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Offener Wettbewerb (auch für Studenten) | 02/2020

AIV-Schinkel-Wettbewerb 2020: BERLIN 2070

Das Landschaftsgehirn - überwacht den Zustand angrenzender Biotope

Das Landschaftsgehirn - überwacht den Zustand angrenzender Biotope

Gewinner / Schinkel-Preis Landschaftsarchitektur

Antonia Eger

Student*in Landschaftsarchitektur

Evelina Faliagka

Student*in

Pascal Zißler

Student*in

Erläuterungstext

EQUILIBRIUM
Durch das Wirken der Menschheit und den sich beschleunigenden klimatischen Veränderungen haben sich heute schon viele natürliche Kreisläufe und Zusammenhänge entkoppelt. In 2070 ist zu erwarten, dass sich diese Prozesse noch deutlich verstärken.
Das frühere natürliche Gleichgewicht kann nicht wiederhergestellt werden, die Erde hat sich irreversibel verändert. Der Mensch muss in dieser neuen Welt für die Balance sorgen. Das Ziel ist ein neues ganzheitliches Gleichgewicht: Equilibrium.

Equilibrium bedeutet einen Ausgleich auf vielen Ebenen:
Neue Resilienz der Landschaft gegenüber Wettextremen. Eine diverse Landwirtschaft, die sich aufgrund geringerer Fleischproduktion zugunsten neuer Habitate zurückziehen kann. Gewachsene Kulturlandschaft, die mit eruptiver Innovation zu einer neuen Identität verwebt wird. Ein neues Bewusstsein für gegenseitige Abhängigkeiten, anstatt voranschreitende Entkopplung. Neue Räume für die Koexistenz von Menschen und anderen Lebewesen. Eine Gesellschaft, die nur pflanzliches Wachstum produzieren muss. Ein Ausgleichsort für die Metropolenbewohner des zukünftigen Berlin.

Der Landschaftsfinger im Nordosten Berlins, als Teil der Barnim Hochfläche und gewachsenen Kulturlandschaft der Feldmark, wird nicht nur Laborraum für die periurbane Landschaft der Zukunft, sondern stärkt als Palimpsest auch seine eigene Identität als ungewöhnlicher Common.

AGRIKULTUR
Die Landwirtschaft hat sich entgegen ihren Ursprüngen zu einem der größten Vernichter von Biodiversität entwickelt und wird heute noch geprägt von den ausgeräumten Großfeldern der ehemaligen Landwirtschaftskombinate.

Ausgehend davon, dass 2070 kaum noch Fleisch konsumiert wird und sich Massentierhaltung erübrigt hat, wird etwa ein Drittel der landwirtschaftlichen Fläche entfallen und für andere Zwecke genutzt werden können. Die übrige Fläche wird wieder kleiner parzelliert, Feldhecken trennen als artenreiche Korridore die Parzellen und eine neue Dreifelderwirtschaft wird gefördert. Wechselnde Brachen stärken zusätzlich die Artenvielfalt. Am Siedlungsrand entstehen solidarische Landwirtschaften und dezentrale experimentelle Anbaugemeinschaften. Ein Netz aus neuen Märkten rückt die periurbane Landwirtschaft ins Bewusstsein der Metropolenbewohner.

WASSERSYSTEM
Die letzte Eiszeit hat auf der Barnim-Hochfläche eine perforierte, feuchte Landschaft mit vielen Kleingewässern und Pfuhlen hinterlassen. Um das Land nutzbar zu machen, wurde es bereits früh mit Kanälen entwässert. Auch die Becken der Rieselfelderwirtschaft gehören zur Wassergeschichte des Ortes.

In Zukunft werden Extremwetterereignisse weiterhin zunehmen, diese sollen abgefedert und deren Auswirkungen reguliert werden.
Dazu wird entlang der Kanäle ein neues System aus Speicherbecken entstehen, welche sich entlang der Agglomerationsgrenze reihen und Wasser an der Oberfläche halten. Bei Starkregen und in der nassen Jahreszeit erreichen sie ihre maximalen Füllstände, bei Trockenheit können sie Wasser in die Umgebung abgeben. Zusätzliche Mulden können die Kapazität im Bedarfsfall sogar noch erhöhen.
Die vertrauten Formen der ehemaligen Rieselfelder kehren mit neuer Bestimmung in die Landschaft zurück.

NEUE HABITATE
Die Barnim-Hochfläche besitzt einige unscheinbare Biodiversitäts-Hotspots. Die posteiszeitlichen Pfuhle und Feuchtniederungen sind Lebensraum für besonders bedrohte Amphibien (z.B. Rotbauchunke), Insekten und auch Vögel. Diese nährstoffarmen Flachwasserbiotope stehen durch den Klimawandel und die Landwirtschaft besonders unter Druck und sind sehr fragmentiert.
Neue Habitate besetzen den Raum der ehemaligen Felder und schaffen Kernbiotope für die Arten der bedrohten Feuchtlebensräume. Die Speicherbecken bieten selbst bei Dürren noch ausreichende Mengen an „Not-Teichen“ und vernetzen isolierte Pfuhle miteinander.
Die Habitate sollen ein artenreiches Mosaik aus Pfuhlen, gebauten Beckenteichen, Kanälen, Mischwäldern, Feuchtwiesen und Offenlandstrukturen werden, sodass deren Biodiversität sowohl in die Landschaft als auch in die Metropole ausstrahlen kann. Viele Habitate sind zugänglich und bieten neben Erholung auch intensive Konfrontation mit anthropogener „Natur“.
Durch den Klimawandel veränderte Lebensgemeinschaften mit Neobiota werden über ein vernetztes System der zukünftigen Technosphäre überwacht und betreut.
Die Feldhecken und Brachen der Landwirtschaft verbinden die Habitate zusätzlich untereinander und komplettieren den ganzheitlichen Ansatz für die Biodiversität.

