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Nichtoffener Wettbewerb | 04/2011

Freiräume Europacity/ Heidestraße und Nordhafen

1. Preis

Preisgeld: 22.000 EUR

relais Landschaftsarchitekten

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

Freiräume für die Europacity

Das Areal um die Heidestraße stellt derzeit eine Fuge in der Berliner Stadtstruktur dar. Aus urbaner Sicht ist es als Durchgangsraum an zentraler Position erfahrbar, der von Gleiskörpern und Gewässern begrenzt wird und daher eine isolierte Stellung im Stadtgrundriss einnimmt. Diese Situation soll durch die Errichtung der Europacity neu besetzt werden.
Für die Anbindung an die angrenzenden Stadtstrukturen kommt den Freiräumen des neuen Quartiers eine zentrale Bedeutung zu. Allerdings wird mit dem Entwurf nicht das Ziel verfolgt, das antagonistisch geprägte Verhältnis zum urbanen Kontext mit einer moderierenden Geste aufzuheben. Vielmehr geht es darum, den isolierten zu einem prägnanten Stadtraum umzuwerten. Demnach sollen mit dem Entwurf die eigenwertigen, identitätsstiftenden Qualitäten dieses Standortes bewahrt und entwickelt werden.
Das größte Gestaltungspotential dafür bietet die Wasserlage, in der bereits auf Ebene der Quartiersplanung mehr als eine optisch präsente Begleiterscheinung dieses Areals gesehen wurde. Im landschaftsarchitektonischen Entwurf wird der Stadtraum räumlich, atmosphärisch und formal auf die angrenzenden Kanal- und Hafenbereiche bezogen. Die uferbegleitenden Freiräume werden auf vielfältige Weise ausformuliert. Die Uferkante erscheint als Mauer, Böschung, Terrasse, Faltung, Treppe und Steg und bietet die Möglichkeit zum Entdecken differenzierter Aneignungsmöglichkeiten dieser ‚elementaren’ Schnittstelle. Durch die Gestaltung des neugeschaffenen Stadthafens und des Nordhafenplatzes wird Wasser in verschiedenen Erscheinungsformen erlebbar und die Qualität der Wasserlage in das Innere des Stadtquartiers projiziert.

Uferpromenade
Strukturelle Grundlage des Konzepts ist die Schaffung einer ‚steinernen’ Uferkante im Bereich des Berlin-Spandauer Schifffahrtskanals, die als Komplementär zum vegetativen Nordhafenpark aufgefasst wird. Den südlichen Auftakt dieser Promenade bildet das Museum im Hamburger Bahnhof und der daran anschließende ‚Kunst-Campus’. Im Norden erhält diese Funktion der neuangelegte Nordhafenplatz.
Diese Verbindung stellt das Rückgrat für die Erschließung der Europacity für Fußgänger und Radfahrer dar und wird als gestalterische Einheit ausformuliert. Die auf erhöhtem Niveau über dem Kanal gelegene Promenade wird als exponierte Raumstruktur mit vielseitigen, informellen Aneignungsmöglichkeiten verstanden. Sie erhält einen Bodenbelag aus wassergebundener Wegedecke, in den 1,50 m breite Gehbänder aus großformatigen Betonplatten mit besengestrichener Oberfläche integriert sind. Akzentuiert wird der Raum der Promenade durch Bestandsbäume und einzelne Solitärpflanzungen.
Gebrochen wird die Linearität und Materialität der Uferpromenade durch den Döberitzer Grünzug, den Stadthafen und den Übergang zum Nordhafenplatz. In diesen Bereichen existieren Brücken über den Kanal und übergeordnete Verbindungen in Ost-West-Richtung, so dass diese Schnittstellen mit der Promenade als Orientierungspunkte im Stadtgrundriss aufgefasst werden.
Der Döberitzer Grünzug wird von Betonplatten mit sandgestrahlter Oberfläche gerahmt und mit einer zweireihigen Baumpflanzung ausgefüllt, in die verschiedene Spielangebote integriert sind. Ähnliche ‚Baumpakete‘, die ebenfalls Spielräume enthalten und eine Verzahnung mit dem angrenzenden Stadtquartier herstellen, werden auch an drei weiteren Stellen an die Promenade angegliedert.
Die am Kanal gelegenen privaten Vorgartenzonen werden durch einen Sockel von der Promenade differenziert. Diesen Bereichen sollen 1,50 m breite Heckenkörper vorgelagert werden, in die Sitznischen mit langen Holzbänken mit Rückenlehne eingeschnitten sind.
Im Bereich zwischen Stadthafen und Kornversuchsspeicher wird die Spundwand zur Vereinheitlichung der Promenadengestaltung erhöht. Die bestehenden historischen Uferbefestigungen werden dabei integriert.
Die Kieler Brücke wird durch eine transparente Konstruktion barrierefrei auf das Promenadenniveau geführt. Unter dieser Brücke hindurch entsteht durch eine flach geneigte Wegeverbindung ein Übergang zwischen Uferpromenade und Nordhafenpark.
Der Promenadenabschnitt zwischen Kieler Brücke und Nordhafenplatz wird durch Absenkung des Geländeniveaus im nördlich angrenzenden Areal als zum Nordhafenpark exponierter Balkon ausformuliert. Auf diese Weise wird die Bebauungskante räumlich erlebbar und die qualitative Differenzierung zwischen Siedlungskante und Grünflächen unterstrichen.


