modgnikehtotsyek
ALLE WETTBEWERBSERGEBNISSE, AUSSCHREIBUNGEN UND JOBS Jetzt Newsletter abonnieren

Einladungswettbewerb | 10/2019

Städtebauliche Revitalisierung des Boehringer Areals in Göppingen

1. Preis

Preisgeld: 14.000 EUR

Rustler Schriever Architekten PartG mbB

Architektur

Levin Monsigny Landschaftsarchitekten GmbH

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

Boehringer Areal Göppingen 1006

100 Jahre Industriegeschichte erlebbar
Städtebauliches Konzept - Umgang mit dem Baudenkmal

Das historische Boehringer Areal wird durch eine präzise Setzung der Erweiterungsbauten aus der bestehenden städtebaulichen Struktur gefasst und zeigt sich durch zwei Turm-Neubauten nach Osten und Westen in den Stadtraum.
Das hohe Gebäudevolumen im Westen markiert das Boehringer Areal mit großer Fernwirkung und formuliert baulich die Stadteinfahrt nach Göppingen mit seiner über 100-jährigen Industriegeschichte. Der neue Turm führt auch als Geste in Anlehnung an die Formsprache der internationalen Moderne an der Stuttgarter Straße, mit leichter Rundung, in das Boehringer Areal und gewährt bereits beim Vorbeifahren den tiefen Blick in das Areal. Als Eingangstor von Westen führt es die Besucher, Radfahrer, Gewerbetreibende in das neu für die Öffentlichkeit aktivierte Industrieareal. Das historische Areal begreifen wir als einen Identität stiftenden Ort für die Stadt Göppingen mit seiner großen Industrie-geschichte. Unser Ansatz erhält die unterschiedlichen Konstruktionsmerkmale der Werkhallen aller wesentlichen Zeitschichten. Die Entwicklung der Industriearchitektur mit ihren charakteristischen Tragwerken mit unterschiedlichen Konstruktionsund Gestaltungsformen bleibt somit auch weiterhin ablesbar und wird für die Öffentlichkeit als Baudenkmal erlebbar.
Im Inneren werden die großformatigen Hallen (Werk III) „aufgeschnitten“ und in kleinteiligere Hallenvolumen aufgeteilt. Der „aufgeschnittene“ Zwischenraum wird zum Außenraum und wird zur Wegeachse durch die historische Hallenstruktur von Ost nach West. In der 2.Phase öffnen wir diese Wegeachse über 2 Stützenreihen zu einer Breite von insg. 15m. Die Hallen werden an den Schnittflächen großzügig verglast und führen Tageslicht weit in die Hallentiefe. Offene transparente Gebäudehüllen mit hoher Flexibilität und Möglichkeiten für vielseitigste zukünftige Nutzungen entstehen. Die Kranbahn bleibt als hochwertiges Baudenkmal erhalten. Das Bürogebäude (58.06) an der Westseite des Werk III wird zugunsten der Gliederung und Öffnung für die Durchwegung von West nach Ost durch das Werk III geöffnet und das Obergeschoss rückgebaut. Als Öffnung einer weiteren Süd-Nordrichtung und Zuwegung auch für den Anlieferverkehr möchten wir den angedachten „Industrie-Boulevard“ im Werk III (Halle 58.05) komplett als Außenraum öffnen, hierbei soll die Grundstruktur- und Konstruktion der gesamten Halle weiterhin erhalten bleiben und ablesbar sein. Die einheitliche Fassade entlang der Stuttgarter Straße bleibt erhalten. Die Gießereihalle wird in ihrer Struktur von 1909 freigestellt und die voraussichtlich gut erhaltene historischen Südfassade wird wieder erlebbar und bildet den Gebäudeabschluss nach Süden. Auch von der Bahn aus ist die Gießereihalle identitätsstiftend für das Areal wieder erlebbar. Zwei großzügige neue Quartierplätze werden im Inneren geschaffen. Die Gießereihalle bildet mit der Modell-schreinerei im Norden einen großen zentralen Platz der den Industriecharme des Areals für die Öffentlichkeit mit hoher Aufenthaltsqualität erlebbar macht. Gastronomie, kulturelle Nutzungen, aber auch kreative Gewerbe lassen sich hier bestens verorten. Ein zweiter Platz mit hoher Aufenthaltsqualität wird im Osten des Areals durch die neuen Erweiterungsbauten gebildet, er bietet Freiraum für die Vielzahl an neuen Büronutzungen.
Entlang der Bahnlinie werden die untergeordneten Hallenbauten zugunsten einer öffentlichen Haupterschließung für Pkw und Lkw-Anlieferung abgetragen.

