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Planungskonkurrenz mit vorgeschaltetem Bewerbungsverfahren | 07/2015

Dauerausstellung Hotel Silber

Neue Schicht
Kommentarschicht

Neue Schicht Kommentarschicht

3. Rang

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Architektur

Erläuterungstext

Dokumentationsort Hotel Silber

Das Hotel Silber – Bruchlose Brüche

Das Hotel Silber ist ein Ort der fließenden Übergänge. Der meist pragmatisch vollzogene Wechsel der verschiedenen Institutionen und Organisationen, die in den Räumen des Hotel Silber beheimatet waren, zeigt die Stabilität einer fast 100jährigen Verwaltungsgeschichte von der Reichspost bis zum Ministerium für Integration. Fast bruchlos hat sich hier aber auch der größte Bruch der Geschichte des 20. Jahrhunderts vollzogen.

Das Gebäude war in den letzten zwei Jahrhunderten Zeuge unterschiedlicher historischer Entwicklungen. Seine Materialität ist die Klammer, die der Erinnerung Beständigkeit verleiht. Durch die wechselhafte Geschichte und die ständige Umnutzung des Gebäudes ist in der Architektur nur wenig »Authentisches« erhalten geblieben. Dementsprechend kann es bei der Ausstellung im Hotel Silber nicht um eine Dokumentation der Architektur, sondern eher um eine Dokumentation des Ortes gehen. Den Ort zum Sprechen zu bringen und damit zu einem Dokument deutscher Geschichte zu machen, ist oberstes Ziel der Umwandlung des Hotel Silber in einen Dokumentationsort und Leitlinie bei der Gestaltung der Dauerausstellung.

Das Hotel Silber ist ein Ort des Verbrechens. In erster Linie ist es ein Ort der Täter. Die Opfer, über deren Schicksal an den Schreibtischen der Gestapozentrale entschieden wurde, müssen sichtbar gemacht werden. Erst durch die Opferebene zeigt sich die Pervertierung bürokratischer Herrschaft, für die das Hotel Silber ebenfalls steht. Der Ort erzählt außerdem eine Geschichte des staatlichen Gewaltmonopols. Die Kontinuität von Polizei und Politischer Polizei der Weimarer Republik, der Gestapo und Kriminalpolizei des NS-Regimes, der Polizei der Alliierten und der Polizei der neu gegründeten Bundesrepublik, die sich im Hotel Silber abzeichnet, muss ebenso dargestellt werden wie die demokratischen Prozesse, die sich durch die »Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber« hier entfaltet haben.

Das Hotel Silber als einen Ort der bruchlosen Brüche aufzufassen, heißt auch, seine strukturelle Aktualität zu kennzeichnen. Die aktenmäßige Erfassung des Menschen, wie sie seit der Politischen Polizei der Weimarer Republik gängige Praxis ist, ist eine immer noch relevante, wenn auch durch die Digitalisierung historische Erfahrung. Bürokratische Herrschaftsformen dominieren weiterhin große Teile unserer Lebenswelt. Gedanken zur Bedeutung dieser rationalsten aller Formen der Herrschaft – von ihrer Legitimität einmal abgesehen – für das Dritte Reich im Vergleich zu unserer heutigen Zeit gilt es anzuschneiden. Aber auch polizeiliche Arbeitsformen und ihre externen Einflüsse wie das politische Klima, gesellschaftliche Wertvorstellungen sowie krimino-logische Erkenntnisse und ihre politisch-ideologische Deu-tungsweisen müssen in der Ausstellung thematisiert werden.


Herangehensweise: reversibel, kritisch, kommentierend

Das Hotel Silber ist ein pragmatischer und ambivalenter Ort, der den NS-Terror genauso einfasst wie den Widerstand gegen illegitime Herrschaft, die staatliche Überwachung genauso wie das staatliche Gewaltmonopol, Bürokratisierung, Pluralisierung, Demokratisierung und zivilgesellschaftliches Engagement.

