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Offener Wettbewerb | 07/2017

Rathaus Korbach

Perspektive Prof.-Kümmell-Straße

Perspektive Prof.-Kümmell-Straße

Anerkennung

Preisgeld: 8.400 EUR

Gerber Architekten GmbH

Architektur

Erläuterungstext

STÄDTEBAU

Der Entwurf beruht auf folgenden drei Leitideen: Integration in den städtebaulichen und ortstypischen Kontext, Symbiose aus historischem Bestand und Neubau und Belebung und Aufwertung des historischen Zentrums.
Im historischen Zentrum Korbachs um das denkmalgeschützte Rathaus aus dem 14. Jhd. soll ein harmonisches Verwaltungsensemble aus Neu- und Bestandsbauten entstehen, das die ortstypischen historischen Strukturen aufnimmt und neu interpretiert. Es gilt die historische Stadtsilhouette des Bestands so zu ergänzen, dass die entstehende Lücke durch angemessen dimensionierte und ausgerichtete Baumassen gefüllt wird. Der Entwurf schlägt den Abriss des Gebäudes Stechbahn Nr. 5 vor, da die vorgesehene Umnutzung einen erheblichen Kostenaufwand zur Folge hätte, ohne ihrer Funktion gerecht werden zu können. In Anlehnung an Position und Dimension des Bestandsgebäudes ist an dieser Stelle ein Neubau vorgesehen, der die stadthistorisch bedeutende Ecke wie zuvor besetzt.
Die beiden Neubauten I Rathaus und II Hauptverwaltung bilden in ihrer Ost-West-Ausrichtung eine Kante innerhalb des natürlichen Gefälles aus, die das „Plateau“ mit dem historischen Rathaus einrahmt. Gleichzeitig vermitteln sie zwischen den beiden Niveaus „Plateau“ und der niedrigeren Rathausgasse. Zwischen den Baukörpern entstehen sowohl Blick- und Wegebeziehungen, als auch Außenräume mit Aufenthaltsqualität.


FREIRAUM

Die Gestaltung des Freiraums antwortet auf die besondere topografische Lage des historischen Zentrums und überbrückt die markanten Höhenunterschiede mit großzügigen Terrassen, Sitzmauern und Treppen. Dabei werden die 5 Gebäude des neuen Rathaus-Ensembles über einen einheitlichen hochwertigen Bodenbelag verbunden. Die Verwendung von kleinen Pflasterformaten ermöglicht den homogenen Umgang mit der Topografie und verzahnt die neue Architektur mit dem historischen Bestand zu einem modernen Dienstleistungszentrum.
Auf dem höchsten Punkt des Geländes bildet sich um das historische Rathaus ein Plateau aus, wobei im Nordwesten ein repräsentativer Vorplatz entsteht, auf dem der Brunnen „Kump“ als Blickfang in die Achse des Rathauses gerückt wird. Von hier sind die Eingänge im Erdgeschoss der beiden Neubauten als auch des Gebäudes Stechbahn Nr. 5 barrierefrei erreichbar. Östlich des historischen Rathauses entsteht als Pendant zum steinernen Vorplatz eine Platzfläche mit eher introvertiertem Charakter. Der Baum im Zentrum des Platzes lädt mit einer umlaufenden Einfassung zum Verweilen ein und dient als Kulisse für frisch getraute Paare.
In Richtung Norden fällt das Gelände steil ab. Hier überbrückt eine großzügige Treppenanlage den starken Höhenunterschied vom Rathaus-Plateau zum Untergeschoss der Neubauten und dem Gebäude Professor-Kümmell-Straße Nr. 9. Die Stufen sind kontraststark markiert um Menschen mit Sinnesbehinderungen die Orientierung zu erleichtern.
Die Rathausgasse wird als Mischverkehrsfläche ausgeführt, wobei die Straßenführung im Boden markiert ist. Von hier aus ordnen sich entlang der nördlichen Besucher- und Mitarbeiter-Parkplätze, die 5 Überdachten Parkplätze und der Großteil der Fahrradstellplätze an. Die Besucher- und Mitarbeiterparkplätze werden mit einem wasserdurchlässigen Belag befestigt.