Nutzungskonzept
Ein urbanes Gewerbegebiet mit flexiblen Gebäudestrukturen entsteht, die unterschiedliche Nutzer ansprechen und auch für zukünftige Entwicklungen in ihrer Struktur offen bleiben (Industrie 4.0). Die neuen Erweiterungsbauten im Osten und Westen führen die bestehende Bürobebauung weiter und sind in Ihrer Nutzung als Bürogebäude vorgesehen, zur Verortung kleinteiliger Firmenstrukturen und zur Steigerung der Arbeitsplätze auf dem gesamten Areal. In der 2. Phase setzten wir in Teilbereichen entlang der Stuttgarter Strasse, sowie entlang der Hermann Strasse ein Bürogeschoss auf die Bestandsbebauung und schaffen so über die bestehenden Erschliessungen eine erhöhte Büronutzung auf dem Areal.
Das neue Böhringer-Museum verorten wir direkt im historischen Bestandsgebäude an der Ecke Stuttgarter Straße / Hermann Straße. Wir öffnen die Fassade in der Erdgeschosszone (im Bereich der Bestandstore) und schaffen so ein museales Gegenüber zum Märklin-Museum und führen die Besucher direkt in die Geschichte des Ortes. Durchblicke gewähren den Blick auf den neuen großen Platz im Inneren des Areals.
Die geplante Strukturierung und Gliederung des Werk III in eine kleinteiligere Hallenstruktur sieht weiterhin eine Ansiedelung von Gewerbebetrieben und industriellen Produktionsstätten vor. Durch das Öffnen der Hallenstruktur und die großformatigen Glasfassaden sind auch Galerieebenen mit Gewerbebüros als erweiterte Nutzung innerhalb des Werk III denkbar. Die freigestellte Gießereihalle kann vielseitige Nutzungskonzepte anbieten. Eine Büronutzung mit Galerie-Einbau, kulturelle Nutzung oder ein Restaurantbetrieb mit dem Charme der Industriearchitektur ausgerichtet zum großzügigen neuen Quartiersplatz.

Erschließungskonzept
Die Schaffung einer parallel zur Bahn verlaufenden Erschließungsstraße für die Hauptdurchwegung des Verkehrs (Lkw und Pkw) durch das gesamte Areal ist das Rückgrat des Erschliessungskonzepts. Entlang der Bahn werden Parkplätze geführt (63 Stellplätze), der ruhende Verkehr wird gleich in den neuen Eingangsgebäuden im Osten und Westen des Areals verortet. Der Neubau im Westen wird als reines Parkhaus ausgebildet, im Osten wird die abfallende Topographie des Geländes für eine eingeschossige Parkebene im UG ausgebildet mit direkten Zugängen zu den Neubauten, insg. Werden 500 überdachte Stellplätzen angeboten.
Im Inneren führt eine großzügige Durchwegung die Besucher zu Fuß oder mit dem Rad durch das historische Ensemble von Osten (Wegeachse durch Werk III) nach Westen an der freigestellten Gießereihalle vorbei quer über den neuen zentralen Innenplatz bis zum Stadttor mit markantem Stadtturm im Westen.

Brandschutzkonzept
Die großen heterogenen Hallenstrukturen werden in kleinere Bereiche unterteilt und sollen im Sinne einer zukünftigen flexiblen Nutzung gesprinklert werden. Mit automatischen Löschanlagen können teure, bauliche Brandschutzmaßnahmen vermieden werden. Die Tragkonstruktionen können frei von Feuerwiderstand bleiben. Günstig angeordnete Rettungswege führen aus den eingestellten Galerieebenen. Die Gießereihalle folgt diesem Prinzip. Für die Bürotürme stellt jeweils ein Sicherheitstreppenraum den baulichen Rettungsweg. Die Modellwerkstatt wird in zwei Brandabschnitte unterteilt. Der abgewinkelte Verwaltungsbau folgt diesem Schema. Die Durchquerung des Geländes durch die Feuerwehr ist gewährleistet.

Wirtschaftlichkeit
Die hochwertigen und identitätsstiftenden Bestandsgebäude bleiben mit ihren Konstruktionsmerkmalen weitestgehend erhalten und werden in wirtschaftlich kleinteiligere Volumen aufgeteilt. Die brandschutz-technische Ertüchtigung und Abschnittsbildung, sowie die denkmalschutzrechtliche Befreiung von der EnEV lassen je nach Nutzung entsprechend wirtschaftlich hocheffiziente energetische Anpassungen zu.
Um den wirtschaftlichen Anforderungen des 21. Jahrhunderts an effiziente Büronutzung zu entsprechen, werden an den Außengrenzen des Areals nach Osten und Westen zeitgemäße Büroneubauten geplant (Wirtschaftlichkeit, Effizienz, qm-Preis, Nachhaltigkeit).

