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Offener Realisierungswettbewerb nach GRW 95 mit vorgeschaltetem Auswahlverfahren und 10 Zuladungen | 01/2005

Architektenwettbewerb Touristische Erschließung der Himmelsscheibe von Nebra

Lageplan

Lageplan

2. Preis

Architekturbüro KNERER UND LANG

Architektur

Erläuterungstext

IDEE

Die gewählte Erscheinungsform trägt dem Ansatz Rechnung, dass nicht das Ausstellungsgebäude, sondern der Inhalt den wesentlichen Anziehungspunkt darstellen soll. Das neue Besucherzentrum tritt daher selbst nicht in Erscheinung. Lediglich das signifikante Zugangsbauwerk und die Lichtfallen repräsentieren den Bau nach aussen. Die Architektur greift sich das benötigte Volumen aus der Landschaft heraus und stellt ihn zur Nutzung zur Verfügung.


DAS AUSSTELLUNGSERLEBNIS IM TRANSITORIUM

Der Besucher nähert sich dem Gebäude über die Zufahrtsstrasse, die oberhalb des Baugrundstücks vorbeiführt. Der Bau artikuliert sich in der Landschaft zunächst lediglich durch seine kubischen Aufbauten, wobei das größte Volumen den Zugang zum Besucherzentrum markiert.

Die Landschaft umfließt die Lichtdome und das Vordach als Platzhalter des Gebäudes.
Die Besonderheit dieser Bauteile wird durch den Einsatz von Metall als Fassadenbekleidung zusätzlich hervorgehoben. Ein flacher Geländeeinschnitt schafft einen Vorbereich, der durch den Zugangskörper teilweise überbaut wird. Beiläufig entsteht so eine geschützte Wartezone für den Transferbus zur Fundstelle.
Das Gebäude selbst wird als monolithischer Stahlbetonbau errichtet.
Beim Betreten des Transitoriums erscheint am Ende einer flachen Rampe der Eingang als scharfkantige Eintrittsöffnung, die den Blick in einen durch diffuses Licht erhellten unterirdischen Raum freigibt.
Im Gehen durch den Raum, entgegen dem Lichtfeld, löst sich das Gefühl, in einem euklidischen Raum zu sein, sukzessive auf, man lässt ihn hinter sich, um an der Grenze des Raumes in die Situation einzutauchen.
Eine variable und flexible Raumnutzung, v. a. in der Sonderpräsentationsfläche, wird ermöglicht.
Die genau kalkulierte Wirkungsweise der stetigen Veränderung der Wahrnehmung führt zu einer Entfremdung des Betrachters von der Gegenwart und dem Ort an der Zufahrtsstrasse, der nur willkürlich zum Bauplatz des Eingangs für die eigentliche Fundstelle der Himmelsscheibe auf dem Mittelberg gewählt wurde.
Über zwei Projektionen, die nach dem Prinzip einer „Laterna Magica“ das Bild der Außenwelt im Inneren des Raumes abbilden, wird ein Ausschnitt der umgebenden Landschaft ins Rauminnere getragen, der sich vermutlich seit der Bronzezeit nicht wesentlich verändert hat. Die beiden angebotenen Blickwinkel erfassen zum einen den Mittelberg und zum anderen das Unstruttal in Richtung Memleben. Der Verweis auf andere Orte belegt zusätzlich, dass es sich beim Bauplatz des Transitoriums um einen unbestimmten Bauplatz handelt, der lediglich weiterverweisen, den Transit ermöglichen soll.

Durch diese Projektion, die durch den Lichteinfall bestimmte nuancierte Helligkeit, die präzise abgestimmten Proportionen, den Verlauf der Sichtachsen und deren Abstimmung auf den Blickpunkt des Betrachters und die Auflösung der Volumina und Raumgrenzen entsteht das ästhetisch bestimmte Raum-Zeitfeld, das dem Betrachter ein Eintauchen in die Vergangenheit erlaubt.
Das Gebäude wird zum Instrument zur Erfahrung einer anderen Zeit, die gleichzeitig fern und nah ist. Ausstellungsvitrinen sind in die Umfassungswände eingearbeitet und stellen die Exponate in einen Zusammenhang mit den Einblendungen der Landschaft.
In das Transitorium eingestellt befindet sich neben einer abtrennbaren Fläche für Wechselausstellungen auch der Vorführraum der astronomischen Projektion.

In der Decke des Projektionsraumes ist –wenn keine Vorführung stattfindet- eine scharfkantige Öffnung zu sehen, in der ein Ausschnitt des Himmels flach und greifbar nahe sichtbar ist. Das Bild des Himmels wird so objektiviert, die Erfindung einer Himmelsscheibe wird nachvollziehbar.

Der profane Teil des Baus mit Büros und Besuchercafe öffnet sich ungefiltert zur heutigen Landschaft. Das Gebäude erfüllt seine Aufgabe als Funktionsgebäude unprätentiös und selbstverständlich.

