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Nichtoffener Wettbewerb | 05/2019

Der Schiefe Turm – Touristische Aufwertung im Bereich der Oberkirche in Bad Frankenhausen

2. Preis

Preisgeld: 14.000 EUR

JORDAN BALZER SCHUBERT Architekten BDA

Architektur

Architekturbüro Hauswald

Architektur

STORCH LANDSCHAFTSARCHITEKTUR

Landschaftsarchitektur

Engelbach+Partner Ingenieurgesellschaft Dresden mbH

Tragwerksplanung

LINDENKREUZ EGGERT | Bildermacherei & Utopografie

Visualisierung

Erläuterungstext

Freiraum

Um den Schiefen Turm als zukünftigen, attraktiven Veranstaltungsort zu erschließen, bedarf es eines ganzheitlichen Konzeptes im Zusammenspiel von Kirchturm und Oberkirche, Informations-Zentrum und der Erschließung des Areals für den Besucher.
Dabei gibt es im Grunde zwei unterschiedliche Arten von Nutzern und entsprechend zwei Arten das Ensemble zu erleben:
Die touristische Haupterschließung durch Überlandbusreisen und Individualtouristen, die den Schiefen Turm als Alleinstellungsmerkmal der Region erkennen und gezielt anreisen, erfolgt durch die Parkplätze im Norden. Die Besucher kommen hier an und können das Dach des Besucherzentrums als erste Station und Ausgangspunkt für die Erforschung des Areals nutzen. Die weitere Wegführung lotst den Nutzer dann direkt in den Eingangsbereich des Zentrums.
Der südwestliche Eingang dient dagegen dem Städte- und Kurreisenden, der Bad Frankenhausen ganzheitlich erleben möchte und vom wenige Hundert Meter entfernten Anger und der umliegenden Infrastruktur aus erkundet. Auch hier dient der Schiefe Turm als Orientierungspunkt. Beim Betreten aus dieser Richtung ist der Weg zum Besucherzentrum klar vorgegeben.
Alle bestehenden und zukünftigen baulichen Anlagen sind mit einem Panoramaweg barrierefrei erschlossen. Das Gelände nutzend, bietet der Weg dabei immer wieder neue Sichtbeziehungen und kleine platzartige Erweiterungen als Stationen zum Erleben des Ortes. Diese Plätze werden mit einheitlich gestalteten Sitzbänken ausgestattet. Vom View Point aus hat man einen optimalen Blick auf den Schiefen Turm der Oberkirche. Das Kirchareal wird eingefriedet und bietet so einen grünen und atmosphärischen Rahmen für zukünftige Festveranstaltungen. In den Hang eingelassene schattige Sitzbereiche ergänzen das Freiraumkonzept und tragen zu einer hohen Aufenthaltsqualität bei. Die am Kirchenschiff vorhandene Allee bleibt erhalten und erinnert zusammen mit der umgebenden Wiese an die frühere Platzsituation der Kirche.
Die Materialauswahl für alle Freiraumelemente wird aus dem Bestand heraus entwickelt. An der Kirche befindet sich ein Stadtmodell in Bronze. Diese Materialität wurde aufgegriffen und weiterentwickelt. Im Panoramaweg befinden sich an ausgewählten Stellen im Belag eingelassene Bronzebänder, die Informationen zu den baulichen Anlagen enthalten. Der rote Naturstein im Sockelbereich der alten Kirchruine ist Inspiration für die neuen Bänke, welche zusätzlich mit Holzauflagen ausgestattet sind. Auch für den Parkplatz wird die vorhandene Materialität des ankommenden Weges aufgenommen und in Kalksteinpflaster weitergeführt.