Alle Zeitschichten der 200jährigen Geschichte des Ortes sind wichtig, um jede einzelne Zeitschicht und gerade auch die Zeit des NS verstehen zu können. Die »Authentizität« dieser Zeitschichten lässt sich durch den ständigen Wechsel, der sich hier vollzogen hat, nicht wieder herstellen. Jeder Versuch, eine bestimmte Zeit in der Architektur wieder zum Vorschein zu bringen, verliert sich in pseudo-authentischer Dekoration oder dem hier als zwiespältig anzusehenden Charme einer Ruine. Die Geschichte des Ortes ist nicht mehr in der Architektur ablesbar. Eingriffe in die Bausubstanz dienen daher nicht der Erkenntnis der Besucher, sondern können höchstens funktional begründet sein.

Dementsprechend sollte der Ort thematisiert werden, nicht seine Oberflächen. Die Wände bleiben unberührt. Sie werden weder abgeschält, noch als Grafik- oder Medienebene genutzt. Der originale Bestand bleibt so gut es geht unangetastet. Statt zu renovieren, wollen wir konservieren, kommentieren und Deutungsmöglichkeiten schaffen. Wir verändern die Räume nicht, sondern überformen sie minimal und reversibel, um das Denken und die Vorstellungskraft der Besucher zu fordern. Die Räume der Bürokratie bleiben in ihrer Wirkung erhalten. Die Besucher sind aufgefordert, Zusammenhänge selbst herzustellen. Sie sollen nicht bloß passiv mit ihnen konfrontiert werden.

Die Besucher sollen nicht durch einen Blumenstrauß gestalterischer Maßnahmen unterhalten werden, sondern ihr Geist soll während des Besuchs durch eine klare Strukturierung der Ausstellungsräume wach und kritisch werden. Kleinteilige Zeitfenster im Außenraum, die eine längere Beschäftigung erfordern, werden vermieden. Das gesamte Gebäude ist ein Zeitfenster, in dem sich verschiedene Zeitschichten übereinander lagern.

Die originale, d.h. in diesem Fall über 200 Jahre mehrfach veränderte, zerstörte und wiederaufgebaute Substanz des Hauses bleibt mit Ausnahme einiger einen musealen Rundgang erleichternder Maßnahmen unberührt. Das Hotel Silber zu einem Dokumentationsort umzuwandeln heißt letztlich, die Geschichte des Orts weiterzuschreiben. Einerseits konserviert der Dokumentationsort das Vorhandene, andererseits bedeutet jeder Eingriff eine Interpretation. Die Geschichte des Hauses zu respektieren bedeutet, mit der Ambivalenz zwischen Konservieren und Interpretieren im Hinterkopf, den Besuchern die Möglichkeit zu geben, Ausstellung und Ort gedanklich voneinander trennen zu können und sich die verschiedenen Zeitschichten imaginär vorstellen zu können.

Alle Ausstellungsräume sind daher mit einem transluzenten weißen Gewebe, einer Gaze, an Decke und Wänden eingefasst, hinter welcher der vorgefundene Bestand des Hotel Silber durchscheint. Die alten Wände sind dadurch immer präsent, wobei in den Türdurchgängen hinter die Gaze direkt auf den Bestand geschaut werden kann. Die Trennung zwischen Ort und Ausstellung ist damit an jeder Stelle gegeben und erlaubt den Besuchern eine kritische Distanz, die eigene Interpretationen des Gezeigten nicht ausschließt, sondern vielmehr anregt.

Neben der Überlagerung verschiedener Zeitschichten und politischer Systeme stehen sowohl inhaltlich als auch gestalterisch diejenigen bürokratischen Organisationsstruk-turen und diejenigen in diesen Strukturen agierenden Personen im Vordergrund, die zur totalitären Wirkkraft der Gestapo beigetragen haben. Als vordringlicher Täterort zeichnen sich am Hotel Silber die oftmals banalen Prozesse ab, die Verhaftungen, Deportation, Folter und Mord zur Folge hatten. Das menschlich eigentlich nicht vorstellbare Ungleichgewicht zwischen Normalität eines Büroalltags und den todbringenden Konsequenzen der Tätigkeit der Gestapo-Mitarbeiter soll für die Besucher zumindest im Ansatz fassbar sein.


