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Nichtoffener Wettbewerb | 11/2012

Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie"-Morde

1. Preis

Prof. Heinz W. Hallmann

Landschaftsarchitektur

Ursula Wilms

Architektur

Nikolaus Koliusis

Kunst

Ulrike Brandi Licht

Lichtplanung

Erläuterungstext

Gedenk- und Informationsort
für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“ – Morde
am Ort der Planungszentrale, Tiergartenstraße 4 in Berlin



1_Entwurfsidee und künstlerischer Leitgedanke

Mit zwei Elementen - mit der dunklen Fläche und mit der blauen Glaswand – werden sowohl das geschichtliche Verbrechen wie auch die Menschen, die unter dem Verbrechen gelitten haben und getötet wurden, thematisiert. Die Gestaltung dieser Elemente ist abstrakt - nur Material, Farbe und Form - ohne Worte. Ein fragiler Ort in der Stadt, formuliert mit deren Materialien.

Sinnbildlich deutet die blaue, aufrecht stehende Glaswand, die die Richtung aus dem dunklen Grund zum Himmel hin andeutet, für die Verbindung von uns - Betrachtenden, Lebenden - zu den durch die NS – „Euthanasie“ zwar physisch getöteten aber durch unser Nicht-Vergessenen und Erinnern doch weiter lebenden Menschen. Sie stehen uns gegenüber, sie stehen zwischen uns, unter uns. Ein Ort der Hoffnung, sorgsam dem Anderen zu begegnen, das Gemeinsame zu erkennen.

Die dunkle Fläche, steht für die „Schräglage“ und den immer bleibenden „negativen Abdruck“, den die „Euthanasie“ des NS-Staates in der Geschichte unserer Gesellschaft hinterlassen hat. Auf diesem Untergrund, dem „geschichtlichen Erbe“ stehen wir - in der Verantwortung, diese nie wieder zuzulassen. Ein Ort, der an das Geschehene, an das Ausgrenzen erinnert.

Die konkrete Informationsvermittlung - in Wort und Bild - ist unmittelbar als Einheit in die Gesamtgestaltung eingebunden. Das Wissen historischer Tatsachen und die Begegnung mit konkreten Opferbiographien soll das Erinnern und Gedenken substantiieren. Neue Kenntnisse zu erwerben, vorhandene „aufzufrischen“ oder zu vertiefen geschieht „im Gegenüber der Glaswand“ und „auf dem Boden der Geschichte stehend“.


2_Gestalterische Umsetzung

Dunkle Fläche
Die dunkle Fläche ist in der Mitte zur Glaswand hin leicht geneigt, gleichsam eingedrückt in das Gelände. Sie kantet sich an den beiden Rändern auf und markiert so das ursprüngliche Grundstück T4. Die Aufkantungen bilden auf der Seite zum Mattern - Garten hin eine langgestreckte, beidseitig nutzbare, zum Verweilen einladende Sitzbank, auf der gegenüberliegenden Seite wird sie durch die Applikation des Informationselementes zum Pult.
Die Fläche ist von allen Seiten her frei begehbar, ohne Schwellen, barrierefrei.
Die Fläche und die Aufkantungen sind durchgehend einheitlich aus dunkelgrau - schwarz durchgefärbten, glatt und scharfkantig geschalten Betonfertigteilen hergestellt. Die Breite der einzelnen Betonfertigteile beträgt in Abstimmung auf das übergeordnete Fugenraster 3.00 m.
Am Fußpunkt der beiden seitlichen Aufkantungen - jeweils auf der Seite nicht zur Glaswand hin - sind durchgehende LED-Lichtlinien angeordnet, die zum einen die Wegefläche für eine sicherer Begehbarkeit ausleuchten, zum anderen die Markierung des Grundstücks auch nachts wahrnehmbar betonen.

Blaue Glaswand
Die transparente hell-blaue Glaswand steht in der Mitte der Fläche. Sie nimmt ganz bewusst nicht die Richtung des Grundstücks der ehemaligen T4 Planungszentrale auf. Sie ist aufrecht und deutlich wahrnehmbar aus allen Richtungen. Sie steht transparent zwischen den sich gegenüber stehenden Besuchern und Betrachtern.
Die Glaswand besteht aus einzelnen Scheiben (Verbundsicherheitsglasscheiben, bestehend aus drei bis vier ESG-Scheiben) mit einer sichtbaren Höhe von ca. 3.00 m, die nur an der Unterkante eingespannt sind. Die Breite der Scheiben beträgt ca. 3.10 m, insgesamt sind 10 Scheiben rahmen- und fugenlos aneinander gereiht zu einer langen Glaswand. Die hell-blaue Farbe wird durch gefärbte Folien im Scheibenzwischenraum der einzelnen zum VSG verbundenen ESG-Scheiben erzeugt.
Eine LED-Lichtlinie, bündig im Boden entlang der Glaswand eingelegt, erhellt diese bei Dämmerung und nachts.
Der Ort soll jederzeit deutlich wahrnehmbar sein – für den Besucher des Kulturforums, für den Vorbeifahrenden und den Vorbeigehenden.

