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Einladungswettbewerb | 09/2009

Ehemalige Synagoge Universitätsstraße

Lageplan

Lageplan

1. Preis

Preisgeld: 5.000 EUR

scape Landschaftsarchitekten

Landschaftsarchitektur

Oliver Gather

Kunst

Erläuterungstext

Der Entwurf

Beim Schlendern durch die Unterstadt Marburgs stößt man unvermittelt auf eine Lücke in der sonst dichten Bebauung. Hier stand die alte Marburger Synagoge. Der Fußweg weitet sich zu einem langgestreckten Platz aus dunklem Basaltpflaster auf. Ein Bild der Synagoge sowie Texte, die auf das Glas der Haltestelle aufgedruckt werden, geben Hinweise auf die historische Bedeutung des Ortes.

An den Vorplatz schließt eine Grünfläche, ein öffentlicher Garten an. Dieser ist, in Anlehnung an die Gärten des antiken Jerusalems, flächig mit Rosen bepflanzt. Dort war die Rose die einzige Blume, die innerhalb der Stadtmauern gepflanzt werden durfte.

Das Zentrum des Ortes bildet ein skulpturaler Rahmen aus hellem Natur- oder Betonstein, der wie eine Galerie eine Rasenfläche und zwei Bäume umschließt. Nach außen bildet der Rahmen die Form eines Parallelogramms. Die südliche Seite schiebt sich auf den Eingangsplatz an der Universitätsstraße, von dort erstreckt sich die Form über die gesamte Breite des Rosengartens und schneidet auf der nördlichen Seite in den Hang unterhalb der Stadtmauer ein. Eine gegen den Hang geneigte Stahlscheibe fängt diesen und bildet einen räumlichen Abschluss. Nach innen formt der Rahmen ein Quadrat aus, das den ehemaligen Versammlungsraum der Synagoge exakt nachzeichnet.

Über eine schmale Treppe wird man auf das Podest geleitet und stößt auf eine Glasplatte im Boden, die einen Blick in das Innere der Erde ermöglicht. Man erkennt, dass sich in Untergrund noch Relikte der Synagoge verbergen; die Öffnung befindet sich direkt über der gut erhaltenen Mikwe. Der Blick wendet sich auf die quadratische Rasenfläche, welche leicht vertieft das Zentrum der Anlage bildet. Zwei alte Linden spenden Schatten, der Ort strahlt Ruhe aus. Im Gras unter den Bäumen steht der Gedenkstein aus dem Jahr 1963. Ansonsten ist der Ort leer – fast leer – denn in den Rasen sind Glaskästen eingelassen, darin befinden sich Zettel, bedruckt mit großen, klaren Lettern. Man setzt sich auf die Stufe, die der Rahmen zur Rasenfläche ausbildet und beginnt zu lesen...

Konzept
Der Entwurf begreift die Gedenkstätte als öffentlichen Garten, einen „Garten des Gedenkens“. Es soll ein bedeutungsvoller, emotionaler Ort entstehen, ein Ort, der seine derzeitige Beiläufigkeit verliert. Der Gedenkort will sich nicht verstecken, er dringt in die Stadt und setzt ein unübersehbares Zeichen im steinernen, von Geschwindigkeit geprägten Umfeld.

Vegetation
Die geschützten Bäume werden in das Konzept integriert; der Aufwuchs, der den Blick auf die Stadtmauer versperrt, entfernt. Der äußere Garten wird flächig mit bodendeckenden, langblühenden und robusten Rosen bepflanzt. Einige mehrstämmige Birken (Betula utilis „Weißrindige Himalaja-Birke“) setzten zusätzliche Akzente. Der innere Garten wird im wesentlichen in seinem jetzigen Zustand erhalten: Die bestehenden Bäume werden behutsam aufgeastet, die Rasenfläche erneuert.

Erschließung
Über eine eingeschnittene Treppe kann man die Gedenkstätte direkt von der Universitätsstraße aus betreten. Zusätzlich führt ein barrierefreier Fußweg durch das Rosenfeld zum Synagogengarten. Östlich des Rahmens setzt sich der Weg fort und führt - unter Ausnutzung der vorhandenen Topographie - über Treppen hinauf zur Stadtmauer und weiter in die Oberstadt.