Aufbau des Dokumentationsorts – Trennungen aufheben, Schwellen abbauen

Um die Schwelle, den Dokumentationsort Hotel Silber zu betreten, möglichst niedrig zu halten, sind direkt im Eingangsbereich drei Zeitfenster installiert, die alle Besucher auch ohne Eintrittskarte besichtigen können. Hier ist auch der zentrale Informations- und Ticketingschalter. In der Pförtnerloge ist das Zeitfenster (Fenster in die Vergangenheit) »Franz Hirth« untergebracht. Auf der gegenüberliegenden Wand ist auf der linken Seite das Zeitfenster »Gedenktafel«, rechts das Zeitfenster »Eugen Bolz« zu sehen.

In den Räumen des EG befinden sich Garderobe, Stuhllager und zwei Seminarräume. Der Vortrags- und Veranstaltungssaal befindet sich im ehemaligen Lokal des Hotel Silber, im östlichen Teil des Erdgeschosses. Hier befinden sich auch die beiden Zeitfenster »Lina Haag« und »ADAC« zusammen mit »Hochzeit«. Diese Zeitfenster sind in die Umfassung der vorderen beiden Stützen integriert. Die Rückseite des Vortragsraums ist der Chronologie des Hotel Silber gewidmet, welche die Entwicklung des Gebäudes und seiner Nutzung über 200 Jahre zurückverfolgt und in nuce präsentiert.

Über das Treppenhaus gelangt man ins erste Obergeschoss mit der Dauerausstellung. Der Raum, der sich noch außerhalb des Hauptflures befindet und direkt vom Treppenhaus aus zugänglich ist, ist dem Research&Learning Center vorbehalten. An vier Arbeitsplätzen können die Besucher Namen von Opfern der Gestapo recherchieren und sich über den aktuellen Forschungsstand informieren. Gleichzeitig wird aber auch hier der Kontext des Gebäudes verdeutlicht, indem eines der Fenster als Zeitfenster »Hakenkreuzfahne« genutzt wird. Da das Research&Learning Center einen Teil der Ausstellung integriert, werden Schwellenängste abgebaut, die Arbeitsplätze zu nutzen und die Erfahrung der Ausstellung zu vertiefen.

Die eigentliche Dauerausstellung beginnt dann mit dem Betreten des langgezogenen Flures, von dem die einzelnen Ausstellungsräume abzweigen. Die fünf Kapitel der Dauerausstellung werden jeweils in Raumensembles zusammengefasst, die sich an den Umfang der Kapitel anpassen. Von den vielen Türen, die vom Flur abgehen, sind nur jeweils die Ein- und Ausgänge der jeweiligen Kapitel geöffnet. Wanddurchbrüche in den Räumen, die zusammen ein Kapitel bilden, lassen einen logischen Rundgang entstehen. Kapitel 1 (»Die politische Polizei auf dem Weg von der Demokratie in die Diktatur«) ist in den ersten beiden Räumen rechts vom Eingang in die Dauerausstellung untergebracht. Die restlichen vier Räume auf der rechten Seite stellen Kapitel 2 (»Die politische Polizei, bzw. Gestapo als Stütze der Macht 1933-1939«) dar. Auf der gegenüberliegenden Seite des Flurs geht der Rundgang mit Kapitel 3 (»Radikalisierung und neue Aufgaben im Krieg 1939-1945«) in insgesamt vier Räumen weiter. Für das relativ kleine Kapitel 4 (»Das Ende der Gestapo: Flucht und letzte Verbrechen«) ist ein Raum vorgesehen. Die verbleibenden drei Räumen auf der vom Eingang her betrachtet linken Seite des Flurs bilden mit Kapitel 5 (»Erbe und Neuanfang: Die Stuttgarter Polizei in der Nachkriegszeit«) das Ende des Rundgangs und eine Anknüpfung an die Gegenwart.


Konzept der Dauerausstellung – Der Ort als Anlass

Das Konzept der Dauerausstellung nimmt den Ort des Hotel Silber als Anlass, um die Geschichte der Gestapo in Stuttgart zu erzählen, nicht als »Sonderfall« der Geschichte, sondern in all ihren historischen Entwicklungslinien, Verflechtungen und Nachwirkungen. Das kann nur durch einen kritischen Abstand erfolgen. Diesen Abstand bildet die Decken und Wände einfassende Gaze.

