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Offener Wettbewerb | 06/2010

Parklandschaft Tempelhof / Tempelhof Parkland

Preisgruppe / ausgewählt für Verhandlungsverfahren

GROSS. MAX. landscape architects

Landschaftsarchitektur

suhuha

Architektur

Erläuterungstext

F: Kunst und Charakter der Parkgestaltung am Beginn des 21. Jahrhunderts verlangt nach einem fundamentalen Wechsel in der Herangehensweise. Die Wettbewerbsausschreibung erwähnt Prozessorientierung und Events. Sie stellt vorgefundene Ansichten in Frage und eröffnet neue Perspektiven…Wer hat Angst vor der urbanen Leere?

A: Letztendlich heisst die Aufgabe: Mehr Park für weniger Geld! Nach all diesen Jahren müssen Landschaftsarchitekten immer noch den großen Befreiungsschlag meistern…Wir bevorzugen ein fesselndes Schauspiel von Houdini einer Wiederholung von “Des Kaisers neue Kleider”!

F: Aber Houdini war ein Illusionist und Entfesselungskünstler?

A: Ha-Ha; genau wie wir!

F: Wie aber reagieren Sie auf die Wettbewerbsaufgabe?

A: Es gibt da einen gewissen Widerspruch: zum einen Flexibilität und prozessurale Entwicklungen zulassen, zum anderen das Verlangen nach einem klaren räumlichen Rahmen. Unser Entwurf etabliert eine neue dynamische Figur, die den gesamten Ort umfasst. Klarheit, das Ziel von vollendeter Bildung! Der Park sollte auch ein geistiges Bild darstellen, ein Emblem für die Stadt Berlin. Innerhalb dieses Rahmens können sich Park und Stadt entwickeln, nicht unähnlich den Pixeln auf einem Computerbildschirm.

F: Der Architekt Norman Foster hat Tempelhof als die Mutter aller Flughäfen bezeichnet…

A: Ja, aber Goethe schrieb: “Es gibt kein Vergangenes, das man zurücksehnen dürfte, es gibt nur ein ewig Neues, das sich aus den erweiterten Elementen des Vergangenen gestaltet, und die echte Sehnsucht muss stets produktiv sein, ein Neues, Besseres erschaffen.” Lassen sie uns Tempelhof in die Mutter aller Parks verwandeln; eine Verwandlung von heroischen Ausmaßen! Interessanterweise braucht Berlin eigentlich keinen weiteren Park und doch haben wir hier eine städtische Freifläche, die verzweifelt nach einem Programm sucht...größer als alle Berliner Parks zusammen. Vielleicht ist die beste Lösung das Konzept eines Parks vom Programm zu befreien! Wir finden den Vergleich mit den Orten, die in englischen Städten als „Green“, „Heath“ oder „Common“ beschrieben werden, also den Gedanken einer Allmende, und die in der Regel große Flächen der Leere als Gegenpol zur engen Stadt umfassen, sehr angebracht!

F: Der Park als Weide des zeitgenössischen Stadtbürgers?

A: Genau; unser Manifest heisst “Body & Soil”!

F: Wie halten Sie es mit dem resourceneffizienten Park?