„Für das Auge und für den Intellekt ist das ein geistiger Raum der Verführung. Wenn ich (...) die Fassade anschaue, weiß ich nicht - weil die Fassade größer ist als das Gebäude -, ob ich den Himmel direkt oder transparent sehe. Wenn ich durch drei Glasscheiben hindurch einen Baum betrachte, weiß ich nie, ob ich einen Baum durchscheinen sehe oder das Spiegelbild eines Baumes, und wenn zufällig zwei Bäume nebeneinander auf einer verglasten Fläche erscheinen, weiß ich nie, ob es einen zweiten Baum gibt oder ob es überhaupt einen reellen Baum gibt. Diese Form der Illusion ist beabsichtigt: Sie ermöglicht durch die Destabilisierung der Wahrnehmung das Erzeugen eines geistigen Raumes und das Einführen einer Szenerie, eines szenischen Raumes, ohne den, wie wir wissen, die Gebäude nur Konstruktionen wären und die Stadt nur eine Agglomeration. (...)

Dann das Gebäude selbst, das all das reflektiert, schließlich all das zusammen, von außen gesehen, als globale Aktion aufgeführt - wobei der Ausstellungsort selbst zum Ausstellungsobjekt wird - , wodurch sich das Gebäude schließlich unsichtbar macht. Diese Fähigkeit, präsent zu sein und sich gleichzeitig unsichtbar zu machen, scheint mir eine grundlegende Eigenschaft zu sein. Denn es ist diese Form geheimer (Un)sichtbarkeit, könnte man sagen, die die Hegemonie der Sichtbarkeit höchst effizient herausfordert, diese Diktatur der Transparenz, in der sich alles sichtbar und dechiffrierbar machen muß, in der das ganze Problem darin besteht, den geistigen und visuellen Raum in Besitz zu nehmen, der dann nicht mehr der Raum des Sehens ist, sondern der Raum des Sichtbarmachens. Dem setzt sich eine Architektur entgegen, welche in der Lage ist, gleichzeitig den Ort und den Nicht-Ort zu erzeugen und das Prestige der Transparenz zu wahren, ohne diese diktatorisch durchzusetzen.“ Vortrag von Jean Baudrillard im Künstlerhaus / Graz 8. Jänner 1999 (Auszug)


POSITIONSBESTIMMUNG AUF DEM TURM

Als weithin sichtbares Zeichen markiert der Aussichtsturm die eigentliche Fundstelle der Himmelsscheibe. Der besondere Ort soll nach Möglichkeit unberührt bleiben, die Konstruktion des Turms setzt deshalb nur auf wenige Punkte ab.
Eine flach geneigte Rampe erhebt die Besucher auf eine langgestreckte Plattform, die einen ausgedehnten Überblick über das Grabungsgelände ermöglicht.
Die gestalterische Analogie zum Landungssteg versetzt den Besucher erneut in den Zustand des Reisens in eine andere Zeit. Entlang der Brüstung werden die Destinationen angekündigt, Informationen über den Fundort, die Entdeckung der Himmelsscheibe und die Vorgehensweise von Archäologen selbst erlauben den Einstieg in das Thema aus Sicht des Geschichtsinteressierten, aber auch aus der Perspektive des Kulturmenschen, der seine Ursprünge ebenso reflektiert wie die Anlässe und Verfahren, die ihm dies ermöglichen.
Nach Aufnahme dieser Informationen beginnt der Aufstieg in den Turm, der letztlich dem Betrachter die Perspektive der bronzezeitlichen Menschen verschaffen soll, als der Gipfel des Mittelbergs noch unbewaldet und selbst ein Aussichtspunkt war.
Der Turm selbst ist mit durchscheinenden Tafeln verkleidet. Der Besucher erfährt seine Bewegung, ohne jedoch ein klares Bild seiner Position zu erhalten. Der so gewonnene Abstand erlaubt die Neubestimmung am Ziel.
In den Boden der obersten Plattform ist die Himmelsscheibe eingeschrieben. Ihre Bedeutung und Aussage wird hier noch einmal anschaulich und mit direkten Bezügen erläutert. Gezielte Öffnungen in der Verkleidung des Turmes erlauben und inszenieren Peilungen zum Brocken und zum Kyffhäuser.Der Turm wird als Stahlkonstruktion mit vorgefertigten Elementen errichtet und partiell mit vorpatinierten gelochten Metalltafeln bekleidet.

Beurteilung durch das Preisgericht

Auszug aus Bauwelt 10/2005

Der zweitplazierte Entwurf gibt sich noch erdverbundener: Der Austellungsraum verschwindet im Untergrund, lediglich ein Eingangsbau und zwei Würfel, die nach einer Art \"camera obscura\" Ausschnitte der Landschaft ins Innere projizieren sollen, zeichnen sich oberirdisch ab. Hier werde, so die Preisrichter, \"weniger der sichtbare Raum als vielmehr der Raum des Sichtbarmachens gestaltet\".
Der Aussichtsturm markiert die Fundstelle der Himmelsscheibe

Der Aussichtsturm markiert die Fundstelle der Himmelsscheibe

Schnitt und Ansicht des Ausstellungsraumes

Schnitt und Ansicht des Ausstellungsraumes