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Nichtoffener Wettbewerb | 07/2019

Neugestaltung der Ortsmitte Breitengüßbach

2. Preis

Preisgeld: 10.200 EUR

relais Landschaftsarchitekten

Landschaftsarchitektur

Stadt Land Fluss, Büro für Städtebau und Stadtplanung BDA, SRL

Stadtplanung / Städtebau

Erläuterungstext

Die rurbane Perspektive

Dorf und Stadt sind heute vielerorts keine Gegenpole mehr, sondern unterschiedliche Erscheinungsformen urbanen Lebens. Aspekte des Ländlichen gewinnen jedoch – vielleicht gerade dadurch – für viele Menschen eine neue Attraktivität. Voraussetzung dafür ist die Existenz oder Schaffung markanter „rurbaner“ Orte. Das Rurbane beruht demnach wesentlich auf der Wahrnehmung einer einprägsamen, identitätsstiftenden räumlichen „Erzählung“. Das Konzept für die Neugestaltung der Ortsmitte von Breitengüßbach zielt daher auf die Stärkung dieser Narration. Mit dieser sollen die Gemeindestruktur oder einzelne ihrer Elemente nicht musealisiert werden, sondern Anwohner, Zuziehende oder Gäste sollen dafür interessiert werden, die „Erzählung“ des Orts fortzuschreiben.
Dazu werden im Konzept drei Ansatzpunkte genutzt. Der erste ist die Gestaltung einer grünen Ortsmitte. Bei dem zweiten handelt es sich um die Kennzeichnung und teilweise Freilegung des Verlaufs des für die Gemeinde namengebenden Güßbachs. Drittens geht es uns um die Neuordnung der das Stadtimage prägenden Situation im Kreuzungsbereich nordwestlich der Kirche, wofür die entwickelte Neubebauung des Grundstücks Lichtenfelser Straße 2 entscheidend beiträgt.

Die Grüne Mitte

Durch die Entscheidung, das Areal entlang der Austraße zwischen Bachgasse und Bühlstraße nicht zu bebauen, sondern als Freiraum zu entwickeln, gewinnt das Zentrum der Gemeinde eine neue Qualität. So können neue Aufenthalts-möglichkeiten und Nutzungsangebote entstehen, wofür das Konzept die Öffnung des Güßbachs als Initial aufgreift. Mit der Freilegung des in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in diesem Bereich verrohrten Bachlaufs wird ein signifikantes und identitätsstiftendes Landschaftselement wiedergewonnen und neu in Szene gesetzt.
Dazu wird das neugeschaffene Ufer auf der Südseite als leicht geneigter Zugang zum Wasser ausformuliert. Flache, versetzte und in ihrem Verlauf abknickende Stützmauern rahmen den Bachlauf in diesem Bereich. Mit ihnen wird das Motiv der früheren Kanaleinfassungen aufgegriffen und variiert. Wie diese werden die Mauern aus dem regionaltypischen Sandstein gefertigt und zu einem Mauerwerk aus gesägten Naturwerksteinen aufgesetzt. Die Mauerabschnitte gliedern den Uferbereich und schaffen durch partielle Holzauflagen differenzierte Sitzmöglichkeiten. Schmale Treppen unterbrechen den Verlauf und führen zum Ufer.
Dieser abgeflachte Uferbereich exponiert sich zum Güßbach und zum steiler ausformulierten Nordufer. Baumpflanzungen (Alnus glutinosa, fraxinus angustifolia ‚Raywood’) und in den Wasserlauf integrierte Steinsetzungen bringen diesen in Bewegung und bieten zugleich Trittsteine für die spielerische Aneignung des Ufers.
Das Nordufer des Güßbachs wird mit einer attraktiven Ufervegetation mit besonderen Blühaspekten bepflanzt. Der Konzeptidee des Rurbanen entsprechend werden dabei Pflanzen wie Blutweiderich (Lythrum) und Pfeilkraut (Sagittaria) mit Blumenbinsen (Butomus umbellatus) und Schwertlilien (Iris) kombiniert. Diese landschaftsbezogene Ästhetik der Pflanzung wird im Kontext der Ortsmitte durch ihren außergewöhnlichen Eindruck inwertgesetzt und bietet einen ökologischen Trittstein für Insekten. Diese Pflanzung bildet den westlichen Auftakt des „Blauen Bandes“, an dem der frühere Verlauf des Güßbachs durch die Gemeinde nachvollziehbar wird.
Anstelle des Ostteils der Austraße wird ein Rad- und Gehweg geschaffen. Die als Bezüge zum Güßbach entwickelten Gestaltungsmotive – wie Steinsetzungen und eine weitere Sitzmauer – werden auch südlich davon aufgegriffen und prägen damit das Erscheinungsbild der Grünen Mitte. Der wegebegleitenden Sitzmauer ist südwestlich ein Spielbereich zugeordnet. Zwei an überdimensionale Schmetterlingskokons erinnernde luftige Holzkonstruktionen und ein Ufergräser assoziierender Stangenwald prägen diesen Ort, der Gelegenheit zum Klettern, Balancieren und Verstecken bietet. Die Kokons sind außen dezent und innen intensiv farbig gestaltet. In einer dritten ähnlichen Holzskulptur in der Nähe der Bühlstraße werden ein Kiosk, Informationsangebote für Touristen und eine Toilette geschaffen.
Die östlich angrenzende Fläche erhält eine Oberfläche aus Schotterrasen. Sie bietet einen offenen, vielfältig nutzbaren Freiraum für Spiel und Sport, für Gemeindefeste und kann als temporärer Stellplatz dienen. Auf der Südseite wird sie zur angrenzenden Bebauung mit einem Heckenkörper (Carpinus betulus) abgegrenzt. Motivisch daran anknüpfende Heckenstrukturen werden auch im Areal zwischen Bachgasse und Bamberger Straße geschaffen. Zusammen mit dem Blauen Band dienen sie dazu, den Freiraumbestand zu verknüpfen, zu ordnen und zu einer inselartigen Situation aus kleinen Platzsituationen und Grünflächen aufzuwerten. So entsteht mit der Grünen Mitte ein öffentlicher Garten mit differenzierten Qualitäten.

