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Award / Auszeichnung (auch fĂŒr Studenten) | 05/2017

Egon-Eiermann-Preis 2017

Anti|Museum

Preis

Preisgeld: 1.000 EUR

Kyra Mootz

Student*in Architektur

ErlÀuterungstext

Das saarlĂ€ndische Dorf Frankenholz, durch die Gründung einer Steinkohlegrube Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, hat seit deren Schließung in den 1950er Jahren mit einem stetigen Bevölkerungsrückgang zu kĂ€mpfen. Die Grube war nicht nur Ursprung und Legitimation des Dorfes, sie war auch IdentitĂ€tsstifter und Symbol für Aufschwung, Innovation und Wohlstand – deshalb traf ihr Ende das Dorf und seine Bewohner besonders hart.
Das ehemalige GrubengelĂ€nde ist heute kaum mehr im Bewusstsein der Dorfbewohner, was zum einen daran liegt, dass viele von ihnen die Grubenzeit schon gar nicht mehr aktiv miterlebt haben, zum anderen daran, dass die, die sich noch erinnern, mit dem Thema Bergbau am liebsten nicht konfrontiert werden möchten, zu tief sitzt der Schmerz und die EnttĂ€uschung über sein Ende.
So kommt es, dass in Frankenholz ein GelÀnde existiert, das nahezu ungeachtet vor sich hin vegetiert und dabei eine ganz einzigartige, fast surreale, mystische und gleichzeitig hoch romantische AtmosphÀre entwickelt hat. Ein Ort von unglaublich hohem und vielfÀltigem Potenzial und weitaus mehr als nur ein Bauland mit historischem Hintergrund.
Das GelĂ€nde wurde, unmittelbar nach der Grubenschließung bis heute, stets weiter genutzt. Es wurde verĂ€ndert, abgerissen, Neues gebaut, Teile dem Verfall überlassen
 sodass sich heute ein ganz diverses Bild von Architekturen auf dem GelĂ€nde bietet und es deshalb auf den ersten Blick sehr schwer lesbar und verstĂ€ndlich, deshalb aber gleichzeitig auch enorm interessant und inspirierend macht. Betritt man das GelĂ€nde betritt man eine andere Welt, fernab von dem was man kennt.
Um eine Nutzung für das Jetzt und die Zukunft entwickeln zu können, muss zunĂ€chst die Vergangenheit betrachtet werden. Besonders interessant ist hierbei, dass, betrachtet man die Prozesse, die auf dem GelĂ€nde stattfanden, es sich um eine absolut lineare Entwicklung handelt – das GelĂ€nde war immer Spiegel seiner Zeit. Umso verwunderlicher, dass es heute im kompletten Kontrast zu dem steht, was es einmal war. War es zur Grubenzeit doch laut, dreckig, gefĂ€hrlich, aber auch ökonomisch sehr bedeutend, so ist es heute ruhig, grün, romantisch und mystisch, aber eben vollkommen unbedeutend. Aus dieser Beobachtung heraus stellte sich mir deshalb die Frage was passiert, wenn man den linearen Prozess, den das GelĂ€nde bis heute erlebt hat, einfach konsequent weiter denkt; wenn man dem GelĂ€nde also eine neue Zeitschicht hinzufügt, die, genau wie alle bisherigen Nutzungen, Kind ihrer Zeit ist und deshalb eben auch nur als temporĂ€r gedacht wird.
Das GelĂ€nde war immer Ort für Arbeit und soll es deshalb auch bleiben, es soll sich hier also eine Form der modernen Arbeit etablieren. Gleichzeitig soll die unvergleichliche AtmosphĂ€re des Ortes – das was heute seine enorme QualitĂ€t ausmacht – genutzt werden. Die aktuellste Form der Arbeit ist die ‚digitale Arbeit‘. Der ‚digital Arbeitende‘ benötigt nĂ€mlich nichts als seinen Laptop um Arbeiten zu können; das Produkt seiner Arbeit ist nur noch eine Wolke aus Daten. Das bedeutet, dass der ‚digital Arbeitende‘ überall und zu jeder Zeit arbeiten kann. Was zunĂ€chst sehr verlockend klingt, aber auch Risiken birgt, wie das Verschwimmen von Zeitgrenzen, sie stĂ€ndige Verfügbarkeit, das Fehlen von Sicherheit, die schnelle Überforderung und Reizüberflutung. Genau an diesem Punkt soll die Nutzung auf dem GrubengelĂ€nde ansetzen. Es soll ein Ort für und gegen die ‚digitale Arbeit‘ entstehen, ein Ort also, an dem ‚digitale Arbeit‘ stattfindet, aber an dem sich der Arbeitende, durch das Arbeiten in einem völlig unbekannten und unglaublich inspirierenden Kontext, fernab des normalen Arbeitsumfelds, komplett neu fokussieren und inspirieren lassen kann.
