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Offener Wettbewerb | 07/2019

Rosenstein – Ideen für den neuen Stadtteil Stuttgart 2018

3. Preis

Preisgeld: 35.000 EUR

ARS Thomas Herrmann und Martin Hornung

Architektur, Stadtplanung / Städtebau

~ GRÜNE WELLE, lebendige Landschaftsarchitektur

Landschaftsarchitektur

BrennerPlan GmbH - Planungsgesllschaft für Verkehr, Stadt und Umwelt

Verkehrsplanung

Reallabor Space Sharing, Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart

Stadtforschung, Universitäten / Hochschulen

Béla Berec Architektur-Modellbau-Gestaltung

Modellbau

Wolfram Gothe

Visualisierung

Erläuterungstext

Stuttgart öffnet sich

Mit der Konversion der Bahnflächen hat Stuttgart die Chance, sich aus der Enge seiner Kessellage zu befreien.
Die Innenstadt öffnet sich ins Neckartal. Der „Grüne Fjord“ der Schlossgarten-Anlagen wird zum zentralen, nach allen Seiten vernetzten öffentlichen Raum.
Die Königsstraße findet ihre Fortsetzung in einer urbanen Esplanade am Park, der sich nach Norden hin aufweitet. Mit einer Neuinterpretation der Doppelsee-Anlage aus dem Thouret-Plan und zwei herausragenden Kulturbauten gelingt der Sprung über den „Cityring“.
Der Gleisbogen der ehemaligen Gäubahn führt als Flanier- und Radweg in die Mitte des neuen Stadtteils, zu den Wagenhallen und nach Feuerbach.
Vorhandene Strukturen, Wege- und Blickbeziehungen werden aufgenommen und weitergeführt, alte und neue Quartiere engmaschig untereinander und mit der Gesamtstadt verwoben.
Bestehende Initiativen, neue Kultureinrichtungen und weit über den Schulbetrieb hinaus aktive Schulcampus werden zu Inkubatoren, die die Entwicklung des Stadtteils anregen und voranbringen.

Stadt als Prozess
Städte verändern sich permanent und sind nie zu Ende gebaut. Ihre funktionale, soziale und räumliche Qualität hängt aber davon ab, ob die vielen planerischer Einzelentscheidungen, nach denen sie sich entwickeln, einem konsistenten Leitbild folgen. Unser Wettbewerbsbeitrag für den Stadtteil Rosenstein fixiert keinen fertigen „Idealplan“, sondern projiziert mögliche „Szenarien der Vielfalt.“
Dabei werden Bestandsstrukturen als Keimzellen der Stadtentwicklung und zur Aktivierung des öffentlichen Bewusstseins genutzt. Wagenhallen, Lokschuppen, Gleisbogen und Überwerfungsbauwerk stehen für die bisherige Identität der Areale und werden als Wahrzeichen, Ankerpunkte und Frequenzbringern weiterentwickelt.
Die subkulturellen, kulturellen und bürgerschaftlichen Initiativen im Nordbahnhofviertel sind ein wesentlicher Bestandteil der Konzeption. Als Inkubatoren sind sie ebenso unverzichtbar für Akzeptanz, Kontinuität und Qualität der Stadtentwicklung wie neue öffentliche Einrichtungen, die mit den Bewohnern des Stadtteils interagieren.
Bei der Umsetzung wird das Leitbild im ständigen Dialog mit der Stadtgesellschaft und der Bevölkerung fortgeschrieben und modifiziert. Öffentliche Baugesellschaften, Genossenschaften, Bauträger und Privatinvestoren sind ebenso wie Baugemeinschaften, Start-Up-Szene, Vereine und Commons aufgerufen, exemplarisch neue Gesellschafts- und Lebensformen zu verhandeln und die Möglichkeitsräume der Zukunft zu gestalten.
Moderiert wird dieser Prozess von einer städtischen Projektgesellschaft, die die Vielfalt der Akteure und Nutzer durch Konzeptvergaben garantiert. Dies funktioniert um so besser, je mehr die Stadt den Zugriff auf Grund und Boden hat und – zum Beispiel über Erbbaurechte – auch behält. So wird das offene Leitbild für den Stadtteil Rosenstein zur Grundlage für ein lebendiges, zukunftsfähiges Stück Stadt.

