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Nichtoffener Wettbewerb | 05/2009

Sanierung und Erweiterung Rathaus Calw

1. Rang

arabzadeh.schneider.wirth architekten

Architektur

koeber Landschaftsarchitektur GmbH

Landschaftsarchitektur

ErlÀuterungstext

Das Rathaus von Calw bildet den Mittelpunkt eines wertvollen, unter Denkmalschutz stehenden GebÀudeensembles, das zur StÀrkung der kommunalen IdentitÀt zu einem modernen, transparenten und barrierefreien Dienstleistungszentrum entwickelt wird.

Umgang mit der historischen Substanz

Unsere Planungsgedanken gehen davon aus, vorgefundene stĂ€dtebauliche Strukturen und rĂ€umliche Ordnungen sowie die historische Bausubstanz an sich möglichst zu erhalten und gleichzeitig durch behutsame Maßnahmen der Neugestaltung zu stĂ€rken. Eingriffe in die Fassaden werden bis auf die Wiederherstellung der historischen Fassade Marktplatz 11 und die Rekonstruktion des Kindergartens an der Schulgasse kaum vorgenommen. Der Neubau am Fruchtmarkt greift mit seinem Satteldach und seiner „fachwerkartigen“ Gliederung der Fassade vorhandene GebĂ€udeproportionen und –strukturen auf und fĂŒgt sich mit seiner modernen Architektursprache sensibel in das historische Umfeld ein. Der historische Kindergarten wird durch den RĂŒckbau von Salzgasse 6, 6/1 und 8/1 freigestellt, seine Fassade wird an vorhandene Fachwerkstrukturen angepasst und mit dem Neubau „glĂ€sern“ verbunden.

Organisation

Marktplatz 7, 9 + 11, Salzgasse 4

Die ehemalige Markthalle wird als zentrales „Herz“ der Stadt Calw wiederbelebt. Der Stadtboden zieht sich ĂŒber die großzĂŒgigen Treppenebenen und Rampen vom Marktplatz zum Fruchtmarkt hin durch. Dieser zurĂŒckgewonnene Stadtmittelpunkt kann fĂŒr und von den Calwer BĂŒrgern vielfĂ€ltig bespielt werden und ist gleichzeitig belebte Anlaufstelle fĂŒr das BĂŒrgerbĂŒro.
Die Stadtinformation (Marktplatz 11 – im Ă€ltesten Haus der Stadt) und das BĂŒrgerbĂŒro (Marktplatz 7) werden ĂŒber breite Treppen an die zentrale Halle angebunden und behindertengerecht vom Marktplatz erschlossen. Die glĂ€serne ebenerdige Arkade des Neubaus verknĂŒpft die GebĂ€ude am Marktplatz mit den GebĂ€uden an der Salzgasse und öffnet sich zum Fruchtmarkt.
Zwei historische Treppen fĂŒhren auf die Ebene des OberbĂŒrgermeisters im 1. Obergeschoss des historischen Rathauses. ZusĂ€tzlich wird eine neue Treppe in der Eingangshalle als reprĂ€sentativer Aufgang integriert. Um eine offene Halle gruppieren sich die RĂ€ume des OberbĂŒrgermeisters mit zentralem Blick zum Marktplatz, sein Sekretariat sowie sein persönlicher Referent mit Besprechungszimmer. Auf dieser Ebene befinden sich im Marktplatz 7 die RechnungsprĂŒfung, in der Salzgasse 4 die BĂŒros der Ortsvorsteher und im Marktplatz 11 die Poststelle.
An der glĂ€sernen Arkade zu den GebĂ€uden an der Salzgasse liegen die Bußgeldstelle und im Zwischengeschoss der Vollzugsdienst, die zusĂ€tzlich direkt vom Fruchtmarkt mit Aufzug und Treppe erschlossen sind.
Das Standesamt und die AuslĂ€nderbehörde sind im Zwischengeschoss (Marktplatz 7 und Salzgasse 4) dem BĂŒrgerbĂŒro zugeordnet, das Trauzimmer im schönen Erkerzimmer.
Die historische Treppe setzt sich in die Ebene der RatssĂ€le im 2. Obergeschoss fort. Die Lage der ursprĂŒnglichen WĂ€nde und damit die atmosphĂ€rische QualitĂ€t der historischen RĂ€umlichkeiten werden beibehalten, wenige Gefache werden fĂŒr interessante Durchblicke geöffnet.
Die baugeschichtlich bedeutsamen RatssĂ€le werden in enger Abstimmung mit dem Denkmalschutz sorgfĂ€ltig restauriert und mit moderner Technik und Medien ergĂ€nzt. Die Gefache zwischen kleinem und großem Saal werden fĂŒr Zuhörer geöffnet. In nĂ€chster NĂ€he der RatssĂ€le befinden sich die FraktionsrĂ€ume (Marktplatz 7) und das atmosphĂ€rische Besprechungszimmer.
Eine neue Treppe in der historischen Treppenöffnung fĂŒhrt weiter in das 3. Obergeschoss, wo sich um einen zentralen Kern unter Beibehaltung der historischen Raumstrukturen die Bereichsleitung, die Personalabteilung, die zentralen Dienste und das Ordnungsamt mit kurzen Wegen zueinander organisieren.

