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Nichtoffener Ideenwettbewerb nach RPW 2013 mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb | 02/2017

Typenhochhaus 2.0

3. Preis

Preisgeld: 20.000 EUR

KUEHN MALVEZZI

Architektur

Atelier Kempe Thill

Architektur

Arup Deutschland GmbH

Brandschutzplanung, Tragwerksplanung

HL-Technik Engineering GmbH

TGA-Fachplanung

Erläuterungstext

Herangehensweise
Ausgangspunkt des Entwurfs sind die folgenden Fragen: Was ist sozialer Woh-nungsbau heute in Berlin und was erwarten wir von ihm in der Zukunft? Wie möchten wir Berlin weiterbauen, welche Forderungen sollten an einen typi-sierten Stadtbaustein für Berlin gestellt werden? Der Vorschlag zeigt, dass die Idee des Existenzminimums überholt ist. Statt dessen erhalten die konsequent von innen nach außen entworfenen Wohnräume mehr Licht, mehr Aufenthaltsqualität und größere Außenräume – ein Maximum an Qualität, das sozial notwendig und ökonomisch möglich ist. Zugleich setzt sich der Entwurf für einen attraktiven öffentlichen Raum ein. Sowohl die Sockelzone im Erdgeschoss als auch das Dach dienen öffent-lichen Nutzungen. In seiner Monumentalität, seinen Proportionen, der All-seitigkeit sowie dem Aufbau der Fassaden von außen nach innen bereichert der Baukörper die Stadtlandschaft Berlins.

Generische Architektur
Eine generische Architektur schafft die robuste Eleganz und Anpassungsfä-higkeit des Wohnhochhauses. In seiner Klarheit agiert der Baukörper in unterschiedlichen städtischen Kontexten autonom ohne ignorant zu sein. Die kraftvolle Ausformung des steinernen Sockels schafft eine großzügiges Erd-geschoss. Je nach Nutzung und Grad der Öffnung artikuliert das Bauwerk hier eine individuelle Beziehung zum öffentlichen Stadtraum. Über dem Sockel er-hebt sich in allseitiger Regelmäßigkeit die filigrane Stahlkonstruktion der Wohngeschosse. Aus dieser sorgfältig herausgearbeitet, rahmt eine umlaufende begrünte Pergola den von allen Bewohnern gemeinsam genutzten Dachgarten und bildet die Krone des Hauses.

Hardware
Im Inneren reagiert das Haus mit einer radikalen Flexibilität auf die fortschreitende Ausdifferenzierung von Lebensstilen und Wohnformen. Klar defi-nierte Schichten in Funktion, Konstruktion und Materialität bilden die Hardware für aktuelle wie zukünftige Programmierungen: Der kompakte Kern aus Beton im Zentrum dient der Erschließung. Die Anordnung der Schächte erfolgt effizient ringförmig um diesen Kern. Stützen und Decken aus Holz sind das Merkmal der privaten Schicht der Wohnräume. Innovative Bauteile aus Brettschichtholz generieren hier stützenfreie Flächen. Eine Alu-Glasfassade schließt die Wohnraumschicht klimatisch ab. Die äußere Schicht des Gebäudes bilden vorgehängte umlaufende Balkone. Über die persönliche Aneignung der Balkone regulieren die Bewohner das Verhältnis von Privatheit und Stadtbezug.

Software
Im Zusammenspiel von Hard- und Software entstehen die Wohnungen: Leichte Schallschutz-Trennwände unterteilen die stützenfreie Wohnzone in bis zu 10 Klein- und Kleinstwohnungen pro Geschoss. Die statische Struktur des Bau-werks und die ringförmige Anordnung der Schächte ermöglichen auf einfache Weise Änderungen der Grundrisse oder das Zusammenlegen von Wohnungen.
Zusammen mit der Glasfassade machen die umlaufenden Balkone den starken
Außenraumbezug der Wohnräume indifferent gegenüber jeglichen Grundrissänderungen. Wandelemente aus Stahl unterteilen die Balkonzone in individuelle Abschnitte und schaffen neben der Ablesbarkeit der Wohnungen ein lebendiges Spiel in der Fassade. Durch Drehung der Elemente können die Bewohner ihre Balkonflächen miteinander verbinden und gemeinschaftlich genutzte Außenräume schaffen.

Städtebauliche Anpassung
Um das Foyer mit Concierge und den Kern wird das Erdgeschoss abhängig vom städtischen Kontext unterschiedlich genutzt und ausgestaltet. Unter den möglichen Szenarien sind die landschaftliche Einbettung in einen umgebenden Grünraum, ein öffentlich zugängliches Café, eine Kita oder auch eine selbstverwaltete Fahrradwerkstatt für die Hausgemeinschaft.
Das Haus kann abhängig vom städtebaulichen Kontext als Variante auf rechteckiger Basis ausgeführt werden. Die grundlegende Struktur und Flexibilität in Bezug auf die Wohnungsgrundrisse bleibt dabei erhalten.

Modularität
Aus der generischen Architektur resultiert ein Fassadenaufbau, der mit einem Baukasten aus wenigen prägnanten Modulen auskommt. In der Alu-Glasfassade wechseln sich Fenster mit Öffnungsflügeln und Fenster mit Festverglasung als zwei verschiedene Varianten eines durchgehend wiederkehrenden Bauteils ab. Das System kann durch Module mit höherem Rahmenanteil zur Minimierung des Fensterflächenanteils und der solaren Einträge bei Bedarf ergänzt wer-den. Die Vormontage mehrerer Fenster zu längeren Modulen sorgt für zusätz-liche Effizienz bei der Montage vor Ort.
Die Balkone sind 1,75m breite Beton-Fertigteile und werden jeweils über zwei thermisch entkoppelte Anschlüsse an die Decke angeschlossen. Die äuße-re Gitterkonstruktion hängt jeweils geschosshoch vom Balkonelement, um die Aufsummierung der Lasten über die Geschosse zu vermeiden und so schlanke Querschnitte zu bekommen. Die Stahl-Pendelstützen und Balkonbrüstungen aus feuerverzinktem Stahl sind ebenfalls über alle Wohngeschosse durchgehend einheitliche Module. Gleiches gilt für die Wandelemente zur Unterteilung der Balkone.