Vision – lebendiges Baudenkmal im Herzen Baden-Württemberg
Ein urbanes Gewerbeareal entsteht und macht Göppingen auch im 21. Jahrhundert zu einer ersten Adresse für die Industrie und Gewerbe. Offen, transparent, flexibel für zukünftige Entwicklungen werden 100 Jahre Industriegeschichte erlebbar.

Freiraumkonzept
Die neue, kleinteilige Struktur des Boehringer Areals schafft an der neuen Wegeachse von Ost nach West eine attraktive Abfolge differenzierter Freiräume innerhalb des Gewerbegebietes und erschließt neue Anbindungen in die umgrenzenden Stadträume und im Osten an die bestehende Bahnunterführung an die Fils.
An der Gießereihalle entsteht ein urbaner Platz mit besonderem Aufenthaltscharakter sowie Raum für unterschiedliche öffentliche Veranstaltungen. Eine lange Banklinie im lichten Schatten schirmförmiger Baumkronen und ein Wasserspiel beleben den Platz ebenso wie eine attraktive Außengastronomie. Der östliche Quartiersplatz erhält eine eher gärtnerische, kontemplative Ausformulierung, als ruhiger Rückzugsort für die Mitarbeiter und im Kontext der Museumsnutzung für das Technikforum als möglichem Ort für Ausstellungstücke zur Industriegeschichte im Freien. Während die Ost-Westverbindung primär als Durchwegung für Radfahrer und Fußgänger dient und die Anlieferung der einzelnen Hallen gewährleistet, schaffen die Nord/Süd ausgerichteten Industrieboulevards weitere Aufenthaltsbereiche. Neben schattigen Sitzgelegenheiten werden Sportangebote wie Tischtennis, Kicker oder Boule integriert. Unter der Kranbahn entsteht ein lebendiger Ort für körperliche Aktivitäten. Outdoor Fitnessgeräte für Cross Fit werden in die bestehenden Stahlstrukturen integriert und ermöglichen ein umfangreiches Trainingsangebot im Freien.
Das Vegetationskonzept unterstützt die Differenzierung des Freiraumsystems. Japanische Schnurrbäume, mit ihren lichten, schirmartigen Kronen und den weißen Blütenständen im Hochsommer, schaffen besondere Akzente auf den beiden Quartiersplätzen. Die ebenfalls weißblühenden Blumeneschen mit ihren lockeren Kronen bleiben vergleichsweise klein und sind mit ihrem süßlichen Duft zur Blütezeit eine besondere Attraktion, die die Industrieboulevards gliedern. Die Thüringische Mehlbeere wird in ihrer Säulenform bei einer Höhe von bis zu 7 Metern nur 3-4 m breit und eignet sich daher besonders für die Ost-Westverbindung. Neben ihrer weißen Blüte zieren sie im Herbst orangerote Früchte. Punktuelle Fassadenbegrünungen mit Kletterhortensien, Blauregen und Efeu bewirken weitere grüne Aspekte innerhalb der alten, aufgelösten Hallenstrukturen. Außerhalb des Areals schaffen Großbäume wie Edelkastanien (westlich des neuen Parkhauses) und Tulpenbäume am neuen östlichen Turm maßstäbliche grüne Volumen im Übergang zum angrenzenden Stadtraum.
Das Materialkonzept nimmt Bezug auf die industrielle Geschichte des Ortes. Die Quartiersplätze erhalten einen robusten Belag aus großformatigen Betonplatten mit Stahlrahmen. Die Erschließungsflächen sind asphaltiert, wobei für die inneren Flächen eine geschliffene, terrazzoartige Oberfläche ausgebildet wird und die südlichen Erschließungsbreiche eine Schwarzasphaltdecke erhält. Industrielle Relikte begleiten als Intarsien im Asphalt den Verlauf der Ost-Westverbindung. Farbige Markierungen setzten unterschiedliche Nutzungsbereiche ab.