Informationsvermittlung - Sichtbarkeitsebene
Das „Informationselement“ ist als flacher, langer Kubus an die Aufkantung der Fläche „angedockt“.
Oberseitig sind Informationsflächen aus bündig eingelegtem Glasscheiben vorgesehen, die rückseitig vollflächig bedruckt (Siebdruck) werden. So ist eine hohe Qualität und zugleich Haltbarkeit der Grafik möglich. Die Informationsflächen zeigen in der Sichtbarkeitsebene Fotos, Dokumente (Faksimile) und erläuternde Grafiken, Begleittexte, Bildunterschriften (in deutsch, englisch und Leichter Sprache). Die hinterdruckten Glasflächen sind gleichmäßig flächig hinterleuchtet (LED-Flächenleuchten) um die Lesbarkeit der Information auch bei Dämmerung zu gewährleisten.
Unterhalb der Glasflächen ist Platz für Texte in Profilschrift bzw. Brailleschrift, die erhaben auf die Oberfläche des Kubus appliziert sind.
Das Informationselement besteht aus 13 Elementen (je 3.00 breit, ca. 0.60 m tief, ca. 0.20 m hoch). Orientiert an der Gliederung der „Historischen Einführung“ der „Stiftung für die ermordeten Juden Europas“ sind die dort vorgesehenen 11 Kapitel je einem Pultelement zugeordnet. Zusätzlich dient das erste Element zur Einführung und das letzte zur weiteren Vertiefung – jeweils auch mittels Medienstationen.
Das Informationselement ist unterfahrbar (für Rollstuhlbenutzer). Seine Höhe berücksichtigt die gute Lesbarkeit für alle Benutzer. Die leicht geneigte Oberfläche ist entspiegelt. Vor dem Informationselement ist genügend Platz vorhanden, der auch die Benutzung durch Besuchergruppen zulässt.

Medienstationen - Vertiefungsebenen
Medien - zur Vermittlung detaillierter Informationen für die individuelle Vertiefung, zur Vermittlung in deutscher Gebärdensprache und zur Vermittlung in gesprochener Sprache in deutsch, englisch und Leichter Sprache, ggf. erweiterbar um weitere Fremdsprachen - werden in mehreren Medienstationen angeboten. Diese sind als nach vorne ausziehbare „Schubladen“ unmittelbar in die Pulte integriert. In diese sind barrierefrei bedienbar Touchscreen-Monitore (27“) oberflächenbündig eingebaut. Zugleich sind die Geräte bei Nicht-Benutzung vor Witterung geschützt und können nachts (zeitabhängiges, elektronisches Schließsystem).verschlossen werden, um unsachgemäße Benutzung zu verhindern.
Das Abrufen der Text-, Video- und Audiodateien soll über private internetfähige Mobilgeräte zusätzlich möglich sein, dazu ist auf jedem Element der entsprechende QR-Code angegeben.

Grafisches Konzept
Das Grafische Konzept zielt auf eine ebenso klare Gestaltung ab wie die des Ortes selbst sowie auf eine leichte Erfassbarkeit der Inhalte, die vermittelt werden sollen. Die Anordnung der einzelnen inhaltlichen Komponenten (der Abbildungen, Grafiken und Texte) ist linear nebeneinander (Leserichtung von links nach rechts). Die Zuordnung von Thematik je Pultelement, von einleitenden und übergeordneten Texten und von den Bildunterschriften zu den Abbildungen ist eindeutig, die Inhalte sind übersichtlich und bequem erfassbar angeordnet. Einem einleitenden Text folgen jeweils belegende „Dokumente“ (Faksimile), ergänzt um aufbereitete Grafiken, Karten, Tabellarische Übersichten u. ä.
Ein „individuelles Hineinspringen“ in einzelne erkennbare Kapitel ist ebenso möglich wie das Abschreiten des gesamten Informationselementes von links nach rechts, bzw. von Kapitel 01 bis 11.
Das Kapitel der exemplarischen Opferbiographien ist bewusst anders gestaltet, als die übrigen: hier ist die Farbe der Glaswand (hell-blau) aufgegriffen. Jede Person (beispielhafte Auswahl der Personen nach Vorgabe Kuratoren) wird mit einem Porträt und / oder Bild in Umgebung zu Hause, dem Namen und der Kurzbiographie in der Sichtbarkeitsebene dargestellt. In der zugeordneten Medienstation kann dann vertiefend recherchiert werden sowohl zu den dargestellten Personen wie zu allen weiteren bekannten Personen.
Als Typographie wird die Schriftfamilie Univers vorgeschlagen, die sich durch ein modernes und klares Erscheinungsbild und eine gute Lesbarkeit (auch in kleineren Schriftschnitten) auszeichnet. Das vorgeschlagene Farbspektrum ist reduziert: zwei Grau-Töne sowie hell-blau, schwarz und weiß. Der Einsatz der Farben dient der Ordnung und Übersichtlichkeit der Informationen und der schnellen Unterscheidung der verschiedenen Sprachen in der Sichtbarkeitsebene (deutsch, englisch und Leichte Sprache).