Licht
Das Lichtkonzept konzentriert sich auf den inneren Garten, den Versammlungsraum der Synagoge. Drei Zeitebenen des Gedenkortes, die Mikwe, die alte Linde und die Zettelkästen, werden dezent illuminiert und so zueinander in Beziehung gesetzt. Durch eine lineare Beleuchtung der historischen Stadtmauer wird diese Komposition räumlich gefasst.


2. Künstlerisches Konzept "Zettelkasten"

Hintergrund
Die Shoah hinterliess dort, wo sie versuchte, jüdisches Leben und Kultur auszulöschen, ein Deutschland voller Lücken und Leerstellen.
Wir wollen diese Leerstellen nicht mit stummmachender Betroffenheitsarchitektur oder Objekten, die uns als Kinder und Enkel der Auslöschenden adäquat erscheinen, füllen.
Die Idee hinter dem Projekt ist, einen Dialog zu eröffnen und darüber hinaus den Überlebenden und Nachkommen der Shoah die Möglichkeit zu geben, einen ihnen geraubten Ort mit Inhalten zu füllen, die sie adäquat finden.

Ein haptisches Modell der Synagoge, der einsehbare Bereich der Mikwe und ein Informationstext an der Bushaltestelle erläutern Funktion und Geschichte des Ortes.
Kern des künstlerischen Konzepts ist das Projekt Zettelkasten. Zettelkasten thematisiert die konkrete Leerstelle am Platz der ehemaligen Synagoge in Marburg. Das Projekt nimmt sie zum Anlass für eine Kommunikation zwischen Menschen, die dem Ort und seiner Geschichte verbunden sind.

Projekt
Auf der Objektebene besteht das Projekt aus 10 bündig mit der Oberfläche eingelassenen Kästen innerhalb des ehemaligen Synagogengrundrisses. Nach oben sind die Kästen - formal in minimalistischer Klarheit gehalten - mit einer begehbaren Glasscheibe geschlossen.
In diesen Kästen befinden sich schlicht layoutete Zettel. Sie tragen Aussagen oder Fragen, die sich mit dem Ort und seiner Geschichte befassen und die Gedanken von Menschen, die einen biographischen Bezug zu ihm haben.

Stimmen
In Zusammenarbeit mit der Stadt Marburg, der jüdischen Gemeinde und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Marburg e.V. werden wir zu Mitgliedern der jüdischen Gemeinde Marburgs, emigrierten Überlebenden und deren Angehörigen Kontakt aufnehmen und sie um ein kurzes Statement bitten, von dem sie meinen, dass es an diesen Ort gehört. Diese Statements können thematisch sehr heterogen sein, sie können den Bezug zum Ort persönlich, aktuell oder historisch, profan oder intellektuell reflektieren.
Eine Sammlung von 10 Statements wird in den Zettelkästen veröffentlicht.
Diese sind die initialen Worte des Werks. Nach einer festgelegten Zeit werden sie durch andere Statements ausgewechselt, die dialogisch auf diese ersten reagieren. Dabei ist bei der zweiten in den Zettelkästen gezeigten Sammlung ein Fokus auf heute in Marburg lebende Menschen vorstellbar.
Das Projekt wird langfristig vom Künstlerteam betreut, das den Dialog anstösst und moderiert. Es ist für die Auswahl und Zusammenstellung der Texte verantwortlich und entwickelt projektbegleitend Konzepte für den längerfristigen Dialog.

Flankierend zu den Zettelkästen wird eine Internetseite erstellt, welche den aktuellen Stand der Kästen darstellt, eine Plattform für den Dialog bietet und das Projekt für eine breite Öffentlichkeit transparent macht. Ein Text an der Bushaltestelle vermittelt die Konzeptidee und verweist auf die Informationen und Teilnahmemöglichkeiten im Internet.

Zettelkasten bietet Raum für eine neue Verbindung zu einem zerstörten und verlorenen Ort.
Es ist eine zukunftsweisende Ergänzung zum seltenen und aufwändigen Besucherprogramm, wie es gerade von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit organisiert wird. Das Projekt kann an die Besuche anknüpfen, den Kontakt präsent und kontinuierlich weiterführen und in eine nächste Generation tragen.

