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Nichtoffener Wettbewerb | 11/2018

MUT ZUR LÜCKE – MUT ZU NEUEM 5.0 – konkret in der Lutherstadt Eisleben

1. Preis

Großmann Architektur BDA

Architektur

architekt michael peitz

Architektur

Erläuterungstext

Leitgedanken
Die lange und bewegte Geschichte der Stadt Eisleben mit den unübersehbaren Zäsuren des letzten Jahrhunderts führte zu einem heterogenen Stadtbild mit Bereichen, die durch erhebliche gestalterische und städtebauliche Defizite geprägt sind. Aus dem Spannungsfeld zwischen dem Wunsch nach der „alten Stadt“ und dem Aufbruch in die Moderne unter den bekannten wirtschaftlichen Zwängen erwächst heute ein Nebeneinander von unterschiedlichen Städtebauideen, die sich in ihren Schwächen und Qualitäten vergleichen lassen. Den attraktiven und wertstabilen Standort an der charakteristischen Platzaufweitung zum Jüdenhof in direkter Nähe zum Marktplatz, ist es unser Anspruch, die Stadt weiterzubauen und ihre Identität zu wahren. Der Einflussreichtum zum Leitgedanken: Die Planung eines zeitgemäßen Wohn- und Praxisareals in respektvollem Umgang mit dem vorhandenen Bestand.
Städtebauliche Einordnung
Aufbauend auf der kleinsten städtischen Maßeinheit, der Parzelle, entwickeln wir gemäß der Aufgabenstellung eine Bebauung, welche die alten Fluren nutzt und daraus ihre Maßstäblichkeit im Stadtraum entwickelt. Die so entstehenden Baukörper thematisieren die Frage, wie sich mit den historischen Bezügen und unter Betrachtung der nutzungsspezifischen, wirtschaftlichen und baurechtlichen Forderungen ein Quartier entwickeln kann.
Zwischen den historisch gewachsenen Baufluchten von Jüdenhof und Grabenstraße und den Grenzen der einzelnen Grundstücke entsteht ein Komplex von zwei maßstäblichen Gebäuden mit strikter funktionaler Trennung, die in Größe und Kubatur den direkten Bezug zu den Nachbarn aufnehmen und die Lücke harmonisch schließen. Die Höhenstaffellung der zu ersetzenden Bestandsbebauung an der Nordseite des Jüdenhofes orientiert sich an den vorhandenen Trauf- und Firsthöhen und deren Gliederung.
Die Durchwegung des Quartiers verbindet beide Elemente spannungsvoll als Fortführung der wichtigen Achse vom Markt über den Platz am Jüdenhof in Richtung Süden. Die Erschließung für den Fahrverkehr erfolgt ausschließlich über die Grabenstraße und greift damit nicht in den schützenswerten, ruhigen Kontext des städtischen Platzes ein. Die bebaubaren Flächen des Baufeldes werden unter Einhaltung der vorgeschriebenen Abstandsflächen optimal ausgenutzt.
Im gefangenen Hof, welcher durch das Praxisgebäude und die Durchwegung gerahmt wird, werden PKW Stellplätze zu ebener Erde in ausreichender Anzahl hergestellt. Deren Lage und Beschaffenheit gewährt die direkte und schwellenfreie Erreichbarkeit der beiden Gebäude im Quartier.
Funktionen
Insgesamt werden in den zwei Gebäuden sämtliche Wohn- und Praxisflächen gemäß Anforderungsprofil hergestellt.
Im Wohnhaus zum Jüdenhof entstehen 2-, 3- und 4-Raumwohnungen mit zeitgemäßen, ökonomischen Grundrissen und Zugang zu attraktiven Freisitzen mit unterschiedlicher Lage und Ausformung. Die Grundrissanordnung mit den hofseitigen, geräumigen Außenbereichen bildet eine einladende Alternative zum klassischen Einfamilienhaus in den zersiedelten Randgebieten der Stadt.
