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Nichtoffener Wettbewerb | 02/2018

Gedenkort zur Deportation Thüringer Juden am Standort der ehemaligen Viehauktionshalle

Raum der Erinnerung, Ort zum Verweilen und eine Aussicht mit Zuversicht.
Die Namen der 877 deportierten Juden sind in Schienen eingraviert.

Raum der Erinnerung, Ort zum Verweilen und eine Aussicht mit Zuversicht. Die Namen der 877 deportierten Juden sind in Schienen eingraviert.

2. Preis

Preisgeld: 7.000 EUR

glaßer und dagenbach landschaftsarchitekten

Landschaftsarchitektur

Boris Hars-Tschachotin

Kunst

Erläuterungstext

Die anspruchsvolle Aufgabe, einen Gedenkort zur Deportation Thüringer Juden zu gestalten, wurde von glaßer und dagenbach landschaftsarchitekten in Zusammenarbeit mit dem Künstler Boris Hars-Tschachotin und m.o.l.i.t.o.r., einem interdisziplinären Team mit dem Schwerpunkt der Konzeption und Gestaltung von Ausstellungen und Kunstprojekten bearbeitet.


Die Idee
Der Gedenkort zur Deportation der Thüringer Juden soll ein Raum der Erinnerung sein, aber auch ein Ort zum Verweilen und ein Anlass zur Hoffnung, eine Aussicht mit Zuversicht. Ziel ist es, mit diesem neu zu erschließenden Weimarer Stadtraum alle Menschen zu berühren, die ihn besuchen, auch jene, die sich zunächst nicht für die Geschichte dieses Ortes interessieren.
Der Gedenkort umfasst drei atmosphärisch ganz unterschiedlich aufgeladene Bereiche:
 das Terrain der ehemaligen Viehauktionshalle mit den Resten der Betonpfeiler
 die Schienentrasse, die zur Viehauktionshalle führt, mit der umgebenden Freifläche
 die überwucherten Gleisanlagen nebst Prellbock.

Neue landschaftsgestalterische Elemente sollen den Besuchern in Verbindung mit den historischen Rudimenten und einer raumgreifenden audiovisuellen Skulptur eine vielschichtige Erfahrung ermöglichen.
Das Gedenken an die aus Thüringen stammenden Opfer des Holocausts, ihre Verfolgung, ihre Deportation und ihre Ermordung steht im Zentrum des Entwurfs. Das Denkmal vereint die erinnernde Qualität eines Grabmals mit der Aufforderung zu einem zuversichtlichen Blick in die Zukunft.
Es geht darum, ein Gefühl für diesen ungewöhnlichen, hoch aufgeladenen Ort zu entwickeln. Die ehemalige Viehauktionshalle, die als Sammelplatz für die zu deportierenden Juden aus Thüringen diente, steht für die unvorstellbaren Verbrechen des Nazi-Regimes. Aber auch Ereignisse aus der jüngeren Vergangenheit wie der Großbrand der Halle im Jahr 2015 sollen einbezogen werden. Auch die temporäre Nutzung der Viehauktionshalle im Rahmen des Kunstfests Weimar scheint auf und ist Anknüpfungspunkt für diesen Entwurf. Alle Ereignisse, die sich an diesem historischen Ort kreuzen, sollen den Besuchern assoziativ ins Bewusstsein gerufen werden.

