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Offener Wettbewerb | 07/2019

Rosenstein – Ideen für den neuen Stadtteil Stuttgart 2018

4. Preis

Preisgeld: 20.000 EUR

Tovatt Architects & Planners

Architektur, Stadtplanung / Städtebau

Ramboll Deutschland GmbH

Landschaftsarchitektur

Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE

Energieplanung

StetePlanung Büro für Stadt- und Verkehrsplanung

Verkehrsplanung

Urban-Think Tank

Stadtforschung

Prof. Dr. Christina Simon-Philipp

Stadtforschung

Verena Loidl

Stadtforschung

Erläuterungstext

Stuttgart - Leitideen und Städtebau für die Stadt von Morgen

Im Herzen einer dynamischen städtebaulichen Entwicklung stehen der Mensch und seine Zukunft. Die vielfältigen Bedürfnisse, die Schönheit des öffentlichen Raums und die sinnvolle Planung der städtischen Landschaft beschreiben einen Großteil des kulturellen Gutes, auf welchem unsere Städte gründen. Die Städte in denen wir uns wohlfühlen, beinhalten sinnliche, wie auch greifbare Erlebnisse über einen langen, ununterbrochenen Zeitraum hinweg; in den räumlichen und architektonischen Motiven, in den Anbindungsmöglichkeiten wie auch den feinen Abgrenzungen zwischen dem öffentlichen und dem privaten Raum finden wir Grundprinzipien, welche die Stadt und ihre Bewohner leiten und formen – und auch umgekehrt. Infolge von neuen, großflächigen Stadtentwicklungen, müssen die Verbindungen zu lokalen Biotopen sozialer, kultureller oder ökologischer Art erst einmal entstehen und sich materialisieren. Rosenstein muss integrieren und ausstrahlen, sozial und räumlich auf allen Ebenen und in unterschiedlichen räumlichen Kontexten. Es entsteht ein Stadtteil, der einen städtebaulichen, ökologischen und sozialen Mehrwert für die ganze Stadt darstellt.
Das neue Stadtgebiet Rosenstein wird von drei strukturellen Kräften beeinflusst: Kanten, Verbindungen und Erinnerungen. Diese Aspekte und eine Reihe architektonischer Lösungen, die sich jenseits von traditionellen planerischen Ansätzen bewegen, sind prägend. Das Freiraumkonzept sichert eine maßstäbliche Einbindung der dicht bebauten Bereiche in die vorhandene Freiraumstruktur. Bestehende Achsen werden fortgeführt. Es entsteht eine nahtlose Stadtstruktur mit harmonischen Übergängen zum Nordbahnhofviertel und zum Europaviertel, jedoch mit eigener Prägung und städtebaulich differenzierter Höhenentwicklung, auch als Beitrag zur Heilung der Wunden, die die Auseinandersetzung um Stuttgart 21 in die Stadtgesellschaft geschlagen hat. Präzise gesetzte neue Sichtachsen werden ergänzt. Das Eisenbahnerdörfle wird aus seiner Insellage befreit und in den gesamtstädtischen Kontext integriert. Maßgabe ist die Erlebbarkeit der für Stuttgart prägenden Topografie von jedem Stadtraum innerhalb des Quartiers aus.

Öffentliche Freiräume, Stadtklima und Wasser
Das Freiraumkonzept nimmt die Qualität der vorhandenen Strukturen „Grünes U“ und Gleisbogen auf und ergänzt diese durch neue Freiraumtypologien. Mit dem Gleisbogenpark entsteht eine neue Identität als urbaner Freiraum sowie eine Hauptverbindung für Rad- und Fußverkehr. Dieser lineare Park verbindet soziale und (sozio)kulturelle Einrichtungen (Schulen, Campus, Wagenhallen) und bietet eine wesentliche öffentliche Freiraumidentität.

Der neue Stadtbalkon als Parkergänzung zum Schlossgarten beruht auf dem Grundsatz der Multicodierung: Die Grünflächen können durch die Parknutzer flexibel bespielt werden, gleichzeitig sind sie Retentionsflächen für Regenwasser. Im Übergang in den Unteren Schlossgarten zieht sich eine langgezogene und abgetreppte Parkachse vom Rosensteinschloss bis zum neuen Bahnhof. Der Bereich des Tiefbahnhofs mit den Lichtaugen wird als Teil des Mittleren Schlossgartens zu einem wichtigen Bindeglied zum Oberen Schlossgarten. Im Osten des neuen Quartiers entsteht als Übergang zum Rosensteinpark ein wechselfeuchter Ausgleichs- und Biotopgürtel, der einen wichtigen Frischluftstrom zwischen Killesberg und Unterem Schlossgarten ermöglicht. Das Rosenstein Quartier wird durch neue Wegeverbindungen über den Unteren und Mittleren Schlossgarten nahtlos an den Stadteil Stöckach und die Parkanlage Villa Berg angeschlossen.

