modgnikehtotsyek
ALLE WETTBEWERBSERGEBNISSE, AUSSCHREIBUNGEN UND JOBS Jetzt Newsletter abonnieren

Nichtoffener Wettbewerb | 06/2008

Archäologische Zone und Jüdisches Museum

Museumsvorplatz / Grundriss EG

Museumsvorplatz / Grundriss EG

Ankauf

gernot schulz : architektur GmbH

Architektur

Erläuterungstext

Leitgedanke: Transformation und Schichtung
Transformation bedeutet Umformung, d.h. die Veränderung der Gestalt, Form und Struktur ohne Verlust der Substanz, bzw. des Inhalts.

In der Geschichtsschreibung und Forschung über das Judentum, über dessen eigene Entwicklung und dessen Verhältnis zu anderen Kulturen und Religionen, nimmt der Begriff der Transformation eine Schlüsselrolle ein. Der Begriff findet sich sowohl in Schriften zu Konvergenz und Divergenz von Christentum und Judentum (vgl. Gerd Theissen in „Paulus und das antike Judentum“, Hrsg. V. Schlatter, Hengel, Heckel), als auch in Untersuchungen zum Wandel des Judentums in der Zeit der jüdischen Aufklärung im 18. Jahrhundert (vgl. Britta L. Behm in „Moses Mendelsohn und die Transformation der jüdischen Erziehung in Berlin. Eine bildungsgeschichtliche Analyse zur Jüdischen Aufklärung im 18. Jhdt.“) und in Analysen zur Geschichte des Judentums in Köln (vgl. Anna-Dorothee von den Brinken in „Quellen zur Geschichte der Stadt Köln II: Spätes Mittelalter und Frühe Neuzeit“, Hrsg. i.A. des Fördervereins Geschichte in Köln e.V.).

Der zu bearbeitende Ort ist Teil des via culturalis, dem kulturgeschichtlichen Rückgrat der Stadt Köln. Ziel der via culturalis ist, über eine Platzfolge – auf und unter diesen – Kulturgeschichte und Stadtgeschicht(en) durch eine Transformation von Raum und Zeit und Sichtbarmachung von Schichtungen erlebbar zu machen.

Unser Entwurf folgt den durch die Aufgabenstellung und den Ort vorgegebenen Themen von Transformation und Schichtung.

Transformation des Stadtgrundrisses
Um den historischen Stadtraum des Rathausplatzes wieder erfahrbar zu machen, folgt der Neubau hier der Vorgabe der mittelalterlichen Bauflucht. Der wieder entstandene Rathausplatz wird mit der Ausbildung eines neuen Museumsplatzes im Süden in einen Dialog gesetzt. Der neue Museumsplatz, der sich mit seinen Baufluchten exakt auf die Ostkante des Wallraf-Richartz-Museums und den nördlichen Gebäudeabschluss des Farinahauses bezieht, stellt einen neuen Platz an der \"via culturalis\" dar, an den sich nunmehr vier Museen anlagern (Wallraf-Richartz-Museum, Fondation Corboud, Duftmuseum im Farinahaus und Jüdisches Museum). Der öffentlich durchwegbare Erschließungsbaukörper entlang der Judengasse verbindet die beiden neuen Plätze, erleichtert die Orientierung für Besucher, ermöglicht die Annäherung an den Rathausplatz von Süden durch die neue „alte“ Judengasse und somit Wiederherstellung der historischen Atmosphäre und schafft einen angemessenen neuen Platzraum für die vier Museen.
Der neue Platz erfährt eine topografische Überarbeitung um Raum für die Archäologische Zone darunter zu gewinnen. Die neue Platzgestaltung macht den Bereich zwischen Nordfassade des Wallraf-Richartz-Museum und Südfassade des Neubaus zu einem einheitlichen Platzraum ohne Straßenquerung. Auf diesem neuen Platz werden die beiden Bronzedenkmäler Wallraf und Richartz vor dem Ungers´schen Neubau positioniert. Eine trapezförmiger Sitzstufenbereich ist Wegeführung und Stadtmöbel.
Transformation der historischen Schichtung im Bereich der Archäologischen Zone in eine funktionale Schichtung des neuen Gebäudes
Die zeitliche und bauliche Überlagerung der historischen Spuren der Archäologischen Zone werden in eine funktionale Schichtung des Neubaus transformiert. Dies macht die Überlagerung der Funktionen an diesem Ort für den Betrachter lesbar und erleichtert dem Besucher die Orientierung im Gebäude. Die Entscheidung, das Erdgeschoß ganz den archäologischen Grabungen zu widmen eröffnet den Forschern selbst nach Fertigstellung des Gebäudes noch weitere Entwicklungsoptionen der Grabungsfläche und ermöglicht der Öffentlichkeit einen Einblick in die Geschichtsschichten der Stadt Köln. Die heutige Generation, die den Rathausplatz nur als offenen Platzraum kennt, wird diesen in der Grabungshalle noch wieder erkennen – eine Veränderung der Gestalt und Form ohne Verlust der Substanz, bzw. des Inhalts – erneut eine Transformation.

