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Realisierungswettbewerb mit Ideenteil | 07/2019

Entwicklung des „Mathäser Areals“ in Markt Ruhstorf

3. Rundgang

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Architektur

Erläuterungstext

Stell|dich|ein

veraltet für verabredetes [heimliches] Treffen von zwei Verliebten; Rendezvous
Der Beginn einer Liebesgeschichte

Doch blicken wir vorerst zurück: Vor 65 Jahren erblickte das Mathäser Gasthaus das Licht der Welt. Nicht lange war es alleine. Schon nach neun Jahren fand es seine Partnerin. Damals bildhübsch im zeitgemäßen Gewand, heute würde man sagen: etwas voluminös und plump. Doch sie ergänzten sich. Während Ruhstorf wuchs und Hatz und Loher zu Weltmarkführern wurden musste man sie nicht nur bewirten, sondern auch unterbringen: die Geschäftsleute.
Ein Traumpaar sozusagen. Erst vor fünf Jahren feierten sie die goldene Hochzeit.
Doch der Glanz der Wirtschaftswunderjahre, der Glanz der Liebe war vorbei. Man lebte sich auseinander, man ließ die Liebe verblühen.
Am Ende ging es schneller als gedacht: Abrissbagger kamen und rissen dem Mathäser die Partnerin aus dem Herzen. Sie war verschollen, er stand da: einsam und verlassen, ohne Halt und ohne Stütz.
Doch wir wollen nicht länger zurückblicken. Markt Ruhstorf nutzt sein Chance, so soll es auch das Mathäser tun. Verjüngungskur durch Erneuerung.

Aufgabe

Veranstaltungsräumlichkeiten, Präsentation der Geschichte und der Gemeinde, Kultur- und Vereinsnutzungen, Verknüpfung mit der Umgebung, Verschränkung und doch Separation. Ein Multifunktionales Gebäude aus Neubau und Altbau. Puh...!

Städtebau

Sperrig war die Ehemalige. Die Neue soll alles können, elegant, offen und charmant sein, das alte Haus unterstützen und dabei am besten so aussehen, als wäre sie schon immer dagewesen.
Die Bestandskubatur aus der einfachen Grundform eines Hauses mit Satteldach wird dupliziert und südwestlich versetzt vor das Gasthaus gesetzt. Sie beinhaltet den großen Saal. Gleichzeitig wird das Bestandshaus verlängert, hier liegt die Infrastruktur beider Häuser. Dadurch entsteht ein Überschneiden, das die gewünschte Verschränkung beider Häuser miteinander ermöglicht und Außenräume gliedert und umfasst.
Das Aufgreifen der Kubatur bei geringerer Gebäudehöhe zeigt die Seelenverwandtschaft der beiden aber auch die Hierarchien: das Neue will das alte nicht übertreffen sondern freundlich ergänzen und stützen.
Zusammen entsteht eine ganz einfache, klare und geordnete städtebauliche Figur.

Außenanlagen

Im Süden sorgt dieser Versatz für das Umspannen eines Raumes, der schon Teil des Urentwurfes war: Die Gastterrasse, die Sonnenterrase. Präsent und leicht erhöht ist sie der Auftakt und das Aushängeschild des neuen Ensembles: Mittags sitzen die Gäste in der Sonne, abends lädt man zum Aperitif vor dem Konzert. Über die großzügigen Sitzstufen der Freitreppe verzahnen sich Terrasse und Marktplatz.
Gemeinsam bilden beide Gebäudeteile die nördliche Abgrenzung des Marktplatzes.
Dieser spannt nun von der Gastterrasse bis zur neuen Bebauung am Edeka-Parkplatz. Im Osten und Westen bilden das San Marco und die Metzgerei Rosa Kreuzer die Grenzen. Zusammengefasst werden die eigentlich heterogenen Flächen und Nutzungen durch einen gemeinsamen Pflaster-Belag, welcher der strukturellen Ordnung des Neubaus folgt.

