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Offener Wettbewerb | 12/2007

Gedenkstätte Berliner Mauer in der Bernauer Straße

Ankauf

Lohrberg Stadtlandschaftsarchitektur

Landschafts- / Umweltplanung

  • Mitarbeitende:

    Dirk Meiser, Dr.-Ing. Landschaftsarchitekt Frank Lohrberg Dipl.-Ing. Landschaftsarchitektin Christiane Humborg Dipl.-Ing. Landschaftsarchitekt Dirk Meiser Dipl.-Ing. Landschaftsarchitekt Axel Timpe Cand.-Ing. Jasmina Kurtic

fnp architekten fischer naumann partnerschaft

Architektur

Erläuterungstext

Lebenslinien
Die Gedenkstätte Berliner Mauer soll weniger das Bauwerk Mauer in den Blickpunkt stellen, sondern die Geschichte und die Ereignisse von Teilung und Flucht dokumentieren und insbesondere an deren Opfer erinnern. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, gibt der Entwurf den von der Mauer unterbrochenen, also quer zur Grenze verlaufenden Beziehungen und Lebenswegen Gestalt: „Lebenslinien“ spannen sich an den Orten der Flucht auf. Sie materialisieren auf abstrakte Weise den Wunsch Einzelner wie auch der Politik die Sperranlagen zu überwinden. Die Lebenslinien richten den Blick auf die Stadtteile und Straßenzüge, auf die Nachbarschaften und Menschen, die durch die Mauer getrennt wurden.

Durch diese symbolische Geste wird für die Besucher die trennende Wirkung der Mauer deutlich. Zudem erhält die Gedenkstätte ein leicht zu installierendes wie wieder zu erkennendes Gestaltungsmittel, mit dem die gesamte Freifläche - auch im Erweiterungsbereich und trotz Neubebauung - definiert und als zusammenhängendes Ensemble erlebbar gemacht wird. Auch der Informationspavillon greift durch die Gestaltung seiner Hülle das Thema der Lebenslinien auf und integriert sich auf diese Weise in die Gesamtanlage der Gedenkstätte.


Schotterrasen und Stahlbänder
Um den Lebenslinien visuelle Wirkung zu verleihen, sieht der Entwurf vor, den Grenzstreifen von jüngeren Einbauten (Zäune, Lagerflächen, ...) zu befreien und mit Schotterrasen einheitlich zu befestigen. Dadurch ergibt sich ein zusammenhängender, weitgehend freier Raum, der sich deutlich aus dem engen Stadtgefüge hervorhebt.

In diesem Streifen spannen sich nun die Lebenslinien auf. Sie bestehen aus 5 cm starken und 80 cm breiten Stahlscheiben, die leicht erhaben über dem Gelände verlaufen. Die Lebenslinien markieren Orte der Flucht und weisen auch auf den Verlauf von Tunneln hin.

Die Lebenslinien erfahren an jenen Stellen eine Unterbrechung, an denen Mauern oder Zäune verliefen oder heute als Relikte noch stehen. So zeichnen die Lebenslinien indirekt den Verlauf der Sperranlagen nach: auch ohne Rekonstruktion können sich die Besucher ein Bild vom Verlauf und den Dimensionen der Grenzbefestigungen machen.

Dieser Erkenntnisprozess wird dadurch unterstützt, dass die Schnittfugen der Stahlbänder im Sockelbereich beleuchtet werden. Bestimmen tagsüber die Stahlbänder das Bild, so scheint nachts über die beleuchteten Schnittstellen der Verlauf der Grenzanlagen auf.

Um zu zeigen, dass die Gedenkstätte nicht die Mauer selbst, sondern die von ihr beeinflussten menschlichen Schicksale in den Mittelpunkt stellt, enden die Lebenslinien nicht innerhalb des Grenz- bzw. Schotterrasenstreifens, sondern werden bewusst darüber hinaus geführt, so nach Norden auf die Gehwege Bernauer Straße und teilweise auch nach Süden, wo einzelne Lebenslinien sich bis ins Blockinnere der angrenzenden Bebauung ziehen und dort auf den Beginn von Tunnelbauten hinweisen.

Platzflächen und Ausstellungsschwerpunkte
Die Schotterrasenfläche wird durch mehrere Platzflächen (wassergebundene Decken) rhythmisiert. Die Platzflächen kennzeichnen die Eingänge und markieren drei Ausstellungsschwerpunkte: das Denkmal (der zentrale Gedenkort), die Versöhnungskapelle und schließlich ein neuer Ausstellungsbereich im Osten des Kernbereichs: eine Installation zu den vier Generationen der Mauer. Jeder Schwerpunkt informiert auf seine Weise über das Geschehene, insgesamt verteilt sich das Besucherinteresse so gleichmäßiger über den Kernbereich.

Die Gestaltung und das Programm des Denkmals bleiben unverändert erhalten. Gleichwohl integriert der Entwurf das Denkmal, da dessen (vertikale) Stahlscheiben nun im Zusammenhang mit den (horizontalen) Stahlscheiben der Lebenslinien gelesen werden. Das Denkmal stellt sich damit als besonderer Ort im Kontext der gesamten Gedenkstätte dar, an dem auf spezielle Weise die trennende Wirkung der Mauer thematisiert wird.

Der Platz um die Versöhnungskirche wird weitgehend übernommen. Die Schwellen des Kirchenportals und die geretteten Glocken erinnern an die Kirche, ebenso wie eine Kiesfläche, die den Grundriss der Kirche nachzeichnet.

