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Nichtoffener Wettbewerb | 09/2016

Neugestaltung des Kircheninnenraums in der St. Johannes-Kirche

1. Preis

Riemann Gesellschaft von Architekten mbH

Architektur

Erläuterungstext

Ausgangssituation und historische Entwicklung
1910-11 wurde die St. Johannes-Kirche in Kücknitz zusammen mit dem Pfarrhaus und der Volksschule, entworfen von Carl Mühlenpfordt, errichtet. Das Gebäude- ensemble am Kirchplatz mit dem markanten Kirchturm bildete den neuen und heute noch identitätsstiftenden und prägenden Mittelpunkt des durch die Errichtung des Hochofenwerks (1905/06) wachsenden Ortsteils („Arbeiterkolonie“) Kücknitz.
Mehrere Umgestaltungen haben den originalen Raum nachhaltig verändert. Von diversen Veränderungen der Innenausstattung sind als Wesentliche zu nennen:
- die Erweiterung der Kirche 1955/56, durch die der Kirchenraum eine neue Größe und eine deutlich längsgerichtete Proportion erhalten hat
- die Umgestaltung von 1971, bei der Teile der Empore entfernt wurden, das vorderste Fenster im Altarraum geschlossen und ein Raum im Emporengeschoss, oberhalb der Sakristei von der Kirche abgetrennt wurde. Zusätzlich wurde eine Altarwand aus Ziegeln eingestellt, sowie z.T. neue Prinzipalstücke gestaltet.
Diese drei wesentlichen Entwicklungsphasen haben wir zeichnerisch dargestellt, da die Analyse der Veränderungen eine Grundlage für die Entwicklung des neuen Konzeptes bildet.

Konzept
Die Umgestaltung der 70er Jahre hat nach unserer Überzeugung dem Raum nicht gut getan: Durch das „Kappen“ der Empore und das Einziehen eines Abstellraumes an deren Stelle hat der Kirchenraum seine Klarheit und im Altarbereich den axialen Bezug verloren (die vom Turm/Haupteingang ausgehende Mittelachse entspricht der Mitte zwischen Außenwand und Emporenbrüstung). Auch im Detail ist der Abstellraum im Obergeschoss unglücklich gestaltet (abgeschrägte Wand aufgrund des Anschlusses an den Fensterpfeiler, banale Tür). Das Schließen des südöstlichen Fensters im Altarraum war wegen der neuen Altarwand notwendig geworden, hat jedoch dazu geführt, dass der Altarraum dunkler ist als die Kirche, was durch den dunklen Farbton der Altarwandziegel noch verstärkt wird. Der trennende Heizungsgraben und der grüne Nadelfilz-Boden sind der Kirche nicht angemessen und vertragen sich nicht mit den originalen gestaltgebenden Elementen des Raumes. Auch die deckende Farbfassung der hölzernen Bauteile in einem neutralisierenden Grauton unterstützt nicht eine sakrale Raumwirkung.
Wir schlagen daher vor, die Veränderungen der 70er Jahre rückgängig zu machen:
- Entfernen des Abstellraumes im Obergeschoss und die Wiederherstellung der Empore (die Balken-Auflagerlöcher sind in der Sakristeiwand noch sichtbar).
- Entfernen der eingestellten Altarwand.
- Öffnen des seitlichen Altarraumfensters; hier kann ein künstlerisch gestaltetes Fenster die Wirkung des Altarraums als hervorgehobenen Ort unterstützen.
Durch diese Maßnahmen wird die Kirche die klare und eindeutige Grundgestalt wieder erhalten, die sie von 1956 bis 1971 hatte. Das Öffnen des Fensters im Altarraum und der Lichteinfall über die Emporenfenster (nach Entfernen des Raumes im OG) werden den Altarbereich deutlich aufhellen.