Transformation der Gebäudewahrnehmung während der Bauabschnitte Archäologische Zone und Jüdisches Museum
Für den ersten Bauabschnitt, die Archäologische Zone, wird die erdgeschossige Grabungshalle mit den abstrakten kubischen Raumüberhöhungen über Mikwe und alter Synagoge erstellt. Für den Betrachter geben diese bewusst abstrakten Raumausstülpungen einen Hinweis auf die besonderen Grabungsfunde darunter, ohne einer ggf. falschen Forminterpretation Vorschub zu leisten. Es wird vorgeschlagen, nach Abschluss der wissenschaftlichen Auswertungen der Grabungsarbeiten, die Grundrisskontur der Synagoge durch einen transluzenten Vorhang nachzuzeichnen.
Die Wahrnehmung als architektonische Positivkörper im Stadtraum wird durch den 2. Bauabschnitt des Jüdischen Museums in eine Wahrnehmung als Negativbaukörper im Foyergeschoß des neuen Museum transformiert. Nun sind die Raumausstülpungen Fenster zur Archäologischen Zone, welche die besonderen jüdischen Grabungsfunde nochmals in den Fokus des Besuchers des Jüdischen Museums rücken, bevor er sich im Ausstellungsgeschoß ganz in die Geschichte des Jüdischen Lebens in Köln vertiefen kann.
Für die Besucher der Archäologischen Zone ist die Grabungshalle ein Fixpunkt auf dem Rundgang und ermöglicht die Verortung der Funde in Bezug zu den heutigen Gebäuden des durch das Stelenspalier der Fassade durchschimmernden Stadtraums.

Transformation des Stadtgrundrisses des mittelalterlichen jüdischen Viertels zum Grundriss des Ausstellungsgeschosses
Eine Bronzeplatte im Bodenpflaster des heutigen Rathausplatzes zeigt in abstrahierter Form den Stadtgrundriss des mittelalterlichen jüdischen Viertels als Addition unregelmäßig viereckiger Parzellen und – neben vielen Gassen – nur einem Erschließungsstadtraum, das Jerusalemgässchen. Diese Grundrissordnung wird für das Ausstellungsgeschoß des Jüdischen Museums transformiert. Auch hier addieren sich verschieden große viereckige Ausstellungsräume zu einem Quartier, erschlossen von einem „Stadtraum“, der wiederum die beiden neuen Plätze durch Ausblicke visuell miteinander verbindet. Die Idee des städtischen Quartiers für die Ausstellungsräume wird durch die Idee der Dachlandschaft auch nach außen wahrnehmbar transformiert.