Die Installation „Vier Generationen der Mauer“ befasst sich mit der zeitlichen Entwicklung der Sperranlagen. Wie bei den Lebenslinien ziehen sich Stahlbänder quer über den ehemaligen Grenzstreifen und dokumentieren durch Unterbrechungen die Stellen, an denen sich Sperrwerke befanden. (Da die Installation wie das Denkmal stärker auf die Grenzbauten fokussiert, werden die Stahlbänder wie beim Denkmal in rostbraunem Cortenstahl gehalten, während die Stahlbänder der Lebenslinien durch eine dunkelblau-graue Färbung gekennzeichnet sind.)
Der klar definierte Platzraum erlaubt es, die Sperrwerke in Teilen zu rekonstruieren bzw. wiederaufzustellen. Die Platzfläche fungiert als Ausstellungsfläche und macht deutlich, dass die Sperrwerke nicht am Ort authentisch sind, sondern als Exponate zu verstehen sind. Insofern kann hier neben Mauerstücken, Meldezäunen, usw. auch ein Wachturm aufgestellt werden, der durch seine Größe zum Merkzeichen der Installation wird.

Auch die Eingänge in die Gedenkstätte werden durch Platzflächen besonders hervorgehoben. An der Gartenstraße führt eine Platzfläche die Besucher vom Informationspavillon in die Open-Air-Ausstellung. Zwei Lebenslinien spannen sich hier über der weiten Schotterrasenfläche zwischen Straße und verbliebenen Mauerscheiben auf. Sie führen in das Hauptthema der Gedenkstätte ein und demonstrieren gleichzeitig die Dimension des Grenzstreifens in diesem Bereich.

An der Schwedter Straße schlägt der Entwurf vor, die geplante Bebauung zugunsten einer weiteren Platzfläche zurückzuversetzen, welche als Verknüpfung zum Mauerpark und als Auftakt in die Gedenkstättenanlage dient. Auch hier dienen die Stahlbänder der Lebenslinien als Markierungselement wie auch als Wiedererkennungszeichen der Gedenkstätte.

Postenweg und Besucherlenkung
Die Besucherlenkung erfolgt in einem Zusammenspiel von Platzflächen und Postenweg. Dazu wird der Postenweg, dort wo die Betonplatten nicht mehr vorhanden sind, durch einen Ortbetonweg nachgebildet. Dieser Weg verläuft auch durch die Innenhöfe des erweiterten Bereiches. Damit erhält der Besucher Gelegenheit, die Gedenkstätte allein fußläufig und ohne störendes Verkehrsgeschehen der Bernauer Straße zu durchqueren. Nimmt der Postenweg das Gros der Besucher auf, so erlaubt der Schotterrasen das Verlassen des Weges und damit ein individuelles Gedenken an Orten abseits des Weges.
Der Postenweg wird wie bisher abrupt durch die Stahlwände des zentralen Gedenkortes unterbrochen. Eine beiderseits über den Gedenkort ausgreifende Platzfläche ermöglicht dennoch eine Anknüpfung an den jeweils dahinter liegenden Abschnitt und an das Dokumentationszentrum Berliner Mauer.

Die Lebenslinien symbolisieren die menschlichen Verbindungen zwischen den getrennten Stadtteilen. Gleichzeitig markieren sie besondere Ort des Fluchtgeschehens und zeichnen indirekt den Verlauf der Sperranlagen nach. Kurzinformationen dazu (z.B. Namen Fluchtopfer) werden auf den Stahlbändern angebracht. Weitergehende, mit dem Ort verbundene Informationen erhalten die Besucher über hüfthohe Pulte, die den Postenweg und die Bernauer Straße begleiten.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Verfasser der Arbeit gehen von der methodischen Leitidee aus, ,„weniger das Bauwerk Mauer in den Blickpunkt zu stellen, als die Geschichte und Ereignisse von Teilung und Flucht zu dokumentieren und an deren Opfer zu erinnern“.

Konsequent entwickelt sie die Idee, „Lebenslinien“ symbolisch herauszuarbeiten, die durch die Mauer einerseits unterbrochen bzw. getrennt wurden, andererseits diese und die Sperranlagen zu überwinden hofften. Der Grenzstreifen wird mit Schotterrasen einheitlich befestigt, Grenzbauwerke und Sperranlagen werden integriert. Parallel dazu wird in passender Weise ein Pavillon entwickelt, der ein markantes Zeichen für die Gesamtanlage setzt.

Sosehr diese Gesamtkonzeption im Miteinander dieser Elemente konsequent klingt, so fragwürdig ist sie im Einzelnen. Die Funktionalität des Pavillons steht wegen großer Länge, schmaler Breite und ungeklärter Wegeführung in kontroverser Diskussion. Lebensschicksale müssen im Kontext der Aufgabe herausgearbeitet werden, aber sie dürfen nicht – wie hier zu fürchten – mehr die Verbindungslinien zwischen West und Ost gestalterisch andeuten als die brutale Trennung durch die Mauer, deren Überwindung Ausnahme blieb. So stellt der Entwurf nur wenige Schicksale vor, er lässt nicht die viel größere Anzahl und Vielfalt von Tragödien an der Mauer deutlich werden. Tatsächlich besteht sogar die Gefahr, dass Besucher bei Tage den Verlauf der Mauer nicht hinreichend erkennen. Hinzuweisen ist außerdem darauf, dass Verfasser im erweiterten Gedenkstättenbereich (östlich der Brunnenstraße) die städtebaulichen Vorgaben ignoriert hat.

Insgesamt besteht auch die Befürchtung, dass die vom Verfasser bewusst sparsam und konzentriert eingesetzten Ausstellungsmittel nicht hinreichend wahrgenommen werden. Die Gedenkstätte würde auf diese Weise kaum die erhoffte Wirkung erzielen können.