Die drei Areale des Gedenkorts und deren Materialität
1.) Der erste der drei Bereiche wird durch die Grundfläche der ehemaligen Viehauktionshalle definiert und der sich durch die vorhandene begrenzende Rasenböschung auch vertikal separiert darstellt. Dieses langgestreckte Rechteck strahlt mit dem geplanten Birkenhain eine große Klarheit und Feierlichkeit aus. Verwurzelt im dunklen Schottergrund, wachsen die reinweißen Stämme der Himalaja Birken in die Höhe. Der dunkle Boden und die mit ihm kontrastierenden hellen Stämme symbolisieren Tod und Erneuerung, Erinnerung und Zuversicht. Im Zentrum des Birkenhains bietet eine Lichtung einen kontemplativen, stillen Raum. Diese Stätte der Zusammenkunft kann auch für Gedenk- und Kulturveranstaltungen wie Freiluftkonzerte, Tanz und Theater genutzt werden. Schließlich soll der Ort immer auch an das Leben und die Vitalität der Überlebenden erinnern und so der Hoffnungslosigkeit und der Sinnlosigkeit der Vernichtung von vielen Millionen Menschen etwas Aktives, Produktives, Versöhnendes und damit Hoffnungsvolles entgegensetzen.
2.) Den zweiten Bereich des Gedenkorts bildet das geschwungene Dreieck der terrassierten kargen Freifläche. Sie erhält eine Zentrierung durch einen dunklen Monolith aus Beton, der auf dem nordwestlich der ehemaligen Verladerampe wieder freizulegendem Gleis verortet wird. Der fast schwarze Monolith erinnert mit seiner kubisch-kompakten Form aus der Entfernung an einen verbrannten Viehwaggon ohne Räder. Er hat eine Länge von etwa 9 Metern, eine Breite von 3 Metern und eine Höhe von 3,5 Metern.
Die leicht abfallende dreieckige Fläche in wassergebundener Travertin-Tennenfläche mit strukturierenden linearen Pflasterrinnen zitiert in ihrer Form die Symbolik des farbigen Dreiecks, mit dem Deportierte in Konzentrationslagern klassifiziert wurden.
Neu installierte Bänke aus Travertin mit einer Holzauflage werden entlang der Pflasterinnen um den Monolith positioniert, so dass neben dem Birkenhain ein zweiter Ort zum Verweilen entsteht.
Der Monolith selbst lässt über eine Klanginstallation an seiner Oberfläche die Namen der deportierten Juden ertönen, die der Besucher nur erfährt, wenn er sich unmittelbar neben der Skulptur aufhält.
Durch Gucklöcher an einer der Stirnseiten kann man in das Innere des Monolithen schauen. Über audiovisuelle Eindrücke werden Besucherinnen und Besucher so mit dem Thema des Holocausts in Thüringen vertraut gemacht und mit dem persönlichen Schicksal einzelner Menschen konfrontiert. Die Projektionen und die dazugehörige Audioinstallation widmen sich aber auch dem Großbrand, der die Viehauktionshalle 2015 vernichtet hat. So wird eine Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart geschlagen.
3.) Der dritte Bereich der Gedenkstätte wird durch die zugewachsene zweite Gleistrasse – die in Teilen freigelegt wird – und einen Weg am unteren Ende des Terrains definiert. Gut sichtbar werden die Namen der 877 deportierten Juden in diese Schienen eingraviert.
In diesem dritten Segment des Areals gehen die historischen Elemente, also die Gleise und der Prellbock eine Verbindung mit der Natur ein, die sie in Gestalt von Bäumen und Sträuchern überwuchert und so die Dimension der vergehenden Zeit integriert ist. Die Gefahr des Vergessens, des Verlusts und der Auslöschung wird greifbar, zugleich aber eben auch die Kraft der Natur, die selbst nach unfassbaren Verbrechen neues Wachstum und damit vielleicht auch Regenration und so etwas wie Heilung ermöglicht – allerdings nie über den Weg des Vergessens, sondern wie der Ort zeigt, nur über die Erinnerung.