Nachhaltigkeitskonzept
Die vorgeschlagenen Baumarten haben allesamt die Eigenschaften der sogenannten Klimawandelgehölze. Sie vertragen starke Hitzewellen, extreme Trockenheit und Fröste. Darüber hinaus zählen sie zu den Bienenbäumen, bieten also besondere Nahrungsangebote für Bienen und andere Insektenarten. Die Baumpflanzungen bieten nicht nur schattige Verweilplätze für Mitarbeiter und Besucher, sondern reduzieren auch die Aufheizung der Stadträume.
Die Neubauten erhalten Retentionsdächer mit extensiven Dachbegrünungen mit Wasseranstau und Drosselablauf. Damit tragen sie ebenfalls zu einer Verbesserung des Mikroklimas bei und entlasten die städtische Kanalisation bei Starkregenereignissen. Die Anlage von Hohlkörper- und Baumrigolen zur Regenwasserversickerung bestehender Dach- und Belagsflächen unterstützt darüber hinaus die Grundwasserneubildung. Die Oberflächengefälle der Belagsflächen werden als Kehlen zur Mitte hin ausgebildet, so dass bei Starkregenereignissen eine schadlose Rückhaltung ermöglicht wird. Die vorgenommenen Flächenentsiegelungen wirken sich ebenfalls positiv auf die Verringerung der Regenwasserableitung aus.

Beurteilung durch das Preisgericht

Das städtebauliche Konzept ergänzt durch Neubauten im Osten und Westen des Areals lässt eine Gesamtfigur entstehen, die sich äußerst maßstäblich in den heterogenen Kontext einfügt. Zwei Hochpunkte markieren die Quartierseingänge und leiten ein zur Durchquerung in Ost-West- Richtung. Durch die Stärkung der Ränder entsteht ein nach außen einheitliches Quartier, das den besonderen industriell geprägten Charakter hervorhebt.

Das innere Erschließungskonzept zeichnet sich durch die Schaffung neuer Bewegungsräume aus und lässt sinnvolle Beziehungen in Ost-West und Nord-Süd-Richtung entstehen. Wertvolle Freiräume mit unterschiedlichen Aufenthaltsqualitäten lagern sich an.

Durch die Aufweitung der südlichen Erschließungsstraße wird eine flüssige Zufahrt und Anlieferung möglich. Durch den breiten Boulevard in der Mitte wird auch eine Versorgung der tiefer gelegenen Flächen problemlos ermöglicht. Die Nord-Süd-Querungen unterstützen die Durchlässigkeit und tragen zur Belichtung der neuen Bausteine bei.

Als Auftakt für das Gebiet zur Brücke wird ein städtebaulich richtig gesetzter Baustein vorgeschlagen, der jedoch in seiner Nutzung als Parkgarage kritisch hinterfragt wird. Die nachfolgende Werkhalle 1 als einfach gestaltete, neuzeitliche Industriehalle wird in die zweite Reihe gedrängt und kann sich langfristig mit größerer Flächeneffizienz weiterentwickeln. Die historische Modellschreinerei wird um den ca. 50m hohen Eingangsturm und eine Aufstockung des gesamten Riegels ergänzt. Der Turm wird in seiner städtebaulichen Setzung und plastischen Ausformulierung positiv gesehen, die etwas beliebig wirkende Bürohausfassade sollte sich besser in die historische Lochfassadenstruktur einfügen. Die Aufstockung wird nicht nur aus Denkmalschutz-Sicht sehr kritisch gesehen. Die Freistellung der Gießereihalle lässt den zentralen Mittelpunkt des Boehringer Areals wiederaufleben. Im Zusammenhang mit dem „Göppinger Platz“ entsteht ein wertvoller urbaner Freiraum.

Sehr begrüßt wird die gründliche Auseinandersetzung mit dem Bestand und der Einteilung in sinnvolle Einheiten und der Intensivierung möglicher Nutzungen. Die Kulturdenkmale bleiben trotz Eingriffen in die Struktur weitgehend erhalten und werden fortentwickelt. Damit werden wesentliche denkmalkonstituierende Merkmale gewürdigt. Die Bestandsflächen sind flexibel nutzbar und können mit ihrem besonderen Charakter in der Göppinger Entwicklung einen wichtigen Beitrag leisten. Die Arrondierung im Osten bildet zusammen mit dem zweiten Büroturm und dem neuen Baustein ein sichtbares Signal zur Stadtseite.

Die vorgeschlagene Materialwahl und die Grünflächengestaltung unterstützen das Gesamtkonzept in einfacher, unaufgeregter Weise.

Die Aufgabe ein städtebauliches Grundkonzept für die Weiterentwicklung des BoehringerAreals zu entwerfen wurde in vorbildlicher Weise erfüllt. Es wurden nicht nur denkmalpflegerische Belange berücksichtigt sondern auch eine Fortschreibung des wertvollen Ortes mit seiner besonderen Identität aufgezeigt.