Die Arbeiten Ihrer Studierenden wirken faszinierend und irritierend zugleich. Manch einer wird sich jedoch fragen: Was soll das denn? Was entgegnen Sie ihm?
In unserer Grundklasse versuchen wir, Konvention und Zweck auszublenden und einen intuitiven Denk- und Schaffensprozess bei den Studierenden einzuleiten. Es geht um zweckfreies, experimentelles Arbeiten, eine Art ästhetisches Spiel. Anfangs sind viele Studierende noch vorsichtig; die Angst schwindet aber schnell.

Ihr Lehrkonzept lässt sich in verwandter Form auch an anderen Hochschulen finden. Was machen Sie anders?
An Hochschulen, an denen ich gelehrt und gelernt habe, habe ich diesen Ansatz erst in späteren Jahren des Studiums beobachtet. Unsere Kunstakademie ist einer der wenigen Orte, an denen Studienanfänger, die häufig noch einem schulischen Denken anhängen, bereits zu Beginn durch eine künstlerisch-freie und gleichzeitig wissenschaftliche Arbeitsweise experimentelles Gestalten erfahren.    

 

Jurymitglied Martin Ostermann von magma architecture äußerte, dass genau das schwer sei: Studierende dahin zu bringen, die steife Haltung der Schulzeit abzuschütteln. Trifft das zu?
Die Studierenden kommen oft mit konkreten Vorstellungen ihres Studienfachs an die Kunstakademie. Diese Vorstellungen sind nicht unbedingt falsch, aber wir reißen sie da für einen Moment raus. Sie müssen dann mehr auf sich selbst hören und lernen, wie Neues entsteht. Dafür ist nicht zwingend ein Talent notwendig, aber der Wille, sich freizumachen. Es geht darum zu begreifen, was Phänomene sind, wo Überraschungen auftreten? Wir appellieren an das Bauchgefühl. Nicht: Was weiß ich schon? Sondern: Was passiert, wenn ich meiner Intuition folge und dieses oder jenes mache? Spätestens da kriegen wir alle – gerade auch diejenigen, die erst die Schule verlassen haben.  

Wie sieht das konkret aus?
Das anfängliche freie Spiel wird auf formal-ästhetische Phänomene untersucht und anschließend kontextuell angewandt. So suchen sich die Studierenden zunächst eine Bearbeitungstechnik aus, wie „Tauchen und Tunken“. Dazu sollen passende Materialien recherchiert werden.

 

 

Viele gehen erstmal in Räume, die ihnen vertraut sind, wie eine Küche. Dann stoßen sie beispielsweise auf Zucker und zerkochen ihn zu Karamell – womit sich hervorragend spielen lässt. Phänomene, die sich dabei feststellen lassen, werden darauf in unseren Werkstätten systematischer wiederholt und von uns Lehrenden kontrolliert. Zum Beispiel kommt dann ein neues Material wie ein Kunststoff infrage, um noch einen extremeren Effekt zu erzielen.

In Architekturstudiengängen entsteht oft ein großer Leistungsdruck und Wettbewerb unter Studierenden. Sie beschreiben die Grundlagenlehre aber mehr als ein Spiel – wie wichtig sind dabei Ergebnis und Bewertung?
Sehr wichtig. Allerdings geben wir keine Bewertungsmatrix vor, sondern die Studierenden entwickeln diese selbst. Das Spiel äußert sich durch zwei unterschiedliche Modi, einen divergenten Modus, in dem der Spieltrieb, die Experimentierfreudigkeit gefragt ist; und einem konvergenten Modus, in dem aufmerksam, reflektierend und konkret gearbeitet wird. Die Studierenden bewegen sich konstant zwischen diesen beiden Modi, wodurch ihr eigenes System entsteht.

 

 

Am Anfang gibt es kein Richtig oder Falsch, später geht es aber um die innere Schlüssigkeit eines einzelnen Projekts. So wie das eigene Vorhaben formuliert wird, so sehen auch die Kriterien aus, nach denen bewertet werden kann. Hinzu kommt: Wie wird das Projekt kommuniziert? Ist es verständlich und nachvollziehbar? Dadurch entwickeln die Studierenden Fähigkeiten, die ihnen in den höheren Semestern beim Arbeiten und Präsentieren helfen werden.

Im Herbst beginnt das neue Wintersemester. Viele Studieninteressierte stehen aktuell vor der Bewerbung. Was geben Sie ihnen mit auf den Weg?
Zieht mal weiter weg, in eine Stadt, die euch fremd ist und mit Leuten, die ihr noch nicht kennt – das kann eine riesige Erfahrung sein. Schaut außerdem, was es an eurer Hochschule noch für andere Disziplinen gibt und wo fachübergreifende Überschneidungen des gewählten Studiengangs liegen. Das verhilft zu wichtigen Skills fürs Berufsleben: Wie arbeite ich mit anderen Disziplinen zusammen? Wie schaffe ich es eine gemeinsame Sprache zu finden? Das ist letztendlich das, worauf es heute ankommt.

Aktualisierte Fassung eines Artikels aus competition Nr. 19, April-Juni 2017