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Award / Auszeichnung | 09/2019

Saarländischer Nachwuchspreis für Architekten

Advanced Office Design

Anerkennung

Marina Henrichs

Student*in

Erläuterungstext

Aufgabe:
Die Aufgabe ist es im Zentrum Stuttgarts unter Berücksichtigung der städtebauliche Konstitution und einem zugeschnitten Raumprogramm ein Bürogebäude zu errichten. Auf einer dreiecksförmigen Restfläche gilt es einen Bürokomplex mit Mehrwert für eine internationale Firma im Bereich des digital modellings zu planen.

Konzept Form und Städtebau:
Auf dem Bebauungsfeld befindet sich an nördlicher Eckposition der Bestand der Steuerberaterkammer. Um auf diesen Bau zu reagieren entstehen im Fußabdruck zwei Gebäude, welche durch Ihre Form und Stellung zueinander einen Platz zwischen dem neuen Bürogebäudes und der Steuerberaterkammer ausbilden. Die zulaufende Geste beider Bauten nimmt Bezug auf den Neubau der Hochschule und bildet gleichzeitig eine großzügige Passage, die den Stadtraum verbindet. Durchlaufende Geschosse im dritten Obergeschoss, sowie im Vierten verbinden beide Gebäude und lassen sie eine Einheit bilden.
Das Atrium, welches dadurch entsteht dient neben dem Lichteinfall auch dazu den städtischen Grünraum des Hoppenlauffriedhofs weiterzuführen. Der Anstieg des Gebäudevolumens dient der Orientierung Richtung Stadtzentrum und nimmt die Höhe der Steuerberaterkammer auf. Zudem wird eine Dynamik in der Formgebung erzeugt.
Um dem Stadt- und Grünraum nichts zu entnehmen soll der Bürokomplex Mehrwert schaffen. Zum neu geschaffenen urbanen Platz, werden die ersten beiden Etagen des Komplexes öffentlich bzw. halb öffentlich für die Bürger zugänglich. Ein Fitnessstudio, Ausstellungsbereiche, Lounge und Café sind im Erdgeschoss der Berührungspunkt zwischen der Firma und der Stadt. Das Kino und Restaurant dienen während den Geschäftszeiten für die Angestellten als Kantine und als Vorführräume für Kunden. Am Abend und am Wochenende sind diese ebenfalls für die Öffentlichkeit zugänglich. Weitere Flächen, die am Wochenende öffentlich genutzt werden können, sind ist die Bar auf dem Dach und der Veranstaltungssaal mit angegliedertem Dachgarten. Die Flächen des Fußabdrucks des Neubaus werden hierbei vollständig genutzt oder als begrünte Dachfläche angelegt.

Fassade:
Um den Gedanken der Einheit und Identität zwischen der Firma und dem Gebäude auszudrücken, vereint eine Hülle den Neubau. Diese ist aus Textil mit dynamisch verlaufenden Webmustern gefertigt. Inspiriert von den oft schnellen mit Lichtbändern akzentuierten bewegten Bildern, die die Firma generiert wurde Bewegung und Fluss zum Leitmotiv.
Die transluzente Fassade ergibt sich auch aus dem Sicherheitsbedürfnis. Aufgrund des Besitzes noch nicht publizierten Bildmaterials muss die Einsicht in die Arbeitsbereiche verhindert werden. Allerdings muss gleichzeitig der Eintritt von natürlichem Tageslicht gewährleistet werden. Diese Anforderungen vereint die vorgehängte Fassade.
Zu diesem Zweck beginnt die zweite Haut erst ab den Bürogeschossen. Die vorgehängte Fassade macht somit eine klare Zonierung der Nutzungsbereiche zwischen den öffentlichen Geschossen und den Bürogeschossen sichtbar. Des Weiteren entsteht eine Strahlwirkung bei Dunkelheit, wenn die Lichter im Inneren durch die Fassade nach Außen strahlen.
Das Herstellungsprinzip ergibt sich aus Karbonfasern, die zwischen zwei Lagen Textil laminiert sind. Die ergeben die dynamischen Wellen und dienen zudem zur Stabilität. Wie die Karbonfasern eines Segels nehmen sie Zug- und Druckkräfte durch Wind auf.

Atrium und Auswirkungen auf den Grundriss:
Um den Tageslichteinfall auch bei kompakten Gebäudevolumen zu ermöglichen wurde zusätzlich in jedem Gebäude ein Einschnitt vorgenommen. Durch das Verhältnis zwischen der Höhe des Neubaus zur Größe des Einschnitts besteht die Gefahr, dass in den unteren Geschossen zu wenig Licht ankommt. Um zusätzlich wirtschaftliche Fläche zu erhalten umfasst das Atrium somit nur die Geschosse 6 bis 4.
Das 3. Obergeschoss profitiert dabei stark durch die hohe, lichtdurchflutete Fläche unter dem Atrium. Um dies zu nutzen sind freie Arbeitstische und Module mit begehbaren Dachflächen angeordnet. Die benötigten dunklen Räume, wie beispielsweise ein Vorführraum für „virtual reality“ oder „motion tracking“ befinden sich dabei an gleicher Stelle in den Geschossen darunter.

