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Nichtoffener Wettbewerb | 09/2015

Neubau Saladin-Eck

Anerkennung

Preisgeld: 5.000 EUR

jessenvollenweider architektur

Architektur

Erläuterungstext

Das vorgeschlagene Projekt für die Neubebauung des ‚Saladin-Eck’ in Darmstadt stellt sich dem Anspruch, eine spezifische Antwort für einen neuralgischen Ort mit räumlich wie historisch komplexen Bezügen zu finden und dabei gleichzeitig ein robustes und flexibles Gehäuse zu entwickeln, das wechselnden Nutzungsansprüchen gerecht wird einen ‚urbanen Alleskönner’, wie er in der Auslobung programmatisch gefordert wird. Die Bedingungen des städtischen Kontexts charakterisieren die architektonische Struktur und geben ihr Form, die inneren Kräfte des Nutzungsszenarios strukturieren die städtebauliche Figur und geben ihr Inhalt und Sinn.

Grundlegend ist die Entscheidung, das Erdgeschoss des Neubaus auf die EG-Ebene des
benachbarten ‚Krone-Gebäudes’ zu setzen. Damit wird dieses historische Gebäude nicht ausgegrenzt, sondern in die prominente Ecksituation eingebunden. Es entsteht ein besonderer Ort, der die Brüche der Geschichte sichtbar hält und eine reizvolle Situation für das Sockelgeschoß des neuen Hauses schafft. Ein leichter Knick in der Gebäudelinie gibt der Hauptfassade den notwendigen Vorraum für einen attraktiven Eingang in die öffentliche Erdgeschosszone. Die liegenden Proportionen der Schaufenster charakterisieren den abgesenkten Vorbereich, die Fenster des Mezzanins blicken in den Straßenraum darüber und nehmen mit ihrer Sturzkante gleichzeitig das markante Vordach der westlich angrenzenden Marktplatzbebauung auf.

Im Baukörper spitzt der Knick die Ecksituation zu. Die liegende Front wird zur Ecke aufgerichtet und der Marktplatz mit dem Stadtraum der Kreuzung in Beziehung gesetzt. In der Gebäudesilhouette entwickelt sich aus dem Knick eine Dachgeschosszone, die sich eingeschossig über knappe Einschnitte abzeichnet und damit zurückhaltend eine Trauflinie andeutet. Präzis gesetzte Dachkanten richten den Baukörper aus und treten in Dialog mit den typischen Dachlinien des Kontexts.
Das Profil an der kurzen Front der Holzstraße korrespondiert mit dem kräftigen ersten Attikagesims des Schlosses. Für einen Moment, sehr zurückhaltend, scheint eine Torsituation auf, gleichzeitig verleiht das Profil der Fassade eine liegende Proportion, die mit der Nachbarfassade der ‚Krone’ harmoniert. Im Gegensatz dazu zeichnet eine Dachkante über dem obersten Geschoss den Übergang zur Marktplatzbebauung aus und spielt damit auf die typische Dachauskragung der 50er Jahre an.
Zwischen den spezifischen Zonen des Sockels und des Dachs, deren Physiognomie jeweils in der Auseinandersetzung mit dem Kontext entwickelt ist, stapeln sich drei allgemeinere Geschosse, die durch einen regelmäßigen Fenster- und Pfeilerrhythmus geprägt sind. Die naheliegende, klassisch anmutende Dreiteilung, mit einem Mezzaningeschoss als Zone des Übergangs, verweist auf die prinzipielle Auslegung des Gebäudes im Inneren, jenseits von spezifischen Nutzungsszenarios. In den tiefen Sockelgeschossen ist das Gebäude für eine publikumsnahe Ladennutzung oder die in der Auslobung skizzierten Instituts- und Showroomqualitäten ausgelegt. Die Bürogeschosse darüber sind durch die Vorgabe einer relativ knappen Gebäudetiefe geprägt, lassen dennoch unterschiedliche Büroformen vom Zellen-, Kombi- bis Großraumbüro zu und sind durch eine entsprechende Disposition der Haupterschließung in unterschiedliche Nutzungseinheiten teilbar. Das Dachgeschoss bietet sich mit seinen einfach realisierbaren Außenräumen für eine attraktive Wohnnutzung an, kann aber auch für individuelle Gewerbeflächen oder gemischte Formen von Wohnen und Arbeiten genutzt werden. Der Hauseingang für die Nutzungseinheiten der Obergeschosse liegt an der Brandwand zur ‚Krone’, dort wo er schon im Vorgängerbau des ehemaligen Kaufhauses Hess situiert war und bis vor Kurzem als Fragment im Stadtraum an die Zäsur zum historischen Nachbarn erinnert hat. Über eine Passage wird rückwärtig die Anlieferung über die Hofdurchfahrt im Gebäude Marktplatz 14 sichergestellt.