Das Blaue Band

Mit dem Blauen Band wird eine zusammenhängende Pflanzstruktur geschaffen, die den ehemaligen Verlauf des Güßbachs durch die Gemeinde nachvollziehbar macht. Mit dieser „Wiederentdeckung“ wird die Ortstruktur erklärbar und die locker angeordneten Gebäude der Ortmitte erhalten eine stärkende Rahmung. Das an die Grüne Mitte anknüpfende Band erhält eine Bepflanzung aus Stauden, Gräsern und Zwergsträuchern.
Durch die Gestaltung eines neuen, schmaleren Straßenprofils in der Bamberger Straße kann auch der dort bestehende Abschnitt des Güßbachs aufgewertet werden. Durch die begleitende Pflanzung des Blauen Bandes und eine Baumreihe (Fraxinus angustifolia ‚Raywood’) wird er räumlich strukturiert und erlebbar. Die bestehenden Sandsteinmauern entlang des Bachlaufs werden weitgehend erhalten. Auf der Westseite der Bamberger Straße werden am Bachlauf Sitzstufen geschaffen, die teilweise mit Holzauflage ausgestattet sind. In den angrenzenden Bereichen erhält der Bach ein filigranes Geländer als Einfassung.

Neuordnung des Straßenraums

Das Blaue Band fasst in der Ortsmitte zwischen Bamberger Straße und Bachgasse ein verwinkeltes Wegenetz, das einen Belag aus in Passe verlegtem Naturstein-Kleinsteinpflaster erhält. Dieses Belagsmaterial wird auch für die Gestaltung der Bachgasse aufgegriffen, wodurch ein räumlicher Zusammenhang und ein ruhiges Erscheinungsbild generiert werden. Die Bachgasse wird als Shared Space organisiert. Durch den Verlauf eines Plattenbandes, Pflasterintarsien, die Stellung der Leuchtenreihe, Baumpflanzungen (Acer campestre) und die Anordnung der Längsparker wird eine weiche Separierung zwischen Gehbereich und Fahrspur hergestellt.

Stärkung der Ortsmitte

Die Neubebauung des Grundstücks Lichtenfelser Straße 2 bietet durch ihre Position im Ortsgrundriss das Potential, die gewachsenen Strukturen zu stärken und als positives Initial für die Ortsentwicklung zu wirken. Mit der Orientierung des zweigeschossigen Neubaus an der umgebenden Bebauungsstruktur wird die konträre Ausrichtung des Bestandsgebäudes mit seinem zur Straße geöffneten Innenhof korrigiert. Die neuen Baukörper tragen im Kreuzungsbereich an der Einmündung der Zückshuter Straße zur Verbesserung der Orientierung im Stadt- und Verkehrsraum bei und vermitteln deutlich zwischen öffentlichem und privatem Raum. Durch die Fortführung der benachbarten Gebäudekanten tragen sie zur Formulierung eines Gegenpols zur solitären Bebauung in der neuen Grünen Mitte bei. Die kleinteilige Form der Eckbebauung fügt sich in die bestehende Altstadtstruktur ein und ermöglicht eine flexible Nutzung und Gestaltung.
Auf Grund seiner zentralen Lage ist das Gebäude als Ort für Bewohner und Besucher Breitengüßbachs konzipiert. Es nimmt unterschiedliche Nutzungen der Nahversorgung sowie weitere gewerbliche und Wohnfunktionen auf. Im Erdgeschossbereich werden eine Tourist-Info, ein Vereins-/Nachbarschaftstreff, ein Eisdiele bzw. Café mit Hofgarten sowie eine Fahrradwerkstatt mit -verleih (Cargo- und E-Bikes) geschaffen.
Der vorgesehene Arkadengang schafft einen größeren geschützten Außenbereich für die Geschäfte sowie Abstand zur Zückshuter Straße. In den Obergeschossen können dazu ergänzend Pensionen, Büros bzw. auch neue Wohnungen angeboten werden. Damit werden neue Arbeitsplätze geschaffen und die Attraktivität des Orts erhöht.