Bei der Gestaltung liegt das Augenmerk auf dem Umgang mit Tageslicht, den großzügigen und flexibel nutzbaren Räumen, den klaren funktionellen Strukturen und der sensiblen Detailgestaltung. Die einzelnen Wohnungen verfügen alle jeweils über eine eigene, individuelle Qualitäten. Die versetzte Anordnung der Terrassen bietet genügend Privatsphäre für ihre Bewohner und Freiraum inmitten des städtischen Daseins. Der gut belichtete und begrünte Innenhof dient als Kontaktbereich für den kurzen Plausch und das Spielen mit den Kindern. Eine Ausformung, die vor allem junge Familien anspricht, aber durch die Barrierefreiheit des Aufzuges in Kombination mit den kleineren Wohnungstypen ein integratives Mehrgenerationen-Wohnen ermöglicht. Das Tageslicht wird optimal genutzt und es entstehen ganztägig helle Räume.
Im Geschäftshaus zur Grabenstraße werden zwei Arztpraxen errichtet. Die chirurgische Praxis befindet sich im Erdgeschoß des zweigeschossigen Gebäudes. Im Grundriss werden die Teilbereiche für Sprechstunde und Eingriffe strikt räumlich getrennt und durch eine markante Flurachse, in welcher sich die Wartebereiche befinden, getrennt. Der direkt am Zugang angeordnete Empfang schirmt die Sprechzimmer und Sozielbereiche optimal vom Patientenbereich ab und ermöglicht optimale Einsicht in alle für Patienten frei zugängliche Bereiche. Im OP- Bereich wird durch die räumliche Anordnung von Schleusen, Vorbereitung, Einleitung, OP und postoperativen Bereich die bestmögliche Funktionalität gewährleistet.
Die allgemeinmedizinische Praxis befindet sich im Obergeschoß. Diese Anordnung wurde gewählt, da die räumlichen Anforderungen dieser Praxis grundsätzlich der Struktur des darunterliegenden Teilbereiches der Chirurgie entsprechen.
Der eingeschossige Teil über dem OP- Trakt bietet den geforderten Platz für die geplante Erweiterung für eine zusätzliche Praxis, wobei die funktionale Erschließung und konstruktiven Voraussetzungen bereits im ersten Bauabschnitt geschaffen werden.
Energetisches Gesamtkonzept
Grundidee ist die zentrale Wärmeerzeugung, untergebracht im Wohngebäude zum Jüdenhof, mittels innovativer Brennstoffzellentechnologie mit gleichzeitiger Abgabe von Strom zum Eigenverbrauch unter Inanspruchnahme der lukrativen Förderung aus dem Kraft- Wärmekopplungsgesetz durch KfW und BAFA. Durch die strikte Trennung in zwei Gebäude mit jeweils einheitlicher Nutzung werden besondere, zu kühlende Bereiche in den Praxisflächen örtlich eng zusammengefasst. Die Gebäudehüllen können hinsichtlich der differenten, nutzungsspezifischen Anforderungen resultierend aus Wohn- oder Gewerbenutzung optimal ausgebildet werden. Auf die Integration von Photovoltaik- bzw. Solarthermieelementen in die geneigten und durchaus geeigneten Dachflächen wurde bewusst verzichtet, da diese als störend und ungeeignet im städtebaulichen Kontext empfunden werden.
Barrierefreiheit
Sämtliche Wohnungen, Gewerbe- und Optionsflächen sind barrierefrei konzipiert und schwellenfrei erreichbar. In beiden Gebäuden sorgt ein Aufzug für die behindertengerechte, innere Erschließung. Die Zweiraumwohnung im EG (WE 02) erfüllt alle Anforderungen an die Benutzung durch Bewohner, die auf die dauerhafte Nutzung eines Rollstuhls angewiesen sind.
Konstruktion und Material
Der geplante Neubau spricht eine eigene, zurückhaltende, zeitgemäße Sprache mit Rückgriff auf die vorgefundene Materialität und die Nachbarbebauung. Die Außenhaut der Baukörper besteht aus Klinker- und Putzfassaden. Die straßenseitig traufständigen Satteldächer erhält eine Metalldeckung mit patinierten Oberflächen.
