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Einladungswettbewerb | 10/2008

Realisierungswettbewerb "Zentrum des Weins"

GHB Perspektive Weinlager

GHB Perspektive Weinlager

2. Preis

Preisgeld: 7.500 EUR

Gehbauer Helten Bickel Architekten Partnerschaft GmbB

Architektur

Erläuterungstext

Leitgedanken
Müssten wir einen Aufsatz zum Thema schreiben „Mein schönstes Weinerlebnis“, wir alle würden doch ungefähr Folgendes zu Papier geben: „Mit lieben Freunden zusammen sein, erzählen, zuhören, gemeinsam lachen. Gut essen, natürlich auch gut trinken. Fröhlich gestimmt sein, feierlich gestimmt sein. Anderen Menschen offen begegnen in einer entspannten Atmosphäre. Sich in die Augen schauen. Eine warme Sommernacht im Freien, gemütliches Kaminfeuer im Winter. Reisefieber, und und und…“. Wein ist eben ein Stück Lebensgefühl.

Das Weinerlebniszentrum (WEZ) im Weinlager Zollhafen Mainz muss den Rahmen und Raum für diese Formen des Weinerlebens bieten.

Darüber hinaus soll Wein als authentisches und ursprüngliches Qualitätsprodukt in einer urbanen und modernen Umgebung präsentiert werden können. Dabei soll keine modische Momentaufnahme erzeugt, sondern eine leistungsfähige Raumstruktur gebaut werden, die auch zukünftigen, veränderten Bedingungen Rechnung tragen kann.

Um es mit den Worten von Jacques Herzog zu sagen: „Wer glaubt, er gebe seinem Wein mehr Bedeutung, wenn er seine Barriques in römischen Tempeln oder pseudo-ägyptischen Pyramiden stapelt, macht es sich zu einfach. Es geht darum, aus einfachen, aber zwingenden Überlegungen heraus Komplexität zu erzielen. Das ist bei der Architektur so, und wie ich von Christian Moueix gelernt habe, beim Wein auch.“
Beim Wein wie bei der Architektur: Den Spannungsbogen zwischen Bodenständigkeit und ätherischer Leichtigkeit aufbauen – zwischen enger Stützenkonstruktion und weitem Raum, zwischen schwerem Beton und flirrendem Licht-und-Schatten-Spiel um den Lichthof und in den Galeriebereichen.

Raum- und Ausstellungskonzept
Ganz unterschiedliche Räume mit unterschiedlichen Proportionen und Lichtverhältnissen sowie Tages- und Nachtstimmungen anbieten.

Kommunikative Mitte des Weinerlebniszentrums ist der offene, zweigeschossige Saalbau, der sich zwischen Foyer und Lichthof aufspannt. Er hat eine frei bespielbare Fläche. Hier können Konzerte stattfinden, wie auch Ausstellungen, Vorträge und Lesungen, Podiumsdiskussionen, Kino Vino, Tanzveranstaltungen oder Partys. Der Saal ist ebenso geeignet für repräsentative Weinprämierungen wie für Weinbörsen, Inthronisierungen von Weinköniginnen oder auch glamouröse Wein-Dinner. Hier ist ein Treffpunkt von Menschen wie auch ein Treffpunkt von Städten. Great Wine Capitals (GWC) können sich hier im zeitlichen Wechsel präsentieren. Mal heißt es „Mainz meets Capetown“, ein anderes Mal „Rendezvous Mainz / Bordeaux“, ein drittes Mal „Mainz trifft sich mit Wien beim Wein“?

Der Saalbau kann gut als sogenannte venue location für spezielle Weinevents vermietet werden. Er kann um die Foyerfläche bei besonderen Ereignissen erweitert werden. Es gibt Kontakt zum oberen Geschoss über die umlaufende Galerie und zum unteren Geschoss über die Lichtfuge an den beiden Längsfassaden. Über Stege angebunden ist die hafenseitige Rampe, die für eine Außenbewirtung ausgebaut wird. Clou ist hier der auf den vorhandenen Gleisen fahrbare „Winzerwaggon“, der im Wechsel von verschiedenen Winzern benutzt werden kann. Auf Anforderung fährt der Waggon zum jeweiligen Gast und bedient dort direkt den Tisch. Zur Stadt und zum Hafen hin dient der Waggon als modernes und mobiles Element gleichzeitig auch als leuchtender Werbeträger und Vorverkaufsstelle.

Im Untergeschoss, dem Weinkeller des WEZ, wird Wein gelagert, präsentiert, verkauft und natürlich auch verköstigt. Unter der bestehenden, hafenseitigen Rampe werden nischenartige Räume, wie die große Theke und Sitzlounges als Separées eingebaut. Unter der neuen, rheinseitigen Rampe sind ebenfalls in Raumnischen die Weinpräsentationsregale, sowie das Weinauszugslager angeordnet. Von beiden Längsseiten des Untergeschosses strömt über diese Raumnischen blendfreies, warmes Licht in den Zentralraum, in dem sich der Seminarbereich und das Bistro mit der Sitzlandschaft befinden.

