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Offener Wettbewerb | 06/2010

Parklandschaft Tempelhof / Tempelhof Parkland

Teilnahme / Wettbewerb

GREENBOX Landschaftsarchitekten

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

Park des 21. Jahrhunderts:

Ein Spaziergang auf dem Tempelhofer Feld

Tempelhof ist 10 Jahre nach seiner Eröffnung auf dem Weg zu einem neuen urbanen Parkmodell – eine Situationsbeschreibung
Berlin, 8. Mai 2020: „Sehen sie sich um, hätten Sie das vor 10 Jahren für möglich gehalten?“ Frau Kühne–Sankner starrt einen mit erwartungsvollem Blick an. Und ob dies den ahnungslosen Gesprächspartner in einem unscheinbaren Berliner Kiez nicht schon genug verunsichern würde, fügt sie hinzu: „Das ist der Park des 21.Jahrhunderts!“

Man sieht sich verwundert um. Auf der einen Seite ein für Berlin so typisches, bunt durchmischtes Gründerzeitviertel. Ein paar im Trend der Zeit gekleidete Mütter sitzen im Straßencafé. Auf der anderen Straßenseite spielen ihre Kinder seelenruhig unter Bäumen. Dicht an dicht stehen diese, wie am Rande eines ganz normalen Parks, nur ohne den klassischen Schmuckgehölzen und Rabatten, die in den Berliner Volksgärten gerade Hochkonjunktur haben.

Nein, etwas so Außerordentliches, wie man nach den euphorischen Ausbrüchen der Kunsthistorikerin erwarten würde, ist nicht zu erkennen. Ungeachtet der eigenen Regungslosigkeit setzt Frau Kühne-Sankner nach: „Vor 10 Jahren war hier noch ein Zaun, der diesen Kiez mit seiner extrem problematischen sozialen Lage und seiner dichten gründerzeitliche Bebauung von einer weiten Landschaft der Leere im Herzen Berlins trennte. Gerade durch diesen Zaun wurde diese weite, einzigartige Landschaft erhalten. Müll und Hundekot waren auf der einen Seite, weite Wiesen und vom aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten auf der anderen Seite. Sozialer Brennpunkt neben einer terra incognita. Heute sieht dies anders aus!“
„Man hat beide Prinzipien verstanden und umsetzen können: zum einen hat man diesen surrealen Kontrast von Stadt und Landschaft erhalten – ja sogar verstärkt! – und zum anderen die Verbindung zweier völlig verschiedener Stadtteile mit einem modernen Programm verbunden. Der Kiez hat sich damit schnell zu einer beliebten Wohngegend entwickelt. Und das Tempelhofer Feld hat als Park mittlerweile weltweit eine Vorbildfunktion.“

Wir spazieren die ehemalige Grenze entlang und bleiben an einem Punkt stehen, wo sich der Blick in einer unerwarteten Weite verliert. Man hält unbewusst den Atem an. Bleibt automatisch stehen.
Zwischen den dichten Bäumen hindurch erblickt man eine Lichtung enormen Ausmaßes. Nachdem man sich an diesen Ausblick gewöhnt hat und den Raum zu fassen beginnt, bemerkt man, dass sich in dem dichten, dunkleren Saum an Bäumen im Vordergrund so einiges bewegt. Im dunklen Schatten flirrt es geradezu. Farben. Bunt durchmischte Leute, kleine skurrile Hütten neben neu gebauten Wohnblocks mit solarbeschichteten Außenwänden und langsam schwankenden Baukränen.

