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Einladungswettbewerb | 12/2019

Entwicklung des Areals „Alte Stadtgärtnerei“ in Lindau

Quartierraum Engel-Hof mit Blick auf die Villa Engel

Quartierraum Engel-Hof mit Blick auf die Villa Engel

2. Preis

heilergeiger architekten und stadtplaner BDA

Architektur

Erläuterungstext

Städtebau
Grundlage des städtebaulichen Konzepts ist das große Potenzial des Ortes der ehemaligen Lindauer Stadtgärtnerei und der historischen Parkanlage mit seiner wertvollen Begrünung, dem denkmalgeschützten Bestand und der Nähe zum Aeschacher Zentrum.
Geschaffen wird ein vielfältiges, lebendiges Wohnquartier, das aus den Qualitäten des Ortes heraus entwickelt ist. Flächen und Boden schonend wird die Wohnbebauung im bereits versiegelten östlichen Bereich angeordnet, wobei sie sich maßstäblich in die Umgebung einfügt. Die kleinteilige, gegliederte Struktur nimmt Gebäudegrößen des Umfelds auf, wodurch die Akzeptanz der neuen Struktur in der Nachbarschaft gestärkt wird.
In Verbindung mit der Villa Engel, dem Stadtgärtnerhaus und der Orangerie bilden die neuen Gebäude drei geborgene, gemeinschaftliche Quartierräume mit je eigenem Charakter auf Basis der vorgefundenen Struktur: Engel-Hof, Orangerie-Hof und Wald-Hof. Der lang gestreckte Baukörper der KiGa leitet vom Quartier in den öffentlichen Park im Südwesten über und umfasst dessen Raum mit Christuskirche, Gemeindehaus und Jugendkirche.
Die städtebauliche Gliederung bewirkt eine starke Verzahnung des neuen Wohnquartiers mit dem westlichen Park. Ein feingliedriges Wegenetz für Fußgänger und Radfahrer fördert diese Vernetzung und Durchlässigkeit zum Landschaftsraum und zu den benachbarten Quartieren von Reutin und Aeschach. Punktartige, etwas höhere Baukörper verstärken die Orientierung im Quartier. Als „Tor“ in Verbindung mit der Villa Engel, als „Gelenk“ und als „Schlussstein“ markieren sie die Übergänge und Abschlüsse der Höfe und tragen zur Prägnanz des Quartiers in der „Mental Map“ der BewohnerInnen bei.

Landschaftsarchitektur und Freiraum
Der bestehende Grünraum mit Park im Westen und Bannwald im Norden – Teil der Lindauer „Landschaftsfinger“ – wird als wesentliche Qualität des Ortes erhalten und als Wert für das neue Wohnquartier einbezogen. Zur öffentlichen Parkanlage umgestaltet, trägt er zur Aufenthaltsqualität im neuen und in den bestehenden Wohnquartieren bei. Der unzugängliche Bannwald ist Biotop und unterstützt das Mikroklima seines Umfelds. Seine atmosphärischen Qualitäten strahlen in den nördlichen Wald-Hof und geben ihm seinen Namen.
Im Park zwischen Christuskirche und neuem Wohnquartier wird ein neuer, attraktiver und öffentlicher Spielplatz für den Stadtteil im Gebiet des Aeschacher Markts angeordnet. Weitere öffentliche Aktions- und Spielflächen werden an der neuen Wegeverbindung zwischen Anheggerstraße und Schweizerhofweg bzw. Ludwig-Kick-Straße situiert.
Die Quartierhöfe erhalten durch die Landschaftsarchitektur je eigenständige Atmosphären, Aufenthaltsqualitäten und Gebrauchsmöglichkeiten. In die befestigten Hofflächen sind grüne „Intarsien“ unterschiedlicher Gestaltung eingeschrieben. Im Wald-Hof nehmen natürliche Elemente wie Wasser, Holz und eine Wildblumenwiese Bezug zur Natur des Waldes. Der Engel-Hof mit Rasen, steinernen Sitzbänken, Brunnen und gefasstem Blütenfeld übernimmt Strukturen eines Villengartens. Im Orangerie-Hof werden die vorgefundenen Spuren der Pflanzbeete der Stadtgärtnerei aufgenommen und für die Nutzung als Urban Gardening mit Mietergärten, Fischbecken etc. neu interpretiert.
Begrünte Vorbereiche im Osten der Gebäude definieren mit differenzierter Bepflanzung den Übergang zwischen den öffentlichen Quartierhöfen und den privaten Räumen der Wohnungen. Die Wohnungen im Erdgeschoss erhalten Freibereiche im Westen, die ihre Privatheit durch eine gestaffelte und geschichtete Bepflanzung mit Gräsern oder Heckenstreifen erhalten.