Vernetzung und Tourismus

Die vorhanden nationalen und regionalen Radwege, die in der Ortsmitte aufeinandertreffen, wurden erweitert. Sie sind regional gut vernetzt und können sportlich oder auch bequem mit dem E-Bike genutzt werden.
Somit sind die unmittelbar umliegenden Städte und Gemeinden leichter erreichbar, der motorisierte Verkehr wird reduziert und die Landschaft stärker erfahrbar gemacht. Damit ist der Fahrrad-Tourismus in und um Breitengüßbach zukünftig ein fester ergänzender Bestandteil der Region (z. B. Bamberg im Süden, die Haßberge im Nordwesten).

Beurteilung durch das Preisgericht

Der Vorschlag, den Güßbach an jenen Orten, wo er einst die Straßenzüge prägte, heute jedoch zurückgebaut ist, über ein blaues Vegetationsband zu reinszenieren, wird positiv gewertet. Jedoch erscheint die Ausformulierung auch noch im 200stel zu schematisch und eine differenzierte Ausarbeitung wird vermisst, insbesondere auch am „Alten Ramer“. Im Bereich der Bamberger Straße wird das Potential, mit diesem Band den Straßenraum positiv zu gestalten, nicht ausreichend genutzt. Die uninspiriert angeordneten Stellplätze prägen hier weiterhin. Eine Verbesserung des Straßenbildes im Vergleich zum Bestand wäre hier der Wunsch gewesen. Dafür wird südlich der bereits geöffnete Bachteil an geeigneter Stelle mit Stufen zugänglich gemacht und wertet hier den öffentlichen Raum erheblich auf.
Die Bebauung Lichtenfelser Straße erscheint vom Volumen her angemessen, die räumliche Ausformung mit den drei verschmolzenen Fassaden der Baukörper überzeugt noch nicht und lässt eine sensiblere Differenzierung vermissen. Es erscheinen vielfältige Nutzungen hier möglich, wobei der kleine, ruhige Hinterhof auch für eine Wohnnutzung einen Freisitz bieten kann.
Das Areal um die öffentlichen Gebäude Rathaus und Kirche wird sensibel und zurückhaltend neugeordnet, wobei Defizite der Orientierung und Barrierefreiheit ausgemerzt werden können. Dabei entsteht auch eine interessante und großzügigere Verbindung zwischen den Vorplätzen Rathaus und Kirche.
Die Bachgasse führt unaufgeregt und beruhigt als Mischverkehrsfläche durch die neue Grüne Mitte Breitengüßbachs und beinhaltet an sinnfälligen Orten die erforderlichen ständigen Stellplätze. Das gut ausgearbeitete Materialkonzept der Beläge wird überzeugend auch noch in den südlichen Teil der Bachgasse fortgeführt und soll insgesamt zukünftig den Kern der Gemeinde bekleiden. Es wird kontrovers diskutiert, ob bei der Einmündung Austraße ein Bruch der Geradlinigkeit der Bachgasse diesem wichtigen Ort besser gerecht werden kann. Zudem werden im nördlichen und mittleren Teil straßenbegleitende Bäume vermisst, um ähnliche Qualitäten wie im südlichen Teil zu erreichen.
Der geöffnete und vergrößerte Kirchvorplatz wird als Balkon über der Bachgasse und Teil des westlichen Abschlusses des neuen Grünraums angemessen und mit Weitblick inszeniert. Die barrierefreien Stellplätze könnten gerne noch näher am Eingang liegen.
Das Ensemble des geöffneten Güßbachs mit Festwiese ergibt einen sehr stimmigen und für den Ort angemessenen Grünraum, durch den die Austraße gut integriert führt und ein Ort des Aufenthalts und der Begegnung wird. Die wie Kokons auf der Wiese abgelegten und spielerisch angeordneten Bauten für Information/Services und Spiel bereichern die Situation.
Es wird positiv bewertet, insbesondere auch in wirtschaftlicher Sicht, dass die Bachöffnung fast überall ohne aufwändige Stützwände realisiert werden kann. Die Wiesenstufen wirken gut proportioniert und bieten mit ihrer dynamischen Anordnung sowohl etwas fürs Auge als auch für den angenehmen Aufenthalt am Bach.
Der Festplatz erfüllt zu Festzeiten und auch außerhalb die funktionalen Anforderungen der Gemeinde und erhält durch Strauch und Baumpflanzungen einen angenehmen Abschluss und Puffer zur südlich angrenzenden Bebauung.
Der Entwurf erscheint insgesamt sehr wirtschaftlich, sofern die Unterhaltskosten für die Pflege des blauen Bands in der Planung bereits durch die Auswahl extensiver Pflanzengesellschaften im Auge behalten werden. Der hohe Anteil an unversiegelten Flächen wird begrüßt.
Insgesamt bestechen die Verfasser mit ihren zurückhaltenden jedoch scharf gesetzten (mit Ausnahme Staudenbandgeometrien) Interventionen, womit sie den Ort sensibel und unaufgeregt neu ordnen und der dörflichen Situation angemessene Frei-, Bespiel- und Entwicklungsräume bieten.