FÜNF WAHRZEICHEN
Die massive Deponie Schwanebeck ist neben dem ehemaligen Gasturbinenkraftwerk eine weit sichtbare Höhendominante in der ansonsten flachen Landschaft. Drei weitere markante Orte werden entwickelt um diese zu ergänzen. Alle fünf Wahrzeichen liegen am Übergang von Agglomeration zu offener Felderflur und geben diesem Zwischenraum somit eine prägnante Identität. Als Leuchttürme für zukünftige Entwicklungen lassen sie weite Blicke in die Umgebung zu und sind vis-à-vis mit den anderen Wahrzeichen.

Die Deponie als anthropogener Monolith wird in eine neue Haut gekleidet und stellt ihre Andersartigkeit zur Schau. Auf dem Bergrücken befindet sich Forschungs- und Kongresszentren zum Anthropozän, in einer Mine werden die verschiedenen Schichten menschgemachter Sedimente (Müll) erforscht und sichtbar gemacht.

Das Landschaftsgehirn überwacht die Habitate und macht diese Informationen erfahrbar. Als mythisch-futuristischer Ort steht es für eine neue menschgemachte Stabilität in den teils extremen und fragilen Bedingungen der Zukunft.

Der Sinnesübersetzer vermittelt Wissen und erzeugt intensive Erfahrungen. Menschen werden hier für die Wahrnehmungen von Lebewesen sensibilisiert, Eindrücke werden kanalisiert und verstärkt. Genaues Zuhören, intensives Fühlen, anderes Sehen. Der Übersetzer soll mit nichtmenschlichen Akteuren verbinden und kann der Landschaft ein spirituelles Moment verleihen.

Das Tierheim hat bereits jetzt eine überregionale Bedeutung, ein Skywalk macht es räumlich präsenter. Seine Funktion wird in Zukunft noch erweitert. Die sozialen Tier-Mensch Beziehungen können vertieft werden und das Tierheim kann zum Mediator der umgebenden Biotope werden.

Das Kraftwerk steht gleichermaßen für vergangenes und zukünftiges. Es ist nicht nur Ort der Energie, sondern auch des Wissens. Seine Funktion wird näher unter ENERGIE beschrieben.

MOBILITÄT
Im Jahr 2070 ist der Modal-Split Berlins ein völlig anderer. Der MIV- Anteil ist um 90% zurückgegangen, Fahrräder sind das mit Abstand häufigste Transportmittel für kurze Strecken und längere Fahrten werden fast ausschließlich über die Schiene abgewickelt.
Die Bahnen nach Berlin fahren über den Siedlungsstern ein, sodass ein Teil der Autobahn A10 zurückgebaut werden kann. Die A11 und das östliche Stück der A10 werden zur Trasse für ein Bahnviadukt, welches die Siedlungsarme nach Bernau und Ahrensfelde verbindet. Durch diese durchlässigen Strukturen werden Habitatverbindungen wiederhergestellt.

Die Straßenstruktur im Inneren ermöglicht ein schnelles Erreichen der S-Bahnhöfe und Zentren und soll vor allem dem Radverkehr und autonomen Bussen zur Verfügung stehen. Eine neue S-Bahn Haltestelle am ehemaligen Autobahnkreuz bindet das Innere des Landschaftsfingers an Berlin an.

ALLEEN UND DÖRFER
Die ursprünglichen Straßendörfer der Barnimhochfläche waren durch ein spinnennetzartiges Gewebe aus großen Alleen verbunden. Dieses Motiv wird wieder aufgegriffen und ausgebaut, wodurch die alten Dorfkerne wieder in der Agglomeration spürbar werden. Die Allen sind als wiederbelebtes Merkmal der Kulturlandschaft gleichzeitig auch ein orientierungsstiftendes Raumgerüst der Landschaft.

ENERGIE
Das Jahr 2070 liegt zwei Dekaden nach den aktuellen Klimazielen. Eine postfossile Gesellschaft ist Bedingung für eine erstrebenswerte Zukunft.
Visionäre Technologien zu erneuerbaren Energien sind im Jahr 2070 Realität. Ballonartige Windturbinen schweben als kleine Wolken in 1km Höhe und ersetzen somit herkömmliche Windräder. Ihr Wirkungsgrad ist aufgrund der Höhe größer, sie minimieren Gefahren für Vögel und Abstandsregelungen entfallen. Sie sind zudem Eckpfeiler des neuen dezentralen Energienetzes, welches sich entlang bestehender Infrastrukturen aufspannt (Bahntrasse und Straßen) und somit die visuelle Zerschneidung verringert.
Das alte Gasturbinenkraftwerk ist als Wahrzeichen nicht nur Museum der alten Energieträger, sondern wird um ein Biomassekraftwerk erweitert, welches von extensiver Bewirtschaftung der Habitate und Brachen gespeist wird. Auch die energieproduzierende Haut der Deponie wird zusätzlicher Anker im lokalen Stromnetz.
Das Landschaftsgehirn

Das Landschaftsgehirn

Equilibrium

Equilibrium

Die Deponie Schwanebeck: das Andere

Die Deponie Schwanebeck: das Andere

Die Deponie Schwanebeck: das Andere

Die Deponie Schwanebeck: das Andere

Der Berliner Siedlungsstern. Im Nordosten: die Barnimer Feldmark

Der Berliner Siedlungsstern. Im Nordosten: die Barnimer Feldmark