Salzgasse 8/10

Auch in den GebĂ€uden Salzgasse 8/10 gilt der Grundsatz, unter Bewahrung der historischen Substanz moderne und fĂŒr die Mitarbeiter gute Arbeitsbedingungen zu schaffen. Zwei glĂ€serne Arkadenebenen verknĂŒpfen die GebĂ€ude an der Salzgasse und am Marktplatz. Über das offene Treppenhaus, das den Höhenunterschied zwischen Salzgasse 8 und 10 bewĂ€ltigt, wird ein großzĂŒgiger, heller Raum mit ausreichender VerkehrsflĂ€che geschaffen. Um diesen Mittelpunkt gruppieren sich auf der Eingangsebene das Bauordnungsamt und das Hochbauamt, im Obergeschoss die Stadtplanung und im Dachgeschoss das Tiefbauamt.
Die heute noch verwinkelten Archiv- und TechnikrĂ€ume im Sockelgeschoss mit Zugang vom Fruchtmarkt werden zu einem attraktiven „Ratskeller“ umgebaut, dessen Außenbewirtung nicht nur den Fruchtmarkt, sondern auch die Rathaushalle bei Veranstaltungen beleben wird. Auf dem eher introvertierten Fruchtmarkt kann sich im Gegensatz zum belebten Marktplatz eine kontemplativere Gastronomie vielleicht als begehrter Treffpunkt der Rathausmitarbeiter entwickeln.

Barrierefreiheit

Durch die publikumsintensive Nutzung des Dienstleistungszentrums und des tradierten Kindergartens wird der grundsÀtzlichen Barrierefreiheit besondere Aufmerksamkeit geschenkt.
Sowohl die Rathaushalle als auch das wichtige Geschoss des OberbĂŒrgermeisters werden ĂŒber zwei Arkadenebenen, die interessante Blickbeziehungen zum Fruchtmarkt zulassen bzw. entlang von Ausstellungsvitrinen z.B. mit der Stadtgeschichte Calws fĂŒhren, an die Tief- und HochbauĂ€mter im GebĂ€ude Salzgasse angeschlossen. Über das Oberlicht auf Ebene Kindergarten strömt zusĂ€tzlich Tageslicht in die zweigeschossigen hinteren Arkadenebenen.
Die zentralen AufzĂŒge in den GebĂ€uden Marktstraße 7/ Salzgasse 4 und Salzgasse 8/10 ĂŒberwinden den internen Höhenunterschied. Zusammen mit dem Aufzug in GebĂ€ude Marktstraße 11 ĂŒbernehmen die Aufzugskerne darĂŒber hinaus wichtige Aussteifungsfunktionen fĂŒr die GrundstabilitĂ€t der historischen GebĂ€ude. Der Aufzug am Fruchtmarkt verbindet nicht nur die Arkadenebenen mit den Zwischenebenen des historischen Kindergartens, sondern schafft auch einen barrierefreien Zugang sowohl vom Marktplatz als auch vom Fruchtmarkt in und innerhalb des Kindergartens.