Materialien und Farben
Als Material für den Fussboden schlagen wir einen hellen Steinboden vor, zum Beispiel einen Kalkstein aus dem Ostseeraum (es könnte ein dem Gotland-Stein im Erscheinungsbild ähnliche, kostengünstiger Kalkstein aus Estland sein); der helle Steinboden wird mit den geputzten und gemäß Befund hell gestrichenen Wandoberflächen genügend Fläche für Lichtreflexionen bereit halten, um dem Kirchenraum mehr Grundhelligkeit und Ausstrahlung zu geben. Darüber hinaus kann die Strukturierung des Raumes im Boden ablesbar gemacht werden.
Die Farbigkeit der hölzernen Bauelemente (Deckenbalken, Deckenfelder, Emporenkonstruktion samt Brüstungen, Treppen, etc.) und der historischen Ausstattung sollten aus den historischen Befunden abgeleitet werden. Wünschenswert wäre das Freilegen der ursprünglichen Farbfassung im hinteren Bereich der Kirche. Im vorderen, jüngeren Teil könnte analog der originalen Farbfassung eine neue Fassung aufgetragen werden. Die Farben sind dabei ursprünglich sehr differenziert eingesetzt worden (Differenzierung zwischen Feldern und Profilen, Ornamentik, etc.). Ihr von lasierenden Brauntönen über Rot- und Ockertöne variierendes Spektrum soll dem Raum eine gewisse Wärme zurückgeben. Die von Mühlenpfordt sicherlich bewusst eingesetzte Ornamentik erzeugte eine schmückende Schicht auf den sonst nur aus der Gestalt der Konstruktion wirkenden Bauteilen. Diesen (bescheidenen) Schmuck der Kirche an den Stellen, wo er original vorhanden war, wieder sichtbar zu machen, wäre wünschenswert und steht nicht im Widerspruch zur gewünschten Klarheit und Erhabenheit des Raumes. Originalfassung und neue Farbfassung sollen zusammen ein harmonisches, geschlossen erscheinendes Gesamtbild ergeben, das im Detail die Geschichte der Kirche (z.B. Ihre Erweiterung) lesbar werden lässt. Sollte aus Kostengründen das Freilegen der historischen Fassung nicht möglich sein, so sollte eine Neufassung, die sich an den Befunden orientiert, ausgeführt werden.

Altarraum, Prinzipalien und Kreuz
Der Altarraum erhält eine Stufe über seine gesamte Breite. Die besonderen liturgischen Orte der Verkündigung (Kanzel) und des Abendmahls (Altar) werden jeweils durch eine weitere Stufe gekennzeichnet und herausgehoben. Die Prinzipalien haben wir neu gestaltet und halten es für wichtig, dass sie einen festen Standort erhalten und dort auch sichtbar gestalterisch „verortet“ werden: sie haben daher einen oberflächenbündigen Sockel aus Stein. Altar, Kanzel und Taufe sind aus Stahl gefertigt, dem Material, das in Kücknitz erzeugt worden ist, und das quasi den Anlass für den Bau der Kirche der einstigen „Arbeiterkolonie“ gegeben hat. Die Wirkung des geölten Stahls wird ergänzt und gebrochen durch feine, bündige Messingstreifen an den Fugen, in denen die Bleche zueinander gefügt werden. Die Fugen ergeben ein sich kreuzendes Muster, das nicht nur die Oberfläche strukturiert, sondern Assoziationen wecken soll: der Wandel des einfachen Materials zum Erhabenen, das Kreuz, das sich auf der Altaroberfläche zu einem deutlicher werdenden, goldenen Kreuz verdichtet. Während der Altar als Kubus gestaltet ist, der zentralisierend wirkt, sind Taufe und Kanzel als hochrechteckige Körper ausgebildet. Das Taufbecken selbst besteht aus einer in den stählernen Körper eingelassene Messingschale. Die konzentrische „Riffelung“ der Schale wirkt wie Ringe, die von einem ins Wasser geworfenen Stein ausgehen. Als Aufstellort schlagen wir den Bereich unter der vorderen Empore vor, so dass sich eine kleine Taufgemeinde rund um das Becken aufstellen kann und das Taufen auch für die gesamte Gemeinde gut sichtbar ist. Eine gerundete Doppeltür, die zu einem neuen Abstellraum führt, bildet das Fragment eines Kreises um die Taufe und aufgrund seiner besonderen Gestalt einen angemessenen Hintergrund.
Das Lesepult ist in der gleichen Gestaltung wie die Prinzipalien ausgebildet, erhält jedoch keinen festgelegten Ort und keinen steinernen Sockel.
Das vor der Altarwand freischwebende, sich zurückhaltende Kreuz soll mit seiner stählernen Ausbildung dem alten Korpus einen angemessenen Hintergrund bieten und den Bezug zu den neuen Prinzipalstücken herstellen.
Das Orgelpositiv kann je nach Erfordernis (in der Regel vor der Altarstufe) aufgestellt werden. Im neuen Abstellraum neben der Sakristei kann das Equipment für die Kirchenmusik usw. gut untergebracht werden. Die Aufstellung des Chors samt Instrumentalensemble (Kantaten, Konzerte) ist im Altarraum (vor dem Altar) gut möglich. Die Akustik der Kirche wird durch den steinernen Boden den gewünschten längeren Nachhall bekommen; ergänzend sollten die Stufen der Chorempore mit einem Parkett aus Hartholz (Eiche) belegt werden, damit der Orgelklang besser in den Kirchenraum reflektiert wird.
Als Beleuchtung schlagen wir dimmbare, kleine LED-Strahler an der Decke vor, ergänzt durch kleine, in den Fensterbänken der Südfenster eingelassene Leuchten, die gegen die Decke strahlen und den Gesamtraum sichtbar machen und ihn erstrahlen lassen. Die Heizkörpernischen werden geschlossen, sodass der Bilderfries des Johannes-Evangeliums wieder an der Südwand – symmetrisch unterhalb der Gruppe der vier Südfenster - seinen Platz erhalten kann.