Stadt der Vielfalt - postfordistische Lebensräume
Die Funktionstrennung der klassischen Moderne von Wohnen, Arbeiten und Freizeit und die damit verbundene monofunktionale Widmung von Flächen ist nicht mehr zeitgemäß und muss schrittweise zu einer Stadtlandschaft der Vielfalt restrukturiert werden. Es geht dabei um Themen wie Gemeinschaftliches Wohnen und Arbeiten, Generationen Wohnen, Cluster-Wohnen, alternative Produktion, Verkauf und Kauf bzw. Konsum von Waren und Dienstleistungen, Hybridisierung, Space Sharing, Repair and Care, Pre-, Re- and Upcycling, Urban Farming (Pflanzen und Tiere), um eine alternative, dezentrale Energiegewinnung (Solarthermie, Solar- und Bioreaktoren, Windkraft, etc.) und nicht zuletzt um die Mobilitätswende als ganzheitliches Zusammenführen der Individual- und Massenmobilität.
Das Flächenlayout kann deshalb keinen festen Zustand wiedergeben, sondern zeigt eine Nutzungsverteilung, wie sie unter den derzeitigen Umständen zu erwarten wäre: Obergeschosse werden überwiegend bewohnt, die Erdgeschosse öffentlich, sozial oder gewerblich genutzt. Um die S-Bahn-Stationen konzentrieren sich Einzelhandel und publikumsnahe Dienstleistungen. Entlang der Erschließungsloops siedeln sich Handwerker und kleinteilige Produktionsstätten an.
Die großflächigen Schulcampus sind ins Stadtgefüge eingebunden. Schulhöfe und innere Erschließung bilden (halb-)öffentliche Wege und Plätze. Die Standorte können „atmen“, sich je nach Bedarf vergrößern, verkleinern und andere Nutzungen aufnehmen. Die Dimensionen der namentlich geforderten Einrichtungen orientieren sich an den „Empfehlungen für einen zeitgemäßen Schulbau in B.-W. 2013“.

Mobilität in der Fünf-Minuten-Stadt
Die hervorragende Anbindung an die Hochleistungstrassen von S-Bahn und Stadtbahn wird ergänzt durch einen Ringverkehr mit langsam fahrenden autonomen Elektro-Kleinbussen, der bei minimalem Abstand der Bedarfshaltestellen alle Stadtfelder untereinander und mit den Mobilitätsdrehscheiben an den S-Bahn-Stationen Nordbahnhof, Mittnachtstraße und am Hauptbahnhof verbindet.
Der motorisierte Individualverkehr konzentriert sich auf zwei leistungsfähige Nord-Süd-Straßen mit guter Anbindung ans übergeordnete Verkehrsnetz. Langsamfahrstrecken im Bereich wichtiger Querungen verhindern eine Nutzung als Ausweichstrecken für überörtlichen Verkehr.
Der ruhende Verkehr ist unabhängig von der sonstigen Bebauung in Quartiersgaragen und den Mobilitätsdrehscheiben entlang dieser Straßen untergebracht. Car- und Bike-Sharing-Angebote sowie Elektrokleinstfahrzeuge für die „letzte Meile“ helfen bei der Verringerung des MIV. Damit sind alle weiteren Stadträume weitgehend autofrei.
Zügig geführte, aussichtsreiche Radschnellwege verknüpfen den Stadtteil mit der Innenstadt, dem Neckartal und den Halbhöhenlagen in Norden und Westen. Zu Fuß erreicht man von jeder Stelle des Stadtteils in fünf Minuten alles, was man für den täglichen Bedarf benötigt.

Grün-blaue Infrastruktur – Stuttgarter Sumpf / Stadtbiotope / Stadtökologie
Die neu gewonnenen Parkflächen werden als attraktiver öffentlicher Freiraum und zugleich als grün-blaue Infrastruktur für den ökologischen Stadtmetabolismus entworfen. Leitmotiv für die Entwicklung der Parkergänzungen entlang der Platanenallee ist der landschaftliche Urzustand eines vernässten Talbodens. Als sichtbares Pendant zum verdolten Nesenbach entsteht ein vernetztes System von oberflächlichen Rigolen, Retentionsflächen, Wasserläufen und Wasserkörpern, das gemeinsam mit den vorhandenen Wasserflächen die Retention, Reinigung und Infiltration des gesamten anfallenden Oberflächenwassers übernimmt.
So entstehen hochwertige und standortgerechte Biotope mit hoher Biodiversität: Neben den aquatischen Lebensräumen zahlreiche Uferzonen, Feuchtwiesen, Schilf- und Staudenfluren für semiaquatische Insekten, Amphibien und Vögel. Diese Biotope werden in das Freiraum- und Wegenetz der Parkanlage integriert und erfahrbar gemacht. Es entstehen ökologische Ausgleichsflächen mit hohem didaktischen und ökosystemarem Wert.
In den dicht bebauten Stadtquartieren werden alle Dachflächen begrünt. Dachgärten dienen als gemeinschaftliche Freibereiche für Spiel, Erholung und Urban Gardening. Auch Außenspielflächen der Schulen werden auf den großen Flachdächern angeboten, andere Teile werden zur Energiegewinnung genutzt.