Kindergarten

Das aus dem 18. Jahrhundert stammende GebĂ€ude Schulgasse 5 wurde 1909/1926 durch Umbauten und Anbauten in den 60er-Jahren sowie der Umnutzung als Kindergarten in seiner Ă€ußeren Gestalt stark verĂ€ndert. Trotzdem lĂ€sst sich die noch ursprĂŒngliche GebĂ€udequalitĂ€t vor allem im Innenhof gut ablesen. Durch den RĂŒckbau von Salzgasse 6, 6/1 und 8/1 wird die SĂŒdfassade freigestellt und analog der vorgefundenen Tragwerksstruktur als fachwerksichtige Außenwand rekonstruiert. Der neue Hauptzugang liegt an der schmalen Nahtstelle zwischen Neu- und Altbau, die ĂŒber eine Glasfuge zweigeschossig miteinander verknĂŒpft sind. Das großzĂŒgige, helle Eingangsfoyer verbindet nicht nur Alt und Neu, sondern auch zwei GruppenrĂ€ume mit ihren NebenrĂ€umen. Der Aufzug mit Treppe schafft einen barrierefreien und kinderwagenfreundlichen Zugang von der Ebene Fruchtmarkt bis ins 1. Obergeschoss mit den RĂ€umlichkeiten fĂŒr Kleinkinder sowie ins Dachgeschoss mit dem Multifunktionsraum. Auch innenrĂ€umlich wird durch eine sensible Restaurierung der historischen RĂ€ume ein spannungsvoller Kontrast zu der modernen Gestaltung des Neubaus herausgearbeitet, selbstbewusst ergĂ€nzen sich alte und neue BauqualitĂ€ten.

MaterialitÀt und Struktur

Altbauten

Der Rathauskomplex umfasst neben dem Rathausbau von 1673/1726 mit Markthalle im EG und 1. OG die FachwerkwohngebĂ€ude Marktplatz 7 und Salzgasse 4, die bis ins spĂ€te 19. Jahrhundert eigenstĂ€ndig genutzt wurden. Basierend auf den Untersuchungen von Dr. Wilfried Maag wird das reine Funktionsfachwerk des Rathauses verputzt und wieder mit der Originalfarbfassung des 18. Jahrhunderts versehen. In der zweigeschossigen Markthalle sind bis zu ihrer Umgestaltung 1812 nur hellste KalktĂŒnchen belegt, die Gefache wurden in hellem Grau abgesetzt. Diese Farbgebung wird im Zuge der Sanierung wieder hergestellt. Das Material des Stadtbodens in der Rathaushalle aus roten, großformatigen Sandsteinplatten setzt sich kleinformatiger in den SandsteinwĂ€nden fort. Dunkel gebeiztes Eichenholz findet sich in der zentralen Treppe, aber auch bei der Innenmöblierung wie Theken und Einbauten wieder. Die Arkadenböden werden großformatig mit schmalen, dunklen Metallrahmen nahezu immateriell verglast.
Die beiden RatssĂ€le sind 1726 mit hölzernen WandvertĂ€felungen ausgestattet worden, die interpretierend wieder aufgegriffen werden. Das ursprĂŒngliche Sichtfachwerk wird – wo Ă€sthetisch gewĂŒnscht –mit nuancierten Farbfassungen in dezentem Grauton und hellgehaltenen Putzgefachen wieder hergestellt. Historische Farbbefunde werden – nach Abstimmung mit dem Denkmalschutz - aufgenommen.

Neubau

Baustrukturelle IdentitĂ€ten wie harmonische Proportionen, gedeckte Farbgebungen und massive, mit dem Stadtboden verbundene GebĂ€udesockel, aber auch EindrĂŒcke harmonischer Dachformen und Materialien rufen bei den historischen FachwerkgebĂ€uden Empfindungen von gewachsener Einheitlichkeit in unterschiedlichen ZeitrĂ€umen hervor. Neubauten sind daher mit besonderer SensibilitĂ€t unter BerĂŒcksichtigung von Lesbarkeit und IdentifikationsqualitĂ€t in das historische StadtgefĂŒge zu integrieren. Die dominierenden Sandsteinsockel der UmgebungsgebĂ€ude aufgreifend, entsteht ein modernes Haus zwischen den GebĂ€uden am Marktplatz und an der Salzgasse als monolithisch gegossenes SatteldachgebĂ€ude im rötlichen Ton des örtlichen Sandsteins. Schmale, teilweise zweigeschossige vertikale FensterbĂ€nder gliedern die Fassade am Fruchtmarkt sympathisch und zurĂŒckhaltend. Die klar strukturierte, schnörkellos monolithische Außenwand konkurriert bewusst nicht mit den eher unruhigen Fachwerkstrukturen der historischen NachbargebĂ€ude.