Umgang mit Gedenktafel und angrenzender Grünfläche
Die vorhandene Gedenktafel auf der benachbarten Grünfläche wird durch den gleichen Belag wie den der dunklen Fläche direkt an den Gehweg entlang der Tiergartenstraße angebunden. Zusätzlich ist sie über einen Plattenweg unmittelbar mit dem neuen Gedenk- und Informationsort verbunden und wird so als dazugehörend deutlich.
Die Grünfläche („überspringend aus dem Tiergarten“) wird als Rasenfläche vorgeschlagen. Die Neupflanzung soll sich hier auf einen akzentuierenden Solitärbaum (z. B. Roteiche) beschränken, der in seiner Stellung den Blick auf den Gedenkort freilässt. Das Hochasten der bestehenden Bäume soll ebenso den unverstellten Blick auf den Gedenkort aus jeder Richtung kommend ermöglichen.


3_Städtebauliche Einbindung

Es gibt derzeit nur noch die Erinnerung an den Ort bzw. die Adresse Tiergartenstrasse 4, der Planungszentrale der NS- „Euthanasie“-Morde, nicht mehr jedoch die historische städtebauliche Situation. Hier entstand nach dem 2. Weltkrieg das sogenannte Kulturforum nach dem Leitbild der „Stadtlandschaft“. In dieses Leitbild fügt sich der neue eigenständige Gedenk- und Informationsort ein. Er ist ein Solitär in einem von dichter Bebauung freigehaltenem Gebiet mit fließenden, offenen Grün- und Frauraumstrukturen. Die Beziehung zum historischen Großen Tiergarten über die Tiergartenstrasse hinweg ist unspektakulär, wie selbstverständlich.


4_Funktionalität und Barrierefreiheit

Die Möglichkeit der Wahrnehmung, des Herantretens, des Verweilens und des Zugangs zu den Informationen am Ort sind für alle Besucher in einfacher Weise gegeben. Alle begehbaren Flächen und benutzbaren Einrichtungen sind barrierefrei gestaltet.


5_Technische Machbarkeit

Die bauliche Realisierung der Maßnahme - der im einzelnen beschriebenen Konstruktionen wie auch der erforderlichen infrastrukturellen Anschlüsse - stellen keine dass übliche Maß der technischen Machbarkeit überschreitenden Anforderungen dar.


6_ Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit

Die verwendeten Materialien - Beton, Glas, Metall – zeichnen sich durch Langlebigkeit aus und werden den Anforderungen an eine hohe Robustheit im Hinblick auf die Benutzung und die freie Zugänglichkeit im Stadtraum gerecht.
Ein nennenswerter Einriff in die „Natur“ der Umgebung findet nicht statt. Verglichen mit dem Wert der Anreicherung des Ortes durch das Projekt ist vor allem auch in kultureller Hinsicht eine positive Bilanz sicher.


7_Wirtschaftlichkeit in Erstellung und Betrieb

Der im Gestaltungswettbewerb zwingend vorgegebene Kostenrahmen wird eingehalten.
Der Aufwand zur Reinigung und Pflege ist aufgrund von Material und Ausführung der baulichen Elemente gering. Die Betriebskosten für die vorgesehene Beleuchtung sind durch den Einsatz tageslichtabhängig gesteuerter LED-Leuchten mit hoher Anlagenlebensdauer gering. Gleiches gilt für die Medientechnik, die nur bei Benutzung zu Verfügung steht (Ruhemodus bei geschlossenen Schubladen, vollständige Abschaltung nachts).
Ansicht Ost

Ansicht Ost

Schnitt

Schnitt

Detail

Detail

Lageplan

Lageplan