Dichte und Nutzungsmischung
Die gewählte Struktur der differenzierten Blockrandbebauung ermöglicht eine variantenreiche Parzellierung, vielfältige Bauherrschaft und flexible Nutzungsmischung. Dichte und Geschossigkeit des neuen Rosensteinquartiers werden, angelehnt an die historische, urbane „Stuttgarter Dichte“, weiterentwickelt und ausdifferenziert. Die Stuttgarter Stadtsilhouette wird um neue Qualitäten erweitert. Es entstehen ablesbare Quartiere und es gibt Raum für lebendige Nachbarschaften. Die soziale Infrastruktur spielt dabei eine wichtige Rolle, sie ist Standortfaktor und schafft soziale Mitten in einer vielfältigen Stadtgesellschaft.

Mit der Anordnung der neuen Kulturbauten (Kongresszentrum, Philharmonie und Lindenmuseum) entlang der Promenade am mittleren Schlossgarten wird die bestehende Stuttgarter Kulturmeile erweitert und an einer strategisch wichtigen Stelle verbunden. Aneignungsflächen bzw. alternative Raumproduktion für Kultur und Subkultur (Wagenhallen, Container-City, Stadtacker) sind, auch in neuen räumlichen Kontexten, wichtiger Bestandteil des Entwurfes.

Mobilität
Vielfältige nachhaltige Mobilitätsoptionen für die im Quartier lebenden Menschen, für die Besucherinnen und Besucher und für die Ver- und Entsorgung des neuen Stadtteils – nur so funktioniert die Integration des Rosensteinquartiers in einen bereits hoch verdichteten und hoch belasteten Stadtraum. Die wesentlichen Ziele sind: autoarme Strukturen mit einem niedrigen Stellplatzschlüssel (0,5/ WE), Kfz-Durchgangsverkehr vermeidende Netzstrukturen, ein hochwertiges ÖPNV-Angebot von der „schnellen Schiene“ bis zu kleinen elektrischen On-Demand-Shuttlebussen, ein differenziertes, dichtes Netz an hochwertigen Verbindungen für den Rad- und Fußverkehr, kleine und große Mobilitätsstationen zur Stärkung von Multi- und Intermodalität sowie flexibel nutzbare Logistikflächen am Quartiersrand zur Organisation eines effizienten und quartiersverträglichen Lieferverkehrs.
Dies bedeutet aber auch, die Umgebung mit allen noch zu lösenden Mobilitätsproblemen nicht zu negieren. Es gilt die Übergänge zu organisieren, neue Verbindungen zu integrieren, die Durchlässigkeit für Rad- und Fußverkehr zu gewährleisten – und gleichzeitig mit dem Neuen in den Bestand auszustrahlen, vorbildliche Lösungen aufzuzeigen und so auf die Gesamtstadt zu wirken.
Entscheidend dafür ist die Qualität des öffentlichen Raums: so viel Integration wie möglich, so viel Separation wie nötig, verträgliches Geschwindigkeitsniveau, am Maßstab des Fußverkehrs und des Aufenthalts orientiert – und dabei unter der Prämisse der Zukunftsfähigkeit so robust gestaltet, dass der öffentliche Raum flexibel auf neue Entwicklungen reagieren kann, heute auf Elektro-Kleinstfahrzeuge, morgen auf den fahrerlosen Kleinbus und übermorgen vielleicht auf ein revolutionäres Lieferkonzept, das wir noch nicht kennen.

Energie und Klimaschutz
Das klimaneutrale Energiekonzept ist der aktive Beitrag des Rosensteinquartiers zur Einhaltung der Klimaziele. Die klimaneutralen und, soweit technisch möglich, Plusenergie-Gebäude setzen den Masterplan 100 % Klimaschutz der Stadt Stuttgart um. Ein sehr hoher Effizienzstandard der Gebäude und eine maximale Nutzung der lokalen erneuerbaren Energien sind die Grundlage des Konzepts.
Alle Dachflächen und geeignete Fassadenflächen werden zur Solarenergieerzeugung genutzt. Der erzeugte Solarstrom wird weitgehend im Quartier verbraucht. Die PKW-Stellplätze sind mit E-Mobil-Ladepunkten ausgestattet. Das Energiemanagementsystem optimiert Erzeugung und Speicherung von Strom, Wärme und Kälte, wobei die Elektrofahrzeuge gesteuert geladen werden und ihre Batterien teilweise dem Netz zur Verfügung stellen. Die Energieflüsse im Smart Grid werden optimiert. Die Wärme- und Kälteversorgung erfolgt durch reversible Wärmepumpen und ein kaltes Wärmenetz. Die Wasser-Wasser-Wärmepumpen werden durch ein kaltes Wärmenetz versorgt, das mit einem thermischen Untergrundspeicher in Form eines Erdsondenfeldes gekoppelt ist. Der Anschluss an das Fernwärmenetz ist als Backup vorgesehen.
Die herausfordernde mikroklimatische Lage des Rosenstein-Quartiers erfordert ein integriertes Konzept zur Klimawandelanpassung. Sommerliche Wärmeinseln werden vermieden, die Frischluftzufuhr durch Erhalt der Luftschneisen gewährleistet und Überschwemmungen durch Starkregenereignisse wirksam begegnet. Entsprechend werden alle Flachdächer als Retentions-Gründächer gestaltet und die Solarmodule oberhalb der extensiven Gründächer installiert, die wiederum die Ausbildung von Wärmeinseln reduzieren. Um eine Erhöhung der Außentemperaturen durch die Abwärme der Kälteaggregate zu vermeiden, erfolgt die Kühlung durch das kalte Nahwärmenetz, dessen Erdsondenfeld im Sommer zur Kühlung genutzt wird und im Winter durch die Wärmepumpen wieder ausgekühlt wird. Der Einsatz von Photovoltaisch-Thermischen (PVT) Kollektoren mit Wärmetauschern auf der Modulrückseite ermöglicht die Kühlung der Module, was zu höheren Wirkungsgraden und ebenso zur Kühlung der Umgebung führt. Gleichzeitig kann dadurch das Erdsondenfeld regeneriert werden.