Die Dauerausstellung im 1. OG des Hotel Silber ist im wesentlichen strukturiert durch die Zweiteilung von Exponatebene und Kommentarebene. Wie der originale Ort von der Ausstellung gleichzeitig getrennt und verbunden ist, so sollen die Exponate nach Möglichkeit für sich sprechen und erst in zweiter Linie durch die Kommentarebene dem Verstehen der Besucher aufgeschlossen werden. Eine reine Beschäftigung mit den Exponaten und die Entwicklung eigenständiger Gedanken ist ebenso möglich wie eine vertiefte Auseinandersetzung mit den einzelnen Themen.

Die Exponatebene ist in jedem Raum in einem an die klassische Grundform eines Schreibtisches angelehntes, weißes Ausstellungsmöbel untergebracht. Die verglaste Oberfläche des Schreibtisches trägt außer den Exponatsbeschriftungen keine weiterführenden Ausstellungstexte. Die durchgehende Verglasung der Schreibtischoberfläche und das in die Vitrine integrierte Licht ermöglichen eine flexible Exponatanordnung im Inneren des Schreibtisches. Hinter jedem Schreibtisch steht ein mit dem Boden verschraubter, weißer Stuhl. Die Rückseite des Schreibtisches ist den Besuchern nicht zugänglich. Der Stuhl kann nicht zum Sitzen genutzt werden. Auf symbolischer Ebene wird damit der Aspekt des »Täterschreibtisches« und die in diesen Räumen stattgefundene Konfrontation zwischen Tätern und Opfern aufgenommen. Durch die Abstrahierung zu reinen, weißen Grundformen von Tisch und Stuhl entsteht aber auch ein Abstand zur Geschichte, der das Verstehen erst ermöglicht. In jeden Schreibtisch ist ein nicht sichtbarer Beamer eingebaut, der hinter den Schreibtisch auf die Gaze je nach Thema des Kapitels Filme, Erläuterungen, Textausschnitte aus Originaldokumenten und Bilder projiziert. Der Beamer stellt damit die Verbindung zwischen der Exponatebene des Schreibtisches und der Kommentarebene der Gaze dar.

Die Kommentarebene ist von den Exponaten losgelöst und befindet sich auf der Gaze – als Projektion aus den Schreibtischen heraus und als Kapiteltexte sowie ggfs. weiteren Grafiken, die direkt auf die Gaze gedruckt werden. Die Gaze erschafft damit den Rahmen, um die einzelnen Exponate und den Ort als Ganzen zu verstehen. Die ästhetische Überformung durch die weiße Gaze und die abstrahierten, weißen Schreibtische unterstützt wesentlich die Vermittlung, ohne zu sehr zu didaktisieren. Die insgesamt 14 Räume der Dauerausstellung, in denen die fünf Themen untergebracht sind, sind alle durch die strukturelle Zweiteilung von Exponat- und Kommentarebene gekennzeichnet. Das erleichtert einerseits die Orientierung für die Besucher und zeigt andererseits auf symbolischer Ebene die bürokratische Kontinuität des Ortes. Außerdem ist damit die Trennung von der historischen Belastung des Ortes deutlich. Eine Beschäftigung mit den Verbrechen, die hier geplant und befohlen, sowie mit den Opfern, über deren Schicksal hier entschieden wurde, ist erst durch diese Trennung möglich. Nur die letzten beiden Räume des Rundgangs heben sich in der Hinsicht vom Rest ab, als hier die Gaze an den Fenstern ausgespart ist und einen freien Blick auf das umgebende Stadtbild zulässt. Dieser Blick und diese im Vergleich mit den anderen Räumen als Öffnung erlebte Abweichung korrespondiert mit der Aktualität der hier gezeigten Inhalte.