ARCHITEKTUR

Die einzelnen Gebäude werden vom Erdgeschoss sowie vom Untergeschoss aus barrierefrei erschlossen. Zu den öffentlichen Plätzen hin markieren großzügige ebenerdige Einschnitte die Haupteingänge der Gebäude. Das historische Rathaus erhält eine Sonderstellung innerhalb des Ensembles. Es beinhaltet das Standesamt mit Büros, Besprechungsräumen und dem Trauzimmer. An seiner nördlichen Fassade wird es ergänzt durch ein gläsernes Treppenhaus, das die barrierefreie Erschließung gewährleistet und sich gegenüber der Bestandsfassade zurücknimmt. Im prominent gelegenen Neubau I ist das Bürgerbüro als zentrale Anlaufstelle im Erdgeschoss am Platz angeordnet. Über eine freie Treppe ist das Eingangsfoyer mit der Touristeninformation im Untergeschoss verbunden. Die Information orientiert sich zur Rathausgasse und Prof.-Kümmell-Straße hin und empfängt die Besucher, die aus der Fußgängerzone kommen. Sie ist räumlich getrennt von Registratur und Infrastruktur, die mit den Lager-, Technik- und Nebenräumen zusammenhängend im Untergeschoss angeordnet sind.
Vom 1. bis zum 3. Obergeschoss erstrecken sich die Räume des Bürgermeisters. Im 1. Obergeschoss liegen die halböffentlichen Büro- und Besprechungsräume. Darüber im 2. Obergeschoss befindet sich der großzügige Sitzungssaal mit Foyer und Nebenräumen. Dieser reicht bis unter das Dach und kann von dem Magistratszimmer im 3. Obergeschoss eingesehen werden. Eine Galerie verbindet die beiden Ebenen räumlich miteinander und erzeugt eine spannungsvolle Atmosphäre im lichtdurchfluteten Dachraum. Giebelseitig präsentiert sich der Sitzungssaal über ein großes Fenster zur Stadt transparent und einsehbar für die Bürger.
Im Erdgeschoss des Neubau II liegt das Sozialamt, das vom Platz erschlossen wird. Hier liegen die allgemeinen Aufenthaltsräume mit angeschlossener Terrasse. Darüber sind im 1. Obergeschoss die Räume des Personalamtes und im 2. Obergeschoss die Räume des Hauptamtes untergebracht. Beide Ämter sind über einen gläsernen Verbindungsgang an das Gebäude I angeschlossen.
Im Gebäude Stechbahn 5 befindet sich in Erd- und Untergeschoss das Ordnungsamt. Darüber, im 1. und 2. Obergeschoss, liegt das Finanzamt. Im Untergeschoss ist der Neubau mit den Gebäuden I und II verbunden.


TRAGWERK

Das Tragwerkskonzept für den Neubau unterstützt funktional und gestalterisch die Architektur auf der Grundlage einer klassischen, praxisbewährten Stahlbetonbauweise. Die Tragstruktur bestehend aus den durchlaufenden Stahlbetondecken sowie den Stahlbeton- und Mauerwerkswänden wird einheitlich auf alle Einzelbauwerke übertragen. Im Bereich des Sitzungsaals wird die Geschossdecke als gewichtsoptimierte Rippendecke bzw. Hohlkörperdecke einachsig von Außenwand zu Außenwand gespannt. Zur Aussteifung der Neubauten werden die tragenden Wände und Decken herangezogen. Das Untergeschoss wird als wasserundurchlässige Betonkonstruktion in der Bauweise als „Weiße Wanne“ ausgeführt. Durch die vorgesehene Massivbauweise wird der konstruktive Brandschutz für die tragenden Bauteile ganzheitlich erfüllt.


FASSADE

Das Konzept der monolithischen äußeren Erscheinung ist weiterentwickelt worden. Die Gebäudevolumen sind durch wenige Elemente, wie ebenerdige Einschnitte, ein symmetrisches Fensterraster und Dachflächenfenster gegliedert. Die Außenwände sind als zweischalige Konstruktion vorgesehen mit einem hell geschlämmten Klinker als Verblendmauerwerk. Als besonderes Element ist der Klinkerverband in Teilbereichen aufgelöst. Durch Auslassen des Binders wird ein Bezug zwischen Innen und Außen hergestellt. Die großformatigen Lochfenster werden mit einem ebenfalls hellen Betonwerkstein eingerahmt und damit von der Klinkerfläche abgesetzt. Um den Sonnenschutz im Erscheinungsbild zurücktreten zu lassen, ist ein innenliegender kombinierter Sonnen- und Blendschutz geplant. Für die öffenbaren Fenster kann in den Obergeschossen mit Öffnungsbegrenzern die Absturzsicherung gewährleistet werden.
Die großzügigen ebenerdigen Glasfassaden der Haupteingänge werden als Sonnenschutzverglasung geplant, um sowohl den Raumkomfort sicherzustellen, als auch den Energieeinsatz für die Kühlung zu minimieren.
Die Dächer sind der hellen Farbigkeit der Fassade angepasst. Das Dach wird mit flächigen Platten aus Faserzement belegt, welche die Entwässerungsebene bilden. An der Traufkante ist eine eingelassene Rinne vorgesehen. Die in das Steildach eingelassenen Dachflächenfenster ermöglichen eine gute Tageslichtausbeute in den obersten Geschossen. Zur Vermeidung von sommerlicher Überhitzung und Blendung im Sitzungssaal können je nach Nutzerwunsch integrierte Lamellen in der Verglasung zum Einsatz kommen.