Grundrissorganisation:
Die Anordnung von „work areas“ und Modulen erfolgt nach zwei Prinzipien. Das Laut nach Leise- und das Öffentlich nach Privat Prinzip. Ihr Verlauf ist dabei ähnlich zu betrachten. Das innen liegende Atrium mit dem Platz, der den öffentlichen Raum widerspiegelt, und die einläufige Treppe, sind Kommunikationsflächen und somit die größten Lärmquellen. Von dort ausgehend befinden sich die lauteren und weniger diskreten Räume der team areas. Diese verkleinert sich allmählich bis hin zum „quiet working“. An den Spitzen der Grundrisse befindet sich jeweils eine Kommunikationszone, durch Etagen verbindende Sitzstufen oder „lounges“. Mit der exponierten Lage verteilt sich der Lärm weniger und die große Belichtung ist zudem für das Arbeiten am Bildschirm weniger attraktiv.
Neben der Wahl der schallabsorbierenden Materialien sind geschlossene Räume oder andere schallschluckende Elemente zwischen WC, Treppenhaus und Arbeitsplatz vorgesehen. Zudem unterbrechen „focus boxen“ als Puffer die „work area“ und bieten z.B. Platz für Telefonate.

Horizontale Erschließung Bürogeschosse:
Die Laufwege auf den Etagen sind ringförmig angelegt. In den ersten drei Büroetagen wird dabei von der einläufigen Treppe aus ein großzügiger Vorbereich erschlossen. Hier sind temporäre Arbeitsplätze zu finden. In unmittelbarer Nähe ist die erste Anlaufstelle des Mitarbeiters die „home base“, in der er Spinte und eine Teeküche vorfindet. Ein „meeting room“ ist insbesondere in diesem Bereich sinnvoll für abteilungsübergreifende Besprechungen.
Von dieser Verteilerstelle ausgehend kann sich der Mitarbeiter nun entscheiden ob er ein Arbeitsplatz in der „team area“ aufsucht oder einen ruhigen Arbeitsplatz benötigt. Da die wenigsten einen individuellen Arbeitsplatz benötigen sind diese am weitesten entfernt zu finden.
Nicht personalisierte „individual rooms“ sind im Inneren des Gebäudes zu finden. In den oberen Geschossen, welche nicht durch die einläufige Treppe zu erschließen sind, ergeben sich keine kompletten Rundwege. Sie sind Staffelgeschosse und mit den Abteilungen „management“ und „commercial“, sowie Sondernutzungen besetzt. Da diese Bereiche durch mehrere und größere individual rooms und meeting rooms geprägt sind, wäre ein Umlauf eher ein Störfaktor.

Vertikale Erschließung:
Als vertikale Erschließung verbinden in jedem Gebäude 2 Fluchttreppenhäuser die Geschosse miteinander. Sie sind um wirtschaftliche Fassadenflächen für Arbeitsplätze zu erhalten im Inneren. Im Erdgeschoss führt deswegen jeweils ein Fluchttunnel direkt ins Freie. Des Weiteren sind die unteren Bürogeschosse mit einer einläufigen Treppe verbunden. Sie bilden einen schnellen Verbindungsweg und einen Blickbezug. Strategisch platzierte Sitztreppen verbinden zudem einzelne Geschosse miteinander. Die Erschließungsflächen sollen als unbewusste Begegnungsstätte dienen und somit einen informellen kommunikativen Raum schaffen.

Beurteilung durch das Preisgericht

Im Zentrum Stuttgarts wird ein Bürokomplex für eine international agierende Firma des „digital modellings“ vorgeschlagen. Die städtebauliche Lage auf einer dreiecksförmigen Restfläche erfordert Reaktionen auf den vorhandenen Baubestand, läßt aber gleichzeitig auch eine selbstbewusst dynamische eigene Position zu. Das umfangreiche Raumprogramm wird im Hinblick auf den Wissensstand moderner Büroarbeitsplätze untersucht. Das Konzept zeigt ein flexibles Bürogebäude der Zukunft, das nach „Flex-Office“-Gesichtspunkten entwickelt wird. Stadtgestalterisch ist das Gebäude intelligent angefasst, indem Durchlässe, Passagen, Grünräume vorgeschlagen werden, die öffentliche und halböffentliche Räume zulassen. Dem Komplex werden im Erdgeschossbereich öffentlich nutzbare Einheiten zugeordnet, die als Sporttreff, Cafe, Lounge Frequenz und Öffentlichkeit erzeugen. Kino, Restaurant, Dach-Bar, Dach-Veranstaltungssaal, Dachgarten ergänzen dieses Konzept mit einem willkommenen Mehrwert. Das Leitmotiv des Advanced Office Designs und das der Firma nämlich „panta rhei“ oder „Bewegung und Fluß“ inspiriert zur vorgestellten Fassade, die in schnellen mit akzentuierten, bewegten Bildern, die die Firma entwickelt, Identität und Einheit zwischen Gebäude und Firma vermitteln soll. Ob die bewegte Szene das wirklich vermitteln kann, bleibt zu diskutieren. Dennoch scheint die tranzluzente Fassade aus Karbonfasern an sich geschickt gewählt, weil sie Einsichten in tagesaktuelle Bearbeitungen der Firma bei gleichzeitig natürlichem Tageslicht verhindert. Inwieweit das die Nutzer glücklich macht, kann man in einem Selbstversuch in einem mit hellen Gerüstfolien verhängten Gebäude einmal untersuchen. Hier würde man sehr sorgfältig vorgehen müssen.

Der Entwurf zeigt eine Fülle von innovativen Lösungsansätzen im Rahmen des Advanced Office Designs, die allerdings in ihrer spürbaren Dichte und Reichlichkeit noch umsetzungsrelevanter Vorschläge bedürfen. Er könnte als Basis für weitere Entwicklungen dienen.

Nach Ansicht der Jury verdient diese solide Arbeit von Marina Henrichs eine Anerkennung.