Durch die so entstehende Struktur können Flächen nach Bedarf die gewünschten besonderen Nutzungen aufnehmen: Wasserspiele, Pflanzfelder, Spielplatz, oder den Maibaum im Zentrum.

Nördlich des Gasthauses wird der Biergarten in den ursprünglichen Zustand versetzt und vergrößert: Die Freischankfläche wird minimiert und als freistehendes Häuschen unter die Kastanienbäume gesetzt. Dadurch verbindet sich der Garten mit dem Kleeberger Bach. Die Uferzonen werden durch das Abrücken der Gebäudestruktur nutzbar und begehbar gemacht.
Vor dem Saal entsteht zum Bach ein angemessen dimensionierter Freibereich. Ein Ort für Veranstaltungen, die nicht auf dem Präsentiertablett stattfinden sollen. Wassergebundener Oberbelag in Verbindung mit Pflanzflächen und neuen Kastanienbäumen sorgen für einen naturnahen, ruhigen und introvertierten Charakter.

Innere Organisation

Gasthaus

Das Gasthaus bleibt in seiner Struktur so weit wie möglich unangetastet. Der Gastraum bleibt am ursprünglichen Ort, ebenso wie die Küche, die im Verbindungsbau jedoch um technisierte Bereiche zeitgemäß erweitert wird. Der Nebenraum wird in Zukunft das ehemalige Büro besetzen während das Stuberl die im Norden freiwerdende Spange einnehmen wird. So kann einerseits der Charakter des Stuberls erhalten und trotzdem die Versorgung und Andienung von Küche und Ausschank verbessert werden.
Funktionale Abläufe innerhalb des Gasthauses werden durch die zentrale Theke optimiert.
Die Anlieferung erfolgt direkt vom Vorplatz nördlich des Saals in den neuen Verbindungsbau. Hier kann direkt in den Aufzug verladen werden, von dem aus die Lagerräume im UG bestückt werden. Eine separate, interne Erschließung ist nicht notwendig, da das neue zentrale Treppenhaus nach unten nur für Mitarbeiter zugänglich ist und Gäste die Treppe nur nach oben, zu den WCs betreten können. Die Gastrotheke kann separat von der Anlieferung aus bedient werden oder über den Kurzschluss direkt vom Küchenpersonal betrieben werden.

Vereinsräume

Durch das neue Foyer gelangt man in das zentrale Treppenhaus. Nach den Schließzeiten ist es jedoch auch möglich direkt vom Hintereingang ins Treppenhaus zu gelangen und so jederzeit die Räume im OG des Bestandsbaus betreten zu können.
Alle Räume können vom neuen zentral gelegenen Flur direkt betreten werden. Über mobile Trennwände könnten Räume nach Bedarf zusammen geschalten werden.

Musikschule

Im Dachgeschoss profitiert die Musikschule vom Erweiterungsbau: Hier liegt der Vereinsraum direkt vom Treppenhaus zugänglich. Strukturell entspricht die Raumteilung des Dachgeschosses der des darunterliegenden Geschosses, so werden aufwändige Stützmaßnahmen entbehrlich und Lasten können auf dem direkten Weg nach unten geleitet werden. Der Dachstuhl soll entkernt und sichtbar gemacht werden, im großen Konzertraum spürt man so die bauzeitliche Konstruktion der Zimmermänner in voller Dimension.