ENERGIEKONZEPT

Um den angestrebten Energiestandard des KfW-Effizienzhauses 55 zu erreichen, werden die Gebäude so konzipiert, dass in allen Bereichen ein höchstmöglicher ökologischer, ökonomischer und energetischer Standard erreicht wird. Der Ersatzneubau hat somit Vorbildcharakter und kann wie vorgesehen als Pilotprojekt im Rahmen der Richtlinie des Landes Hessens zur Förderung der energetischen Modernisierung von kommunalen Nichtwohngebäuden gefördert werden.
Die Heizwärmeerzeugung erfolgt mittels Kraft-Wärme-Kopplung über ein Blockheizkraftwerk in Kombination mit einem Gas-Brennwert-Spitzenlastkessel. Zur Ausnutzung energetisch vorteilhafter niedriger Vor- und Rücklauftemperaturen und der thermischen Speicherfähigkeit der Geschossdecken wird die Beheizung über Betonkernaktivierung vorgesehen. Im Sommerfall kann die Betonkernaktivierung außerdem zur passiven Kühlung genutzt werden, um ein angenehmes Raumklima zu schaffen. Der sommerliche Komfort wird generell für große Verglasungsflächen über einen effizienten außenliegenden Sonnenschutz in Kombination mit einer Nachtauskühlung gewährleistet. In den Büroräumen kommt ein innenliegender kombinierter Sonnen- und Blendschutz zum Einsatz. Der zweigeschossige Sitzungssaal mit offenem Giebel wird über den Fußboden geheizt und gekühlt und erhält eine Konditionierung über die Zuluft der Lüftungsanlage. Generell ist für das gesamte Gebäude eine hocheffiziente Lüftungsanlage mit passiver Wärmerückgewinnung vorgesehen. So werden die Lüftungswärmeverluste auf ein Minimum reduziert und es erfolgt eine regenerative Abwärmenutzung der Abluft.
Durch die wärmegedämmten Fassaden und dreifach-verglasten Fenster sowie die Minimierung der Wärmebrücken werden die Transmissionswärmeverluste stark reduziert. Die Kompaktheit der Gebäude und die hohe Luftdichtigkeit der Gebäudehülle verhindern außerdem zusätzliche Wärmeverluste und führen zu einem geringen Heiz- und Kühlenergiebedarf, der optimal über die mittels BHKW regenerativ erzeugte Energie gedeckt werden kann.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Arbeit überzeugt mit einer kleinteiligen und damit maßstäblichen Gebäudekubatur, die sich in zwei Bereiche teilt.
Ein neuer Gebäudeteil, der unter anderem den Eingangsbereich und den Saal beherbergt, entwickelt sich als Erweiterung des historischen Rathauses nach Norden und bildet so einen großzügigen städtischen Platz, parallel zur Prof.-Kümmell-Straße. Ein zweiter Baukörperteil ist, an die Stechbahn 5 angebaut, parallel zum Rathauskomplex entwickelt. Er lässt hier eine Lücke, sodass die Rathausgasse als Durchwegung bis zur Stechbahn geführt werden kann.

Die überraschende Anordnung betont mit großer Selbstverständlichkeit die historisch bedeutenden Ost- und Westfassaden des historischen Rathauses. Die Baukörper erhalten über eine filigrane, strukturierte Holzkonstruktion eine elegante Eigenständigkeit, die durch die kubischen Baukörper betont wird. Der Holzbau stellt eine energetisch zeitgemäße Konstruktion dar und ist in Gebäudeklasse 4 realisierbar. Lediglich der Saal kann als Versammlungsstätte nicht ohne weitere Maßnahmen in einer Holzkonstruktion realisiert werden.

Die großzügige Erschließung von der Platzseite aus, die sich über mehrere Geschosse erstreckt und folgerichtig mit der Topografie des Platzes arbeitet, schafft eine barrierefreie, attraktive Eingangssituation. Der Saal, der als Pendant zum historischen Rathaus im Obergeschoss angeordnet ist, hat eine große Attraktivität und krönt den Platz.

Die Arbeit liegt mit ihrer Nutzfläche unter dem Durchschnitt, obwohl sie die Funktionsbereiche und Erschließungen überzeugend abbildet. Im Detail sollte jedoch die Aufteilung der verschiedenen Nutzungsbereiche auf verschiedene Baukörper in der Funktionalität überprüft werden.

Besonders überzeugend ist die sensible städtebauliche Einfügung der Neubauten. Auch die lichtdurchflutete Architektur ist der richtige Ausdruck für ein transparentes, helles, zeitgenössisches Rathaus. Es bildet zusammen mit dem historischen Rathaus ein identitätsstiftendes neues Ensemble.