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Nichtoffener Wettbewerb | 09/2019

Wohnen an der Kürschnergasse in Erfurt

2. Preis

VITAMINOFFICE ARCHITEKTEN BDA

Architektur

modellwerk weimar | Architekturmodelle, Modellbau, Frässervice, Laserservice

Modellbau

Erläuterungstext

Kürschner: Der, der das Pelzwerk herstellt.

Diese Handwerker wohnten in Erfurt in der Kürschnergasse in nächster Nähe zum Wasser, das sie zum Reinigen der Felle von Blut und Ähnlichem brauchten. Ihre Verkaufsstände hatten sie schon im 13. Jahrhundert inmitten der Gassen um den Wenige Markt bis zur Krämerbrücke hin und hießen „Unter den Kürsenern“. Im 15. Jahrhundert wurde ihnen zur Wiederbelebung ihres Handwerks, das extrem an Einschränkungen litt, gestattet, in ihren Häusern mit offenen Läden Pelzwaren anzubieten und zu verkaufen. (Quelle Stadtarchiv Erfurt 2019 aus „Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt“, 1929, 45. Heft, S. 131 - 132)

Der Leitgedanke zum Entwurf „Unter den Kürschnern“ greift genau diesen Standpunkt auf. Es soll ein Stadtviertel entstehen, das es den Bewohnern gleichermaßen ermöglicht sich in ihrem Quartier zurückzuziehen sowie sich dem Stadtraum gegenüber zu öffnen.


Städtebau
Deswegen entsteht an Stelle der jahrelangen Baulücke in der Kürschnergasse ein Neubau, der sich als Blockrandbebauung in Größe und Proportion den bestehenden, engen Altstadtgassen Erfurts nach außen hin anpasst, sich aber gleichzeitig im Inneren als großzügiger und ruhiger Raum für die Gemeinschaft entpuppt. Die maximal entsiegelte Fläche im Innenhof stellt dabei in seiner Weichheit den notwendigen Kontrast zum harten Stadtraum dar. Dieser gemeinschaftliche Innenhof erfährt Ein- und Ausblicke aus dem öffentlichen Stadtraum durch zwei klar gesetzte Durchgänge im Blockrand, ein neuer Durchgang aus der Kürschnergasse, sowie ein historische Durchgang im Bereich der Pilse 14 aus der Rupprechtsgasse. Eine zurückversetzte Filterschicht und der wechselnde Bodenbelag machen dabei die Trennung zwischen öffentlichem Stadtraum und privatem Innenhof kenntlich. Blickbeziehungen von außen nach innen und umgekehrt werden zugelassen. Nicht zuletzt kann der Stadtraum durch die Öffnung dieser Filterschicht zu besonderen Veranstaltungen, wie z.B. dem alljährlich wiederkehrenden kleinen Weihnachtsmarkt, um diesen halböffentlichen Bereich erweitert werden und erlaubt Durchwegungen und Aufenthalte.

