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Award / Auszeichnung (nur für Studenten) | 05/2009

Max-Taut-Preis 2009

‚Fundacao do Infante – Kunstkammer Ponta de Sarges’

MAX-TAUT-PREIS

Sebastian Murr

Student*in Architektur

Erläuterungstext

DER ORT

Der Ort meines Diploms befindet sich im Finisterre Portugals, im äußersten SW des Landes an der Grenze der harten Westküste zur gemäßigten ruhigen Südküste.

Im Verständnis der Portugiesen, ist dieser Ort ein unglaublich wichtiges Symbol für das Fernweh, Neugierde, Abenteu-rerlust und das Risiko, für den Beginn der Entdeckungsreisen, des großen portugiesischen Zeitalters.

Geprägt wurde diese Bedeutung als erstes durch den Infante Dom Henrique , ein Nationlheld der Portugiesen, der es hier als Gouverneur des Südens Portugals im 15. Jahrhundert verstand Gelehrte, Wissenschaftler, Abenteurer und Scharlatane um sich zu scharen, die Entdeckungsreisen vor zu denken und auch die ersten Fahrten Richtung Afrika zu organisieren.

Seine besondere Kraft und seinen Reiz gewinnt der Ort aus seinen extremen Gegensätzen:

Zum einen die bereits erwähnte Grenze von harter und rauer Westküste und ruhiger Südküste, also wilde Elemente gegen Ruhe und Stille.
Und zum anderen die hohen Klippen im Vergleich zur endlos scheinenden Hochebene des Landes, also Vertikale ge-genüber Horizontale.

DIE FESTUNG

Verstärkt werden diese Gegensätze noch zusätzlich durch die Abruptheit und Dramatik mit welcher der Besucher mit der Landschaft konfrontiert wird, da sich die gesamte Landzunge innerhalb einer nicht einsehbaren Festung befindet.

Diese Festung entspricht einem immer wieder kehrenden Typus von Verteidigungsbauten entlang der Algarven- und Alentejoküste, der das Land gegen Angriffe vom Wasser schützte.

Bei diesem Typus umschließt die Befestigungsmauer eine Freifläche mit verschiedenen in Beziehung zueinander ste-henden Gebäuden.
Von den ursprünglichen Gebäuden ist in Sagres kaum mehr etwas erhalten.

Klassischer Weise findet man auf der umschlossenen Fläche eine Kapelle, das Haus des Kommandanten, Mann-schaftsquartiere, Lager und, als das zentrale Element, einen Turm.

Jener Turm war früher sowohl Lager, Schatzkammer, Verließ, Quartier und Rückzugsort, und dementsprechend auch in seiner Kubatur, je nach Bedarf und Lage der jeweiligen Festung, nach Zugänglichkeit, Ausblicken usw., sehr unter-schiedlich, aber immer schlicht und abweisend in seinem Äußeren und massiv in seiner Erscheinung.

ZENTRALE FESTUNGSBAUWERKE

Bei der Betrachtung solcher Türme tauchen trotz all der scheinbaren Individualitäten nicht nur in Portugal, sondern in ganz Europa immer wieder die selben Merkmale auf und bilden eine prinzipielle Organisation und Struktur der Festungs-türme:

1. Er steht abgerückt von den anderen Gebäuden auf einer Festung
2. direkt auf dem gewachsenen Fels ohne Keller errichtet
3. Eingangs- bzw. Empfangsraum liegt im ersten Obergeschoss
4. darunter befindet sich ein fensterloser Raum, der als Lager, Latrine oder Gefängnis genutzt wird
5. die Masse der tragenden Außenwände nimmt von unten nach oben ab.
6. gleichzeitig werden die Innenräume von unten nach oben größer
7. auf den zurückspringenden Außenwänden liegen Holzbalkendecken auf, die in eine oder zwei Richtungen spannen
8. die massigen Wände bergen untergeordnete Räume, Nischen, Schränke, Infrastruktur und Erschließung
9. und schließlich schließt eine Aussichtsplattform das Gebäude nach oben hin ab


Diese immer wiederkehrenden Merkmale beschreiben relativ genau ein äußerlich monolithisches und primitives, jedoch in seinem inneren exakt strukturiertes und komplexes Gebäude, das sowohl als Schatzkammer und Lagerort aber natür-lich auch als Verteidigungsstandort wie geschaffen war.

