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Offener Wettbewerb | 07/2016

„Brunnenstraße I Schulstraße I Kirchstraße“

3. Preis

Preisgeld: 5.000 EUR

schleicher.ragaller freie architekten bda

Architektur

Erläuterungstext

Die Gemeinde Deizisau mit ca. 6.700 Einwohnern liegt am Südhang des Neckartals in der Nähe des Plochinger „Neckarknies“. Das zu beplanende Gebiet weist als ehemaliges Ortszentrum neben historischen Fachwerkhäusern Sonderbauten auf wie beispielsweise das alte Rathaus aus dem 17. Jahrhundert mit dem Rathausbrunnen, ein klassizistisches Schulhaus – den heutigen Kindergarten - von 1845 sowie als südlichen Ortsrandabschluß auf dem Talhang die spätgotische evangelische Kirche, die man durch eine verhältnismäßig kleine Spitzbogenöffnung in der mächtigen historischen Stützmauer und über einen einläufigen Treppenaufgang betritt. Setzt man seinen Weg über die Treppe fort, gelangt man über den parkähnlich angelegten Friedhof und die unmittelbar angrenzenden Wanderwege zu den Streuobstwiesen oberhalb der Stadt Deizisau.

„Das Ortsbild Deizisaus wird geprägt von der 500 Jahre alten evangelischen Kirche. Wie sich die Küken um eine Bruthenne scharen, so liegen die Häuser des Orts im Schatten und Schutz der Kirche“ (*Zitat aus der Ortschronik)

Ziel der Planung ist:

1. Die städtebaulich und gestalterisch qualitätvolle Neuordnung des Quartiers „Brunnenstraße / Schulstraße / Kirchstraße“, welche die historische Ortsmitte zwischen altem Rathaus und evangelischer Kirche mit ihren Sonderbauten und Plätzen wieder deutlich ins Bewußtsein rückt.
2. Die Schaffung eines neuen, zeitgemäßen Wohnraumangebots für unterschiedliche Zielgruppen im innerörtlichen Gefüge welches sich in Körnigkeit und Maßstäblichkeit in die Struktur der Ortsmitte integriert.
3. Die Neuordnung und Ausgestaltung der Freiflächen und Platzsituationen mit Stärkung deren Aufenthaltsqualität.

Plätze und Wege:

Die Verbindung zwischen altem Rathaus und der spätgotischen Kirche muß zur Stärkung der historischen Ortsmitte wieder deutlich herausgearbeitet werden und die Kirche als markanter und identitätsstiftender Baukörper auf dem Talhang erkennbar sein.

Der alte Rathausplatz wird zurückhaltend umgeordnet. Der Bestandbrunnen erhält eine einfache Fassung mit Sitzbank und einer plastischen Orientierungstafel aus Bronze. Der Bodenbelag wird einheitlich und unaufgeregt an das Bestandspflaster angepasst. Das ehemalige Rathausgebäude soll hierdurch betont werden und frei umgänglich auf dem Platz stehen, um eine Rückseitensituation zu vermeiden.
Vom Platz am alten Rathaus gelangt man fußläufig über die leicht ansteigende Brunnenstraße nach Süden. Eine neue Sitzbank an der Kreuzung Brunnenstraße / Schulstraße lädt zum Verweilen ein.

Der Fußweg kann fortgeführt werden über neu angelegte Treppen und Terrassen aufwärts zum Kirchplatz. Der Fußweg ist bewußt losgelöst vom Straßenverkehr – die Terrassierung erlaubt neben einer leichten Begehbarkeit Verweilmöglichkeiten mit Ausblicken und macht die Kirche von weitem her erkennbar. Dies dient auch der Orientierung. Unter der Terrassierung befindet sich, das Gefälle ausnutzend, die Tiefgarage mit ebenerdiger Zufahrt von der Schulstraße und Zugangsmöglichkeiten von den unterschiedlichen Niveaus.

Von den Terrassen gelangt man weiter südlich bergan zum Kirchplatz, der sich durch die neu angeordneten Gebäudevolumen nördlich zu einem Platzraum aufweitet. Ein Brunnen im Übergang zu den Terrassen bietet eine zentrale Verweilmöglichkeit und Raum für kleinere Feste oder Marktverkauf.
Der Autoverkehr wird über eine Baumreihe und Belagswechsel im Boden klar geleitet und so von Aufenthaltsbereichen bei der Platzaufweitung getrennt. Ebenerdig ins Pflaster eingelegte Natursteinbänderungen definieren den Kirchplatz und signalisieren gleichzeitig in ihrer Ausrichtung quer zur Fahrbahn eine Verlangsamung des Straßenverkehrs. Die Natursteinbänder bilden die Umrandung der Bauminseln, nehmen Stadtmobiliar wie Leuchtmasten und Entwässerungsrinnen auf und weisen gleichzeitig Richtung Kirchzugang mit Verbindung in die Streuobstwiesen.

Der Höhenunterschied zum Durchgang durch die historische Stützmauer der Kirche wird durch eine offen gestaltete Treppe überwunden, welche sich aus einer geschwungen angelegten Stützmauer aus gestocktem Beton zu Niveauunterteilung herausentwickelt. Die Stützmauer erhält beidseitig Sitzmöglichkeiten – zum Kirchplatz hin als geschwungene Sitzbank aus Holzplanken mit Ausblick über Deizisau zur gegenüberliegenden Talseite – zur Kirche hin als Wartemöglichkeit beim Kirchgang. Der Sockel der Stützmauer wird vom bestehenden ungeordneten Grünwuchs befreit – abgetreppte Betonfertigteilelemente mit Sitz- und Pflanzmöglichkeiten für Rankgewächse definieren einen angemessenen Stützwandsockel und säumen die Auffahrt zum Gemeindehaus.