Tragwerk
Das Tragwerk des Typenhochhauses ist durchgängig modular gestaltet. Die Aussteifung erfolgt über einen zentralen Stahlbetonkern mit einer Wand-stärke von 30cm. Die Wände werden als Hohlwände vorgefertigt und ohne Schalungsaufwand errichtet.
Die Decke über dem Erdgeschoss dient als Transferstruktur für die Fassadenlasten (Wechsel des Rasters von 1,75m auf 9,5m). Die großen Stützen im Erd-geschoss werden ebenfalls als Hohlwandkonstruktion ausgeführt mit einer äu-ßeren Wandstärke von 25cm.
Die weiteren Obergeschosse sind Vollholzkonstruktionen. Die Decken werden als Brettsperrholzdecken ausgeführt und benötigen für die ca. 7,5m max. Spannweite 25cm statische Höhe. Zur Erhöhung der akustischen Masse erhalten die Decken eine schwere Schüttung unter dem Estrich. Die Stützen in der Fassade stehen im Abstand von 175cm, bei einer konstanten Breite und Tiefe von 24cm. In den oberen Geschossen wird Brettschichtholz der Klasse GL30C eingesetzt, in den unteren Geschossen ermöglicht der Einsatz von Baubuche der Güte GL70 die Beibehaltung der Stützentiefe. Das Tragwerk wird komplett in die Fassade integriert. Im Brandfall sind die Stützen auf Abbrand (4-seitig) bemessen. Ab Erdgeschoss werden die Bauelemente als Fertigteile oder als Halbfertig-teile angeliefert und verbaut, ab dem 1.OG sind die Holzelemente inkl. Fassade komplette Fertigelemente. Hierdurch werden Kosten und Bauzeit reduziert.

Beurteilung durch das Preisgericht

Das Typenhaus wird in einem Zwiebelprinzip und Mischbauweise entworfen: Tragender Betonkern, Holzstützen, umlaufender Balkon in Stahlbeton. Somit ist das Gebäude in großen Teilen vorfabriziert und sehr flexibel im Grundriss. Wirtschaftlich sind die übereinanderliegenden Schächte, die reichlich dimensioniert sind, die Haustechnik ist gut durchdacht, der Brandschutz funktioniert vermutlich nur mit Kompensation. Die Abfangung im EG und auch die Balkonanhängung ist aufwendig. Der Aufwand lohnt, denn der Nutzwert des umlaufenden Balkons ist sehr hoch. Er bietet architektonische Prägnanz, die Monotonie wird vermutlich gebrochen durch die Überlagerung der individuellen Lebenswelten der Bewohnerinnen. Er bietet Sonnenschutz und die Möglichkeit die Fassadenschicht individueller auf unterschiedliche Grundriss-Situation reagieren zu lassen und als Typenhochhaus könnte die Gestaltung der Balkonschicht (Brüstung und Stützen) lokal Bezüge aufnehmen. Schön gestaltet ist das EG mit der Überhöhe und den großen Öffnungen (erkauft durch die bereits erwähnte aufwändige Abfangung) welches aber Potenzial für eine jeweils dem lokalen Kontext angepassten Nutzungsmöglichkeiten hat, ausgehend von Gemeinschaftsräumen bis hin zu Gewerbe und Läden. Die gemeinschaftliche Dachterrasse ist ein tolles Nutzungsangebot, das ggf. auch von Nachbarn im Quartier bei einer Nachverdichtung mitgenutzt werden könnte. Sie bildet wie der Sockel unten, oben einen klassischen Abschluss und versteckt das Technikgeschoss. Die Grundrisse sind ansatzweise aus den Zwiebelprinzip entwickelt, die Schächte liegen am Betonkern, die Nasszellen und Küchen liegen rückwärtig. Dennoch können die Grundrisse noch nicht in allen Teilen überzeugen, die Küche dominiert oftmals fast die ganze Wohnung und einige Bereiche sind zu starke Durchgangsräume und sind daher schwer möblierbar. Gut ist, dass immer nur eine reine Nordwohnung resultiert, da der Grundriss leicht rechteckig ist.
Es handelt sich um eine Arbeit, die sich der Aufgabe des Typenentwurfes erfolgreich gestellt hat. Sie findet sowohl Antworten auf das Thema der Flexibilität, der Vorfabrikation, der klaren und daher wirtschaftlichen Trag-, Erschließungs- und Haustechnikstruktur und durch Sockel und Abschluss aber auch mit den umlaufenden Balkonen einen starken Ausdruck. Das entstehende Licht und Schattenspiel verspricht aber Prägnanz und Leichtigkeit, die auf den zweiten Blick gerade durch die Zurschaustellung des alltäglichen Lebens einer Monotonie entgegenwirkt.
Grundriss EG

Grundriss EG

Grundriss Regelgeschoss 1

Grundriss Regelgeschoss 1

Grundriss Regelgeschoss 2

Grundriss Regelgeschoss 2

Grundriss Regelgeschoss 3

Grundriss Regelgeschoss 3

Grundrisstypen

Grundrisstypen