A: Die Umwandlung von Brachland zu Parkland wird die neuesten Bodenverbesserungs- und Entgiftungstechniken nutzen. Gründünger wie z.B. Leguminosen werden den organisches Bodenanteil erhöhen und Stickstoff im Boden binden. Aber das ist sozusagen erst die Vorspeise, als Hauptgang wird der Park die Quelle für die Begrünung von Berlin und der weiteren Region; ein Inkubator der Natur um den CO² - Fussabdruck der gesamten Stadt zu reduzieren. Der innere Kreis besteht aus Reihen unterschiedlicher Baumarten, mit verschiedenen Pflanzabständen und Pflanzengrössen; und dient gleichzeitig als Baumschule für alle zukünftigen Bäume der Stadt Berlin. Deren sich ständig verändernde Anordnung wird eine geschichtete Landschaft schaffen; eine räumliche Erlebniswelt von sich verändernden Perspektiven und unterschiedlicher Tiefenschärfe. Letztendlich kann diese Kulissenlandschaft in einen symbolischen Hain verwandelt werden, in ein nationales Arboretum als Anspielung an den romantischen deutschen Wald. Die zentrale Prärie dient als Samenbank, deren Samen jährlich gesammelt werden und zur Ansaat neuer Wildblumenwiesen in der Stadt genutzt werden. Daneben können die Gräser als nachhaltiger Biokraftstoff verwendet werden. Wiesengräser sind dafür ideal, denn sie prodizieren mehr Biomasse pro Hektar als z.B. durch die Pflanzung von Mais zur Ethanolgewinnung oder Soyabohnen für Biodiesel gewonnen werden kann. Außerdem unterstützen wir so Pflanzenvielfalt anstatt Monokultur. Auch wenn Natur nicht länger natürlich ist und zum Überleben menschen-gemacht, massen-produziert und massen-konsumiert werden muss. Mit “Bob dem Baumeister” fragen wir: Können wir das schaffen? Yo, wir schaffen das!

F: Eine Art grünes Manifest?

A: Tempelhof, das seinen Ursprung letztendlich auf die Tempelritter zurückführen kann, wird Ausgangspunkt eines grünen Kreuzzuges!

F: Baumschule und Samenbank machen den Park zwar produktiv, aber werden kaum genug sein, um den Bau und Unterhalt zu finanzieren?

A: Wir sind sehr von “Knutmania” inspiriert, letztendlich ein typisch Berliner Phänomen.

F: Knut?

A: Knut war nicht nur eine Touristenattraktion, sondern bekam über Nacht auch ein kommerzieller Erfolg! Knut hat zu Mehreinnahmen von fünf Millionen Euro geführt; stellen sie sich vor, wieviel Park man dafür bauen kann. Knut hat uns gezeigt, dass man neue Ideen verfolgen muss.

F: Was ist also die Lösung?

A: Wir schlagen vor, dass die Umwandlung des ehemaligen Flughafens in einen Park zum Teil mittels freiwilliger CO²-Abgaben von Vielfliegern finanziert werden könnte. Lufthansa, Air Berlin…ein glänzender Start für Tempelhof.

F: Großartig…”EasyPark”…die ultimative Städtereise!

A: Darüberhinaus könnte Tempelhof als Ausgangpunkt für Zeppelinrundflüge dienen z.B. Sightseeing-Tour “Himmel über Berlin”…und gleichzeitig Erinnerungsort für das abenteuerliche Zeitalter der Fliegerei sein.

F: So weit ich mich erinnere hat Wim Wenders gewarnt, dass die meisten Regenerierungsprojekte die Authentizität des Ortes zerstören.

A: “…der Grad der Langsamkeit ist direkt proportional zur Intensität der Erinnerung; der Grad der Geschwindigkeit ist direkt proportional zur Intensität des Vergessens”…wir haben dieses Zitat im Roman “Die Langsamkeit” von Milan Kundera gefunden. Ein wichtiger und grundlegender Aspekt von Landschaftsarchitektur ist, dass sie mit Zeit, Prozess und Dauerhaftigkeit arbeitet. Landschaftsarchitektur trägt zur Gestaltung einer sich ständig bewegenden und verändernden Welt bei. Der französische Geograph Braudel bezieht sich in seinen Schriften auf die “Stratifikation der Zeit” und unterscheidet zwischen verschiedenen Geschwindigkeiten der Entwicklung. Eine grundlegende Frage für zeitgenössische Landschaftarchitektur ist wie schnelle und langsame Prozesse in einem Entwurf vereint werden können, der den Genius loci und Zeitgeist respektiert und vereint. Der Wettbewerb für Tempelhof könnte einen entscheidenden Wendepunkt in der Definition einer neuen Parktypology darstellen.

F: Erinnerung ist ein schwieriges Thema an einem Ort mit solch turbulenter Geschichte wie Berlin.