Stadthafen
Als in das Innere der Europacity führende Aufweitung des Kanals und Schnittstelle zwischen Uferpromenade und Heidestraße erhält der neugeschaffene Stadthafen eine große Bedeutung für die Quartiersstruktur. Landschaftsarchitektonisch wird dieser Stellenwert durch eine prägnante, topographische Geste als Uferkante dieses Areals unterstrichen.
An der Südseite des Stadthafens können Schiffe anlegen. Auf der Nord- und Westseite des Hafenbeckens wird die Promenade durch Faltung des Terrains mit der Wasseroberfläche verbunden. Diese aus flachen Rampen, Sitzstufen und Treppen entwickelte skulpturale Form aus Sichtbeton bietet vielfältige Aufenthalts- und Aneignungsqualitäten. Sie schafft einen barrierefreien und zugleich bespielbaren Zugang zum Wasser, der nach Süden und Osten exponiert ist. Die geringe Längsneigung (max. nur 4 %) und niedrige Absturzhöhen erlauben eine Ausführung ohne Geländer, Handläufe, Zwischenpodeste und Radabweiser. Am Hafenbecken wird durch ein großflächiges Holzdeck und einen flach vom Wasserstand des Kanals überspülten ‚Wasserstein‘ die Atmosphäre einer Flussbadeanstalt zitiert. In dieser artifiziellen ‚Küstenlandschaft‘ wird die Wasseroberfläche bespielbar – verschiedenste Oberflächen bieten sich zum Sitzen und Liegen an und vermitteln den Kontakt zum Wasser.
Dem nördlich an das Hafenareal grenzenden Gebäudezug wird eine Reihe schirmförmiger Formgehölze vorgelagert. In diesem Bereich wird eine Gastronomieterrasse angeordnet. Von hier kann, aus dem lichten Schatten der Bäume, der Blick über das Hafentreiben schweifen.

Nordhafenpark
Im Nordhafenpark wird die Situation des Stadthafens in einen ‚grünen‘, großräumigeren Kontext übersetzt, dessen künstlicher, funktionaler Ursprung noch immer ablesbar ist. Der heutige Zustand geht auf eine von Peter Joseph Lenné konzipierte Hafenanlage zurück, die in den 1950er Jahren zu einem Park umgewidmet und später durch Brückenkonstruktionen optisch geteilt wurde. Diese Überlagerung gegensätzlichster Freiraumkonzeptionen bestimmt die Qualität dieses hybriden Ortes, der einen hohen Zeugniswert und eine große Prägnanz aufweist.
Mit dem Entwurf wird die bestehende Situation erneut überarbeitet. Über die ohnehin dominanten Bestandteile früherer Gestaltungsschichten hinaus werden dabei auch kleinere Relikte (Gehölzstrukturen, Treppen, Mauern) herausgearbeitet.
Die derzeit insbesondere im südwestlichen Uferpark durch Böschungen vom Hafenbecken distanzierten ufernahen Bereiche werden neu modelliert und als wasserbezogene Lagen ausformuliert. Die Präzisierung dieser artifiziellen Geländeformen trägt zudem zur Wahrnehmung des Nordhafenparks als gestalterische Einheit bei.
Wie im Stadthafen wird auch im Nordhafenpark der direkte Bezug zum Wasser gestalterisch thematisiert. Dazu werden im westlichen Parkteil Stege aus Lärchenholz angelegt, die durch die Ufergehölze und eine neugeschaffene Schilfpflanzung führen. Diese ‚Wasserläufer’ werden skulptural aufgefasst und auf ihrer Wasserseite zu Sitzflächen aufgefaltet. Im Gegensatz zur weitgehend beschatteten Westseite des Parks bieten diese Aufenthaltsorte auf dem Wasser einen offenen, besonnten und solitären Standpunkt.
Durch die Schaffung der ‚Wasserläufer‘ wird das Westufer des Nordhafens strukturiert, die Uferlinie wird in einen Freiraum auf der Wasserfläche aufgelöst. Formal stellen die Stege einen Bezug zur vielgestaltigen Brückenlandschaft im Umfeld des Nordhafens her. Als Gegenstück zu dieser ausladenden Geste erfolgt die Anbindung an die Wasserfläche am Ostufer des Hafenbeckens über eine breite Stufenanlage.
Im Südwesten des Nordhafenparks werden die im Entwässerungskonzept für die Europacity vorgesehenen Retentionsbodenfilter zusammengefasst. Aufgrund der höheren Effizienz und größeren atmosphärischen Qualität werden die zur Reinigung von Niederschlagswasser eingesetzten Schilfpflanzungen großflächig in zwei Terrassen angeordnet. Diese Verbindung ökologischer und ästhetischer Gesichtspunkte an städtebaulich markanter Position soll letztlich auch einen didaktischen Zweck erfüllen.
Inmitten der Schilfterrassen und eingefasst von wegbegleitenden niedrigen Strauchweidenpflanzungen entsteht nahe der Promenade zum Nordhafenplatz eine große Spielfläche aus Sand. Diese ist im Relief und durch die Vegetationsstrukturen in der Umgebung räumlich umschlossen. Ein individuell für diesen Standort entwickelter Geräte- und Kletterparcours bietet Spielmöglichkeiten für verschiedene Altersgruppen.