Unter Betrachtung von bauökologischen und wirtschaftlich nachhaltigen Aspekten empfehlen wir im Bereich der Konstruktion und Materialität des Gebäudes wertbeständige Baustoffe wie Tonsteine, Verblendklinker, Holz-Alu-Fenster, mineralische Wärmedämmsysteme und Holzwerkstoffe zu verwenden.
Durch die gewählte Konstruktion und Gliederung sowie die Applikation gestalterisch anspruchsvoller Fassadenelemente ausschließlich in exponierten Teilbereichen wird dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit aus Sicht der Errichtungskosten in besonderem Maß entsprochen.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Arbeit gliedert das Areal klar in zwei straßenbegleitende Baukörper entlang des Jüdenhofs und der Grabenstraße und nimmt damit die Typik der geschlossenen altstädtischen Quartiersstruktur auf. Dabei sind die Funktionen jeweils in getrennten Gebäuden organisiert. Die ärztlichen Nutzungen sind entlang der Grabenstraße konzentriert, während das Wohnen, weitgehend nach Süden ausgerichtet den Jüdenhof abschließt. Diese konsequente Trennung vermeidet Kollisionen zwischen dem Publikumsverkehr der ärztlichen Nutzungen und dem Bedürfnis nach Privatheit in den Wohnbereichen. Die vorgeschlagenen zwei bis dreigeschossigen Volumina fügen sich sehr angemessen in die historische Altstadt; auch architektonisch wird eine sensible Balance zwischen rücksichtsvoller Einfügung in den Bestand und einer eleganten, zeitgenössischen Architektursprache gefunden. Gut vorstellbar ist die Kombination aus lebendigem Klinker als Fassadenmaterial und den haptisch angenehmen Holzflächen, die den Fassaden einen warmen Charakter verleihen.
Der Innenhof ist, bedingt durch den hohen Stellplatzbedarf, weitgehend dem Parken vorbehalten, wobei die Funktionstüchtigkeit der relativ engen Zufahrt überprüft werden müsste. Es gelingt den Verfassern aber sehr geschickt, den Wohnbereichen gut nutzbare, individuelle Freiräume zuzuweisen, die eine hohe Wohnqualität erwarten lassen. Die chirurgische Praxis ist sehr sinnvoll organisiert. Durch die mittige Anordnung des Zugangsbereichs im unmittelbaren Anschluss an den Stellplatz für den Liegendtransport ist eine klare Trennung in den allgemeinen Behandlungsbereich und den OP-Trakt möglich. Auch die allgemeinmedizinische Praxis im Obergeschoss ist funktionstüchtig.
Durch die vorgeschlagene Aufstockung entlang der Grabenstraße, die den historischen Stadtraum wieder schließen würde ist eine Erweiterung um eine weitere Praxis problemlos möglich. Die Wohnungen sind in Größe und Zuschnitt angemessen. Jede Wohnung verfügt trotz der beengten innerstädtischen Verhältnisse entweder über einen kleinen individuellen Garten oder über Loggien und Terrassen und lassen somit eine hohe Akzeptanz für potentielle Mieter erwarten.
Insgesamt stellt die Arbeit einen sehr guten Beitrag zur Lösung der schwierigen Aufgabe dar und ihre Realisierung wäre eine Bereicherung für dieses wertvolle innerstädtische Quartier.
Der Abschluss der Raumkante zum Jüdenhof ist lebendig, zeitgenössisch und dennoch respektvoll gegenüber der Umgebungsbebauung. Desgleichen ist der Vorschlag für die Grabenstraße angemessen in Körnung, Materialität und Kubaturen. Positiv zu bewerten ist, dass das Weiterbauen der Raumkante an der Grabenstraße möglich bleibt. Die Klinkerverkleidung ermöglicht eine Einpassung in die in der Eisleber Innenstadt schon vorhandene Haptik und Farbigkeit.