Europaviertel – Die Innenstadt wird größer und bunter
Ein dichtes, lebhaftes Stadtquartier erweitert die City und korrespondiert mit dem Schlossgarten. Die begonnene städtebauliche Struktur wird aufgenommen und zur Esplanade hin kleinteilig verdichtet. Zwei parallele Straßenräume mit unterschiedlichem Charakter erschließen ein autofreies Stadtviertel, das mit überraschenden Ausblicken, kleinen Plätzen, halböffentlichen Hofräumen sowie einer vielfältigen Nutzungsmischung mit hohem Wohnanteil zum Bummeln einlädt. Andienung und MIV-Erschließung erfolgen vom Cityring aus über eine unterirdische Lieferstraße.

Nordbahnhofviertel – das Neue aus dem Alten entwickeln
Das alte Eisenbahnerviertel ist der Ausgangspunkt und bleibt das Herz des Stadtteils. Durch die Öffnung der Ost-West-Verbindungen zum Schlossgarten und zum Wagenhallenviertel gewinnt das Gebiet neue Qualitäten. Um so wichtiger ist der Schutz der vorhandenen sozialen Milieus als Voraussetzung für die Entwicklung eines insgesamt vielfältigen, zukunftsfähigen Stadtteils.

Rosensteinviertel - urbane Vielfalt im Park
Drei Landschaftsfugen verzahnen die Stadt mit dem Park. Differenzierte Freiraumtypologien bedienen die unterschiedlichen Öffentlichkeiten im Stadtraum. Starke Nachbarschaften mit einer hohen sozialräumlichen Aneignungsqualität im Innern werden ergänzt durchgroßzügige Grünräume, die mit ihrer Erholungsfunktion die Wohnqualität steigern und zugleich Raum für Biotope und Retentionsflächen schaffen. An der Schnittstelle zum Nordbahnhofviertel entsteht das neue Stadtteilzentrum. Die übergeordnete Freiraumstruktur des Gleisbogens (ehemalige Gäubahntrasse) verknüpft die neuen Quartiere mit dem Stuttgart von heute. Eine offene Reihe von Wohnhochhäusern mit sozial oder gewerblich genutzten Sockelbereichen bildet den Abschluss zum Rosensteinpark und leitet über zum Wagenhallenviertel.

Wagenhallenviertel – Stadt- und Lebensmodelle für übermorgen
Das Stadtlabor im Umfeld der Wagenhalle dient als Impulsgeber für innovative Entwicklungen u. a. auf Basis der Mehrfachnutzung von Raum (Space Sharing) und Nutzungskombination von Raum (Hybrid Space) durch unterschiedliche Nutzer*innen und Nutzungen: Case Study Haus trifft Case Study Quartier trifft Case Study Stadt.
Vor dem Büroquartier Prestelstraße bilden hybride Gebäudetypen mit Büros, Laboren, Co-Working-Zonen und Wohnungen einen Arbeits- und Lebensraum für Startups und ihre Akteure.
Zwischen Nordbahnhofstraße und Stadtlabor wird versucht, direkt an die urbane Qualität der dichten, vermischten Stadt der Gründerzeit anzuknüpfen und sie auf heutige Anforderung und Bedürfnisse zu übertragen.

Beurteilung durch das Preisgericht

Das städtebauliche Konzept basiert auf der Grundidee, das neue Stadtquartier mit dem Freiraum in Ost-West-Richtung zu vernetzen. Ein fließender Übergang in den Schlossgarten wird in den unterschiedlichen Teilbereichen verwirklicht. Die Philharmonie bildet ein markantes Gelenk am Übergang vom Mittleren Schlossgarten in den Unteren Schlossgarten an der Wolframstraße. Auch beim Überwerfungsbauwerk wird mit dem Haus der Kulturen als Solitärbaukörper eine Vernetzung zwischen Freiraum und Baustruktur erreicht.