Nordhafenplatz
Urbaner Kristallationspunkt der Europacity ist der Nordhafenplatz, dessen Gestaltung formal auf die östlich der Heidestraße gelegenen Geländeformen Bezug nimmt. Diese werden in eine flach gefaltete Platzoberfläche aus sandgestrahlten Betonplatten übersetzt. Damit verbindet der Nordhafenplatz die Tektonik des Nordhafenparks mit dem urbanen Charakter der Uferpromenade und wird auch formal zum Bezugspunkt des Quartiers.
Das in den Retentionsbodenfiltern gewonnene Wasser wird auf der mit einem Gefälle von 2 bis 4 % modellierten Platzfläche als nachhaltiges Wasserparterre inszeniert. Entsprechend der in den Zisternen vorrätigen Wassermenge wird das Wasser aus dem Boden blubbernd in drei Faltungen gepumpt und erreicht dabei eine maximale Höhe von 40 cm. Bei langanhaltender Trockenheit und bei Veranstaltungen bleibt der Platz ohne Wasser, sonst ergeben sich wetterabhängig differenzierte Wassermengen, die in der Platztopographie wechselnde Bilder erzeugen. Auch das ‚stehende‘ Wasser wird atmosphärisch wirksam; es spiegelt und verdunstet, es wird durch Regen und Wind strukturiert, es reagiert auf Berührungsimpulse.
Inmitten eines Umfeldes von höchster Urbanität wird die ‚Naturzeit‘ durch Witterung und die Inszenierung des Wassers als Element gestaltprägend und erlebbar. Nachhaltigkeit ist hier jedoch keine Parole, sondern bespielbar. Sie bietet die Möglichkeit zur Erfrischung sowie dem Auge Entspannung und Entdeckungen.
Dafür wird eine lange, nach Süden exponierte Bank geschaffen, die Sitzmöglichkeiten im lichten Schatten einzelner Bäume bietet und in deren Umfeld sich Freiraum für Cafés und andere gastronomische Einrichtungen befindet.

Unterstrichen wird das im Entwurf konzipierte Gefüge aus Wegen und Plätzen durch die nächtliche Beleuchtung der Freiräume. So sind eine dezente Beleuchtung der Promenade und eine Akzentuierung stadtstrukturell bedeutsamer Orte (Nordhafenplatz, Stadthafen, Kornversuchsspeicher) vorgesehen.

Die Freiräume der Europacity bieten durch dieses Konzept für verschiedenste Nutzergruppen differenzierte und anregende Möglichkeiten zur Entdeckung und Aneignung. Wasser wird dabei als das Element der Erneuerung und der formalen Metamorphosen in Szene gesetzt. Für ein neuerrichtetes Stadtquartier schafft dies wesentliche Grundlagen für die Herausbildung einer quartierseigenen Identität.



Verfasser: Gero Heck, Marianne Mommsen
Mitarbeiter: Elisabeth Biederbick, Annika Henne, Martina Kaiser, Thomas Thränert
Stadthafen

Stadthafen

Stadthafen Lageplan

Stadthafen Lageplan

Stadthafen Schnitt

Stadthafen Schnitt

Nordhafen

Nordhafen

Nordhafen Lageplan

Nordhafen Lageplan

Lageplan gesamt

Lageplan gesamt

1. differenzierte Uferkante 2. steinernes Ufer und vegetatives Ufer 3. Stadtraum Bezug zu Hafen und Kanal

1. differenzierte Uferkante 2. steinernes Ufer und vegetatives Ufer 3. Stadtraum Bezug zu Hafen und Kanal