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Nichtoffener Wettbewerb | 06/2016

Hochschule Fulda Campuserweiterung – Neubau, Umbau und Sanierung der ehem. Mühle Heyl

3. Preis

Hess / Talhof / Kusmierz Architekten und Stadtplaner

Architektur

Andreas Ferstl Architekten

Architektur

Erläuterungstext

Das Ziel ist nicht nur die Präsentation der historischen Kasernennutzung sondern auch der jüngeren Mühlennutzung. Wir verzichten deshalb auf einen Abbruch der Aufstockung des Reitstalls, da wir diese Zeitschicht für erhaltenswert erachten. Die sichtbare Nahtstelle der Transformation des Reiststalls zu einer industriellen Nutzung sehen wir sowohl ästehtisch als auch geschichtlich als Qualität.
Maßgebliche Instrumente zur Aktivierung der geschützten Bausubstanz sind die städtebauliche Freistellung der ursprünglichen Substanz, die Wiederherstellung der ursprünglichen Fassade und im Folgenden die minimale Reparatur und Ertüchtigung für eine Nutzung. Mit der Aktivierung der Denkmäler über die neuen Nutzungen sind die Gebäude für das Campusgelände beispielhaft Zeuge und Symbol der Konversion.

Die erhaltenswerte, denkmalgeschützte Bausubstanz wird mit dem Abbruch und Rückbau der bestehenden Industriegebäude freigelegt. Die gewünschte Durchwegung des Hochschulcampus in Ost-West Richtung wird durch Schließen des polygonalen Hofs im Nordosten beruhigt und gestärkt.
Die beiden ehemaligen Reitställe Flügel- und Mittelbau erhalten am südlichen Kopf mit einem wohlproportionierten Vorplatz einen Auftakt im Gesamtgefüge des Areals. Ein einzelner Großbaum ergänzt hier mit seiner Baumkrone die ursprüngliche Raumkante des Kasernenhofs der Moltkestraße.
In zweiter Reihe ergänzt ein Neubau selbstbewusst die vorhandenen Strukturen des Baugebiets und beruhigt mit seiner Gestalt die vorhandenen Raumkanten. Alle Zugänge der Gebäude werden vom neuen Binnenraum erschlossen und stärken die neue gemeinsame Mitte. Die Fassade ist durch seine sich wiederholende Struktur ein beruhigender Hintergrund in der ehemaligen heterogenen Blockstruktur. Entfernt kann die beruhigende Fassade als Reminiszenz des ehemaligen, heute nicht mehr wahrnehmbaren Kasernenhofs betrachtet werden: ruhig und symmetrisch mit einem kraftvollen Auftritt.

In Bezug zur Nutzungsverteilung und einhergehenden Gestaltung der Gebäudestruktur wurden folgende Maßnahmen getroffen: 1. Konzentration der sportlichen Nutzungen in der Reithalle und im ehemaligen Reitstall, 2. Aktivierung des Mühlengebäudes mit einer zentralen Fachbereichsverwaltung, 3. zentraler Neubau mit Laborflächen und zentralen Lehrräumen

