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Nichtoffener Wettbewerb | 12/2018

Neubau des Elisabeth-Selbert-Hauses - Unter den Linden in Berlin

3. Preis

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Architektur

knippershelbig GmbH

Tragwerksplanung

Transsolar Energietechnik GmbH

Energieplanung

KLW Ingenieure GmbH

Brandschutzplanung

Erläuterungstext

ENTWURFSIDEE / LEITGEDANKE
Parameter des Entwurfs sind die drei Schlagworte Identität, Brechung und Spiel:
• Identität: die innere Struktur des Gebäudes ist außen ablesbar – die Serialität der
Fassade zeigt sich identisch mit der Reihung der Büroräume im Inneren.
• Brechung: die kommunikative Zone im Mittelflur bricht die pragmatische Addition der
identischen Büroräume auf und lässt beides zu – Routine und Innovation.
• Spiel: die sehr plastische Fassade entsteht in einem Spiel zwischen großzügigen
Verglasungen und wie gewünscht stehenden Fensterformaten auf der Seite Unter den Linden.

Es entsteht ein Funktionsgebäude, das sich zu dem Boulevard mit einer selbstbewussten, expressiven, funktionellen Fassade ohne unnötigen Zierrat präsentiert und zu dem Innenhof eine möglichst grosse Offenheit zeigt. Es gibt eine Korrespondenz zwischen Nutzung und Gestaltung, auch Farbe und Material korrespondieren mit der grauen, steinernen Umgebung. Damit wird eine organische Setzung in das Denkmalschutz-Ensemble erreicht und dennoch dem neuen Gebäude eine Eigenständigkeit verliehen. Das Gebäude symbolisiert in erster Linie die Verlässlichkeit demokratischer Institutionen. Auf der zweiten Ebene schaffen die Anordnung der Räume um den kommunikativen Mittelflur, die eingeschnittenen Fenster und der Fokus auf den Innenhof eine Arbeitsatmosphäre des Miteinander und Austausches.

STÄDTEBAU
Der Block zwischen Polnischer Botschaft und dem Schadowhaus wird nahtlos in maximaler Ausnutzung geschlossen. Die Sockelzone ist umlaufend ablesbar. In ihrer Gestaltung ist sie auf die Formensprache der aufgehenden Fassade und der dahinterliegenden Nutzung abgestimmt. Durch das Staffelgeschoss, das sich in der Schadowstrasse zum Schadowhaus abtreppt, zeigt sich die grosse Masse zu dem Boulevard Unter den Linden. Die Ecke Unter den Linden/Schadowstrasse wird innerhalb der Fassadenstruktur akzentuiert.
Der öffentliche Eingang zur Bundeskanzler Willy Brandt Stiftung direkt am Boulevard macht das Haus zu einem Ort der Auseinandersetzung der Bürger mit der politischen Geschichte ihres Landes – am Ort, an dem diese Geschichte ständig weiter geschrieben wird. Der interne, nichtöffentliche Zugang ist aus Sicherheitsgründen in der Schadowstrasse untergebracht und zurückhaltend gestaltet. Die verschiedenen Besucher- und Nutzerflüsse sind so voneinander getrennt, ohne eine Wertung vorzunehmen. Die Wirkung des Hauses als Teil unserer Demokratie wird betont, ohne mit der Arbeit der Parlamentarier und ihrer Mitarbeiter zu interferieren.
Die Fassaden im Innenhof übernehmen die Struktur der Strassenfassaden, allerdings ist die Verglasung bündig mit der Tragstruktur und ohne brise soleil ausgebildet, um den Büros so viel Offenheit wie möglich zu geben. Im Innenhof ergibt sich vor den sehr homogenen, leichten Fassaden des Neubaus ein gepflasterter Freiraum, der die unterschiedlichen Gebäude zusammenfasst und durch die Einbindung der vorhandenen Linde in einen „romantischen Hügel“ und ein „Märkisches Wäldchen“ aus Waldkiefern, in das „Ereignisse“, wie ein bündig eingebautes Holzdeck mit Bänken und die Fahrradpavillons eingestreut sind, eine hohe Aufenthaltsqualität erhält. Der Innenhof soll zu einer Erweiterung des Mittelflurs jeder Büro- Etage werden: ein Ort informellen Austauschs, der Entspannung und Ideenfindung. Einmal durch die Sicherheitsschleuse an der Schadowstraße gelangen die Parlamentarier und Mitarbeiter in einen Mikrokosmos, der alles bereitstellt, um produktiv arbeiten zu können.

