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Nichtoffener Wettbewerb | 10/2018

Herrengarten in Siegen

2. Preis

Preisgeld: 10.500 EUR

BIERBAUM. AICHELE. landschaftsarchitekten

Landschaftsarchitektur

ErlÀuterungstext


. jedenfalls bin ich als Kind mit meiner Mutter, mit einem Leiterwagen und einem Korb nasser großer WĂ€scheteile regelmĂ€ĂŸig dorthin gepilgert. Ich hatte den Auftrag dort zu bleiben und bei Sonnenschein die WĂ€sche mindestens noch einmal mit Hilfe einer Gießkanne zu wĂ€ssern. Das war eben der Bleichvorgang.

Gestalterische Grundidee
Die gestalterische Grundidee greift die historische Nutzung der FlĂ€che als Bleichwiese auf. Der Herrengarten war bereits zum ausgehenden 19.Jh. in Teilen bereits keine reprĂ€sentative gĂ€rtnerisch gestaltete FlĂ€che mehr, diese lag wohl eher im heute als Stadt bebauten nördlich angrenzenden Teil. Die dem Herrengarten vorgelagerte FlĂ€che an der Sieg war frei zugĂ€nglich, war genutzter Bereich, war öffentlicher Raum. In Anlehnung an diese historische Nutzung transformiert der Entwurf den Herrengarten im Zusammenspiel mit der Uferpromenade und den wieder erkennbaren Talraum zu einer neuen grĂŒnen Mitte. Die Bebauung mit der Knappschaft und des UniversitĂ€tsgebĂ€udes bildet die nördliche Raumkante. Der grĂŒne Platz ergĂ€nzt das Nutzungsangebot des linearen Ufers und schafft Raum fĂŒr ergĂ€nzende urbane Nutzungen – Verweilen, Schauen, Tanzen, in der Sonne in der Wiese liegen oder mit anderen spielen oder Sport treiben, sei es Yoga, CrossFit oder Frisbee. PrĂ€gende Gestaltungselemente sind dabei die wie vom Wind angehobenen „TĂŒcher“, die frĂŒher vom Wasser und der Sonne gebleicht nun selbst zum Sonnenschutz werden und auf Platz- und RasenflĂ€chen einen lichten Schatten werfen. Als leichte Dachkonstruktion verbinden sie die zwei Platzteile und bieten als neues identitĂ€tsstiftendes Element an diesem wichtigen stĂ€dtischen Bindeglied zwischen der Ober- und Unterstadt viele Nutzungsmöglichkeiten.
Der Entwurf nimmt die Gestaltung der bestehenden Uferpromenade auf. Die einheitlichen OberflĂ€chen verknĂŒpften die prominente Stufenanlage mit dem Stadtraum und bilden gleichzeitig den Rahmen fĂŒr die grĂŒne Mitte. Es entsteht ein großzĂŒgiger Quartiersplatz, der sich in seiner Dimension an der Architektur der Unterstadt orientiert.

Platzbereich
Die GrĂŒnflĂ€che als Zitat der ehemaligen Bleichwiese legt sich als Intarsie in das Zentrum des Platzes. Durch die höhengleiche Einfassung aus Granit erhĂ€lt sie eine Rahmung und ist gleichzeitig FlĂ€che zum Verweilen, Liegen und Spielen. Im FrĂŒhjahr mit Zwiebelblumen ĂŒberstanden, orientiert sich eine abwechslungsreiche GrĂ€ser- und Staudenpflanzung mit unterschiedlichen Farben und Texturen im Jahresverlauf zum nördlichen Rand hin. (Jahreszeitliche ErgĂ€nzungen mit Wechselflor setzen zusĂ€tzliche Akzente.) Diese lenkt Blick- und Bewegungsrichtungen und ist gleichzeitig ein Ort zum Verweilen, Betrachten, Riechen, ein Ort fĂŒr kontemplative Erholung inmitten der Stadt.
Die RasenflĂ€che weicht an den sĂŒdlichen Fassaden zurĂŒck und gibt so Raum fĂŒr einen multifunktionalen Platzbereich. Dieser wirkt in VerlĂ€ngerung der FĂŒrst-Johann-Moritz-Straße als wichtiges Bindeglied zwischen Hauptbahnhof und Siegufer. Hier bieten eine großzĂŒgige Sitzlandschaft rund um die Bestandsplatane, freie FlĂ€che fĂŒr z.B. fĂŒr Musik, Lesungen, Tanzen, sich treffen sowie die neuen Sonnenschutz-DĂ€chern attraktive urbane Nutzungsangebote. Gleichzeitig dient dieser als Aufweitung der BrĂŒder-Busch-Promenade und bietet eine ErgĂ€nzung zum linearen Stadtraum an der Sieg.

Die fliegenden DĂ€cher
Die drei DĂ€cher sind parallel zur Sieg orientiert und greifen somit die LinearitĂ€t und Dynamik des Uferverlaufes auf. Sie geben dem Platz eine zusĂ€tzliche rĂ€umliche Struktur und Identifikation. Durch die Anordnung verknĂŒpfen sie den multifunktionalen Bereich mit der ruhigeren GrĂŒnflĂ€che, spenden einen lichten Schatten im Sommer und können durch zusĂ€tzliche Ausstattung als MedienflĂ€che genutzt werden. Die Dachbahnen sollen in ihrer MaterialitĂ€t Stoff / Tuch / Gewebtes assoziieren und werden von filigranen StĂŒtzen getragen.