Der Neubau wird über den Haupteingang von Norden und von Süden über den von Weiten deutlich sichtbaren Gebäuderücksprung erschlossen. Über beide Eingänge gelangt man unmittelbar zu der in Nord-Süd Richtung verlaufenden Magistrale. Ein schlanker geschossübergreifender Luftraum hüllt mit zenitalen Licht den Eingangsbereich in eine andächtige und konzentrierte Atmosphäre. Vom nördlichen Zugang bereits von Außen sichtbar entwickelt sich die Haupttreppe entlang des Luftraums raumgreifend über alle Geschosse.
Im Erdgeschoss und erstem Obergeschoss befinden sich die großen zentralen Lehr- und Veranstaltungsräume. Ein introvertierter Lichthof an der Ostseite des Gebäudes belichtet die angrenzenden Hörsäle und erweitert mit Nähe zum Eingangsfoyer die Nutzfläche in den warmen Monaten.
Im zweiten Obergeschoss befinden sich mit kurzen Wegebeziehungen auf einer Ebene die fachpraktischen Werkstätten und Labore. In den anschließenden weiteren Obergeschossen wechseln sich die Büroräume der Dozenten mit den Seminar- und Gruppenräumen ab. Eine Verschiebung und Änderung der Raumzuordnung ist hier auch im laufenden Betrieb möglich. Mit dem Ziel einer stärkeren sozialen Interaktion im Hochschulalltag dient die Haupttreppe als Katalysator für einen wissenschaftlichen, spontanen Austausch der Mitarbeiter. Um den Mehrwert des verbindenden Luftraums zu steigern sind die Teeküchen im Bereich der sich in den Luftraum eingeschobenen Balkone angeordnet. Dozenten und Studenten können hier mit freien Blick auf den Hochschulcampus Gespräche vertiefen.
Die Fassade des Neubaus ist nach der beschriebenen Nutzungsverteilung und städtebaulichen Erfordernis gestaltet: nach Westen als inszenierende Kulisse des freigespielten Bestands mit einer wiederkehrenden, homogenen kleinteiligen Struktur. Das Erdgeschoss weitet sich bei zugrunde gelegten Rhythmus den Passanten. Nach Osten zeigt sich offen und dezent expressiv das freie Spiel der internen Erschließung. Große Schaufenster geben den Blick für die Lehrenden nach Außen auf die angrenzenden Hochschulgebäude frei. Suchende finden von Außen mit den gezielten Einschnitten Einsicht in einen regen Hochschulbetrieb ohne die Lehre und das Studium selbst zu stören.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Arbeit überzeugt durch ihre sensible wie entschiedene Haltung zum Umgang mit der vorhandenen städtebaulichen Situation. Die Jury lobt die Ausprägung der Positionierung des Neubaus als rückenbildenden Riegel in zweiter Reihe und damit die Aufnahme der vorhandenen städtebaulichen Strukturen des Campusareals. Die denkmalgeschützte Bausubstanz erhält durch die Bildung von eindeutigen Öffnungen zur Moltkestraße sowie durch einen quartierbezogenen Platz südlich der bestehenden Nachbarbebauung ein Alleinstellungsmerkmal. Dadurch wird das historische Gebäudeensemble freigelegt und in Gänze von der Moltkestraße erlebbar. Der südliche Anschluss des hinteren Gebäuderiegels zum Nachbargebäude ist baurechtlich nicht gelöst.
Die Durchwegung von Süd nach Nord sowie von Ost nach West in den vorhandenen Campusbereich ist überzeugend gelöst. Diese Erschließungsachsen beleben den neu definierten Campusbereich und erschließen einerseits das Ensemble des Bestandes und andererseits den rückwärtigen Neubau. Während die Fassaden der Bestandsgebäude ihren ursprünglichen Öffnungsrhythmus und Duktus zurück erhalten, zeigt sich die Fassadengestaltung des Neubaus ruhig und klar gegliedert. Der Neubau schafft mit seiner zurückgenommenen Architektursprache ein verbindendes Element zu den jüngst geschaffenen baulichen Qualitäten des Campusareals.
Die Eingänge zu den Gebäuden erfolgen über die neu gestalteten Freiräume und sind klar und eindeutig positioniert. Die innere Erschließung des Neubaus gelingt durch seine vertikale und horizontale Mittelachse. Darüber hinaus ermöglicht die Struktur des Gebäudes ein hohes Maß an Flexibilität und lässt Verschiebungen und Änderungen der Raumzuordnungen in der Zukunft zu.
Die Umsetzung des Raumprogramms ist bedingt gelungen. Während der Bereich Hebammen und Pflege sehr gut umgesetzt ist, weist der Entwurf im Bereich der Physiotherapie grundrissorganisatorische Mängel auf, deren Behebung unklar ist. Ebenso ist die Organisation der Räume der Fachbereichsverwaltung kritisch zu betrachten, da sich diese aufgrund der Unterbringung im historischen Mittelbau über vier Etagen erstreckt und damit nicht die geforderten Raumbezüge einhalten kann.
Der Bereich des Hochschulsports ist grundsätzlich gut organisiert, wobei die Flächen der Hochschulverwaltung hinsichtlich der Nutzung und Abläufe zu optimieren sind. Die barrierefreie Erreichbarkeit der Umkleiden im Untergeschoss ist kritisch zu betrachten, da kein Aufzug geplant ist. Ferner fehlt die barrierefreie Sanitäranlage.
Die Anforderungen zum Umgang mit dem historischen Bestand sind weitestgehend erfüllt, lediglich in Teilbereichen des Reitstalls ist die zu erhaltende Primärstruktur nicht dargestellt.
Die Vorgaben zur Energieeffizienz können im Rahmen des Entwurfs eingehalten werden. Das Energiekonzept ist in sich schlüssig und nachvollziehbar dargestellt. Das Gebäude soll durch einen Holz-Pellets-Kessel und eine Wärmepumpe mit Wärme versorgt werden. Der große Glasflächenanteil in den Neubau-Fassaden von ca. 60% erlaubt den Schluss, dass das Gebäude, trotz eines guten sommerlichen Wärmeschutzes, in großen Bereichen aktiv gekühlt werden muss. Die Relation von Investitionskosten zu Energieeinsparpotential wird als noch vertretbar bewertet.
Der zurückhaltende Umgang mit den denkmalgeschützten Gebäuden sowie die gewählte Gebäudegeometrie und Baukonstruktion des Neubaus lassen eine wirtschaftliche Realisierung der Gesamtmaßnahme erwarten. Lediglich die Anforderungen an den Brandschutz der Magistrale sowie die zu erwartende Kühlung des Neubaus sind kritisch zu bewerten.
Der Entwurf besticht durch seine konsequente Haltung, aus der sich ein zweischichtiges Ensemble ergibt – die Bestandsgebäude an der Moltkestraße und der Riegel in der zweiten Reihe. Funktionale Mängel und möglicherweise schwer zu umgehende nachbarrechtliche Probleme sind der Wermutstropfen in einem ansonsten konsequenten Entwurfsansatz.