Zu der Exponat- und der Kommentarebene kommt eine Perspektivenebene, die sich hauptsächlich aus Bodengrafiken ergibt. Sie verleiht den Besuchern Orientierung im doppelten Sinne. Als Themenüberschriften, die vom Flur in die jeweiligen Räume bzw. Raumgefüge hineinlaufen, strukturieren sie den Rundgang. Als auf den Boden nachgezeichnete Umrisse von Stühlen, die vor den Schreibtischen stehen, verdeutlicht die Ebene der Bodengrafik, dass es ein »vor« und ein »hinter« dem Schreibtisch gibt. Diese Perspektivenebene zeigt ohne viel Aufhebens die Konfrontation zwischen Tätern und Opfern des bürokratisch organisierten NS-Terrors. Sobald man näher an die Schreibtische herantritt, kann man sich eingehender mit dieser Konfrontation befassen. Die Exponate sind alle zur Vorderseite des Schreibtisches hin ausgerichtet.

Der Flur, das alle Themen verbindende Element stellt die vierte Ebene der Ausstellung, die Rezeptionsebene dar. Wie die Ausstellungsräume auch sind Wände und Decke des Flurs mit Gaze eingefasst – mit Ausnahme der Ein- und Ausgänge der Ausstellungsräume. Unter der Gaze zeichnen sich die Bestandswände und auch die verschlossenen Türen ab. Aus nicht sichtbaren Audioquellen hinter der Gaze wird eine zusätzliche Deutungsebene angeboten. Hier können die Besucher Zitate zu Bürokratie, Macht und Politik hören, die aus verschiedenen Perspektiven (Philosophie, Soziologie, Literatur etc.) die Themen der Ausstellung aufnehmen und auf eine andere Weise reflektieren. Auszüge aus Werken von Platon, Niccolò Machiavelli, Charles Dickens, Max Weber, Franz Kafka, Hannah Arendt, Niklas Luhmann oder David F. Wallace vertiefen das Verständnis des Orts durch die Außenperspektive auf die Themen der Ausstellung. Der Flur macht damit die strukturelle, überzeitliche Aktualität der Ausstellung deutlich.


Zeitfenster und Fassade – Die Unsichtbarkeit des Alltäglichen sichtbar machen

Wenn man aus einem Ort mit einer Geschichte wie die des Hotel Silber einen Dokumentationsort macht, wird der gesamte Ort zu einem Zeitfenster (»Fenster in die Vergangenheit«). Die stadträumliche Einbindung direkt am Charlottenplatz und in unmittelbarer Nähe zum Stuttgarter Stadtzentrum verdeutlicht die Integration des Hotel Silber in das alltägliche Leben der Bevölkerung der letzten zwei Jahrhunderte. Der Wandel der Institutionen, die dieses Haus beherbergte, vollzog sich meist unbemerkt. Umso wichtiger ist es, die verschiedenen Zeitschichten, die sich im Hotel Silber konzentrieren, auch nach außen hin sichtbar zu machen. Das Selbstverständliche dieses Hauses wird aufgebrochen, um seine Komplexität zu zeigen und Besucher wie Passanten, Einheimische wie Zugezogene zum Nachdenken über diesen Ort und über die Unsichtbarkeit des Alltäglichen zu bewegen.

Um dem zu entsprechen, sind die unteren beiden Geschosse des Ostflügels in ein weiß beschichtetes Edelstahlgewebe gehüllt, das die Konturen des Hauses durchscheinen lässt, aber dennoch deutlich eine neue Perspektive auf den Ort entstehen lässt. Auf dem Edelstahlgewebe sind verschiedene Textblöcke mit Bezug zu den verschiedenen Zeiten dieses Ortes zu lesen. Die Textblöcke, als 3D-Typographie auf das Gewebe appliziert, sind teils Schlagwörter, teils längere Zitate oder Beschreibungen, die auf die unterschiedlichen Nutzungen und Zeitschichten des Gebäudes Bezug nehmen. Das Edelstahlgewebe führt im Außenraum das Motiv der Gaze in der Dauerausstellung fort: der historisch gewachsene Bestand wird nicht berührt, aber mit einer Kommentarschicht überzogen. Im Fall der Außenhaut besteht diese Schicht aus der Gleichzeitigkeit aller Zeiten dieses Orts.

