotopverbundkorridor kann in der dargestellten Ausformung nur äußerst eingeschränkt funktionieren, da er über längere Strecken deutlich verengt ist und selbst breitere Abschnitte durch die Bebauung und Baumpflanzungen stark verschattet werden. Auf Grund des Fehlens einer klaren Abgrenzung der Biotopbereichen wird deren Funktion durch Überlagernde Erholungsnutzung absehbar erheblich beeinträchtigt.
Ein Wettbewerbsbeitrag, der den Standort überraschend anders liest, jedoch aufgrund seiner Extremposition im angebotenen Nutzungsmix und in der architektonischen Gestalt nur bedingt umsetzbare Lösungen für ein Quartier dieser Größe anbieten kann.