Für die Portugiesen hatte zu jener Zeit die Verteidigung oberste Priorität, da die eigenen Grenzen permanent gegen den Starken Nachbarn Spanien, Freibeuter aus dem Norden oder immer wiederkehrende Angriffe der Mauren verteidigt werden mussten.

Letztendlich stellt diese Bedrohung des eigenen Territoriums auch einen der Hauptgründe dar, weshalb die Portugiesen letztendlich den Schritt auf hohe See und Expansion ins ungewisse wagten.
ENTDECKUNGEN

Schon zu Beginn, als die Entdeckungsreisen erste Erfolge verbuchten, brachte die epochale Begegnung mit der radika-len Andersartigkeit Süd- und Nordamerikas, Indien und Chinas eine regelrechte Bildungs- und Wissenseuphorie in der Heimat ins rollen.

Von ihren Reisen brachten die Entdecker außer den erwarteten Gütern wie Seide und Gewürze auch immer mehr Kunst und Kulturgüter nach Portugal.

KUNSTKAMMERN

In dieser Euphorie und bestärkt durch den Wunsch, die eigene Weltläufigkeit zu demonstrieren, verschrieb sich der Adel, kurz darauf aber auch die elitäre Bürgerschaft ganz Europas, Objekte aus den neuen Ländern zu sammeln und der Einrichtung so genannter Kunst- und Wunderkammern.

In seiner Fülle wurden unterschiedlichste Objekte ausgestellt, gelagert, archiviert, erforscht und öffentlich gezeigt, in einer Mischung aus Museum, Schaulager, Laboratorium, Archiv, Schatzkammer und Repräsentationsgebäude.

Man versuchte, eine ganzheitliche Weltanschauung zu vermitteln, in der Geschichte, Kunst, Natur und Wissenschaft zu einer Einheit verschmelzen.

FUNDACAO DO INFANTE

Auch die Sammlung der FUNDACAO DO INFANTE die der Ausgangspunkt meines Projektes ist, trägt diesen Charak-ter.

Sie besteht aus mehreren ehemals privaten Sammlungen und ist seit Mitte des 20. Jh. heimatlos in staatlichen Händen und auf Museen in ganz Portugal verteilt und kann auf diese Weise nicht als ganzes wahrgenommen werden.

Als größte Portugiesische Kunstkammersammlung kommt sie in meinem hier präsentierten Projekt zum dem Ausgangs-punkt der Portugiesischen Entdeckungsreisen zurück und findet als Torre auf der Festung Ponta de Sagres ihren Stand-ort.

LAGE DES HAUSES

Hat man die Festung einmal durch das Torhaus betreten zeigt sich das Gebäude als hohe vertikale Stele, die sich be-wusst gegen die starke Horizontale der Hochebene stellt.

Wichtig war es für die Kraft des Ortes nicht die vorderste Spitze der Landzunge zu besetzen aber trotzdem einen expo-nierten und speziellen Standort zu finden. Dieser Ort liegt in der Verlängerung der erschließenden Achsen der Landzun-ge und in der ersten Sichtachse nach dem Eintreten durch das Torhaus.

GEOMETRIE

Durch seine ungleichmäßige Geometrie erscheint das Haus beim betreten des Geländes schmal und aufrecht, fast wie eine Nadel, ein Schwert oder ein Schiffsbug, der sich abweisend dem Betrachter zuwendet und kaum räumlichen Platz beansprucht.

Folgt man dem erschließenden Rundweg über die Hochebene und lässt sich langsam auf das Gebäude zuführen, dreht das Haus dem Besucher sukzessive seine gesamte Masse zu und seine starke Beziehung zum Wasser und zur Klippe wird umso deutlicher.

ERSCHLIESSUNG

Die Erschließung des Hauses erfolgt über zwei voneinander unabhängigen Treppensystemen.

1. Zum einen gibt es die Haupterschließung mit einläufigen Treppen. Sie wendelt sich als langsame Kaskade ein-mal an der Außenwand um das ganze Haus herum.