RÄUMLICHES GESTALTUNGSKONZEPT
Entlang Unter den Linden tritt das Gebäude selbstbewusst auf. Die Stringenz der Rasterfassade, Zeichen der intensiven und arbeitsamen Nutzung wird durch die brise soleil gebrochen, leichter gemacht und erreicht trotz der Strenge einen gewissen spielerischen Charakter. Das Sockelgeschoss ordnet sich in die Struktur der Fassade ein, zeigt sich aber durch die unterschiedliche Nutzung in einer anderen Form: nach außen für die Passanten weit sichtbar, wie ein „window-shopping“ der politischen Geschichte der BRD. In der Mittelzone, der Bürozone, liegt die Fensterebene zurück, in der Sockelzone sind die „Schaufenster“ der Willy Brandt Stiftung bündig in die Fassade eingelassen. Das Sockelgeschoss öffnet sich also zum Bürgersteig, während die zurückgesprungenen oberen Geschosse zur Straße hin eine größere Leichtigkeit vermitteln.
In den aufgehenden Bürogeschossen wird die Mittelzone, zwischen den Büros an den Aussenfassaden als ein Bereich aufgefasst, welcher der Erschliessung dient, alle notwendigen Nebenräume wie WC, Kopierräume, Archive und Teeküchen aufnimmt und durch seriell auftretende Kommunikationszonen aufgelockert wird.
Der Anschluss an das Schadowhaus und die Schadowstrasse 10/11 erfolgt an den Strassenfassaden durch einen ruhigen Abschluss der Rasterfassaden und im Innenhof durch einen deutlichen Rücksprung des Neubaus. Die Materialität des Neubaus lehnt sich an die graue, steinerne Umgebung an. Der massiven Teile des Baukörpers sind in geschliffenem, kieselgrauem Beton ähnlich RAL 7032 ausgeführt, die Fenster, Türen und Geländer werden aus dunkel brünierter Baubronze ausgeführt. Vor der Festverglasung (mit einem oberem Öffnungsflügel) wird ein durchlässiges anthrazitfarbenes Sonnenschutzgewebe angebracht, das individuell gesteuert werden kann. Dadurch, dass die Glasebene der oberen Geschosse zurückspringen, stören unterschiedlich hohe Sonnenschutzflächen nicht das einheitliche Bild, lassen aber individuelle Vorlieben der Mitarbeiter und somit ein gutes Arbeitsklima zu.

FUNKTIONALITÄT
Insgesamt ist der Neubau als „dreischiffige“ Anlage mit klarer Trennung von Büro- und Infrastrukturzonen gedacht. Alle Büros sind an den Aussenwänden mit direktem Tageslicht und Blick nach draußen angeordnet. Mittig nimmt eine Spange die Fluchttreppenhäuser, Aufzüge, WC-Anlagen, Nebenräume wie Archiv, Lager undTeeküchen auf. Diese Spange mit den für einen effizienten und gleichzeitig angenehmen Büroalltag so entscheidenen Funktionen ist beidseitig erschlossen über einen Flur. Die Mittelzone ist mehrmals unterbrochen, um Querverkehr zu ermöglichen, die Flurlängen zu brechen und den Nutzern Orte der informellen Kommunikation und des ungezwungenen Aufenthalts zu ermöglichen. Grosszügige Kommunikationszonen mit Tageslichtbezug sind am Drehpunkt der beiden Büroflügel platziert. Das Dachgeschoss mit den Terrassen bietet weitere attraktive Kommunikationszonen mit spektakulären Ausblicken. Hier können auch Treffen mit Gästen von außerhalb stattfinden, die durch diese besonderen Flächen sowohl informellen als auch repräsentativen Charakter haben.
Die Anbindung an die Schadowstrasse 12/13 und 10/11 erfolgt durch direkt am Übergang platzierte Vertikalerschliessungen, jeweils mit Aufzug, die die Erschliessungsgänge der Bürogeschosse auf eine selbstverständliche Art weiterführt.
Das Raumprogramm ist mit 255 statt der geforderten 196 Büros übererfüllt. Auf jeder Ebene sorgen 3 Brandabschnitte und 3 Fluchttreppenhäuser/Aufzüge für die gewünschte Aufteilung der Geschosse in 400 qm Nutzungseinheiten. Die Flexibilität der Büronutzung und -einteilung wird innerhalb eines Rasters von 3.6m gewährleistet. Es sind ausreichend Kommunikationszonen in jedem Stockwerk vorhanden. Die Vertikalerschliessung erfolgt über 3 Aufzüge und die 3 Fluchttreppenhäuser, die alle direkt, bei Erfordernis, vom Innenhof zugänglich sind.
Die Barrierefreiheit ist im gesamten Gebäude gewährleistet, alle Geschosse sind barrierefrei mit den Seitenflügeln Schadowstrasse 12/13 und 10/11 verbunden.