Analog zur Nutzungsentwicklung wurde mit fortschreitender Technisierung immer weniger FlĂ€che des GelĂ€ndes tatsĂ€chlich genutzt, sodass sich im Laufe der Zeit die zuvor verdrĂ€ngte Natur ihr Terrain wieder zurückerobern konnte. Die aus der Nutzung gefallenen Architekturen früherer Zeitschichten stehen deshalb mittlerweile als Ruinen im Grün. Genau diese DualitĂ€t von Natur und Verfall ist es, die die AtmosphĂ€re des Orts so einzigartig macht. Deshalb soll – auch um den Prozess konsequent weiter zu führen – die bereits wieder zu Natur gewordene FlĂ€che mit dem neuen baulichen Eingriff nicht berührt werden, das Grün in seinem Rückeroberungsprozess nicht gestört werden und auch der Verfall der Ruinen, seien sie auf den ersten Blick noch so erhaltenswert, nicht aufgehalten werden. An diesem Punkt stellte ich mir dann die Frage ob sich der Prozess mit neu hinzugefügter Architektur nicht nur weiterführen, sonder auch darstellen lĂ€sst. Aus diesem Grund sind die neuen GebĂ€ude genau dort platziert wo es am dynamischsten ist, nĂ€mlich der Grenze zwischen Grün und aktuell genutzter (Asphalt-)FlĂ€che; sie stecken also den aktuellen Stand des Fortschritts der Natur ab. Sie sollen aber auch den Verfall der BestandsgebĂ€ude dokumentieren, was durch ihre Positionierung und Ausrichtung zu jeweils einer Bestandsstruktur geschieht. Kommt man heute an den Ort versteht man die Positionierung der neuen GebĂ€ude sofort. In einigen Jahren jedoch, wenn die Natur sich weiter ausgebreitet hat und die BestandsgebĂ€ude weiter verfallen und überwuchert sind werden die Figuren in ihrer Position und Form immer schwerer lesbar und abstrakter – also genau zu dem was die BestandsgebĂ€ude heute schon sind.
Da digitale Arbeit keine spezifische architektonische Form, sondern nur ein Minimum an Infrastruktur benötigt und die Besucher des GelĂ€ndes und der AtmosphĂ€re wegen kommen, müssen die neuen Architekturen auf ein Minimum an Komfort reduziert sein. Zum Arbeiten reicht ein leerer Raum, eine thermische Hülle mit Stromanschluss. Diese befindet sich als ‚kontextueller Raum‘, der sich komplett aus dem Umgebungsbezug formt, über einem ‚funktionellen Raum‘, der Basis, die einen Schlafplatz, ein Waschbecken und ein WC, sowie eine Kochstelle angegliedert an einen Holzofen beinhaltet und ohne jeglichen Bezug nach außen funktioniert.
Die neue Nutzung ist natürlich zunĂ€chst einmal eine Nutzung, die nicht primĂ€r die Bewohner des Dorfes anspricht. Der kontrĂ€re Ansatz, eine Musealisierung des Orts und damit auch das Etablieren einer touristischen Attraktion, wĂ€re aber meiner Meinung nach der falsche Ansatz gewesen, da sich die Bewohner so gegen das GelĂ€nde strĂ€uben und sich durch einen so entscheidenden Eingriff übergangen gefühlt hĂ€tten. Interviews vor Ort haben mich in dieser Annahme immer wieder bestĂ€rkt. Ich finde es zudem wesentlich wichtiger eine Entscheidung aus dem Bestand heraus zu treffen, die, da das GelĂ€nde unter keinem ökonomischen Druck steht, jenseits der Kommerzialisierung passiert, was das Projekt natürlich schwer realisierbar macht.
Aber darum geht es mir auch nicht. Die Arbeit soll aufzeigen welche Potenziale in vergessenen Brachen liegen – den Bewohnern des Ortes genauso wie Ortsfremden. Gerade die Bewohner brauchen, davon bin ich überzeugt, aber Zeit um sich mit dem GelĂ€nde wieder anzufreunden, seine Schönheit und Außergewöhnlichkeit zu sehen und dazu ist es wichtig, dass sie sich den Ort selbst erarbeiten und entdecken. Das ist nun endlich möglich, da das GelĂ€nde zum ersten Mal in seiner Geschichte nicht in Privatbesitz und deshalb frei zugĂ€nglich ist. Ich würde mir wünschen, dass es durch seine Öffnung und die neuen Architekturen, nicht nur digital Arbeitende anlockt, sondern auch die Bewohner animiert sich den Ort einmal genauer anzusehen, anzueignen und als Teil des Dorfes zu betrachten – und dann vielleicht, wenn die nĂ€chste Zeitphase anbricht, die aktuelle Nutzung nicht mehr zeitgemĂ€ĂŸ ist und die jetzt hinzugefügten Figuren zu Ruinen werden, wie von selbst eine neue Nutzung entsteht. Das ist natürlich ein sehr ideeller Gedanke, aber wo wenn nicht hier ist der Raum dazu?

Beurteilung durch das Preisgericht

Der Beitrag liefert einen konzeptionellen Ansatz, das GelÀnde der ehemaligen Steinkohlegrube Frankenholz zu vitalisieren und dem Areal durch gezielte Interventionen zu einer neuen IdentitÀt zu verhelfen. Es werden Zeitschichten sowie ihre Potenziale differenziert und komplex gedacht und vernetzt. Somit entsteht ein spannendes Miteinander von Landschaftsraum, Bestand und Neubau. Ein Beitrag, der vielschichtige AnsÀtze bezogen auf die zukunftsorientierte Revitalisierung lÀndlicher BrachflÀchen aufzeigt.