2. Die zweite Erschließung und gleichzeitig das Fluchttreppenhaus steckt in der Spitze und verbindet als Durch-schuss direkt jedes Stockwerk mit dem nächsten.

INNERE FIGUR

Diese Erschließungsstruktur umarmt förmlich eine innere Figur:

Fünf übereinander liegende zentrale Räume, die von unten nach oben größer und höher werden. Durch Arme zur Au-ßenhülle werden sie belichtet, so dass ihr Bezug nach Außen mit steigender Höhe zunimmt und der Ausblick und die Umgebung wichtiger werden.


KAMMERN

Die verbleibenden massiven Außenwände nehmen dabei neben der kompletten Infrastruktur auf jeder Etage unter-schiedliche begehbare Kammern auf.

Diese Kammern, die an sich von ungleichmäßiger Geometrie sind, sind „angefüllt“ mit Regalen und ausziehbaren Ar-chivsystemen aus Holz, so dass letztendlich wieder rechteckige Ausstellungsräume generiert werden, um der wahnsin-nigen Masse und Ansammlung der Ausstellungsobjekte die nötige räumliche Ruhe entgegensetzen zu können.

Die so entstehenden unterschiedlichen Tiefen der Regale, bieten währenddessen den angemessenen Rahmen für die Sammlungsgebräuche der Kunstkammer nach Größen und Formen.

RUNDGANG

Betreten wird das Haus durch eine Treppe in einem der Arme welcher sich zum Bodenniveau neigt. Das Material der Fassade wird hier ins innere des Gebäudes weiter gezogen und schafft so den Übergang von Außen nach Innen, wäh-rend der Besucher in den Eingangsraum geführt wird.

Diese Eingangsebene des Turmes ist als Ausgangspunkt der Entdeckungsreisen Europa und Portugal vorbehalten.
Der zentrale Ankunftsraum dient dabei als Vestibül, mit seinen Rampen zur Fassade hin als kleiner Vortragsraum und Ankunftsbereich des Hauses.
Die ihn umgebenden Kammern beinhalten zum einen Karten und Atlanten, Nautische Geräte und Instrumente und eine Bibliothek die bis ins Erdgeschoß hinab greift in dem sich notwendige dienende Räume befinden.

Die darüber folgenden Geschosse sind chronologisch in der Abfolge der Entdeckungen den Kontinenten gewidmet: Afrika, Brasilien, Indien und China.

Auch hier wird das System der Kammern weiterverfolgt.
Fein abgestimmt auf die jeweiligen Ausstellungsobjekte und –Anforderungen variieren die Größen und Höhen der Kam-mern, wobei wie im Schnitt zu sehen der entstehende Raum Platz bietet für dezentrale Haus- und Versorgungstechnik da so unterschiedliche Objekte wie Papier, Naturalien oder Bronzen gesammelt werden.

So verfügt jedes Geschoß über seine Archiv- und Lagerkammern und einen zentralen Raum für die museale Kombinati-on und Ausstellung ausgewählter Stücke.

Der oberste Ausstellungsraum zeichnet in seiner Geometrie wieder die Kubatur des Hauses nach und bietet Raum für Wechselausstellungen.
Hier ist der Bezug Innenraum- Außenraum durch die geringe Wandstärke am größten und auch seine Lichtführung un-terscheidet ihn von den anderen Ausstellungsräumen durch die Dominanz seiner Oberlichter im Deckentragwerk.

Abgeschlossen wird das Gebäude nach oben durch eine Dachterrasse die als vollwertiger Platz mit sämtlichen Erschlie-ßungen erreichbar ist.

Durch die Ansteigende Brüstung von West nach Ost werden zum einen Dachaufbauten, Fahrstuhl und die Treppenhäu-ser verdeckt und gleichzeitig der Blick der Besucher auf den freien Ozean gelenkt.

Auch die Terrasse ist in dem Fassadenmaterial ausgeführt.
Sie besteht aus auf Hochglanz geschliffenem schwarzem Beton, mit den Zuschlagstoffen den örtlichen Felsen.

Als schwarzer Diamant und abstrakter Fremdkörper reflektiert er so seine Umgebung, die Hochebene, die Klippen, den Ozean und den Himmel.