Informations-Zentrum

Die Topographie des Areals legt sich einem Tuch gleich über den neuen Bau, umhüllt und transformiert ihn zu einem Teil des Ortes. Das Informations-Zentrum hält sich zurück, gibt dem Schiefen Turm und der Oberkirche Raum zum Wirken und ermöglicht dennoch intuitiv die Adressbildung als erste Anlaufstelle des Areals. Dabei ist es wichtig, die formale und räumliche Vielfalt des Ortes mit den dominierenden statischen Sicherungsbauwerken nicht durch ein weiteres freistehendes Gebäude zu verunklaren. Die dem Hang folgende konkave Fassade lässt Besucher aus beiden Richtungen dennoch sicher den zentralen Zugang finden. Hier gilt es vielseitige Nutzungskonzepte parallel zu ermöglichen. Der direkte Sichtbezug leitet Besucher nativ zu Tresen und Souvenirverkauf, der angegliederte Veranstaltungsraum bezieht sich in seiner Ausrichtung klar auf das Hauptwerk der Kirche. Das Motiv des sich bedrohlich dem Besucher zuneigenden Turmbauwerkes und der Stützung mit Stahlrohren wird dem Besucher durch die Glasfront immer als unverkennbarer Teil des Ortes bewusst.
Durch einen zweiten Eingang können die Sanitärräume sowohl für Veranstaltungen im Hauptschiff der Kirche, für Turmbesucher, als auch für das Besucherzentrum selbst separat genutzt werden.
Das Gebäude ist in den Ort gegraben, ist massiv mit dem Ort verbunden. Neben der großflächigen Glasfassade zum Turm wird eine zweischalige Betonfassade gewählt. Auch im Inneren dominiert das schlichte, massive Tragwerk mit Sichtbetonoberflächen und glatten weisen Materialien. Lediglich die Decke des Veranstaltungsraums wird akustisch wirksam perforiert, um auch schallsensiblen Veranstaltungen einen angemessenen Raum zu bieten. Die Erddeckung wirkt sich mit der Grundwärme des Bodens positiv auf den Wärmeschutz aus. Allein die energetisch optimierte Glasfassade ist dem Außenraum zugewandt.

Oberkirche und Schiefer Turm

Die Besonderheit der spätgotischen Oberkirche besteht im geosteten Raumabschluss, der gleichzeitig als Teil der inneren Stadtmauer genutzt wurde. Der Kirchturm diente in seinen unteren Geschossen offenbar fortifikatorischen Zwecken, wovon noch die schießschartenartigen Öffnungen künden. Das erklärt das Fehlen eines separaten Chorraumes oder einer Apsis.
Die spätgotische Strenge des schlichten einschiffigen Saales wird nach Norden durch ein niedriges Seitenschiff ergänzt. Der ehemalige Zwingerbereich oder Stadtgraben schafft die räumliche Distanz zur Erlebbarkeit des Turmes vom Besucherzentrum aus.
Der gestalterische Ansatz geht davon aus, die gewachsenen, noch überkommenen Strukturen zu schützen und nicht auf die reine spätgotische Zeitschicht zurückzubauen. Gleichzeitig nimmt die Dachkonstruktion mit ihren Diagonalen Bezug auf die ursprünglich vorhandenen, durch die Strebepfeiler ablesbaren Joche. Das stählerne Strebewerk der Turmsicherung mit seinen Stahlrohren und der Stahlbetonkragen um den Turm geben die gestalterischen Ansätze für das weitere Schutzbauwerk vor: Eine sachliche, sehr wirtschaftliche Schutzdachkonstruktion mit Rohrstützen und Brettsperrholz-Dachbindern. Die Mauerkronen werden ebenfalls durch einen Sichtbeton-Ringanker zusammengehalten und egalisiert. Im Austausch mit dem erdigen Mantel des Besucherzentrums legt sich hier das neue Dach als schützende Hülle über das Gebäude.
Das Motiv des freigestellten Daches lässt die Kirchenruine damit als eine schützenswerte, de facto archäologische Kostbarkeit erscheinen, ohne den Versuch einer formalen Rückführung auf einen vermeintlich ursprünglichen Zustand zu unternehmen.
Die Oberfläche der Dachfaltungen werden innen hell gefärbt, so dass ein Eindruck wie bei spätgotischen Zellengewölben entsteht, die die Assoziation nahezu entmaterialisierter Stofffaltungen hinterlassen. Die Fensteröffnungen zur Stadt werden in schlichter geometrischer Teilung neu verglast, so dass im Zusammenspiel mit der bewegten Faltung des Schutzdaches die Erinnerung an den sakralen Charakter des Saalschiffes entsteht.
Die Kirche wird von Seiten des Besucherzentrums aus über zwei Eingänge erschlossen. Der Fokus liegt dabei auf dem schrittweisen Erleben des Baukörpers, über den Auftakt des niedrigen Seitenschiffes mit separatem Turmzugang und Eingangsbereich hin zum durch alte Pfeiler flankierten hohen Saal selbst.
Das Innere des Ensembles wird durch klare, sachliche Einbauten ergänzt. Sind die beiden Pfeilerreste noch Zeugnisse der massiven Bauweise des alten Kirchenschiffs, werden Künstlergarderobe und Turmzugang in bronzefarbenen Metallgitter ausgeführt. Sie sind Zutaten und als solche erkennbar. Der Bodenbelag in der Kirche wird dagegen mit im Kiesbett verlegten, großformatigen Kyffhäuser Sandsteinplatten erstellt. Eine klarer Ortsbezug und die Identifikation mit dem Bestand erden dann den Besucher.
Einfache weiße blickdichte Vorhänge sind den Dachbindern raumhoch angegliedert. Sie dienen der Inszenierung des Raums, teilen das Kirchenschiff in flexible Bereiche und können als schlichte Projektionsflächen für informative Diavorträge und multimediale Installationen genutzt werden. Die Transformation des geschichtsträchtigen Ortes mit all seinen Zutaten im massiven, verwitterten Mauerwerk hin zum entmaterialisierten Weißraum und zurück ist dann nicht mehr als ein schlichter Arbeitsschritt.