A: In der Tat…an was erinnern wir in Tempelhof eigentlich...nur an die Zeit der Luftbrücke? Oder kann man auch die Klarheit und Qualität des halbmond-förmigen Flughafengebäudes bewundern, im Bewusstsein, dass es von einem totalitären Regime beauftragt wurde?

F: Wie gehen Sie mit den Start- und Landebahnen um?

A: Die beiden Rollbahnen stellen eine offene Einladung dar! Sie sind geradezu erhaben in ihrem Ausdruck von Leere und dem immensen Maßstab des Ortes… auch beinhalten sie ein Gefühl von Freiheit und der Möglichkeit abzuheben…Wir haben keinen Zweifel, dass die Bewohner von Berlin sie in sehr kreativer und experimenteller Art und Weise kolonisieren werden. Wir schlagen vor, die nördliche Rollbahn als zentralen Boulevard und Aktivitätszone zu nutzen. Die südliche Rollbahn sollte dagegen Leere und Offenheit ausdrücken… Andere Teile der Betonflächen werden aufgebrochen und als Baumaterial für Wege, skulpturale Landformen und Aussichtspunkte recycled.

F: Wie wird die Internationale Gartenbauausstellung integriert?

A: Für uns ist es entscheident, dass die IGA nicht nur in einem kleinen Teil konzentriert wird. Wir schlagen vor, dass die Ringe als Erschliessungswege genutzt werden; mit einer Perlenkette aus temporären Gärten und Installationen. Die XXL-formatige Leere wird so integriert und erfahrbar als ein phantastisches Blumenfeld. Während der IGA kann ein Bus-Kreisverkehr eingerichtet werden, der mittels von vor Ort produzierten Bio-diesels betrieben wird. Das Vorfeld und die nördliche Rollbahn dienen als eine Ausstellungsfläche und Ort temporärer Installationen. Wir mögen die Idee, dass verschiedene Länder ihre Beiträge sprichwörtlich einfliegen können; später können diese Installationen dann abtransportiert und andernortens in Berlin wieder aufgebaut werden. Das Dach des Flughafengebäudes kann, wie ursprünglich geplant, als Tribüne für das Schauspiel der Gartenbauaustellung dienen. Bei Erfolg kann der Busverkehr weiterbetrieben werden und zur Regeneration des äußeren Rings beitragen. Selbstverständlich eröffnet die gegenseitige Befruchtung von IGA und IBA ungeahnte Möglichkeiten…Wir schlagen Felder von Biokraftstoffen, Pflanzenkläranlagen und Weidenwellen vor, die die IBA durchdringen. Der Franzose Laugier schrieb in seinen “Observations sur l’architecture” in 1765, “wer weiss, wie man einen guten Park entwirft, sollte kein Problem haben, den Plan einer Stadt zu entwerfen…”

F: Die Ausschreibung scheint nach einer Ringstrasse zu Fragen…?

A: Wir halten dies nicht für eine gute Idee. Das Konzept der Ringstrasse wird zu einem starken Inseleffekt des inneren Parks führen. Wir glauben, das Park und Stadt nicht länger als gegensätzliche Orte gesehen werden sollten, sondern als Teppich in sich verwobener Landschaft und gebauter Formen. Landschaft dient nicht mehr länger als grüner Hintergrund oder als Kulisse für passive Erholung, sondern als aktive grüne Maschine für nachhaltiges städtisches Leben. Ein neue Ästhetik wird sich durch den dynamischen Ausdruck von neuen und sich ständig verändernden räumlichen Bedingungen aus diesem nachhaltigen Ansatz ergeben. Tempelhof wird ein bahnbrechendes Beispiel eines neuen Gleichgewichts zwischen Mensch und Natur.

F: Wie steht es mit der wilden Romantik dieser neuen Ästhetik?

A: “Man kann zwar nicht sagen, dass das Vernünftige immer schon sei; allein das Schöne is doch immer vernünftig, oder wenigstens, es sollte so sein“; ...und schon wieder Goethe...