Beurteilung durch das Preisgericht

Das städtebauliche Grundgerüst besteht aus Blockrändern, die sich in der Dimension an den bestehenden Strukturen im Nordbahnhofviertel orientieren. Dazwischen bilden die Sondergebäude mit eigenen Typologien Gelenke und Übergänge.

Den Auftakt bildet beim neuen Bahnhof die Kongress- und Konzerthalle, die mit ihrer Geo-metrie eine Achse einleitet, die dann leicht geknickt bis zum Schloss Rosenstein führt und das Baugebiet zum Rosensteinpark begrenzt. Diese feine stadträumliche Ziselierung hat ihren Reiz, die sehr kleinteiligen Baublöcke im Europaviertel können indes nicht überzeugen

Bei der Wolframstraße ist das Lindenmuseum teilweise im Überwerfungsbauwerk integriert und bildet einen schönen Auftakt in den nächsten heterogenen Quartierbaustein mit einer Schulanlage und einer gemischten Gewerbe- und Wohnbebauung.

Auf der ehemaligen Gleisharfe entwickelt sich das Rosensteinquartier als Wohnquartier mit polygonalen Blockrändern, die ein System verschiedener Achsen aufbauen. Diese Achsen verknüpfen das Quartier mit der bestehenden Überbauung und öffnen Blickbeziehungen Richtung Schloss, Park und Stadtlandschaft. Bei der Station Mittnachtstraße liegt ein Platz, als Eingangstor ins Quartier. Nördlich schaffen eine Kulturhalle im ehemaligen Lokdepot, eine Schwimmhalle und Sportflächen den Übergang zum Park. Die Höhenlage des Gleisfeldes wird beibehalten, zum Park entstehen Terrassen und mehrere gestufte Abgänge. Hinsichtlich der Nutzbarkeit bleiben hier jedoch einige Fragen unbeantwortet.

Ein großer Schulcampus ist in den ansteigenden Bahndamm eingegraben. Das spart Fläche, wird aber hinsichtlich der innenräumlichen Qualität und Umsetzbarkeit im Preisgericht disku-tiert. An der S-Bahnhaltestelle Nordbahnhof liegt ein weiteres Schulgebäude. Zu den Wagenhallen werden die Blockränder ergänzt.

Die Blockränder sind kleinteilig strukturiert und Hochpunkte zeichnen wichtige Stellen in den Baufeldern aus. Typologisch müssen einige etwas niedlich wirkenden Kubaturen jedoch in Frage gestellt werden.


Die KFZ-Erschließung des Gebiets ist funktional gelöst, es besteht aber an verschiedenen Stellen die Gefahr von unerwünschtem Durchgangsverkehr. Eine Reduzierung des Stell-platzschlüssels ist Teil des vorgeschlagenen Mobilitätskonzepts. Die Durchlässigkeit der Ost-/Westverbindungen für den Fuß- und Radverkehr ist Bestandteil des Konzepts, allerdings sind die Gefälleverhältnisse an der Parkkante nicht optimal.

Die Kompaktheit des Entwurfs wird durch die Terrassierung der obersten Geschosse etwas eingeschränkt. Das Projekt berücksichtigt die maßgeblichen Durchlüftungsachsen und die Verzahnung mit den Grünräumen ist teilweise gegeben. Allerdings sind die geschlossenen Blockränder aus stadtklimatologischer Sicht nicht ganz optimal.

Die Verfasser schlagen an den Übergängen im Norden und Osten zum Rosensteinpark verschiedene Wasserläufe- und Wasserflächen vor.

Der Gleisbogen bleibt nur in Teilen erhalten und wird im Süden durch eine Bebauung unterbrochen. Damit wird die Nachvollziehbarkeit der historischen Verkehrsfläche deutlich gemindert. Dem Lokschuppen fehlt das «natürliche» Vorfeld, die Schiebebühne. Einige andere Teile des Denkmals bleiben bestehen.

Das Projekt bietet situativ und aus den Nutzungen hergeleitete Teilquartiere an. Diese Strategie hat durchaus Potenzial für eine vielfältige Stadterweiterung mit hohen Alltagsqualitäten. Der typologische Reichtum in den gut geschnittenen Höfen wird positiv wahrgenommen. Über alle Teilquartiere hinweg vermisst das Preisgericht allerdings eine stärkere Varianz.