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Nichtoffener Wettbewerb | 02/2014

Mühltorplatz

1. Preis

Preisgeld: 10.000 EUR

nbundm* neuburger, bohnert und müller, Architekten BDA und Stadtplaner, Part mbB

Architektur

OK Landschaft I Andreas Kicherer

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

Balingen - Stadtgeschichte - Stadtentwicklung

Stadtgründung
Die Stadt Balingen wurde 1255 von den Grafen von Zollern auf einer Landzunge des Zusammenflusses von Steinach und Eyach in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem auf der rechten Seite der Eyach liegendem gleichnamigen Dorf gegründet. Die Bevölkerung rekrutierte sich überwiegend aus dem alten Dorf Balingen. Der Standort war äußerst verkehrsgünstig an der von Hechingen nach Rottweil verlaufenden Reichsstraße und unmittelbar an einer Straße zum Talpass über die Alb zur Donau gelegen.

Stadtmauer
Die innere Stadtmauer wurde bereits zur Zeit der Stadtgründung Ende des 13. Jhd. erbaut. Sie nahm in Form eines Rechteckes die Masse von ca. 400 x 220 m ein. An den Schmalseiten befanden sich die zwei Haupttore, das Untere Tor im Norden und das obere Tor im Süden, durch welche die alte Reichsstraße verlief. Im Westen hinter der Stadtkirche lag das „Spitaltörlein“. 1730 wurde im Nordosten das „Freihoftörlein“ in die innere Stadtmauer gebrochen.

Zwinger - Wettbewerbsgebiet
Ein Tor im Osten, das „Mühltörlein“, führte auf ein Gelände an der Eyach vor der Stadt, welches als sogenannter Zwinger im Spätmittelalter ebenfalls in die Stadtbefestigung miteinbezogen wurden. Der äußere Mauerzug lief hier deutlich abgesetzt vom inneren Mauerzug und fasste eine größere, vorstadtähnliche Freifläche ein, durch die der Mühlkanal verlief und wo Färber- und Gerberwerkstätten zusammen mit der Herrenmühle ihren Platz fanden. Als ein Haupterwerb der Balinger neben Landwirtschaft und Rinderzucht entwickelte sich das Gerberhandwerk zu einem blühendem Wirtschaftszweig mit überörtlicher Bedeutung. 1428 wurden der Stadtbevölkerung die Nutzung des Wassers als Stadtgraben erlaubt, die Steinach im Süden zur Eyach abgeleitet. Schon früh staute hier ein Wehr das Wasser, um den Mühlkanal zu speisen. Ein zweites kleines Tor im Osten, das „Gerbertörlein“, wurde etwas später weiter südlich in der Verlängerung der Färberstraße angelegt. Im Osten der Stadt sind heute noch die eindrücklichsten Reste der Stadtmauer erhalten. Die „inselartige“ Fläche des Zwingers, welche auch heute noch deutlich im Stadtgrundriss ablesbar ist, beinhaltet nördlich an den Bereich von „Klein Venedig“ anschließend das Entwurfsgebiet des Wettbewerbes.

Klassizistische Neuordnung
Nach dem verheerenden Stadtbrand von 1809 wurde vom Landbaumeister Georg Heinrich Glaser eine neuer Stadtbauplan in Form eines klaren, symmetrisch klassizistischen Stadtgrundrisses entwickelt, gekennzeichnet durch ein rechtwinkliges Straßensystem, Hauptplatz mit Kirche und zurückgesetztem Rathaus und „Quarrees“ mit Innenhöfen.
Im Zuge der 1812 abgeschlossenen Umsetzung wurden große Teile der alten Stadtbefestigung samt Türmen abgetragen.

Analyse Stadtgrundriss und Wettbewerbsgebiet
Im und um das Wettbewerbsgebiet lässt sich sehr eindrücklich die bewegte Stadtgeschichte Balingens nachvollziehen. An keiner Stelle der Stadt treffen die nur noch spärlich vorhandenen mittelalterlichen Strukturen so unmittelbar auf die der klassizistischen Neuordnung. Im Süden sind das Zollernschloss, der Wassertrurm, die Zehntscheuer etc. sichtbar, die Stadtmauer samt Mühlkanal durchlaufen das Gebiet in Nord-Süd-Richtung. Hier biegt der historische Mühlkanal als Fischtreppe in die Eyach. Sein ehemaliger Verlauf lässt sich in Form eines Grabens noch nachvollziehen. Der Verlauf der Stadtmauer zeichnet sich deutlich entlang der Straße „Am Mühltor“ ab, der inselartige Zwingerbereich ist in seiner Form erlebbar, die historische Bebauung mit Gerberhäusern in „Klein Venedig“ wieder aufgegriffen. Das Mühltor samt Platz sind ebenfalls noch strukturell vorhanden, wenn auch mit zeitgenössischer Architektur besetzt. An dieser Stelle Ecke Herrenmühlstraße - Beim Mühltor geht die mittelalterliche Struktur in die der klassizistischen Neuordnung über.
Die geschlossene Bebauung entlang der Eyach, welche nördlich an das Wettbewerbsgebiet anschließt, ist ebenfalls strukturell noch vorhanden.
Insgesamt stellt die Stelle einen wichtigen Beitrag im kollektiven Gedächtnis der Stadt dar, den es zu erhalten gilt.