Im oberen Galeriegeschoss wird der Sensorik-Pfad über verschiedene Stationen, die durch aufgeschnittene Edelstahltanks formuliert werden, geführt. Hier kann man Wein hören, sehen und fühlen. Wie blubbert die Gärung, wie klingen die Gläser, welche Blau- und Brauntöne hat der Rotwein, welche Gelb- und Grüntöne der Weißwein, wie fühlt sich spitze Säure an, wie feucht ist Löß? Wein muss man riechen und schmecken. Zur Degustation der einzelnen Weine im Bistro werden entsprechende Aromen gereicht. Kann Wein nach Teer riechen oder nach Asche schmecken?

Im introvertierten Medienraum – der Red Wine Box – kann man sich mit einem Gläschen Wein vom Eventtrubel zurückziehen, um Musik aus den GWC zu hören, und videoinstallierte Stadt- und Landschaftsbilder aus den GWC zu genießen.

Alle drei Geschosse werden über eine freie Treppenanlage, vor allem aber über den insgesamt gebäudehohen Lichthof verbunden. Tageslicht und Frischluft kann so in die Tiefe des Gebäudes geführt werden. Die umgekehrten Gründungsgewölbe werden im UG zur einen Hälfte mit Wasser („Weinsee“) befüllt und zur anderen mit wildem Wein bepflanzt. Wächst der wilde Wein an einer Stirnwand von unten nach oben, fließt das Wasser an der anderen Stirnwand von oben nach unten. Ein – wenn auch kleines – Stück Natur mitten im WEZ.

Materialien
Eichenholz für den Boden im UG und als Wandbekleidung, gebürsteter Edelstahl für den Boden im EG, für die offenen Treppen, die Geländer, sowie für die Lager- und Präsentationsregale im UG; beschrifteter Kork für die Stirnwände des Lichthofes, Leder für Sitzmobiliar und für das Innere des Medienraumes; Glas für Trennwände im Foyer und Seminarbereich, Längswände des Lichthofes, Wasser und wilder Wein, geschliffener Beton auf den Galerieumgängen, weiße Farbe für die bestehenden Stützen, Wände, Unterzüge, Decken und die Fensterleibungen, hinterleuchtete Weinsteinplatten in den unterbauten Rampen des UG, Lichtinstallationen und -projektionen.

Wirtschaftlichkeit
Das Stahlbetonskelett nach François Hennébique bleibt im Wesentlichen erhalten. Lediglich die Mittelstützen im Ober- und Erdgeschoss werden teilweise entfernt um einen höheren und großzügigeren Saalbau zu erhalten. Dabei machen wir uns zunutze, dass schon im Dachgeschoss die Mittelstützenreihe fehlt. Im 2. Obergeschoss und wechselweise im Dachgeschoss übernehmen wandhohe Träger die Funktion der Mittelstützen. So kann mit geringen Eingriffen in den konstruktiven Bestand die Funktionalität und Raumvielfalt im WEZ erhöht werden.

Beurteilung durch das Preisgericht

Der zentrale Leitgedanke der Arbeit ist die Interpretation „des Weinerlebnisses“ als eine Erfahrung, die von sozialer und atmosphärischer Qualität bestimmt ist: Aus dem „Spannungsbogen zwischen Bodenständigkeit und ätherischer Leichtigkeit“ entwickelt sie ein dialektisches Verhältnis von Konstruktion und Raum, Materialwahl und Lichtspiel.
Die innere Disposition basiert auf einer schlüssigen typologischen Zonierung, die räumlich, funktional und konstruktiv konsequent umgesetzt wird. In mehreren Raumschichten entwickelt sich ein differenziertes dreigeschossiges Raumkontinuum mit einem offenen Erdgeschoss,
das für die unterschiedlichen Nutzungen ein eher neutrales, flexibel nutzbares Raumangebot bereitstellt. Überzeugenderweise ausgearbeitete „Lichtfugen“ verbinden es mit der Ebene -1 in deren Mittelzone eine Loungezone untergebracht ist, flankiert von Lager und Vinothek auf den
beiden Längsseiten. Im Obergeschoss bieten längsseits angeordnete Galerien reizvolle Blickbeziehungen in den „Saalbau“ und durch die offenen Längsfassaden hindurch auf Hafen und Rhein.
Eine besondere Qualität bietet der durch alle Geschosse reichende Lichthof und die „Red-Wine-Box“, die mit ihren im roten Leder ausgeführten Wandbespannungen eine Atmosphäre
der Kontemplation und des Genusses anbietet.
Insgesamt sind die funktionalen und ökonomischen Ansprüche erfüllt. Entwicklungsfähig sind die Merkmale der funktionalen Organisation des Untergeschosses und der Materialwahl sowie der Eingangssituation. Unter dem Aspekt des Brandschutzes sind die Rettungswege zu überprüfen. Aus denkmalpflegerischer Sicht bestehen gegen die Konzeption keine Bedenken.Die barrierefreie Erschließung ist gegeben.
In der Gesamtheit überzeugt die Arbeit durch ihre hohe architektonische Qualität und die Angemessenheit und Ökonomie der Mittel: Eine Lösung, die an die Kontinuität des Ortes anknüpft und in seiner gewachsenen Identität verstärkt. Sie stellt somit eine qualitätvolle Lösung für die Aufgabe Weinerlebniszentrum dar.
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