Beurteilung durch das Preisgericht

Konsequent und überzeugend bearbeiten die Verfasser die Idee eines „Garten des Gedenkens“, indem sie die Stadtmauerböschung visuell bis zur Universitätsstraße ziehen und zu einem grünen übergeordneten Hintergrund („Rosenfeld“) eines zentralen Terrassenraumes machen. Dessen deutlichstes Gestaltungselement ist eine öffentliche Plattform in Form eines erhöhten Parallelogramms („Rahmen“), das sich in die geneigte Fläche der Stadthausböschung schiebt und den zentralen Ver-sammlungsraum der ehemaligen Synagoge als klar umgrenzte Rasenfläche nachzeichnet und neu interpretiert, der „Synagogengarten“. Hier umschließt ein Weg, in den ein „Fenster“ zur erhaltenen Mikwe eingelassen ist, eine leicht tiefer liegende und im Rahmen der gestellten Aufgabe perfekt nutzbare Rasenfläche. Niveaugleich in den Rasen eingelassene „Zettelkästen“ erlauben eine immer aktuelle Auseinandersetzung mit dem Ort. Detaillierte Informationen zur Synagoge (Text + Bild) sind am transparent gehaltenen Bushäuschen zu finden. Gedenkstein und haptisches Modell sind integriert. Die Aufweitungen des Parallelogramms bieten an den funktional richtigen Stellen Anknüpfungspunkte für Aufgänge, Zugangstreppe und angenehme Aufenthaltsmöglichkeiten an. Die Anlage der Zugangsrampen und die Lage des Aufgangs zur Oberstadt machen sich die gegebene, komplexe Topographie selbstverständlich zunutze. Sie sind, wie der zen-trale Gartenraum, leicht einsehbar und garantieren eine gute soziale Kontrolle des Ortes. Die angebotene Form für den zentralen Garten- und Gedenkbereich ist deutlich im Straßenraum sichtbar, erscheint dem Thema entsprechend richtig dimensioniert und bietet im Zusammenspiel mit dem Rosenhang einen unverwechselbaren Merkraum an der Universitätsstraße an.

Dies wird durch eine klare Materialsprache sehr gut unterstützt: Der „Rahmen“ in hellem Natur- oder Betonstein kontrastiert deutlich mit dem Fußweg der Universitätsstraße, der in Basaltpflaster belegt werden soll. Der Erhalt der großen Linden, insbesondere der zwei größten im Zentrum wird intelligent bewerkstelligt. Deren inhaltliche und formale Integration in das Grundkonzept wird ausdrücklich gewürdigt. Die Entnahme der sonstigen Gehölze bringt Licht in den bisher problematischen und düsteren Raum, arbeitet die besonderen Bäume des Ortes schön heraus und ermöglicht einen wunderbaren Blick auf die historische Stadtmauer. Das Motiv des Rosengartens erscheint inhaltlich richtig, muss aber im Detail technisch präzisiert werden, insbesondere in Bezug auf seine visuelle Wirkung im Winter. Die vorgeschlagenen Birken sind sicher schön, erscheinen aber noch nicht hinreichend begründet. Eine Verlängerung der angebotenen Bank im Synagogengarten könnte die sehr attraktive (Südorientierung), aber im Entwurf etwas knappe Sitzfläche an der rückwärtigen Stahlstützmauer erweitern. Die Rampe im Westen ist mit 9 % zu steil, könnte aber durch eine leichte Verlagerung die allgemein verlangten Gefälle problemlos erreichen. Geprüft werden sollten die Möglichkeit der Integration weiterer archäologischer Funde und die Markierung der Thoraschreinposition. Das Lichtkonzept erscheint logisch aus dem Grundkonzept abgeleitet. Die Beleuchtung der Stadtmauer wird positiv gesehen. Hier muss eine Balance für Lichtführung und -stärken gefunden werden, damit die große Fläche der Stadtmauer nicht das sensible Konzept im zentralen Garten des Gedenkens dominiert. Der Vorschlag wirkt insgesamt unkompliziert und ist voraussichtlich problemlos realisierbar. Er erscheint in der Pflege (Heller Beton, bzw. Naturstein, Rosen, Zettelkästen) zwar aufwendiger; dies erscheint aber im Rahmen der gestellten Aufgabe und an diesem Ort als vertretbar.
Ansicht

Ansicht

Pictogramme

Pictogramme

Universitätsstraße

Universitätsstraße

Gedenkstätte

Gedenkstätte

Kunstprojekt "Zettelkasten"

Kunstprojekt "Zettelkasten"