Nutzung
Den erforderlichen Puffer zwischen den Wohnungen in den Obergeschossen des Neubaus und dem öffentlichen Stadtraum zur Kürschnergasse hin stellen die Gewerbeflächen im Erdgeschoss dar. Diese können an die späteren Nutzerwünsche individuell angepasst werden und sind flexibel in zwei bzw. drei Einheiten zu verbinden oder zu trennen. Die Wohnungen in den Obergeschossen werden, ähnlich wie der Innenhof selbst, aus zwei Richtungen bzw. zwei Adressen erschlossen. Zum Einen von der Kürschnergasse, zum Anderen von der Rupprechtsgasse, wobei der zuletzt erwähnte Zugang auch über einen barrierefreien Aufzug verfügt, der vom Untergeschoss bis zum Dachgeschoss reicht. Im Untergeschoss befinden sich für alle Wohnungen ausreichend PKW-Stellplätze (Stellplatzschlüssel: 1,0) sowie Kellerräume. Die Wohnungen selbst beruhen auf einem durchgesteckten Prinzip von Ost nach West, sowie von Nord nach Süd. Die geringe Gebäudetiefe von ca. 8,00 m lässt diese Art des Durchwohnens zu. Hiermit wird der Bezug zwischen öffentlichem Stadtraum und privatem Innenhof weiterhin gestärkt. Jede Wohnung hat demnach Bereiche, die dem öffentlichen und lebendigen Stadtraum, sowie dem privaten und ruhigen Innenhof zugewandt sind. Die Wohnungsgrößen selbst reichen dabei von ca. 50 qm großen Single-Wohnungen über ca. 70 qm große 3-Zimmer-Wohnungen bis hin zu großräumigen 4- bis 5-Zimmer-Wohnungen mit ca. 90 bis 110 qm. Dadurch wird eine ausgewogene Bandbreite an zukünftigen Bewohnern angesprochen. Das Prinzip des Durchwohnens, sowie das der unterschiedlichen Wohnungsgrößen, wird auch auf die beiden denkmalgeschützten Gebäude der Pilse 14 und 15 angewandt. Dort stellt eine kleine ca. 27 qm große Studiowohnung im Erdgeschoss der Pilse 15 den Auftakt zu nach oben hin immer größer werdenden Wohnungen dar. Die Eingriffe in die historische Bausubstanz sowie die bestehende Grundrissstruktur werden im Sinne einer angemessenen Denkmalpflege am minimal-invasivsten gehalten. Auf ein Angebot von Maisonettewohnungen wird aufgrund der geringen Gebäudetiefen im Neu- als auch Altbau generell verzichtet.

Fassade
Die bauplastische Ausführung des Neubaus orientiert sich am vielerorts gewohnten Eindruck im altstädtischen Raum. Schmale, verwinkelte Gassen, hervorstehende Obergeschosse, kippende Altbauten, sowie Dachrandgesimse und Geschossprofilierungen bestimmen unserer Altstädte. Diese Themen werden im Entwurf aufgegriffen ohne historisierend sein zu wollen, sondern vielmehr um die prägenden Elemente der Altstadt fein herauszuarbeiten und mit keinem zu großen Kontrast dem Alten gegenüber zu treten. Schmale, sich auffächernde Geschosslinien unterbrechen so den strengen und klaren Rhythmus der Fassadenöffnungen. Durch einen gemeinsamen Drehpunkt entsteht dabei ein Fassadenrelief, das mal stärker, mal schwächer zur Ausführung kommt. Gleichzeitig wird dem Gebäude durch die unterschiedliche Stärke der Einschnitte eine Richtung gegeben, die vom Wenige Markt auf die Ecke der Kürschnergasse / Rupprechtsgasse zuläuft. Anders herum gedacht, bedeutet dies, dass sich das Gebäude von der prominent einsehbaren Ecke der Brücke (Schlösserstraße / Junkersand) sowohl in die eine Richtung der Kürschnergasse als auch in die andere Richtung der Rupprechtsgasse auffächert. Somit wird keiner Gasse eine Rückseite zugeteilt. Den Fassadenflächen in ihrer detaillierten Ausführung liegt ein einschaliger klassischer Mauerwerksbau in Vertretung einer angemessenen Baukultur zugrunde. Putzflächen in gedeckt neutralem Farbton, erhalten ihr Leben lediglich durch die Licht- und Schattenwirkung der sich leicht verziehenden Außenwände. Die ausgebauten Dachräume des Neubaus, sowie der Pilse 14, erhalten ihr Licht durch Schleppgauben, die sich wie selbstverständlich aus dem Dach aufklappen und sich dabei an den bestehenden, umliegenden Dächern orientieren. Mit bronzefarbenen Elementen an Fenstern, Gauben, Zugängen und Durchgängen wird dem Gebäude ein indirekter Glanz verliehen. Zuletzt stellt die zuvor erwähnte Filterschicht, den individuellen Stempel des Quartiers „Unter den Kürschnern“ dar. Das dargestellte Motiv ist das abstrahierte Zunftwappen der Kürschner, das einst zum Trocknen aufgehängte Tierfälle darstellen sollte. Am Neubau soll es an den Ort erinnern, der es mal vor der Zeit einer großen Baulücke war. Ein lebendiger Ort mit individueller Prägung inmitten der Altstadt Erfurts.