Bäume/ Einbindung in den städtebaulichen Kontext
Der Gedenkort wird stark durch die geplante Baumpflanzung strukturiert und mit seinen umgebenden Flächen verzahnt. Sie gibt dem Besucher eine erste Orientierung an Eingängen sowie eine klare Trennung der Areale des Gedenkorts.
Wichtigster Signalgeber ist der lichte Baumhain aus Himalaja-Birken auf dem Grundriss der ehemaligen Viehauktionshalle.
Die Kiefer, mit ihren dunklen immergrünen Kronen, soll in zwei Reihen entlang der Nord-Süd-Achsen gepflanzt, den Blickfang an den Eingängen und den Rahmen des Gedenkortes bilden, sowie gleichzeitig über das Wettbewerbsgebiet hinaus das im Süden befindliche ehemalige Bahnhofsgebiet einbinden. Um die übergeordnete Wertigkeit weiter zu verstärken, den Park für den Besucher aber nicht zu zerschneiden, sollen die Kronen auf 4,0 Meter aufgeastet werden.
Das Ruderalgrün am südlichen Ende des Wettbewerbsgebiets bleibt größten Teils erhalten, wird lediglich ausgelichtet. Einzelne Bestandsbäume werden im Gleisbett in Szene gesetzt und das Gleis mit dem dunklen Schotter am Boden sichtbar gemacht. Die neu geschaffene Wegeverbindung von Ost nach West wird über das bestehende Ruderalgrün mit der östlichen Brachfläche verzahnt.
Die Linde als ein neu zu integrierendes Elementes soll südlich an das Wettbewerbsgebiet angrenzend eine Orientierung entlang der neuen Wegeverbindung zum Gedenkort von Osten dem Bahnhof und Westen der angrenzenden Straße „An der Klinge“ erzeugen. Durch die Aufweitung der Baumreihe zwischen den Kiefernachsen wird ein Ort geschaffen der zum Verweilen einlädt und den Besucher auf das Eintauchen in den Gedenkort vorbereiten lässt. Durch die Integration von Rampen an der östlichen Kiefernachse wird es auch körperlich eingeschränkten Besuchern ermöglicht den Gedenkort zu erreichen.

Einfriedung und Ausstattung
Der Gedenkort wird ausschließlich im südlichen Bereich angrenzend an die neue Ost-West-Verbindung durch Mauern eingefriedet und erfährt sonst bewusst durch die oben beschriebenen Baumformationen Abgrenzung.
Zur Unterstützung der Formsprache und Gestaltung werden zwei verschiedene Typen von Sitzbänken vorgeschlagen. Einerseits die an den Brand erinnernde schwarz eingefärbte Holzbänke im vollen Quaderformat mit Metallfuß, in chaotischer Positionierung (herabfallende Balken) innerhalb des Birkenhain und weiterhin die geradlinig an den Pflasterrinnen angeordneten linear verteilten Travertin Bänke mit Holzauflageinnerhalb der Freifläche mit Kubus und an der Gleisanlage.
Zur Unterstützung der Orientierung und gezielter Informationsübertragung werden zwei verschiedene Arten von Information-Stelen integriert. Die 3m hohen Eingangs-Stelen geben das Gestaltungskonzept der drei Areale in vereinfachter Form zur Orientierung am Gedenkort wieder. Die historischen Zusammenhänge und Fakten hingegen werden auf den kleineren Informations-Stelen u.a. innerhalb des Gedenkortes im Baumhain, nahe den Ruinenresten der Viehauktionshalle, sowie an der überwucherten Gleisanlage dem Betrachter vermittelt.

Umgang mit bestehenden Elementen und Fauna
Die Betonreste der Ruine der ehemaligen Viehauktionshalle, sowie der an der Gleisanlage werden erhalten. Der Beton wird gereinigt, Risse werden verpresst. Nur die Aufsicht der Betonreste wird mit mineralischer Dichtschlämme vor- und nachgestrichen. Die Metallteile werden grobgereinigt und mit Additiv-Rostschutzmittel konserviert, vor weiterer Verwitterung geschützt. Die Bahnsteige, der Prellbock und Schienen werden freigelegt, dunkler Splitt und Asphalt bilden das neue Gleisbett. Wurde mit dem Splittbett kein ausreichendes Habitat für die bisher hier lebendenden Zauneidechsen geschaffen, so ist eine Verlegung des Habitats anzudenken.

