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Einladungswettbewerb | 09/2009

Ehemalige Synagoge Universitätsstraße

Perspektive

Perspektive

3. Preis

barbara willecke planung . freiraum

Landschaftsarchitektur

Andreas Süß

Kunst

Erläuterungstext

Leitgedanke
Die drei Aspekte des jüdischen Lebens, Versammeln, Beten und Lehren, spiegelten sich in der Baustruktur der Synagoge wider und bildeten damit den Kern des jüdischen Alltags in Marburg.
Der Platz der ehemaligen Synagoge an der Universitätsstraße ist Gedenkstätte für die Zerstörung der Synagoge und gleichzeitig offen für eine vielfältige Nutzung. Über dem Fundament der Synagoge wird eine Plattform errichtet, die sich an der Dreiteilung des alten Grundrisses orientiert und dazu einlädt, eine Form der Erinnerung zu finden. Mit diesem Platz wird ein Ort des Gedenkens in der Stadt geschaffen, auf dem sich vergangene, gegenwärtige und zukünftige Nutzungen räumlich und gestalterisch aufeinander beziehen. Es entsteht ein Platz für Aufenthalt und Begegnung im städtischen Alltag für besondere Anlässe, alltägliches und besonderes, individuelles und öffentliches Gedenken.

Städtebauliche Bezüge
Die Präsenz des Ortes im Stadtraum wird durch eine größere Wahrnehmbarkeit von der Universitätsstraße gefördert. Breite Stufenanlagen binden die Platzterrasse in die Umgebung großzügig ein. Die Fläche am Landgrafenhaus wird Teil des Gesamtraumes mit Zugang zur Altstadt über eine neue Treppenanlage, die über die bestehenden Terrassen zu einer kleinen Gasse führt. Ein Hain aus Ölweiden erweitert den ehemaligen Raum der Synagoge in den Gesamtraum hinein.
Die Stadtmauer wird freigestellt und verdeutlicht den städtebaulichen und historischen Kontext des Synagogengrundstückes. Der neue Weg und der eingefügte Stadtbalkon bieten Blicke auf die Lahn und die entstehenden neuen Strukturen an der Universitätsstraße.

Konzept programmatischer Überlagerungen
Geschichte, Gegenwart und Zukunft werden als sich überlagernde und aufeinander bezogene Schichten interpretiert:

Ort jüdischen Lebens und heutiger alltäglicher und temporärer Nutzungen
Die dreigeteilte Struktur der überlagernden Plattform spiegelt die räumliche und inhaltliche Struktur der ehemaligen Synagoge wider und wird zum Anknüpfungspunkt für Blicke in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Unterstützt wird dies durch Erhalt und Schutz der freigelegten Grundmauern und des gesamten Bodendenkmals. "Historische Fenster" erlauben Einblicke von oben.

Mit dem Erhalt des Gedenksteines und der Linden aus dem Bestand bleiben Zeugen der jüngeren Vergangenheit und der bisherigen Auseinandersetzung mit dem Ort.

Die Plattform und der gesamte Platz mit Holzbänken und Hockern ist eine Aufenthaltsfläche im Alltag für die Öffentlichkeit. Das Wasserrauschen der kleinen Fontänen erinnert einerseits an die Mikwe und macht andererseits den Aufenthalt akustisch angenehm.

Rahmenkonstruktion
Die Rahmenkonstruktion bildet Infrastruktur und Rahmen für temporäre Nutzungen wie Ausstellungen und Gedenkveranstaltungen, jüdische und nichtjüdische Kulturtage und Veranstaltungen. Die Rahmen zeigen einerseits die Dimensionen des ehemaligen Innenraumes der Synagoge und sind andererseits Träger des Informationssystems. Sie dienen als statisch wirksames Gerüst und formulieren auch ohne die historischen Referenzen einen besonderen Ort in der Stadt.

Reste und Hinweise auf die / der ehemaligen Synagoge
Es werden über den Ausgrabungen "Historische Fenster" in der das Bodendenkmal schützenden Bodenplatte angeordnet die z.B. ein zentrales Säulenfundament, das Wasserbecken und Mikwe als historische Zeugen sichtbar machen.
Der Psalm, der im Sturz des Synagogentores eingemeißelt war: „Öffne für mich die Tore der Gerechtigkeit“ (Psalm 118) wird plastisch gestaltet, in deutscher und hebräischer Sprache auf die Rahmenkonstruktion aufgetragen.
Die Linden, die, ebenso wie der Gedenkstein, über Jahrzehnte den Ort prägten, werden unter Bewässerung und Schutz des Wurzelraumes erhalten und in die Betonplatte integriert.
Damit ermöglicht der Ort insgesamt neben Gedenken, Lehre und Bewahren auch Raum für vielfältige andere Nutzungen: Stadtfeste, Openair-Kino, Theater, Lesungen, Musikveranstaltungen etc.
Elemente
Bodendenkmal:
Die vorgefundenen Höhen werden erhalten, Unterbauten und Beläge für geplante Flächen werden aufgelagert, Punktfundamente für die Plattform werden außerhalb der historischen Fundamente gegründet.

