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Offener Wettbewerb | 12/2018

Neugestaltung Marktplatz und Bohl in St. Gallen

1. Rang

Lorenz Eugster Landschaftsarchitektur und Städtebau GmbH

Landschaftsarchitektur

Brassel Architekten

Architektur

FlĂĽhler Architektur

Architektur

mrs partner ag

Bauingenieurwesen

WaltGalmarini AG

Bauingenieurwesen

Beurteilung durch das Preisgericht

«Anhand des Raumes Marktplatz - Bohl lässt sich beispielhaft der gesellschaftliche Wandel seit der Staatsgründung ablesen. Den Hintergrund bildet die mittelalterliche Altstadt, deren Transformation bis heute ebenso gründlich erfolgt ist. Was bringt uns die Zukunft?
Auch dies wird der Marktplatz abbilden; wir möchten ihn bereit halten für Tradition, Tourismus, Markt und Festlichkeit.»

Mit diesem engagierten Auftakt in ihrem Erläuterungstext erkennen die Verfassenden
die grosse Bedeutung und Komplexität der vorliegenden Aufgabenstellung; gleichzeitig
setzen sie sich damit für deren Bewältigung hohe Massstäbe. Auf der Basis einer gründlichen historischen Analyse schlagen sie ein neues Kapitel der bewegten Geschichte des Ortes auf, indem sie die durch den motorisierten Verkehr erfolgte, räumliche Trennung
von Marktgasse und Marktplatz und Bohl in Frage stellen. Die ursprĂĽngliche Hauptachse
von Norden nach SĂĽden soll ihre Bedeutung zurĂĽckerobern und an der Schnittstelle
mit ihrer Querachse ein offener, grosszügiger und städtischer Raum von magnetischer
Ausstrahlungskraft entstehen, der flexible Szenarien fĂĽr vielseitigste Bespielungen
aufnehmen kann.

Dieser intelligenten städtebaulichen Wiedererwägung muss schlüssigerweise denn
auch die Rondelle aus den 1950er-Jahren zum Opfer fallen, die «zeichenhaft für das
Automobilzeitalter am Gelenk des Raumes» steht und die erwähnte Bezugsachse vom
Klosterbezirk zur nördlichen Altstadt auf ungünstige Weise verstellt. Ersetzt wird sie
durch ein den heutigen BedĂĽrfnissen und Lebensvorstellungen entsprechendes, luftiges
Doppelvolumen, in dem auch der ständige Markt Platz findet. Auch wenn diese neue
Baustruktur mit ihrer ebenso zeichenhaft fliegenden Dachkonstruktion noch allzu zentrisch in diesem Raum steht, zeigt sie doch sehr schön die Möglichkeiten einer flexiblen
Bespielung und einer allseitigen Orientierung auf. Der durch die mittige Positionierung
erzeugte Konflikt hinsichtlich Anlieferung und Flexibilität der Platznutzung kann durch ein
Verschieben des Doppelvolumens in Richtung Nordwesten problemlos gelöst werden.
Der modulartige Aufbau des Pavillons erlaubt jederzeit bedarfsabhängige Anpassungen.
Auf sensible Weise hält die neue Baustruktur durch ihre polygonale Form auch die Erinnerung an die ersetzte Rondelle wach.
Das grösste Potential des Vorschlages liegt aber im grossflächigen und zusammenhängenden Raum, der durch die nach Westen zurückgezogene Stirn der neuen Marktbebauung entsteht: Diese Massnahme verwandelt die trompetenförmige Marktgasse in eine frei bespielbare, ausgedehnte Fläche für die unterschiedlichsten Aktivitäten:

Sie bietet Raum für den Aufenthalt, vielfältigste Marktszenarien sowie unterschiedlichste
Veranstaltungen. Der eigentliche Mehrwert des Vorschlages liegt also in dieser Leere als
dem eigentlichen «Kapital», dank dem das historische Zentrum wieder zu neuem Leben
erweckt werden kann.
In weiterführendem Sinne erkennen die Verfasser auch das Potential einer «Renaissance» des Marktes, indem dieser sich auf frische und regionale Produkte zurückbesinnen soll: So stellen sie den Markt als gesellschafts- und epochenverbindendes
Element ins Zentrum ihrer stadträumlichen Intervention. Die räumliche Verschmelzung
von Marktgasse und Marktplatz – als das Resultat einer mutigen Weiterschreibung der
Geschichte – erzeugt die erwähnte räumliche Grosszügigkeit, die durch die Abspannung
der Beleuchtung ĂĽber den ganzen Platz hinweg auch nachts zur vollen Entfaltung kommt.
Entsprechend der Lektüre als zusammenhängender Stadtraum wird der gesamte Bereich – mit Ausnahme der ÖV- Trassen – durchgängig gepflastert. Dabei wird der Pflasterbelag leicht nuanciert, um die Akzentuierung der Nord-Süd-Achse herauszuarbeiten.
Die flankierenden Raumtaschen von Marktplatz und Bohl werden – zwischen künftiger
Bibliothek und Waaghaus – beidseitig als baumbestandene Plätze interpretiert. Auf dem
Bohl zonieren neu gesetzte japanische Schnur- und Geweihbäume den Raum um die dortige Haltestelle; jedoch böte der Bohl noch mehr Potential für das Aufstellen von Zelten,
wenn zwischen den Bäumen mehr zusammenhängende Flächen entstehen würden.
Auf dem Bohl bleibt gemäss Erläuterungstext offen, ob die bestehende Calatrava-Halle
ersetzt oder erhalten werden soll; der Entscheid ist der GesamtlektĂĽre des Ortes, der
Vorstellung eines zusammenhängenden Raumes untergeordnet. Die Calatrava-Halle
stellt für die St.Galler Bevölkerung ein identitätsstiftendes Zeichen auf dem Bohl dar.
Ohne Notwendigkeit empfiehlt die Jury den Beibehalt des heutigen Bauwerks. In jedem
Fall aber mindert die vorgeschlagene Baumbepflanzung die stadträumliche Präsenz des
Haltestellendaches in diesem historisch wertvollen Querraum. Nordseitig ergänzt eine
neue, gedeckte Haltestelle gegenĂĽber dem Markplatz die bestehende Ă–V-Situation. Ihre
ununterbrochene Länge vor der historischen Häuserzeile scheint jedoch noch etwas
überdimensioniert. Bis auf die erwähnte Anlieferungsthematik im Marktbereich sind ÖV-,
Taxi- und Fahrradstandorte zweckmässig positioniert; im zentralen Bereich stellt sich
betreffend den PflasterĂĽberfahrten die Frage der Machbarkeit.

Auch in wirtschaftlicher und ökologischer Hinsicht bietet das Projekt eine ausgezeichnete Grundlage für eine zeitgemässe wie auch politisch verträgliche Umsetzung. Die
intelligente Vernetzung der vielfältigen, in vielen Projekten kaum vereinbar scheinenden
Aspekte der hier gestellten Aufgabe verspricht eine zukunftsorientierte und nachhaltige
Lösung, die durch ihre weitsichtige Grundhaltung generationen- und epochenübergreifende Entwicklungsfähigkeit verspricht.
Zusammenfassend liegt der grosse Wert dieses Beitrages in einem mutigen Befreiungsschlag: Auf der Basis einer akribischen Auseinandersetzung mit der Stadtgeschichte gelingt der Verfasserschaft die Zurückeroberung, Stärkung und Neuinterpretation einer dem Stadtplan von St.Gallen eingeschriebenen Charakteristik: Die mittelalterliche Hauptachse vom Klosterbezirk Richtung Norden erhält ihren ursprünglichen Wert zurück und wird auf intelligente Weise mit der heutigen Verkehrsachse in Querrichtung verschränkt.
Die ĂĽberraschend plausible Geste einer ZusammenfĂĽhrung und Belebung von Marktgasse
und Marktplatz kann massgeblich dazu beitragen, dass der aus ihrem Ursprung gewachsenen Stadt ein neues, identitätsstiftendes Zentrum, ein ruhiger und zusammenhängender Raum mit städtischer Atmosphäre zurückgegeben werden kann.