Städtebauliches Konzept
Der Entwurf hat zum Ziel, die historischen Stadtstrukturen und die Geschichte Balingens herauszuarbeiten und identitätsstiftend erlebbar zu machen. Entlang des Eyachufers greift die neue Wohnbebauung das Motiv der Gerberhäuser auf, welche sich giebelständig zum Fluß und zur Alb orientieren. Sensibel komplimentieren sie die Stadtsilhouette. Dahinter, anstelle der ehemaligen Herrenmühle, orientiert sich ein Wohnhaus nach Süden und Norden zum alten Zwingergebiet entlang des Mühlkanals und der Stadtmauer. Im Vergleich zum historischen Standpunkt leicht eingerückt formuliert er den Mühltorplatz an der Fischtreppe, im Norden den Wohnanger. Schließlich ergänzt der Anbau Beim Mühltor das Ensemble und bildet den Verlauf der inneren Stadtmauer nach. Die Bebauung fügt sich so sensibel in den Kontext ein, Gebäudevolumen und Formen orientieren sich an der umgebenden Bebauung. Es entstehen Hauptsichtbeziehungen nach Süden über den Mühltorplatz zum Zollernschloss und Wasserturm und nach Osten über die Eyach zur Alb. Alle Wohnungen sind optimal zur Stadt und zur Sonne orientiert.

Stadträume und Freiflächen
Inmitten des Stadtraums entsteht ein öffentlicher Anger, der westlich von der Mühltorgasse und östlich vom ehemaligen Verlauf des Mühlkanals begrenzt wird. Der ehemals die Stadtstruktur prägende Kanallauf wird dadurch im Freiraum als Wegezeichnung selbstverständlich erlebbar. Am Ende dieses Weges befindet sich im Süden eine Treppe zum Wasser. Das Erinnerte und Noch- Vorhandene erfahren hier mit einfachen Mitteln eine sinnvolle Verbindung. Der Anger vermittelt zwischen der Mühltorgasse und dem ehemaligen Kanallauf, indem der vorhandene Höhenunterschied mittels wenigen Sitz- Treppenstufen überwunden wird. Der Mühltorplatz als Teil des Angers erhält ebenfalls Stufen mit Sitzplätzen im lichten Schatten von Bäumen. Sowohl die Angerflächen als auch die Wege und Gassen erhalten als Bodenbelag Natursteinpflaster in unterschiedlicher Färbung. An wichtigen Stellen des Aufenthalts werden Bäume gesetzt. Der Uferweg der Eyach wird über Gassen erschlossen. Es entsteht ein einfacher und zusammenhängend erlebbarer öffentlicher Raum für die Gemeinschaft.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Arbeit beschäftigt sich in beeindruckender Weise mit der Stadtgeschichte bis zurück ins 13. Jhd. und vollzieht die verschiedenen Epochen der Stadtentwicklung.

Aufbauend auf den historischen Strukturen und dem Sanierungsansatz des abgeschlossenen Gebietes „Klein Venedig“ wird die kleinparzellierte städtebauliche Struktur des ehemaligen Gerberviertels an der Nahtstelle zum klassizistischen Stadtgrundriss weiterentwickelt. Sowohl die städtebauliche Maßstäblichkeit als auch die detailliert ausgearbeiteten Vorschläge zur Gestaltung des öffentlichen Raumes werden ausdrücklich gelobt. Hervorzuheben ist die Aufnahme der wichtigen „Sichtachsen“ über die Herrenmühlenstrasse und dem neuen Mühltorplatz zum Grünzug der Eyach und die attraktive räumliche Fortführung des historischen Mühlkanals in Südnordrichtung bis zur Färberstraße. Es entsteht eine spannende und differenzierte Abfolge gut proportionierter öffentlicher und privater Aufenthaltsräume.

Die Gebäudestruktur gliedert sich in vier maßstabsgerechte Einzelbaukörper. Die vorgeschlagene giebelgestellte Uferbebauung fügt sich sensibel in die vorhandene Ufersilhouette ein. Bemängelt wird in Teilen die vorgeschlagene Fassadengestaltung. Die Jury empfiehlt Gliederung und Materialität weiter zu entwickeln.
Die Erschließung der Tiefgarage über den Uferbegleitweg wird trotz der teilweisen Beeinträchtigung der Fußgängerbeziehung im Hinblick auf die topografische Situation für vertretbar gehalten. Die Stellplätze sind funktionell geplant. Berücksichtigt wurden die gewünschten Stellplatzüberbreiten an den Kopfenden der Garage. Die geforderte Anzahl der Tiefgaragenstellplätze ist ebenso nachgewiesen wie auch die öffentlichen Besucher-Stellplätze. Die beiden TG-Stellplätze unterhalb der geforderten Mindestlänge sind tolerierbar.

Die äußere Erschließung der Einzelbaukörper und der Wohnungszugänge ist im Wesentlichen gut gelöst. Die Wohnungsgrundrisse erfüllen die Erwartungen. Die Wohnungsanzahl ist ausreichend, die Grundrissvarianten sind ausgewogen. Die fehlenden Abstellräume in den Wohnungen bzw. der fehlende Kellerraum müssen nachgeplant werden. Ebenso sind die Loggien aus wärmeenergetischen Gründen zu optimieren. In Teilen wäre eine optimalere Ausrichtungen der Wohnungen anzustreben. Sinnvoller Weise wurde in dem westlichen Gebäude auf einen Aufzug verzichtet. Die nachgewiesene Wohnfläche und die Kubatur liegen im mittleren Bereich und ermöglichen eine wirtschaftliche Umsetzung.

Die Arbeit stellt einen sehr gelungenen Beitrag sowohl in städtebaulicher als auch in architektonisch und wohnungswirtschaftlicher Weise dar.
Stadtmodell von Osten

Stadtmodell von Osten

Lageplan

Lageplan

Schwarzplan

Schwarzplan

Analyse Stadtgrundriss

Analyse Stadtgrundriss

Konzept Gebäudeform, Ausrichtung und Sichtbeziehungen

Konzept Gebäudeform, Ausrichtung und Sichtbeziehungen

Stadt- und Naturräume

Stadt- und Naturräume