Eine tragende Außenfassade in gestocktem Sichtbeton formuliert ein konsequentes Materialisierungskonzept, im Sinne einer robusten urbanen Schale, in die vielfältige Nutzungsangebote integrierbar sind. Als Hypothese wird die Einfärbung mit einem grauroten Farbton aus der Farbreihe ‚reddishgrey’ anvisiert, der den roten Sandstein des Kontexts aufscheinen lässt. Zu den emissionsintensiven Straßenseiten werden Kastenfenster mit integrierten Lüftungsflügeln und einem im Zwischenraum geführten textilen Sonnenschutz vorgesehen. Die vorgeschlagene Materialisierung der Innenräume mit wenigen primären Baustoffen, wie Gussböden, Linoleum und Lehmputz verspricht eine zeitlose, durch den Gebrauch schön alternde Architektur mit einer angenehmen, klaren Raumstimmung. Zur soliden tragenden Außenschale passt die einfache Tragstruktur, die mit wenigen Stützen und aussteifenden Kernwänden flexibel und wirtschaftlich ausgelegt ist.

Mit dem vorgeschlagenen Haustechnikkonzept sind die energetischen Voraussetzungen geschaffen, das Gebäude im Sinne einer echten Low-Tech-Lösung sogar ohne Komfortlüftung betreiben zu können. Die witterungs- und einbruchgeschützten Lüftungsflügel stellen die notwendige Nachtauskühlung sicher. Die aktivierbaren Speichermassen des Rohbaus in Kombination mit dem den Feuchtehaushalt regulierenden Lehmputz an Decken und Wänden sorgen für ein behagliches Raumklima. Nur die nutzungsintensiven Zonen wie Verkaufsflächen oder Eventräume werden mit separaten Lüftungskreisläufen versorgt. Die Technikzentralen hierfür befinden sich im Untergeschoss. Auf dem extensiv begrünten Dach bietet sich der Einsatz von Photovoltaikzellen an.

Beurteilung durch das Preisgericht

Der Entwurf symbolisiert komplette städtebauliche Autonomie: Nicht Einfügen oder Vermitteln ist das Gebot, sondern das Setzen eines neuen Maßstabes. Das hat unter anderem bauplanungsrechtliche Konsequenzen. Um diese Geste in eine Gestaltungsidee zu übersetzen und den Raum (jetzt Restfläche) zu prägen, wird die Längsfassade in einem flachen Winkel nach innen gezogen. Dadurch entsteht ein angenehm proportionierter und erlebbarer Vorbereich. Die Fernwirkung allerdings schmälert diesen Effekt durch den Bezug der EGZone auf das untere Niveau (Krone). Relativiert wird dieser Niveauversatz durch das eingehauste Mezzaningeschoss, welches dem Gebäude einen angemessenen Sockel gibt.

Der rückwertige Gebäudeanteil im Blockinnenbereich hat eine gerade noch verträgliche Kubatur. Sowohl zur Marktbebauung und zur Krone entstehen weithin sichtbare Brandwände. Die Fassaden sind klar gegliedert, wohl proportioniert und eine angemessene, nachhaltige Antwort und zeitgemäße Interpretation. Die Grundrissstruktur mit zwei Treppenhäusern ist flexibel nutzbar, im Erdgeschoss und Mezzaningeschoss gewerblich und gastronomisch in Obergeschossen verschiedene Büroorganisationsformen mit optional geringem Anteil an Wohnen. Die so gewonnene Robustheit und Maximalausnutzung wendet sich jedoch ab von der liebgewonnenen städtischen Sichtweise auf Saladin, Krone und Schloss und durchbricht damit eine Dimension, die noch als angemessen empfunden werden kann. Deshalb fügt sich der neue Baukörper nicht in seine Umgebung ein. Für sich betrachtet hat der Entwurf eine offensichtliche Qualität, kann jedoch nicht als Vermittlung des Städtebaus der Gegenwart bestehen.