Beurteilung durch das Preisgericht

Aus einer sensibel hergeleiteten Analyse des historischen Stadtraumes entwickelt diese Arbeit ein abstrahiertes Vokabular von Gestaltungsmerkmalen der Altstadt, das sehr konsequent auf den gesamten, fast monolithisch wirkenden Baukörper angewandt wird. Das fein differenzierte Spiel aus unterschiedlichen leichten Schrägen, Versätzen und Rücksprüngen gliedert Stadtraum und Oberflächenrelief auf subtile Weise und erzeugt aus den verschiedenen Blickrichtungen ganz unterschiedliche Eindrücke. Dies kontrastiert mit der strengen Serialität der nach Auffassung der Jury etwas zu klein geratenen Fensteröffnungen und den sehr schmalen Dachgauben, was zu einem sehr eigenen, asketisch wirkenden Charakter führt. Die Jury empfiehlt dringend, die durchgehende und sehr massiv wirksame Traufkante zugunsten einer differenzierteren, dem Entwurfsprinzip besser entsprechenden Lösung zu überarbeiten. Der Neubauteil ist als Geschosswohnungsbau mit je zwei Zweispännern organisiert. Jede der großzügig geschnittenen Wohnungen ermöglicht ein Durchwohnen. Im Dachgeschoss entstehen zwei große, langgestreckte Wohnungen über das ganze Gebäude hinweg. Durch den Verzicht auf die rückwärtige, erdgeschossige Flächenerweiterung ist die Nutzbarkeit der Gewerbeflächen etwas eingeschränkt. Das hierdurch mögliche Freiräumen des an zwei Stellen von außen zugänglichen Innenhofs mit verschiedenen kleineren Balkonen und dem originellen, schiefwinkligen Dachüberstand erzeugt jedoch einen sehr reizvollen Wohnhof, der an die Ikonographie der eng bebauten Erfurter Altstadt-Innenhöfe anknüpft und eine überraschend hohe Wohnqualität erzeugt. Der Umgang mit den Denkmalen ist insgesamt angemessen und lässt grundsätzlich eine Genehmigungsfähigkeit erwarten. Da im Gebäude Pilse 14 jede Etage eine eigene Wohnung aufweist, kommt es hier zu einer recht intensiven Nutzung des Denkmals mit allen damit verbundenen Eingriffen. Die an die Zunftzeichen der Kürschner erinnernden Gitter zum Innenhof sollten bündig in die Außenfassade eingefügt werden. Insgesamt stellt die Arbeit einen sehr überzeugenden Beitrag für eine zeitgemäße Quartiersergänzung dar, die sich trotz des großen Volumens maßstäblich in die Altstadt einfügt und ihr zugleich eine unverwechselbare Hauspersönlichkeit hinzufügt.

Konstruktion und Statik
Die Planung der Tiefgarage mit den Stellplätzen ist nicht optimal. Die nördlichen Stellplätze sind eventuell unter bauordnungsrechtlichen Aspekten nicht realisierbar. Hinzu kommt, dass die tatsächlich notwendige Gründung nicht eingeplant wurde. Die Tragstruktur oberhalb der Tiefgarage / Gewerbe ist nachvollziehbar und realistisch. Es werden nur zwei Treppenhäuser notwendig. Die verjüngende Dachkonstruktion und die schräge Ausbildung der Wände sind kostenintensiv. Die Bauweise ist grundsätzlich einfach gewählt (einschalige Außenwände und massive Stahlbetondecken). Problematisch sind der zu geringe Dachüberstand und die innenliegende Rinne.