Transformation der historischen Kölner Dachlandschaft in eine Dachlandschaft des neuen Museums und Patenschaften der Ausstellungsräume
Alte Stiche und Veduten sowie erste Fotografien des 19. Jahrhunderts von Köln zeigen engstehende Häuser mit steilen Dächern (Sattel-, Walm- und Mansarddächer), welche ungeordnet mal Giebel, mal traufständig orientiert waren. Die direkte Umgebung des Bauplatzes zeigt beim Historischen Rathaus, dem Farinahaus und der weiteren Altstadtbebauung diese steil aufragenden Dächer. Abgeleitet aus dieser Vorgabe erhält jeder Ausstellungsraum ein eigenes Dach, wodurch die Parzellierung und Ordnung der historischen Altstadt aufgenommen und transformiert wird. Fensteröffnungen in den Dächern ermöglichen die natürliche Belichtung der Ausstellungsräume und eröffnen Ausblicke auf Fixpunkte der Umgebung (z.B. Dom, Rathausturm, Farinahaus, Haus Neuerburg, Kirchturm Groß St. Martin u.a.). Die sieben Dächer der Dauerausstellung und die drei Dächer des Wechselausstellungsbereichs stehen hierbei als Pate für die sieben Synagogenbauten (Deutz, Mülheim, Ehrenfeld, Glockengasse, St. Apern-Straße, Roonstraße, Cäcilienstraße) sowie den drei innerstädtischen Gebetshäusern für die aus Osteuropa zugewanderten Juden (Quirinstraße, Bayardsgasse, Agrippastraße), welche zwischen der Wiederansiedlung nach der Vertreibung 1424 und der kompletten Zerstörung durch die NS-Zeit in Köln gebaut und genutzt wurden. Es wird vorgeschlagen, die Ausstellungsräume nach diesen jüdischen Gemeinschaften zur Dokumentation des (Über-)lebenswillens der Juden in Köln zu benennen.

Funktionen
Die Archäologische Zone wird über das Sockelgeschoß des historischen Rathauses vom Alter Markt aus erschlossen. Die große Halle des Ratskellers wird in Ihrer großzügigen Raumwirkung erhalten und steht für die einführende Ausstellung mit Einblicken in den Löwenhof, den Plasmannschen Keller und den Kellerräumen unter dem Hansesaal zur Verfügung. Die Blick verdeckende Wand vor dem Teilstück der römischen Stadtmauer wird entfernt, eine neue Grabung macht die Stadtmauer auf einem Teilstück bis zum Fundament sichtbar, so dass der großartige Säulenraum ganz von der Atmosphäre der verschiedenen historischen Schichten erfüllt ist.
Alle weiteren Funktionen, wie Bistro, Didaktik, Vortragsraum u.a. werden bei vorsichtigem Rückbau späterer Einbauten in den historischen Geometrien der vorhandenen Räume untergebracht. Die Grabungsbereiche im Norden und Süden werden über einen Übergangsraum nördlich der Keller unter dem Hansesaal miteinander verbunden, so dass ein Rundgang entsteht. Auf diesem Rundgang sind die Bestandshalle mit dem Praetorium und die neue Grabungshalle zwei Fixpunkte. Die neue Halle ermöglicht die direkte Anbindung der oberirdischen Funde an den archäologischen Rundgang ebenso wie die separate Zugänglichkeit dieser Bereiche aus dem Jüdischen Museum. Nicht zuletzt ermöglicht die Grabungshalle eine öffentlichkeitswirksame Präsenz der Archäologischen Zone im Stadtraum.

Die drei Geschosse des neuen Gebäudes entsprechen der eindeutigen und ablesbaren Schichtung aus Grabungshalle der Archäologischen Zone, Foyergeschoß des Jüdischen Museums mit Vortragsbereich, Verwaltung, Zwischenlager und Nebenfunktionen, sowie zuoberst dem Ausstellungsbereich des Jüdischen Museums. Verbunden werden die Geschosse über eine großzügige Treppenrampe, welche den Besucher immer wieder zwischen den beiden neuen Plätzen hin und her führt und Ausblicke auf diese ermöglicht. Die sich abtreppende Dachstruktur des Erschließungsbaukörpers erhält den Ausblick aus dem Fenster des obersten Geschosses des Wallraf-Richartz-Museums auf die Rathauslaube.
Jedes Geschoß folgt seiner funktionsbedingten eigenen Grundrissstruktur. Über dem hallenartigen Erdgeschoß folgt das Foyergeschoß mit einem um die Raumkuben fließenden Foyerraum, der multifunktional nutzbar und visuell mit der Grabungshalle verbunden ist. Das Ausstellungsgeschoß wiederum zeigt die bereits beschriebene additive Raumstruktur.