KLIMAKONZEPT / NACHHALTIGKEIT
Das Gebäude ist in einer konventionellen Stahlbetonskelettkonstruktion erstellt. Die Aussteifung erfolgt über die Treppenhauskerne. Die gewünschte Flexibilität wird durch Trockenbauwände erreicht. Fensterprofile und Geländer sind aus Baubronze, der Sonnenschutz aus einem transluzenten Gewebe.
Für den Büroneubau wurde ein durchdachtes und auf passiven Maßnahmen basierendes Energie- und Lüftungskonzept entwickelt. Ein hoher thermischer Komfort in den Büroräumen und hohe Flexibilität in der Nutzung sind ausschlaggebend für den Entwurf. Die vorgeschlagenen Maßnahmen führen zu einer optimalen Tageslichtversorgung, einer sehr hohen Luftqualität und sehr guter Raumakustik.
Die Fassade des Gebäudes ist hochgedämmt und verfügt über 3-Scheiben Sonnenschutzverglasungen. Das Verglasungssystem wird so konfiguriert, dass eine möglichst hohe Transparenz bei verringerten solaren Lasten erreicht wird. Ein außenliegender Sonnenschutz reduziert bei hoher Einstrahlung die solare Last auf ein Minimum und verhindert eine Überhitzung in den Räumen. Eine Ausnahme bildet das Erdgeschoss mit den öffentlich zugänglichen Bereichen, hier bildet die Baumreihe vor dem Gebäude einen natürlichen Sonnenschutz. Im Sommer tragen die Bäume Blätter und blocken solare Strahlung, während imWinter solare Strahlung durch die blattlosen Äste in das Gebäude einfällt und den Heizwärmebedarf durch passive Gewinne reduziert.
Die Ausstellungsräume im Erdgeschoss werden mechanisch belüftet. Alle Büroräume können über öffenbare Fenster natürlich gelüftet werden. Optional kann eine zentrale mechanische Belüftung über Zuluftkanäle im Doppelboden und Auslass an der Fassade installiert werden. Der Auslass ist zugleich ein Konvektor, welcher einen Kaltluftabfall an der Fassade und dem damit einhergehenden Auftreten von Zugluft verhindert. Wenn keine mechanische Belüftung der Büroräume gewünscht ist, werden nur die Besprechungsräume über dezentrale Lüftungsanlagen versorgt.
Heizung und ggf. Kühlung wird über aktivierte Betondecken realisiert. Die temperierte thermische Masse führt zu einem konstanten und sehr angenehmen Raumklima. Im Sommer kann die thermische Masse passiv durch Nachtlüftung gekühlt werden. Es ist zu prüfen, ob diese Maßnahme genügt, um den sommerlichen Wärmeschutz zu erreichen und auf eine mechanische Kühlung verzichtet werden kann. Unabhängig vom Ergebnis ist die Infrastruktur für eine Kühlung durch die aktivierte Betondecke gegeben und kann jederzeit nachgerüstet werden.
Das Gebäude wird über das vorhandene Fernwärmenetz versorgt. Eine hocheffiziente Kältemaschine mit Rückkühlung auf dem Dach kann bei Bedarf Kälte zur Verfügung stellen. Ungenutzte Freiflächen auf dem Dach werden mit Photovoltaikmodulen belegt. Die Dimensionierung wird auf Basis einer wirtschaftlichen Optimierung vorgenommen.

