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Award / Auszeichnung (auch für Studenten) | 08/2019

Daniel Gössler Belobigung für Architekturtheorie

Belgrads radikale Ränder. Vergangenheitspolitik und die post-politische Stadt

Preis

Linda Lackner

Architektur

Beurteilung durch das Preisgericht

Mit „Belgrads radikale Ränder“ hat Linda Lackner eine äußerst spannende kulturpolitische Arbeit zur gegenwärtigen Stadtentwicklung Belgrads verfasst. Angesichts der komplexen historischen Situation Serbiens bezieht sie auch die Geschichte der Stadt seit 1946 bis zur Gegenwart ein, die sie zugleich als „Konstrukteur von Identitäten“ auffasst. Die Verfasserin verbindet ihre kritische Analyse der Stadtgestalt und Ansätze von Chantal Mouffe zur Stadt zu einem produktiven Konfliktraum. Mit ihrer Stadtbeschreibung verweist sie auch auf Jacques Rancière, indem sie eine Manifestation unterschiedlicher historischer Ideologien und Ordnungen in der Belgrader Architektur und Stadtplanung konstatiert. Dabei möchte die Autorin mit ihrer konzeptionellen Arbeit Belgrad als einen möglichen Ort verhandeln, der, im Kontrast zur gegenwärtigen neoliberalen Stadtplanungspraxis, unterschiedliche Narrationen und Realitäten in sich aufnimmt, um vielfältige Identitäten für unterschiedliche Stadtbewohner zu schaffen. Als radikale Ränder werden vor allem Orte in Neu-Belgrad dargestellt, die eine starke Prägung durch die verschiedenen Epochen haben: als heroische Orte unter Tito, als überschriebene Orte unter Milosevic oder als negierte Orte unter der gegenwärtigen, der Ökonomisierung folgenden Politik.

Mit der Darstellung von heterogenen Orten, darunter ein ehemaliges Konzentrationslager, ein Hochhaus des ZK der Kommunisten Serbiens, eine Roma-Siedlung und eine Ruine des Generalstabsgebäudes, wird durch die Verfasserin eine differenzierte Geschichte Belgrads neu geschrieben. Angesichts dessen bewertet sie das aktuelle „Mega-Stadtentwicklungsprojekt Belgrade Waterfront“, das auf einer ehemaligen Bahnarbeiterbaracken-Ansiedlung entsteht, als „Form der Machtausübung“ und Beispiel für Mechanismen, „die dieses Projekt und damit auch Belgrad selbst zur post-politischen Stadt machen.“ Basierend auf den Thesen von Mouffe und Rancière sowie ihren Beobachtungen fordert sie „die Einschreibung der Anteillosen in den Planungsprozess“, was letztlich – anstelle eines scheinbar allumfassenden Konsens – die Sichtbarmachung von Konflikten und Dissens in der Stadtgestalt bedeutet. Besonders überzeugend war für die Jury, dass die von Linda Lackner vorgelegte Annäherung an die osteuropäische Stadt gleichermaßen ein Verständnis für Belgrad sowie für die Wechselwirkungen zwischen Architektur, Stadtplanung und Politik und damit für den kritischen Planungsdiskurs erzeugt. Darüber hinaus ist das vorliegende Buch konzeptionell ausgezeichnet gestaltet, indem Inhalt und Form, Thesen und Text, Bild und Zitat eine anspruchsvolle Einheit bilden.