Schon ist man von dieser versteckten Buntheit unter den Bäumen magisch angezogen und will erkunden, was hinter den tausenden von Baumstämmen noch alles versteckt ist. In den skurrilen farbigen Hütten verbergen sich alle nur erdenklichen Funktionen: Jugendclub, Café, Bar, Kinderbauernhof, Vereinsheim der Drachenflieger, KiTa und,
und, und. Manche haben sich in dem dichten Baumbestand eingenistet. Andere haben rigoros ausgelichtet.
Hinter dem Konzeptgedanken des „Saumes“ verbirgt sich ein Raster an schnell nachwachsenden Gehölzarten, das sich dem gegenwärtigen Entwicklungsstadium anpasst. So können Bäume bei Bedarf beliebig gefällt werden, um zum Beispiel Pioniernutzungen oder Baufeldern Platz zu machen. Die dabei anfallende Biomasse wird im lokal angegliederten Kraftwerk zu Energie für die angrenzenden Wohnquartiere umgewandelt. Wenn eine Nutzung aufgegeben wird, kann im Gegenzug neue Biomasse angebaut werden.
Abseits der Hütten kommt man auf eine kleine Wiese. Nur ein paar Bäume stehen hier. Sie haben farbig dekorierte Stämme. Am Rande gibt es ein paar Beete. Jugendliche balancieren auf gespannten Seilen oder dösen in Hängematten. Ein lautes Hämmern oben im Baum verrät die im Astwerk verborgenen Baumhäuser.
„Am Anfang haben wir uns gewundert über diese Leute die plötzlich tausende von Bäumen pflanzen wollten. Doch dann kamen die und sagten, wenn wir uns darum kümmern, könnten wir uns unsere eigenen Bäume pflanzen und mit einer guten Idee könnten wir auch ein Stückchen haben. Parkpatenschaft nannten sie das. Nun gut, und seit dem haben wir hier unser eigenes Stück Berlin, das für jeden offen ist und wo wir des Öfteren Partys machen können. Ansonsten hängen wir hier oft nur ab. Ist schon ganz cool, hier hat man seine Ruhe vor so vielen anderen. “
Weiter auf den kleinen Wegen durch den „Saum“. Immer wieder ändern sich die Baumarten und ihr Alter. Wie Felder aus Bäumen. Gepflegt von Parkpaten, geerntet als Biomasse oder einfach nur groß gewachsen. Durch die irrsinnig hohe Frequenz an unterschiedlichen Sinneseindrücken und Raumabfolgen wähnt man sich zwischenzeitlich gar nicht mehr in Mitten einer Metropole. So stolpert man von einem Ort zum anderen. Doch dann steht man plötzlich wieder auf festem Boden. Eine 25m breite Bahn aus Ortbeton läuft zwischen den Bäumen hindurch. Nur der völlig fremde Maßstab dieser Bahn lässt einen kurzen Gedankenschluss auf die historische Nutzung dieses Ortes zu. Aber dann wird man schon wieder von dem bunten Treiben auf der ehemaligen Rollbahn eingeholt. Viele spazieren hier. Fahren Rad. Skaten. Manchen lassen die Füßen in den angrenzenden Kanal baumeln. Auf der anderen Seite des Rings schimmert es am Horizont grell hinter den Stämmen. Sehnsucht nach der Weite, nach räumlicher Freiheit in der dichten Stadt macht sich unweigerlich in einem breit. Dem Lichtfunkeln folgend, steht man plötzlich wieder da, mit offenem Mund:
Am Rande des dichten Saums, herausgetreten auf eine unendlich erscheinende Lichtung. Am Horizont, hinter dem grünen Rand des gegenüberliegenden Waldrandes, spannt sich vom einem bis zum anderen Ende die Berliner Stadtsilhouette auf. Geblendet vom gleißenden Sonnenlicht bleibt man zuerst noch unter den letzten schützenden Blättern stehen und mustert diese fabelhafte Kulisse. Beim Versuch, die - Relationen von diesem Ort zu erfassen tut man sich schwer. Nur langsam, bei längerer Betrachtung, kommt das Bewusstsein wieder, mitten in Berlin zu sein. Und dann erinnert auch wieder die mächtige Präsenz des Flughafengebäudes in der Ferne und die im Nachmittagslicht flimmernden Landebahnen an diesen geschichtsträchtigen Ort.
Von Glockengebimmel und einer lauten Stimme kommt man wieder zu sich.
Nein, nicht der erwartete Eisverkäufer biegt um die nächste Parkecke, es ist ein Schäfer der hier über die Wiesen zieht. Und schon ist man wieder von den historischen Großstadtgedanken in eine neue Welt katapultiert. Ein Schäfer? Hier? Man nähert sich an. Der Schäfer ist sichtlich südländischer Herkunft und noch keine vierzig Jahre alt. Aufgeschlossen erzählt er mit vollem Stolz, dass schon damals sein Großvater in Ost-Anatolien ein Schäfer war und er als Kind schon immer davon geträumt habe. Als geborener Neuköllner kannte er ein solches Leben nur aus Geschichten. Andauernde soziale Konflikte, Schulabbruch und Arbeitslosigkeit prägten stattdessen sein Leben. Doch dann kam der Ideenaufruf zu einer offensiven Beteiligung der Bürger an der Parkpflege. Er und ein paar Freunde hatten sofort die Idee, die Familientradition hier in Mitten Berlins weiter zu führen und gründeten einen Verein, der nun neben der Schafherde auch Gemeinschaftsgärten und einen kleinen Bauernhof am süd-östlichen Ende des Feldes unterhält.
