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Award / Auszeichnung | 11/2017

BDA Masters 2017

WEISS

Preis

Preisgeld: 1.000 EUR

Aldis Pahl

Architektur

Erläuterungstext

WEISS
Wir leben in einer Welt, welche die feine Nuancierung für minimale Details in Vergessenheit geraten lässt und die sich seiner rationalisierten Geschwindigkeit vollends hingegeben hat. In der Kunst, der Musik wie auch in der Architektur wird Weiss als eine ruhige Konstante begriffen und begegnet einem somit auch im alltäglichen Leben immer wieder, jedoch meist unbeachtet. Die Vertiefungsarbeit setzt sich mit der ursprünglichen und ästhetischen Auffassung der Nichtfarbe weiss und ihren physikalischen, phänomenologischen bis hin zu architektonischen Eigenschaften auseinander. Anhand verschiedenster philosophischer wie auch künstlerischer Haltungen wird die Nichtfarbe weiss auf unterschiedlichste Eigenschaften hinterfragt und erlebbar gemacht.

ENTLEEREN
Der erste Schritt im Umgang mit dem alten Pulverturm dient ganz im Sinne von Weiss dem Entleeren. Der »Dom« soll von allen nicht denkmalgeschützten Elementen befreit und bereinigt werden. Somit werden die Fenster sowie die mit Kalksandstein ausgebesserten Teile der Wände entfernt. Unterande- rem werden die Treppe sowie das Obergeschoss entnommen. Auch das Dach mit seiner in den 60er Jahren gedrehten Dachform soll entfernt werden.
Bestehen bleibt die alte historische steinerne Substanz und ein nur 30 Quadratmeter großes Erdge- schoss. Die alte Substanz kann wie ein Gefäß verstanden werden, welches seine Geschichte in die Welt tragen möchte. Somit dient der nächste Schritt dem Befüllen, welches den »Pulverturm« zum Erzählen sowie zum Verstehen verhelfen soll.

BEFÜLLEN
In diesem Schritt wird das Gefäß ideell mit Weiss befüllt. Um Weiss zu verräumlichen wurde nach einer Form gesucht, welche ähnlich wie Weiss einen Unendlichkeits als auch Möglichkeitsraum bildet. Wie in der Vertiefung bereits beschrieben, findet die Wahrnehmung von Unendlichkeit nicht im mate- rialisierten Sinne statt, denn es geht vielmehr um eine von Menschen empfundene Eigenschaft. Somit stellt sich nun die Frage, wie das Empfinden eines Unendlichkeitsraumes materialisiert werden kann.
Sou Fujimoto beschreibt in seinem Buch Primitiv Future die Spirale als eine Physikalisierung der Un- endlichkeit. Die Spirale bietet in seiner räumlichen Konstituierung den Weg der Unendlichkeit. Der räumliche Endpunkt bildet den gedanklichen Anfang und somit die Unendlichkeit. Die Spirale steht als Sinnbild für die Einheit von Denken und Sein, sowie für das Leben als auch für den Tod. Sie kann räumlich, zeitlich als auch materiell und immateriell zugleich sein, und hat somit Große Parallelen zu Weiss.

GELEITET VON WEISS
Die Bestandswände bilden die äußere Haut der Spirale und formen somit das Innere. Der Besucher wird zwischen den alten steinernen Wänden und Weiss immer tiefer in den Unendlichkeitsraum der Spirale geleitet. Das Weiss übernimmt zunächst eine leitende Funktion und setzt die alten Wände in den Vorder- grund. Durch die Faltung der Spirale werden Raumbereiche eröffnet, welche die Blicke des Betrachters auf die alten Wände des Turmes lenken. Somit lässt der Weg zwischen Weiss und den historischen Wänden die Gedanken über die Geschichte des Turmes entstehen.
Immer tiefer dringt der Besucher auf dem Weg in das materialisierte Nichts in das Innere der Spirale. Erreicht er das Zentrum der Spirale, so bewegt er sich nicht körperlich durch das entmaterialisierte Weiss der Wände, sondern bewegt sich geistig weiter. Das gedankliche Weiterlaufen fordert ganz im Sinne von Weiss Kontemplation, Stille sowie Besinnung. Es ist ein Zur-Ruhe-Kommen, um das Ge- sehene zu verar- beiten und sich vielleicht selbst ein Bild von der Geschichte des Turmes zu machen.

STEIN UND WEISS
Von Weiss geleitet, begibt sich der Besucher auf die Fährte der Vergangenheit. Zunächst dient das Weiss, dem Hervorheben von Materialität. Das Weiss der Spirale nimmt sich zurück und stellt so die historischen Steinstrukturen in den Vordergrund. Sie übernimmt jedoch auch die Aufgabe des Leiten- den und nimmt den Besucher an die Hand.
Ebenfalls kann der starke Kontrast zwischen dem noch frischen und unbeschmutzten Weiss der Fal- tung zu der alten Ziegelwand erfahren werden. Hier wird auf die Vergänglichkeit von Weiss angespielt, welches pflegebedürftig immer nach Aufmerksamkeit ruft.