Architektur

Neu und alt verschmelzen zu einem gemeinsamen Neuen. Dabei behält das Gasthaus seinen ursprünglichen Charakter mit heller Fassade aus grobem handwerklich aufgebrachtem Rauputz und klassischen Sprossenfenstern.
Die neue Halle soll und kann sich nach allen Seiten öffnen. Eine Stützenkonstruktion aus Holz trägt das Dach auf wenigen Stützen und bietet maximale Transparenz im Erdgeschoss. Die Gestaltung der Fassaden resultiert aus Ihrer Funktion und hält sich absolut zurück: Glas, Holz und Ziegel. Ein angemessener Anteil an Öffnungsflügeln soll die Bespielung der Außenbereiche ermöglichen. Die vertikale Gliederung entsteht aus der Geschossigkeit des Bestandshauses und greift subtil die dort prägende Linienführung auf: Der Balkon im OG und die Traufe des Daches. Diese Linien werden auch im Bestandsbau verstärkt. Durch die aufgebrachte Mineralwolldämmung wird eine Reliefierung auch an den Fassaden erreicht, die bauzeitlich eigentlich keine Gliederung wie die prominente Südfassade erhalten haben.
Durch die Homogenisierung der Oberflächen treten die beiden Häuser trotz ihrer unterschiedlichen Nutzungen und Anmutungen in einen Dialog und verschränken sich optisch. Sie verheiraten sich und laden die Ruhstorfer und ihre Gäste ein. Sie laden ein zum Stelldichein. Zum Stelldichein am Mathäser.

Gebäudetechnik und Nachhaltig- und Wirtschaftlichkeit

Bestand

Das Bestandshaus soll weitgehend frei von Medienführung sein. Die vertikale Erschließung wird mit dem Verbindungsbau erbracht, eine Verteilung erfolgt vom Schacht aus horizontal in den Abhangdecken, beziehungsweise die Wärmeverteilung in den Fußbodenaufbauten des Altbaus.
Alle Eingriffe werden auf ein Minimum reduziert, der Zustand und die gewünschten Änderungen werden jedoch trotzdem größere Eingriffe notwendig machen: Das Treppenhaus und der Aufzug entsprechen in Ihrer Lage und Funktionalität nicht den Anforderungen, Wände werden entfernt und in Teilbereichen durch Stützen ersetzt werden müssen. Trotz Verjüngungskur wird das Haus optisch seinen Charakter behalten: Die notwendige Dämmung aus Mineralwolle soll analog zur bauzeitlichen Optik verputzt werden. Fenster werden ausgetauscht und mit Sprossenfenstern aus Holz und Isolierverglasung ersetzt.

Der Neubau

Ein großes Volumen durch das Satteldach sowie einen hoher Sonneneintrag im Sommer und Transmissionswärmeverluste im Winter durch eine verglastes Erdgeschoss klingen zuerst wenig wirtschaftlich. Durch den großen gut gedämmten Dachflächenanteil sind die Wärmeverluste auf die Gesamthüllfäche berechnet jedoch sehr gering. Weiter entlastet das Volumen und die Möglichkeit des uneingeschränkten Querlüftens die Lüftungsanlage bei großen Veranstaltungen. Ein gute gedecktes Satteldach garantiert Wartungsfreiheit und Langlebigkeit. Die verwendeten Materialien Holz, Glas und Ziegel sind allesamt lokal verfügbar, dauerhaft, recycling und sogar cradle2cradle fähig.
Eine handwerkliche Verarbeitung ermöglich die Errichtung mit lokalen Handwerksbetrieben in klassischer Bauart bei zeitgemäßer und zeitloser Ästhetik.

Beurteilung durch das Preisgericht

Der Beitrag überzeugt mit seiner überragenden Kompaktheit, Wirtschaftlichkeit und Klarheit. Auch die durchdachte Organisation im Erdgeschoss wird gewürdigt, insbesondere der Bezug zu den Freiräumen.
Allerdings ist die Gestaltung der Freiräume unzureichend gelöst. Das vorgeschlagene Raster wirkt formalistisch und der hohe Versiegelungsgrad wird kritisiert.
Die Anmutung des Saales wird, vor dem Hintergrund seiner Bedeutung für die Gemeinde, als zu bescheiden und zurückhaltend kritisiert. Die Traufständigkeit des Saales hin zum Platz, in Verbindung mit der niederen Traufhöhe, hat eine zu geringe Präsenz zum Platz hin zur Folge.