Statik
Die Decke der Grabungshalle ist als Flächentragwerk (bauteilaktivierte Decke mit gewichtsreduzierenden Verdrängungskörpern) konzipiert. Dies sichert eine freie je nach Grabungsfunden noch veränderbare Stützenstellung in der Grabungshalle. Auf gleiche Weise wird die Decke zwischen den Geschossen des Jüdischen Museums konzipiert was ebenfalls voneinander unabhängige Grundrissgestaltungen und eine Gewichtsreduzierung der Gesamtkonstruktion ermöglicht. Die Aussteifung des Gebäudes erfolgt über die zwei Fluchttreppenhäuser und den Aufzugsturm.

Gebäudeklima
Die räumlich voneinander getrennten Bereiche im Neubau ermöglichen ohne Probleme die Einhaltung der geforderten raumklimatischen Verhältnisse. Sowohl für die Grabungsbereiche als auch für neue Ausstellungsbereiche hat sich die Technik der Bauteiltemperierung bewährt. Durch „sanftes“ Heizen oder Kühlen werden konservatorische und komfortklimatische Lösungen erzielt. Unterstützende Be- und Entlüftung der feuchtesensiblen Bereiche erfolgt aus dem Technikbereich des Zwischengeschosses über der Verwaltung, wo die Geschosshöhe des Foyers für die Büroräume nicht benötigt wird. In einem geschlossenen System wird die aufgefangene Wärme der Lufträume des Ausstellungsgeschosses zur Temperierung der Grabungshalle und somit zum Schutz vor sommerlichem Kondensatbefall verwendet. In Abstimmung mit den Grabungsbefunden wird die Realisierbarkeit von Wärmetauschtechnik (Erdsonden, bzw. Luft-Luft-Tauscher) untersucht werden.

Material
Das Gebäude entsteht als Ortbetonkonstruktion. Die Fassade der Grabungshalle ist zweischalig mit einer inneren Glasschicht und einem vertikalen Lamellenspalier aus Baubronze angedacht. Das Spalier verhindert den direkten Sonnenlichteinfall, wirkt als Lichtfilter und ist ungeeignet als Untergrund für Sprayer u.ä. Trotzdem gewährt diese zweischichtige Fassade Ein- und Ausblicke für die Betrachter und Besucher.
Dem Bild des jüdischen Baldachins (frühe zeltartige Versammlungsstätten der Juden) folgend erhalten die Geschosse des Jüdischen Museums einen „Überwurf“ aus Klinker in der sandbeigen Farbe des Historischen Rathauses und des Wallraf-Richartz-Museums. Das Material Klinker verbindet zum einen Bautraditionen aller am Ort vorhandenen Zeitschichten, zum anderen ermöglichen es die heutigen modernen Bautechniken diesem Material nahezu textile Struktur und Leichtigkeit zu verleihen. Zur Unterstützung dieses Gedankens wurde eine sich von oben nach unten verstärkende dreidimensionale „Faltung“ der Mauerwerksschichten aus dem Winkel zweier Zacken des Davidsterns entwickelt, ohne dass dieses Motiv bildhaft symbolisch zutage träte. Das Prinzip der Transformation wird somit auch in der Materialwahl und der Konstruktion fortgeschrieben.
Judengasse / Grundriss 1.OG

Judengasse / Grundriss 1.OG

Grabungshalle / Grundriss 2.OG

Grabungshalle / Grundriss 2.OG

Lageplan

Lageplan

Grundriss Archäologische Zone

Grundriss Archäologische Zone

Schnitte

Schnitte