Erschließung
Das neue Wohnquartier ist oberirdisch autofrei, wobei der motorisierte Verkehr in einer Tiefgarage unter die Wohnbebauung geführt und an diese angebunden wird. Die Tiefgarage wird von der Ludwig-Kick-Straße erschlossen und nutzt dort das tiefere Geländeniveau für eine ebenerdige Zufahrt. Am südlichen Beginn des Quartiers sind punktuell oberirdische Stellplätze und der Hol- und Bringverkehr der KiGa organisiert. Die Zufahrt von Feuerwehr, Rettung, Müll- und Umzugsfahrzeugen erfolgt über die bestehende Einfahrt an der Ludwig-Kick-Straße auf den befestigten Flächen der Höfe. Diese dienen im Alltag in erster Linie dem gemeinschaftlichen Quartiersleben und den Fußgängern und Radfahrern als Wegenetz. Dieses ist mit der Umgebung eng verknüpft und leitet den Radverkehr zwischen Schönau und Oberreitnau nach Aeschach. Das gesamte Wegenetz ist barrierefrei angelegt. Die Anbindung an die TGA erfolgt ebenso barrierefrei über einen für das Quartier zugänglichen Aufzug im zentralen „Gelenk“-Baukörper. Alle Erdgeschosswohnungen sind nach Bayerischer Bauordnung barrierefrei erreichbar. Je nach Anordnung von weiteren Aufzügen kann eine barrierefreie Erschließung aller Wohnungen ermöglicht werden.