„Mir und meiner Familie geht es wieder gut hier in Berlin. Wir fühlen uns mehr zu Hause als jemals zuvor.“
Nachdem der Schäfer weiter gezogen ist, geht die Reise weiter auf breiten Wiesenwegen in diese neuartige Parklandschaft, die man nun mehr und mehr begreifen kann. Unmerklich strebt man in die Mitte des Feldes. Irgendwann steht man vor einem weiten, ringförmigen Erdwall. Auf dem Scheitelpunkt angekommen, tut sich ein seichter Krater auf. Eine Schautafel weist darauf hin, dass hier einige gefährdete Vogelarten, vor allem Bodenbrüter, leben. Man hat die Assoziation in einem überdimensionalen Nest in Mitten einer Lichtung gelandet zu sein.
Über einen langen Steg kommt man auf eine Aussichtsplattform in der Mitte des Nests. Dort steht ein älterer Mann mit Hut. Ein Abzeichen auf seiner rechten Hemdtasche verrät, dass er hier der zuständige Parkpate ist. Er erzählt, dass er als Kind noch den Rosinenbombern zugewinkt habe. Der Flughafen war für ihn und die halbe Stadt die Lebensader. Damals undenkbar, aber heute erfüllt das ehemalige Flughafenareal eine ganz andere Funktion: es ist die ökologische und klimatische Lebensader der Stadt. „Durch größere und kleinere Schutzgebiete haben wir es geschafft die biologische Artenvielfalt in einem erstaunlichen Ausmaß zu erhalten. Als ehemaliger Biologieprofessor macht mir die Arbeit hier natürlich sehr viel Spaß. Und sehen sie dort drüben die Biogasanlage. Das ist die Zukunft. Hier schaffen wir nicht nur einen ökologischen und stadtklimatischen Wert, sondern auch noch einen kleinen Ausgleich zu unserem Energiekonsum.“ Noch als Professor gab er zu bedenken, dass man bei der Subvention regenerativer Energien auch den tatsächlichen ökologischen Nutzen von Biomasse betrachten müsse. So setzte er sich dafür ein, dass Biomasse dort produziert werden müsse wo sie auch verbraucht wird.
„Dieses Projekt hier mitten in der Stadt zeigt, dass man einen Park auch mehrfach nutzen kann: natürlich für Erholungsangebote, aber eben auch zum Arten- und Biotopschutz, sowie zum Klimaschutz. Wenn auch durch die Menge an Gehölzen im Saum und Schnittgut der Wiesen nicht der ganze Energiebedarf gedeckt werden kann, kann es als Modellprojekt doch zu einem radikalen Umdenken bei den Lebensstilen und in der Stadtentwicklung beitragen.“
Im Nachruf noch jene Worte im Ohr geht es weiter über das Feld. Bunte Drachen in der Luft markieren schon von Weitem die beiden Landebahnen. In erstaunlich schnellen Bewegungen haben Kiteskater die Bahnen in Besitz genommen und lassen sich von ihrem Lenkdrachen auf ihrem Longboard mit atemberaubender Geschwindigkeit ziehen. Auf der südlichen Landebahn angekommen, erstreckt sich der Blick über die
ehemalige Flughafengrenze hinaus bis hinein in die Quartiere. Menschen wirken wie Ameisen auf der fünfzig Meter breiten Bahn, die sich unerbittlich bis hin zum Horizont zu strecken scheint und sich als weiterführende Fahrradverbindung über die Bezirksgrenzen fortsetzt. Ganz im Gegensatz dazu kann man auf der nördlichen Landebahn zum ersten Mal die wirkliche Distanz zwischen den neuen Stadtquartieren Neukölln und Tempelhof versuchen abzuschätzen. Die Bahn wirkt wie eine überbreite Verbindung der beiden Quartiere.
Zwischen den beiden Landebahnen liegen weitere Nester, in denen man mal die Gelegenheit hat zur Ruhe zu kommen. Es sind Rückzugsorte in Mitten der weiten Ebene, wo man untertauchen kann und etwas Geborgenheit verspürt. In den Senken befinden sich Beachvolleyballplätze, Spielplätze, ein Grillplatz und ein Klettergarten und vieles mehr. Wobei man immer wieder von dem Effekt beeindruckt ist, aus der unfassbaren räumlichen Weite in diese intimen Orte mit ihren spezifischen Nutzungen einzutauchen. Ein Ort im Ort sozusagen.
Vorbei an all den vor Diversität strotzenden „Nestern“ taucht man wieder ein in den Saum und kommt schließlich wieder auf den Ring, der das ganze Feld umgibt. Nun nimmt man auch gerne die zur IGA eingeweihte Straßenbahn in Anspruch um sich wieder zum Ausgangspunkt zu begeben. Dort wartet schon Frau Kühne–Sankner mit einem breiten Grinsen im Gesicht:
„Und wissen sie jetzt von was ich ihnen vorhin erzählte? Was diesen Park von anderen unterscheidet? Warum er ein neuer Wegweiser in der Parkgeschichte des 21.Jahrhunderts ist?“

„Ja.“ antworte ich und gebe ihr die Hand.