Beurteilung durch das Preisgericht

Der Entwurf bezieht aus seiner expressiven Fassade mit tiefen und schräg geschnittenen Fensterlaibungen sowie zusätzlichen Brisses soleil seine Exklusivität und Eigenständigkeit.
Die Gesamterscheinung bildet eine kräftige Adresse. Damit erhält das Gebäude deutliche Aufmerksamkeit und Bedeutung.Seine Stärke bezieht das Gebäude außerdem aus seiner gleichmäßigen Sechsgeschossigkeit mit einem zurückgesetzten und in der Schadowstraße gekürzt ausgeführten Staffelgeschoß gleicher Bauart wie die Normalfassade.Ob dieser Auftritt innerhalb der Bebauung Unter den Linden und neben dem Schadowhaus richtig und angemessen ist, darf allerdings hinterfragt werden.Gemäß Gestaltungssatzung Unter den Linden und den denkmalschutzrechtlichen Belangen zur Nachbarschaft des Schadowhauses wird die Fassade kritisch bewertet, aber eine Genehmigungsfähigkeit ist gegeben.Die separierten Zugänglichkeiten in die Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung Unter den Linden und zu der DBT-Verwaltung an der Schadowstraße werden positiv bewertet, insbesondere, dass damit direkt neben dem Schadowhaus eine wertige Nutzung der Erdgeschosszone stattfindet.Allerdings gibt es hier einen Konflikt mit der angestrebten Freihaltung und Zugänglichkeit der Fernwärmestation.Zugangsfoyer und Vertikalerschließung für die Verwaltung mit nur einem Aufzug und einem normalen Fluchttreppenhaus sind völlig unzureichend! Dieser Nachteil setzt sich in den Obergeschossen fort, da die Wegeführung aus der abseitig gelegenen Haupterschließung, verteilten Fluchttreppenhäusern und Einzelaufzügen über die knappen Flurbreiten mit 1,20 Metern äußerst unattraktiv ist. Dies wird auch bezüglich Barrierefreiheit (Begegnung Rollstühle) deutlich kritisiert.Die Büroanordnung als Dreibund mit diversen Kommunikationszonen, Nebenräumen und Teeküchen ist kompakt und effektiv angelegt und erscheint gut funktionierend.Die angebotene, sehr große Büro-Anzahl ist interessant, wurde allerdings mit zu geringen Bürobreiten und den oben genannten Nachteilen erkauft.Die häufigen Erschließungs-Anbindungen an die benachbarten Gebäude sind vorteilhaft.Alle Fluchtwege sind generell gelöst. Die Brandüberschlagsvermeidung zu den Nachbarbauten ist baulich beachtet.Die Geschosshöhen sind vernünftig gewählt.Die Raumorganisation der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung im Erdgeschoss des Gebäudeflügels Unter den Linden ist funktional erfüllt, aber noch wenig attraktiv.Es wird kein optionaler Kunstraum angeboten.Die Technikflächen sind derzeit zu gering bemessen.Die Hof-Durchfahrt liegt generell passend aber die Pforte ist auf der falschen Seite angeordnet.Die dargestellte Hofgestaltung ist unauffällig aber angemessen.Die Zugänglichkeit zu SH 12/13 ist nicht dargestellt.Die bodentief verglasten Fenster sind attraktiv, werden aber bezüglich Einsicht kritisch bewertet.Die konstruktive Fensterausbildung erfordert bezüglich des Sonnenschutzes, des Wasserabflusses der tiefen Laibungen und Brisses soleil sowie der Problematik der Taubenabwehr eine weitere Durcharbeitung.Insgesamt schafft die angebotene Gebäudearchitektur eine auffällige und kräftige Adresse für die wertige Nutzung Deutscher Bundestag.[…]