Materialien und Ausstattung
Die vorhandene Pflasterung aus grauem und gelbem Granit-Kleinsteinpflaster wird aufgegriffen und weiter gefĂŒhrt. Die befestigten FlĂ€chen sind als ruhige, fließende Basis gestaltet, Umfahrung und ParkplĂ€tze sind im Material einheitlich gehalten. FĂŒr die Umfahrung schlagen wir vor das Großpflaster wie im Bestand diagonal weiterzufĂŒhren. Die geforderten barrierefreien StellplĂ€tze sowie die Rettungswege, Anlieferung und Entsorgung sind berĂŒcksichtigt.
Das Rasenparterre mit Stauden- und GrÀserpflanzungen erhÀlt eine 30 cm breite, die Form betonende Einfassung aus grau-gelbem Granit.
Die Ausstattung und Gestaltungselemente wie Sitzelemente, Leuchten und FahrradstĂ€nder sind zurĂŒckhaltend und beziehen sich in Ihrer Ästhetik und Materialwahl auf die Einbauten im Uferbereich. Lange Sitzelemente bieten dem Besucher Aufenthaltsmöglichkeiten. Das beidseitige Sitzen lĂ€sst die Orientierung offen und ermöglicht eine Erlebbarkeit des gesamten Platzes.
FĂŒr Veranstaltungen o.Ă€. sind Ver- und Entsorgungstechnik als Unterflurstationen vorgesehen. Im nördlichen Platzbereich werden die vorhandenen Spielpunkte durch ein weiteres Spielangebot ergĂ€nzt.
Die BestandsbÀume bleiben weitgehend erhalten und werden zusammen mit ergÀnzenden Neupflanzungen in das rÀumliche Konzept eingebunden.

Beleuchtung
Das Beleuchtungskonzept setzt den Schwerpunkt auf die drei DĂ€cher. Von unten angestrahlt werden sie zu schwebende TĂŒchern, fliegenden Skulpturen. Begleitet von der linearen Beleuchtung entlang der Stufenanlage am Siegufer wird von der gegenĂŒberliegenden Seite die rĂ€umliche Tiefe des Platzes erlebbar. Von der FĂŒrst-Johann-Moritz-Straße kommend sind die DĂ€cher von weitem sichtbar und werden zur Landmarke. Je nach Anlass ist durch Farbwechsel und LichtintensitĂ€t eine atmosphĂ€rische Anpassung möglich. Die umlaufenden PlatzflĂ€chen erhalten Mastleuchten in Reihung entlang der Umfahrung und werden in Abstimmung der jetzigen Promenadenbeleuchtung im sĂŒdlichen Bereich ergĂ€nzt. Die Fassaden der umgebenden Bebauung erhalten optional punktuelle Akzentuierungen im Bereich der ZugĂ€nge und auskragender GebĂ€udeteile.
Realisierungsabschnitte
Die zwei vorgesehenen Realisierungsabschnitte können problemlos und weitgehend förderunschÀdlich umgesetzt werden.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die grundsĂ€tzliche Leitidee der Verfasser, eine »GrĂŒne Mitte« als zentrales Element im Stadtraum zu verankern, wird vom Preisgericht positiv gewertet. Die in die steinerne PlatzflĂ€che integrierte RasenflĂ€che wird als richtige Antwort fĂŒr einen grĂŒnen Stadtraum empfunden. Die angrenzenden Straßen- und VerkehrsflĂ€chen gliedern sich in die bestehenden stĂ€dtischen FreirĂ€ume ein. Die durch Sitzmöbel formulierten PlatzflĂ€chen vermitteln durch ihre Dimension zum wichtigen Freiraumelement der BrĂŒder-Busch-Promenade, allerdings wird die Dimension der Platzaufweitungen sehr kritisch gesehen, da fĂŒr diese FlĂ€chen keine adĂ€quate Nutzung gesehen wird. Die Blickachsen zu maßgeblichen Raumkanten z.B. der UniversitĂ€t werden gut aufgenommen, ohne diese durch eine kleinteilige Wegestruktur nachzuzeichnen. Die akzentuierte ErgĂ€nzung der vorhandenen Baumgruppen wird als gelungen empfunden. Der Versuch, ĂŒber die bemĂŒht aus einer angenommenen Nutzung als Bleichwiese hergeleiteten Stahl-SonnendĂ€cher eine Raumbildung zu erzeugen, wird als dem Ort nicht angemessen betrachtet. Hier entsteht keine zusĂ€tzliche AufenthaltsqualitĂ€t an dem ansonsten angenehm ruhigen GrĂŒnraum. Positiv werden die nutzungsoffenen FreiflĂ€chen gesehen, die z.B. in Teilbereichen mit pflegeleichter Wechselflor aufgewertet werden. Eine unter den bestehenden Platanen angesiedelte TribĂŒne, die auch als Kristallisationspunkt fĂŒr z.B. KleinkunstauffĂŒhrungen nutzbar ist, mĂŒsste technisch auch unter den Aspekten des Baumschutzes ĂŒberprĂŒft werden. Die Sitzangebote sind an den richtigen Stellen positioniert und fĂŒr alle Bevölkerungsgruppen gut nutzbar. Die Spielnutzung im Norden der FlĂ€che wird von den Verfassern nicht nĂ€her definiert. Die ebenerdig ausgebildeten FlĂ€chen sind barrierearm, die Materialien gekonnt und robust ausgewĂ€hlt. Durch die großzĂŒgige FlĂ€chenkonfiguration werden AngstrĂ€ume vermieden. Insgesamt stellt diese Arbeit einen wertvollen Beitrag fĂŒr die Zukunft der RĂŒckeroberung eines grĂŒnen Stadtraums dar, auch wenn die Dimension und Ausformung der steinernen PlatzflĂ€chen zu kritisch zu hinterfragen wĂ€ren.