Beurteilung durch das Preisgericht

Der Umgang mit dem historischen Ort erfolgt in einer überzeugenden, einprägsamen und gut nachvollziehbaren Formensprache. Das Nachzeichnen des Grundrisses der Viehauktionshalle als Birkenhain, dessen weiße Stämme gut mit dem dunklen Schottergrund kontrastieren, überzeugt ästhetisch ebenso wie der „Beton Monolith“ auf der kargen, freien Fläche im Süden als Erinnerung an den Transportwaggon, dessen verlorene Schalung aus Brandmaterial der Viehauktionshalle ihm eine einzigartige Oberflächenstruktur verleiht.
Die Originalität des Gesamtentwurfes entspringt einer klaren Schwarz-Weißgliederung und der besonderen Übermittlung der Einzelschicksale der Deportierten mit modernen Medien in dem bereits genannten „Monolithen“. Besonders seine akustischen Informationen zum Leben der Deportierten wirken sehr überzeugend und ermöglichen es, ein Übermaß an zu lesenden Texten zu vermeiden.
Die visuellen Angebote, besonders die starke Präsenz des Themas „Feuer“ scheinen weniger angebracht. Insgesamt wird dem Monolithen jedoch ein hohes Entwicklungspotential beigemessen. Während die Pflegeintensität im Birkenhain vertretbar scheint, wird das Freihalten der großen Splittflächen mit Travertinbändern als aufwendig angesehen.
Die historischen Spuren sind in diesem Entwurf anschaulich gesichert. Die Besucherlenkung und die Möglichkeit des Gedenkens auf verschiedenen Wahrnehmungsebenen werden ebenso wie die Aufenthaltsqualität positiv bewertet. Die Verfasser überschreiten mit Ihren Vorschlägen der Baumpflanzungen im Süden und Osten zwar bewusst den Planungsraum, ein Weglassen dieser Flächen gefährdet aber in keiner Weise den guten Gesamtentwurf. Allein die Frage, ob die überzeugende, aber eher puristische Gestaltsprache dem Wohngebiet Weimar Nord und seinen Bewohnern angemessen ist, wurde im Preisgericht sehr kontrovers diskutiert.
Übersichtsplan des Wettbewerbsgebietes

Übersichtsplan des Wettbewerbsgebietes

Piktogramm der wichtigsten Entwurfselemente

Piktogramm der wichtigsten Entwurfselemente

Birkenhain: Der dunkle Boden und die mit ihm kontrastierenden hellen Stämme symbolisieren Tod und Erneuerung, Erinnerung und Zuversicht.

Birkenhain: Der dunkle Boden und die mit ihm kontrastierenden hellen Stämme symbolisieren Tod und Erneuerung, Erinnerung und Zuversicht.

Die reinweißen Stämme der Himalaja Birken kontrastieren mit dem dunklen Schottergrund.

Die reinweißen Stämme der Himalaja Birken kontrastieren mit dem dunklen Schottergrund.

Für den Gedenkort wurden spezifische Eingangsstelen und Informationsstelen entwickelt.

Für den Gedenkort wurden spezifische Eingangsstelen und Informationsstelen entwickelt.

Schnitte durch die drei atmosphärisch ganz unterschiedlich aufgeladenen Bereiche des Gedenkortes.

Schnitte durch die drei atmosphärisch ganz unterschiedlich aufgeladenen Bereiche des Gedenkortes.

Ein Monolith aus Beton als "Zeitkapsel" auf dem nordwestlich der ehemaligen Verladerampe wieder freizulegenden Gleis.

Ein Monolith aus Beton als "Zeitkapsel" auf dem nordwestlich der ehemaligen Verladerampe wieder freizulegenden Gleis.

Eine Klanginstallation mit den Namen der deportierten Juden ist nur unmittelbar neben der Skulptur zu hören.

Eine Klanginstallation mit den Namen der deportierten Juden ist nur unmittelbar neben der Skulptur zu hören.

Projektionen und dazugehörige Audioinstallationen im Inneren des Monolithen sind durch Gucklöcher an der Stirnseite zu erfahren.

Projektionen und dazugehörige Audioinstallationen im Inneren des Monolithen sind durch Gucklöcher an der Stirnseite zu erfahren.

Von der Vergangenheit in die Gegenwart: Audiovisuelle Eindrücke persönlicher Schicksale, aber auch der Großbrand der Viehauktionshalle 2015.

Von der Vergangenheit in die Gegenwart: Audiovisuelle Eindrücke persönlicher Schicksale, aber auch der Großbrand der Viehauktionshalle 2015.