WEISS IN WEISS
Der Endpunkt der Spirale ist ganz in Weiss getüncht und bildet ähnlich wie bei Yves Kleins »Le Vide« einen Unendlichkeitsraum. Anhand der Formsprache der Spirale wird die Entmaterialisierung von Weiss vollends überhöht.
Die Bank im Inneren der Spirale richtet sich auf seine gegenüberliegende Ecke. Durch die von Weiss veranlasste Entmaterialisierung als auch durch die Form der Ecke entsteht eine Tiefenwirkung, welche die räumliche Grenze des Eckpunktes in die Unendlichkeit transformiert. Somit werden das Weiss und ebenfalls der dreidimensionale Raum der Ecke in einen Unendlichkeitsraum übersetzt. Dies ist der Ort, in dem sich Gedanken und Vorstellungen frei entfalteten können und das gedankliche Weiterlau- fen der Spirale beginnt.

VERGÄNLICHKEIT
Weiss steht als Inbegriff für die Vergänglichkeit. Es bedarf der ständigen Pflege. Der fast vergessene Turm wird durch die Zuführung von Weiss immer wieder in das Bewusstsein der Vredener Bevölke- rung gedrängt. Wird er nicht gepflegt, so vergehen das Weiss der Spirale und auch die Eigenschaften des Turmes. Der nicht durch ein Dach geschützte »Pulverturm« wird durch natürliche Einflüsse dem Verfall preisgege- ben. Der aus der Romantik stammende Gedanke des natürlichen Zerfalls wird auch den alten Turm heimsuchen. Somit wird er eines Tages vielleicht überwachsen von Gräsern nur an ein- zelne Stellen weissen Kies hervorblitzen lassen. Es sei denn, die Bevölkerung Vredens pflegt die alten Mauern und das Weiss im Inneren und lassen ihn als Ort von Zeit an der Geschichte Vredens weiter teilhaben.

Beurteilung durch das Preisgericht

Zwei Arbeiten fallen deutlich aus dem ohnehin schon bunt gemischten Kreis der Projekte heraus. Während an einigen beteiligten Hochschulen die konstruktive Ausarbeitung im Vordergrund zu stehen scheint, ist es an anderen eher die gesellschaftlich-soziale Komponente. In Münster dagegen gibt es eine Leidenschaft für künstlerisch-theoretische Ansätze. Die beiden Arbeiten, die am Lehrstuhl von Kirsten Schemel auf diese Art entstanden sind, sind von der Jury jeweils mit einem halben Preis ausgezeichnet worden.

Die Mitglieder der Jury sind Architekten, deren beruflicher Schwerpunkt das Bauen ist. Umso wohltuender ist es, im Rahmen einer solchen Beurteilungsrunde mit der Erforschung elementarer Bestandteile der Architektur konfrontiert zu werden. In diesem Fall mit der Luft und der Farbe Weiß.
Maximilian Steverding nennt seine Arbeit „Aerographen – Luftzeichner“. Sein Versuch über die der Luft innewohnenden architektonischen Qualitäten führt ihn zu so absonderlichen Wesen wie den „Luftmaschen“, die als feines, nur von Temperaturschwankungen in Bewegung gesetztes Gewebe einen Raum zum Vibrieren bringen; oder zu „Windtüchern“, der Erweiterung der fragilen Gewebe in die Flächigkeit; und letztendlich zur „Wolkenblase“, in der sich der Gedanke von sich im Nichts auflösendem Raum versinnbildlicht.
Warum macht Herr Sieverding das?
Fingerübungen, Lockerung, gedankliche Dehnungsaufgaben zum Über-den Tellerrand-Schauen. Das hat, zugegeben, wenig mit Bauen zu tun, setzt aber eine intensive Vorarbeit mit Gebautem voraus. Diese weist Maximilian Steverding in seinem zweibändigen Buch zur Arbeit nicht nur nach, sondern verknüpft seine Kenntnisse auch wunderbar mit den verschiedensten Bereichen künstlerischen Schaffens.

Aldis Pahl geht der Nichtfarbe Weiß nach und spürt ihren physikalischen und phänomenologischen Eigenschaften nach, um daraus einen konkreten skulpturalen Raum zu schaffen, den sie als Spirale bezeichnet und der seinen Besucher, Betrachter oder Benutzer ganz in sich einschließt und so mit der Vergänglichkeit alles Irdischen konfrontiert. In der Kombination des neuen weißen Kunstwerks mit dem ruinösen Mauerwerk, in das es eingeschrieben wird, stellt Aldis Pahl ihre Arbeit in den Zusammenhang zu romantischer Ruinenarchitektur, um sie mit einem melancholisch-kontemplativen Element ausgesprochener Modernität fortzuschreiben.

Die Vorgehensweisen der beiden Preisträger haben uns so gut gefallen, dass wir sie gerne ausgezeichnet haben, auch auf die Gefahr hin, uns ein wenig von der Architektur wegbewegt zu haben. Wir sind sicher, die beiden Preisträger kommen auf dem Umweg über die Kunst wieder zu ihr zurück.