Zusammenfassung

Das umfangreiche Raumprogramm unter BerĂŒcksichtigung der Barrierefreiheit und der ErtĂŒchtigung der Tragwerke wurde sensibel bei weitestgehendem Erhalt oder gar StĂ€rkung der alten Bausubstanz und der historischen Baudetails in die historischen Grundrisse eingefĂŒgt.
Ein wesentlicher Entwurfsgedanke ist die RĂŒckgewinnung der historischen Markthalle als neue Rathaushalle fĂŒr die BĂŒrger von Calw und ihre politischen Vertreter als ein Ort, Ideen auszutauschen und Demokratie im Alltag zu leben.
Der Neubau interpretiert in Struktur und MaterialitĂ€t das historische Umfeld, seine zwei ArkadengĂ€nge verbinden barrierefrei die GebĂ€udekomplexe am Marktplatz und an der Salzgasse. Durch die Freistellung des tradierten Kindergartens wird ein neuer Stadtraum geschaffen, eingerahmt von gewachsener und neuer Bausubstanz, der sich wie selbstverstĂ€ndlich zum Fruchtmarkt und der beeindruckenden Rathauskulisse öffnet. So fĂŒgt sich der Neubau in hoher QualitĂ€t in das StadtgefĂŒge ein, Alt und Neu wachsen zu einem funktionalen, aber auch gestalterisch hochwertigen Dienstleistungszentrum zusammen.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die stĂ€dtebauliche Anordnung erfolgt in Anlehnung an die historische Situation. Die ergĂ€nzende Bebauung orientiert sich in Form und MaßstĂ€blichkeit an der tradierten Formensprache der Kernstadt. Das FortfĂŒhren des Konstruktionsprinzips des steinernen „Haus SchĂ€berle“ ist
konsequent, jedoch in seiner AusprĂ€gung der Dachaufbauten und seiner MaterialitĂ€t ĂŒberzogen. Sowohl der Fruchtmarkt als auch die FreiflĂ€che des Kindergartens werden in ihrer jetzigen Proportion und GrĂ¶ĂŸe im Wesentlichen erhalten und gestĂ€rkt.
Positiv zu werten ist der sensible Umgang mit der Gestaltung der AußenrĂ€ume unter Erhalt des wertvollen Baumbestandes und des KindergartengebĂ€udes.
Mit der Beibehaltung der historischen „Markthalle“ unterstreicht der Verfasser seinen sensiblen
Umgang mit dem Denkmal. Die konstruktive Struktur des GebĂ€udes wird durch die AusfĂŒhrung einer Lichtdecke besonders akzentuiert. Durch die Einbeziehung der NachbargebĂ€ude – Marktplatz 7 und 11 – wird die multifunktionale Nutzung der Rathausarkaden weiterhin gewĂ€hrleistet. Die Verbindung der Verwaltungsbereiche auf 2 Ebenen (Rathaus – Salzkasten) erscheint ausreichend. Die bauliche Integration des Hauptaufzugs bedarf der KlĂ€rung.
Das Raumprogramm und die funktionalen Anforderungen an ein modernes Dienstleistungszentrum sind in optimaler Weise erfĂŒllt, wobei es durch den neuen Baustein gelingt, die angestrebte Einheit der stĂ€dtischen Verwaltung zum Ausdruck zu bringen.
Durch das große FlĂ€chenangebot liegt dieser Entwurf in den Baukosten vergleichsweise im oberen Bereich. Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang, dass trotz erheblich mehr
NutzflÀche ein Plus an innenstÀdtischer FreiflÀche entsteht.