Statik

Für die Überdachung des Kirchenschiffes wurde als Tragsystem ein Faltwerk gewählt, welches durch einzelne aneinandergekoppelte schirmartige Segmente gebildet wird. In Höhe der Dachauflagerpunkte auf runden Säulen (Stahlrohr 193,7-6.3) werden im orthogonalen Raster zusätzliche Zugglieder angeordnet. Die Stahlsäulen mit integrierter Entwässerung werden mittels Einzelfundamenten gegründet. Die Fußpunktausbildung der Säulen erfolgt so, dass durch horizontale und vertikale Nachjustierungsmöglichkeiten Bewegungen des sensiblen Baugrunds ausgeglichen werden können. Der Ringschluss und die Verbindung der einzelnen Schirmsegmente, welche aus Brettsperrholz BBS XL d=10 cm bestehen, erfolgt mit einzelnen bzw. linienförmigen stählernen Einbauteilen.
Die Randstützen werden an den, die historischen Mauerkronen schützenden und nach oben abschließenden Ring- und Horizontalbalken angeschlossen. Die historischen Mauerwerkswände übernehmen so die Aussteifung und die Lastableitung in der Horizontalen des Dachtragwerkes jeweils in ihrer Scheibenebene.

Wirtschaftlichkeit

Eingedenk der Tatsache des äußerst problematischen Baugrundes ist die gelenkige Gründung mit Einzelstützen aus Stahlrohren und das leichte Dach aus Brettsperrholzträgern mit üblicher Ausbildung einer schlanken Dachschale (wasserführende Schicht verblecht, Tragschicht Trapezprofil gedämmt, Unterschale perforiert, weiß) eine mit Sicherheit wirtschaftliche Form des Bauens mit hohem Vorfertigungsgrad. Das Besucherzentrum ist als biegesteifer Stahlbetonkorpus und flächigem Lasteintrag auf die Gründungssohle eine statisch-konstruktive Antwort auf das inhomogene Setzungsverhalten der gipshaltigen Untergründe.