Wohnen:

Die neu hinzugefügten Wohnbauten orientieren sich in Körnigkeit und Dachform am historischen Bestand. Im nördlichen Bereich zwischen Brunnen- und Schulstraße entstehen versetzte Wohnbaukörper giebelständig zu den Straßen mit Südorientierung und südlich gelegenen Gärten, welche topographisch bedingt terrassiert sind – damit also gleichzeitig eine Reminiszenz an die ortstypisch in Blumenbeete umgewandelten „Misten“ darstellen und nun durch die Anhebung gegenüber dem Straßenniveau Privatheit bieten. Ein Doppelensemble mit gemeinsamer Erschließung im Norden lässt sich im 1. Bauabschnitt realisieren – ein weiteres Doppelensemble kann im 2. Baubaschnitt folgen.

Im Bereich zwischen Schulstraße und Kirchplatz treppen sich die Baukörper topographiebedingt ab und orientieren sich bestandsgemäß traufständig zur Schulstraße und zum neu terrassierten Fußweg. Das Versetzen der Baukörper im Grundriss sorgt für bessere Belichtung und Ausblickmöglichkeiten. Das Hanggefälle wird genutzt, um die Tiefgarage aufzunehmen. Alle Wohnungen sind ost-west-orientiert und im Erdgeschoß mit Gartenanteil ebenerdig zugänglich – also auch altersgerecht sehr gut nutzbar.

Traufständig zum Kirchplatz ebenfalls der Nachbarbebauung folgend ist ein Mehrfamilienwohnhaus mit Südorientierung vorgesehen – der Baukörper dreht sich der Bebauungslinie folgend aus der Straßenflucht heraus und erzeugt damit die Aufweitung des Kirchplatzes zur Nordseite. Der Kirchplatz wird hierdurch als Platzraum definiert, der die südlich gelegene Kirche angemessen inszeniert und Möglichkeiten des Verweilens oder auch für kleinere Feste bietet – mit Blick zur ortsbildprägenden Kirche und mit Ausblick über die Terrassen auf Deizisau.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Verbindung zwischen Rathaus und Kirche zur Stärkung der Ortsmitte ist eine zentrale Idee des Verfassers. Durch zwei grundsätzliche städtebauliche Topologien werden die öffentlichen Räume zwischen Schulstraße und Kirchstraße geordnet. Zum einen wird eine lockere verbindende Bebauung zwischen Kirchstraße und Schulstraße geplant und dieser drei Paare von versetzten Einzelhäusern gegenüber gestellt. Hierdurch wird eine attraktive Platzfolge von der Kirche bis zum Alten Rathaus ermöglicht. Über mehrere Treppenanlagen von der Schul- in die Kirchstraße wird die Kirche zwischen den Häusern gerahmt und dadurch schön inszeniert. Durch die oft verwendeten versetzten Baukörper wird eine interessante Körnung erstellt, die gut ins Dorfbild passt. Auch die Maßstäblichkeit mit ca. 2 Geschossen zzgl. Dach passt gut in die Umgebung. Die Bedeutung des Alten Rathauses als Auftakt für die Bebauung zwischen Schul- und Brunnen-straße wird durch einen umlaufenden Platz aufgewertet. Die zwei Häuserpaare dahinter werden optimal von der Schulstraße erschlossen und erhalten großzügige private Freibereiche. Hier könnte die Grenze zum öffentlichen Raum stärker betont werden. Am Kreuzungsbereich Brunnen-/Kirchstraße entsteht eine intime Freifläche in Form einer runden Sitzmöglichkeit. Der großzügig geplante Kirchplatz erhält eine gute Aufenthaltsqualität mit Sitzplätzen und Brunnen und lässt auch die Möglichkeit kleinerer Veranstaltungen zu. Die Gestaltung des Aufgangs/der Auffahrt zur Kirche erscheint aufwändig und es fehlt eine notwendige Offenheit zum Kirchplatz. Die Auffahrt zum Gemeindehaus wirkt zu eng und ist zu überprüfen. In diesem Bereich befinden sich auch zehn öffentliche Parkplätze – leider befinden sich alle anderen öffentlichen Parkplätze in einer Tiefgarage. Der Verfasser schlägt eine gute Mischung aus Geschosswohnungsbau und als Ergänzung zum bestehenden Fachwerkhaus an der Kreuzung Schul-/Kirchstraße ein Einfamilienhaus vor. Die private Parkierung geschieht für alle Neubauten in einer zentralen Tiefgarage – teilweise ziemlich weit von den Gebäuden entfernt. Hier wäre zu prüfen ob eine Tiefgarage unter der Bebauung an der Schulstrasse /Brunnenstrasse möglich wäre. Die Umsetzung in zwei Bauabschnitten erscheint problemlos. Insgesamt stellt sich der Entwurf als sehr guter Beitrag dar mit einigen städtebaulichen Elementen, die sehr gut in den alten Ortskern passen. Leider ist der Maßstab des Kirchplatzes zu groß geraten und dazu die Gestaltung zu städtisch geworden.