Gebäude
Für den Geschosswohnungsbau ist ein Mix mit 2- bis 4-Zimmer-Wohnungen mit dem geforderten Anteil unterschiedlich großer und geförderter Wohnungen geplant. Die Gebäude mit etwa 60 Wohneinheiten weisen durchgängig drei Geschosse auf. Die Traufhöhe der Gebäude „Gelenk“ und „Schlussstein“ liegt durch ihr höheres Erdgeschoss etwas über den angrenzenden, neuen Wohnhäusern. In diesem Erdgeschoss sind gemeinschaftliche Nutzungen untergebracht. Ergänzend entstehen 6 Reihenhäuser, die ganz selbstverständlich durch ihre Lage in das neue Wohnquartier integriert sind.
Die Wohngebäude schaffen für die BewohnerInnen in Verbindung mit den gemeinschaftlichen Bereichen im Innen- und Außenraum eine hohe Nutzungsvielfalt, eine starke Vitalität und ein gelebtes Miteinander im neuen Quartier.
Die neuen Gebäude stehen mit ihrer Setzung, Kubatur und Materialität im Dialog mit der Villa Engel, dem Stadtgärtnerhaus und der Orangerie. Ihre einfache, kubische Gestalt bewirkt sowohl die städtebauliche Raumbildung als auch eine wirtschaftliche und unterhaltsarme Konstruktion. Die Freibereiche der Obergeschosse sind als Loggien in die Baukörper integriert. Die Flachdächer ermöglichen eine extensive Dachbegrünung, die zur Regenwasserrückhaltung, zur Verbesserung des Mikroklimas und zur Klimaresilienz beiträgt.
Konstruktion und Material folgen einem Ressourcen schonenden Bauen, bei dem die Wiederverwertbarkeit, die Einbindung in ökologische und regionale Kreisläufe und die CO2-Neutralität in Balance zu einer nachhaltigen Wirtschaftlichkeit im Vordergrund stehen. Das energetische Konzept basiert auf diesem Ansatz und nutzt die Vorteile einer Quartierstruktur auch im Energiebereich.
Die neue KiGa ist organischer Teil der Bebauung und betont durch seine Gestalt die besondere Nutzung. Ihre großzügige Dachterrasse ist gut bespielbarer und Flächen sparender Freibereich für die Kinder und über eine Freitreppe, Sitzstufen und eine Rutsche mit dem Garten der KiGa verbunden.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Wettbewerbsarbeit zeichnet sich durch eine kleinteilige Bebauungsstruktur aus, die sich um drei Höfe gruppiert. Zwei dieser Höfe sind als angerförmige Anlage ausgebildet, von denen überwiegend die Erschließung der einzelnen Gebäude erfolgt. Die beiden Höfe werden durch ein als Gelenk bezeichnetes Gebäude verbunden, welches den baulichen Mittelpunkt der Nachbarschaft bilden soll. Der südliche und nördliche Endpunkt der beiden Anger werden mit Kindergarten und „Schlussstein“ akzentuiert. Die denkmalgeschützten Bestandsgebäude sind sinnvoll in das städtebauliche Konzept eingebunden und die Sichtbezüge zu diesen Gebäuden in überzeugender Weise herausgearbeitet. Positiv wird dabei die Ausbildung des „Orangerie-Hofes“ gesehen, der den Bewohnerinnen und Bewohnern Raum für Urban Gardening bietet.

Durch Anordnung der Stellplätze in einer von der Ludwig-Kick-Straße anfahrbaren Tiefgarage bleiben die Höfe autofrei. Allerdings weist die Zufahrt des Quartiers im Süden Schwächen auf. Der geforderte Nachweis der Stellplätze der Villa Engel und des Stadtgärtnerhauses ist nicht dargestellt. Für die Ver- und Entsorgung sowie Zufahrtsmöglichkeiten für Rettungsdienste bedarf es einer Überarbeitung. Die Fuß- und Radwegeerschließung durch das Quartier ist sehr feingliedrig und barrierefrei ausgebildet. Die städtebauliche Figur hält angemessenen Abstand zum bestehenden Park und nimmt Rücksicht auf den schützenswerten Baumbestand. Allerdings wird die Situierung des Kindergartens aufgrund des baulichen Eingriffes in den südlichen Parkbereich und der Einschränkung der Sichtbeziehungen kritisch diskutiert. Die im städtebaulichen Sonderbaustein des „Gelenks“ und „Schlusssteins“ vorgesehenen vielfältigen gemeinschaftlichen Nutzungen in Form von Aktionsraum, Gemeinschaftsküche, Jugendtreff, etc. werden infrage gestellt, nicht zu Letzt aufgrund der kirchlichen und schulischen Angebote in unmittelbarer Nachbarschaft. Auch die Anordnung von Co-Working-Räumen am nördlichen Quartiersende kann nicht überzeugen.

Positiv wird dagegen die Mischung der Gebäudetypologie in Form von Reihenhäuern und kleinteiligen Geschosswohnungsgebäuden bewertet. Allerdings kann die Situierung der Reihenhäuser neben Kindergarten und „Gelenk“ nicht nachvollzogen werden. Insgesamt erscheint das vorgeschlagene Bebauungskonzept mit zu kleinen Baukörpern hinsichtlich wirtschaftlicher Anforderungen schwer darstellbar. Der Wettbewerbsbeitrag stellt einen interessanten Lösungsansatz dar, der aufgrund wirtschaftlicher Defizite nicht zu überzeugen vermag.