Schall- und Feuchteschutz

Eine gute Raumakustik ist fester Bestandteil jedes Veranstaltungsraums.
Im Wesentlichen stützt sich das Konzept dabei auf schallabsorbierende Platten an der Unterseite des Dachtragwerks, die mit gezielter Perforierung auf die Akustik des Raumes Einfluss nehmen und auf die raumhohen Vorhänge, die flexible eingesetzt unterschiedlichen Situationen wie Konzerten oder Vorträgen Rechnung tragen.
Der Feuchteschutz basiert auf passgenau berechnetem Feuchteschutz, der die Besonderheit des gefalteten Dachs nutzt. Zwischen Hochpunkt des Schutzdaches und altem Mauerwerk entstehen kleine Fassadendreiecke, die mit feuchtegesteuerten Öffnungen auf das Raumklima reagieren können und das gesamte Kirchenschiff quer lüften können.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Arbeit setzt bei der Nachnutzung der Kirchenruine auf ein Haus-im-Haus-Prinzip, ergänzt den neuen Veranstaltungsort durch ein Funktionsgebäude, das die städtebauliche Situation an der Oberen Kirchgasse arrondiert und als Anlauf- und Umlenkpunkt im Ensemble dient. Der sensible Umgang mit dem historischen Bestand durch eine auf das erhaltene Bauvolumen reduzierte Überdachung sowie die intelligente Einordnung des Funktionsgebäudes sind hervorzuheben. Das Innere der Kirchenruine als neuem Veranstaltungsort lässt den Bezug zur Historie uneingeschränkt erleben. Die Idee, Teilbereiche im Kirchenraum temporär durch leichte Vorhänge zu unterteilen, stärkt die Multifunktionalität des Großraumes. Allerdings lassen sich räumliche und atmosphärische Qualitäten des ehemaligen Kirchenraumes anhand der Schnitte nur erahnen.

Nicht überzeugen kann das Unterbringen der Besucher Toiletten im 50 m entfernten Informationszentrum für die Nutzung der Kirche bei Veranstaltungen. Auch wird der Personalaufwand bei dieser dezentralen Lösung erhöht sein, will man über das Kirchengebäude und den Schiefen Turm eine persönliche Kontrolle / Aufsicht behalten.

Das vorgeschlagene Tragwerk über der Kirchenruine ist rational konzipiert und in der seriellen Vorfertigung wirtschaftlich. Die dargestellte Leichtigkeit und Eleganz der schlanken Profile bis ins Detail durchzuhalten, dürfte eine anspruchsvolle Aufgabe der Ausführungsplanung werden. Die statische Einbeziehung der Bestandsmauern stellt sich insbesondere an der Nordseite schwierig dar und ist mit zusätzlichen statischen Ertüchtigungen verbunden. Auch ist die Entwässerungslösung als sehr ambitioniert zu bezeichnen.

Das auch in der Form rational wirkende gefaltete Dachtragwerk wird in der Anmutung unterschiedlich bewertet und teilweise als Konkurrenz zu den historischen Bauformen gesehen, insbesondere in der Dachaufsicht.

Die Erschließung des Ensembles von der Stadt im Westen wie auch vom höher gelegenen Besucherparkplatz im Nordosten erscheint schlüssig. Behindertengerechte Wege und Zugänge sind gegeben. Die Freianlagen sind eindeutig zoniert ohne unnötige funktionelle Überfrachtungen oder scheinbare Attraktivierungen. Einzelne ergänzende Bäume unterstützen die räumlichen Fassungen. So können Gebäude und Freiraum in selbstverständlichem Zusammenspiel wirken.

Die Neugestaltung der Oberkirchgasse mit Mauer und Hecke wirkt etwas spartanisch und beeinträchtigt durch ein Maximum an Stellplätzen die Aufenthaltsqualität der Anwohnerstraße. Alles in allem wird dieser Entwurf als eine kompakte, die Historie respektierende, multifunktionale und weitgehend wirtschaftliche Lösung angesehen.
Idee

Idee

Lageplan

Lageplan

Grundriss

Grundriss

Längsschnitt

Längsschnitt