Auf dem Gleisbogen der ehemaligen Gäubahn werden ein Flanierbereich und ein Radweg ausgebildet, die von der Mitte des neuen Stadtteils aus über den Gleisbogen bis zu den Wagenhallen führen. Das Herz des Rosensteinquartiers bildet ein Marktplatz mit gastronomi-schen Nutzungen, Einzelhandel und Bildungseinrichtungen. Die Hochpunkte am Gleisbogen, die sich zum Rosensteinpark orientieren sowie der dortige Umgang mit dem Höhensprung sind wenig überzeugend.

Im Europaviertel wird mittels einer Blockstruktur, die in der Höhe und in der Tiefe strukturiert ist, eine Vernetzung mit dem westlich angrenzenden Gebiet erzielt. Zum Mittleren Schloss-garten hin wird mit einer Esplanade der Hauptbahnhof qualitätvoll an den Gleisbogen ange-bunden. Das Europaviertel ist ein autofreies Stadtviertel, das über eine vielfältige Nutzungsmischung belebt wird.

Das Rosensteinviertel wird durch differenzierte Blockstrukturen geprägt, die den Lokschup-pen selbstverständlich einbinden und eine hohe Wohnqualität erwarten lässt. Auf der Ebene der Mikroquartiere werden verschiedene Wohnmodelle vorgeschlagen (Baugruppen, genos-senschaftliches Wohnen, Stadthäuser). Die Platzierung der Einrichtungen des Gemeinbedarfs sowie der Nahversorgung ist nicht optimal. Der vorgegebene Flächenbedarf für die soziale Infrastruktur kann nicht nachgewiesen werden.

Das Wagenhallenviertel ist als Stadtlabor konzipiert, das als Impulsgeber für innovative Entwicklungen fungieren soll (Arbeits- und Lebenswelten, Co-Working-Spaces, öffentliche Stadträume). Im Kanon der vorgeschlagenen Wohn- und Arbeitsformen können von dieser Quartiersprägung positive Impulse auf die Stadtteilentwicklung ausgehen.

Der Freiraum ist durch ein differenziertes Fußwegenetz und eine intensive Wasserlandschaft geprägt. Die Sportanlagen im Norden liegen im Rosensteinpark und können so nicht realisiert werden (LSG, FFH-Gebiet). Die erforderlichen trocken-warmen Lebensräume zwischen Rosensteinviertel und Schlossgarten sind nicht nachgewiesen.
Die Unterbauung der S-Bahn in der Athener Straße sowie die Möglichkeit eines dritten Gleises an der S-Bahnhaltestelle Mittnachtstraße wurden berücksichtigt.
Es fehlt die Anbindung der Gäubahn ebenso wie die Berücksichtigung der „Zukunftsoption“ Nordkreuz.


Das Mobilitätskonzept zeigt eine schlüssige Lösung für alle Verkehrsarten. Dabei ist insbesondere die Durchlässigkeit in Ost-West-Richtung für Fuß- und Radverkehr hervorzuheben. Die Gebietserschließung ist gelöst, aber im Bereich des Stadtteilzentrums funktional anzupassen.

Der kompakte Entwurf zeichnet sich durch eine gute Südorientierung aus. Lediglich einzelne Punkthäuser könnten aus energetischer Sicht bei einer Überarbeitung überdacht werden.

Die maßgeblichen Durchlüftungsachsen sind berücksichtigt. Eine klimatische Verzahnung und wirkungsvolle Grünvernetzung ist vorhanden. Die Blockstruktur ist für die Durchlüftung nicht optimal.

Der Gleisbogen wird stärker transformiert, das Gelände teils abgetragen, das Überwerfungsbauwerk ins neue Lindenmuseum integriert. Insgesamt bleibt das Verkehrsband aber noch erlebbar. Dem Lokschuppen fehlt sein „natürliches“ Vorfeld, d. h. die Schiebebühne. Wichtige Teile des Denkmals bleiben aber bestehen.

Insgesamt stellt der Entwurf einen guten Beitrag zu der gestellten Aufgabe dar, weil es ihm gelingt, das Neue und den Bestand intensiv zu vernetzen und zugleich neue Wohn- und Lebensformen zu schaffen. Es bleibt jedoch die Frage, ob die die grünen Fugen nicht der Idee einer starken Quartiersidentität entgegenstehen könnten.
Blick auf die Esplanade

Blick auf die Esplanade

Rosenstein Zentrum mit Wochenmarkt

Rosenstein Zentrum mit Wochenmarkt

Quartiersplatz

Quartiersplatz

Quartierseingang Nord-Ost

Quartierseingang Nord-Ost

Grüne Finger Ost

Grüne Finger Ost

Überblick Süd

Überblick Süd

Wagenhallen

Wagenhallen