Treppenanlagen
Sie verbinden die Platzterrasse mit dem Stadtraum und sind so über die Diagonale plaziert , daß der Platzraum kurze Wege im Alltag anbietet und gleichzeitig lange Wege über den Platz führen. Integrierte Sitzstufen ermöglichen das bequeme Sitzen und Warten an der Bushaltestelle.

Die aufgelagerte Betonplattform
benötigt als Rippenkonstruktion wenige Punktfundamente und bildet auf der angenäherten Höhe des ehemaligen Innenraumes gleichsam über den Grundmauern der zerstörten Synagoge wachsend einen neuen Ort des gesellschaftlichen Miteinanders. Material: Ortbeton als hochfester Weißbeton auf vorgespannte Fertigteile.

Aufenthaltselemente
Einfache Bänke und mobile Hocker werden aus thermobehandeltem Leimholz gestaltet und bieten Möglichkeiten zum alltäglichen Aufenthalt. Sie erinnern im zweiten Blick an die Schulbänke und Sitze der ehemaligen Synagoge. Die Hocker werden durch die Nutzer immer neu gruppiert und bilden so immer neue Muster, die den Gebrauch des Ortes lesbar machen. Sie werden ggf. elektronisch gesichert.

Rahmenkonstruktion
Die Rahmen werden als thermisch behandelte silbergrau-weiße Leimholzbinder (Stahl-Holzverbundkonstruktion) in die Betonplattform eingespannt, sodaß das Bodendenkmal nicht nur symbolisch unberührt bleibt. Die Rahmen sind Träger für Infrastruktur. Ein akustisches und optisches Informationssystem wird integriert. Im Alltag skizzieren Sie die Höhe des ehemaligen Innenraumes der Synagoge und verschaffen auf abstrakte Weise dem Ort eine neue "sensible Präsenz".

Informationssystem, akustische Maßnahmen
Wassersprudel bilden einen akustischen Paravent gegen den Schalleintrag der Straße. Ein in die Rahmenkonstruktion integriertes Audiosystem ermöglicht die Installation eines akustisch wirksamen "Vorhanges" und die akustische Unterstützung bei Veranstaltungen. Auf Abruf kann hier beispielsweise der zur Eröffnung der Synagoge komponierte Psalm an einer akustischen Insel im Bereich des Gedenksteines gehört werden. Der gesamte Ort ist mit einem Orientierungssystem für Sehbehinderte ausgestattet. Das haptische Modell informiert alle Besucher über die zerstörte Synagoge.

Materialauswahl
Die Auswahl der Materialien unterstreicht die Verschränkung von historischem Kontext und heutiger bzw. zukünftiger Nutzung und Fortschreibung des Ortes. Das Material Holz erinnert in Bezug auf das Mobiliar an die Synagoge. Gleichzeitig stehen die Rahmen stehen für das Fehlen der Synagoge und die Nichtbehaustheit an diesem Ort.
Der weiße Beton bietet einen neuen Boden, eingebettet in die Platzterrasse aus wassergebundener Decke und Rasen. Der Hang wird durch eine Stützmauer aus ortstypischen Natursteinen gestützt. Die Materialien sind aus Kostengründen einfach aber ästhetisch sorgfältig gewählt und verarbeitet.

Pflanzkonzept
Ein Hain aus Ölweiden bildet die vegetative Ergänzung zur Rahmenkonstruktion - silbergrüne Stämme und lichtes Blätterdach. Die Ölweiden erweitern den gedachten Raum der Synagoge in den Gesamtraum. Sie erinnern in Wuchs, Blatt und Früchten an Olivenbäume und stehen symbolisch für Hoffnung und Frieden.
Weiße, robuste Bodendecker-Rosen mit weißen Begleitstauden und Gräsern auf dem Hang bilden den lichten Hintergrund am Fuß der Stadtmauer.

Fazit
Der Ort der ehemaligen Synagoge wird fortgeschrieben. Mit der vorgeschlagenen Gestaltung ist dieser Prozeß nicht abgeschlossen. Vielmehr wird durch den neuen alltäglichen Gebrauch und die Möglichkeit zu besonderen Veranstaltungen ein Rahmen, eine Infrastruktur für temporäre oder auch längerfristige Ergänzungen angeboten. Es besteht insbesondere auch die Möglichkeit, der Präsentation jüdischer Kultur und jüdischer Festen an diesem Ort einen Rahmen zu geben.
Perspektive

Perspektive

Konzept-programmatische Überlagerungen

Konzept-programmatische Überlagerungen

Lageplan

Lageplan