Die sieben über das Haus verteilten Zeitfenster (Fenster in die Vergangenheit) passen sich an ihren jeweiligen Ort an. »Lina Haag«, »ADAC« und »Hochzeit« bilden Vitrinen, welche die zusätzlichen zwei Stützen des Veranstaltungssaal in sich fassen. Die »Hakenkreuzfahne« im Research&Learning Center oberhalb des Haupteingangs sind als Leuchtkästen aus mattiertem Glas in die äußeren beiden Fensterlaibungen integriert. Die Zeitfenster »Franz Hirth«, »Eugen Bolz« und »Gedenktafel« bilden den Prolog im Eingangsbereich. Die beiden Seitenwände sind mit einer Gaze umfasst. Für die Exponate (Fotos, Video, Pförtnerloge und Gedenktafel) werden Öffnungen in die Gaze geschnitten, die mit einem feinen Rahmen gefasst werden und hinter denen die Exponate gezeigt werden.

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Beurteilung durch das Preisgericht

Zentrale Entwurfsidee ist es, den Ort an sich unberührt zu lassen und durch eine kommentierende Schicht, den Wände vorgelagert, zum Sprechen zu bringen. Dazu wird der aktuelle Ausbauzustand konsequent belassen und nur durhc wenige Eingriffe in Form von Durchbrüchen in einen Ausstellungsort transformiert.

Die gestalterische Qualität liegt in der Gleichförmigkeit, die die „Banalität des Bösen“ am Täterort zum Ausdruck bringt. Die Verfasser sind sich im Klaren darüber, daß die Gestaltung an den Besucher hohe Anforderungen stellt. Im Detail ist zu fragen, ob die Hausgestaltung der Schreibtische, an denen nur die Opferseite zugänglich ist, das Konzept des Täterorts angemessen umsetzt. Die geplannten Projektionen schaffen bewegte Elemente, die die Räume zum sprechen bringen. Es stellt sich auch die Frage, ob die Audio-Installation im Flur die dazu erforderliche Konzentration ermöglicht.

Die Raumerzählung insgesamt setzt das gewünschte Konzept gut um. Hinsichtlich der Funktionalität zeigt der Entwurf im Erdgeschoss Schwächen. Der barrierefreie Zugang ist vom Haupteingang getrennt. Dies wird insbesondere in Kontext mit den Thema negativ bewertet. Der Haupteingang versammelt zuviele Funktionen (Ticketing, Ankunft, Gruppen und drei Fenster in der Vergangenheit) auf sehr beengten Raum.

Auch der größere der beiden Seminarräume erscheint mit 24 Sitztplätze sehr beengt für eine Schulklasse. Der Veranstaltungsbereich und der historische Ausstellungsbereich „Hotel Silber“ funktionnieren gut. Die Fassade umhüllende Metall-Gaze wird kontrovers diskutiert.

Im Zusammenspiel mit der neuen stadträumlichkeit Gestaltung des Dorotheen-Quartiers kann die Beruhigung der Fassade auch zum besseren Wahrnehmung beitragen. Die Gebrauchstauglichkeit der Metallfassade in innerstädtischer Lage ist nachzuweisen.
Verteilung im Haus

Verteilung im Haus

Dauerausstellung
"Büro"

Dauerausstellung "Büro"

Dauerausstellung
Zusammenspiel Exponate - Wandgrafik - Projektionen - Bodengrafik - Aussenbezug

Dauerausstellung Zusammenspiel Exponate - Wandgrafik - Projektionen - Bodengrafik - Aussenbezug

Dauerausstellung
Thematischer Zusammenschluss von Räumen

Dauerausstellung Thematischer Zusammenschluss von Räumen

Zeitfenster Franz Hirth

Zeitfenster Franz Hirth

Veranstaltungssaal
Zeitfenster + Chronologie Hotel Silber

Veranstaltungssaal Zeitfenster + Chronologie Hotel Silber

Research & Learning Center
Integriertes Zeitfenster

Research & Learning Center Integriertes Zeitfenster

"Zeitfenster"
Transluzentes Gewebe mit 3D-Typographie

"Zeitfenster" Transluzentes Gewebe mit 3D-Typographie

"Zeitfenster"
Typographie Detail

"Zeitfenster" Typographie Detail

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