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Nichtoffener Wettbewerb | 10/2012

Neugestaltung Ernst-Abbe-Platz

3. Preis

Preisgeld: 6.100 EUR

MAN MADE LAND

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

01. SITUATION
Jena fasziniert durch seine spezifische urbane Textur als Ergebnis ihrer topografischen Lage und der wechselhaften 600-jährigen Geschichte.
Ein bedeutsamer Teil dieser Geschichte ist die Entwicklung Carl Zeiss Jena mit seiner Entstehung, Niedergang und Wiederauferstehung bis in die heutigen Tage hinein. Der Ernst-Abbe-Platz wird auch heute noch durch die ehemalige Fabrikstruktur geprägt und funktioniert wie eine kleine abgeschlossene und überraschende Welt in sich selbst. Besonders durch das Eindringen der Straßenbahn in diese kleine Welt wird deren Abgeschlossenheit deutlich.
Dem Platz scheint es in seiner derzeitigen Konfiguration an einer Mitte zu fehlen und er teilt sich scheinbar in zwei Bereiche, dem Mensaplateau und dem Bereich der Tramhaltestelle. Die indifferente Verteilung der Elemente, des Mobiliars und der Kunstwerke erschweren die Orientierung. Die Orthogonalität des Bestandsbelages und der Fassaden erinnern an das alte Fabriklayout, nur die runde Mensa macht sich davon frei und dominiert den Raum. Frank Stellas Hudson Skulpturen sind die einzigen Elemente, die positive Aufmerksamkeit in diesem Ensemble erzeugen können.

02. VORSCHLAG
Der Platz ist allseitig umschlossen mit einer einzigen Öffnung - der zum Himmel. In diesen geschlossenen Raum führt der Entwurf ein Landschaftsthema ein, dass sich aus Jenas topografischer Lage und umgebenden Naturräumen entwickelt und so einen charismatischen und identitätstiftenden Charakter erzeugt. Die Gestaltung soll Struktur und Orientierung geben und muss sich vor den hohen Fassaden der angrenzenden Gebäude behaupten können. Um dies zu erreichen werden drei große in sanften Hügeln angelegte Bereiche des Platzes um ca. 50cm angehoben, damit neue Bäume gepflanzt werden können. Diese drei Topografien schaffen räumliche Beziehungen und strukturieren den Platz, um eine optimale Erreichbarkeit und Verbindung der verschiedenen Zugänge zu den Gebäuden zu gewährleisten. Alle technischen Erfordernisse, wie Zugänge zu den Tiefgaragen und die angepassten Feuerwehrumfahrten, Traglasten etc. werden nicht eingeschränkt. Alle nicht bepflanzten Bereiche bleiben befahrbar.
Vor der Mensa und dem Hörsaal der Universität werden die topografischen Erhöhungen durch einen geraden Schnitt begrenzt, um klare Vorplatzsituationen zu schaffen. Der entstehende Höhensprung wird durch ein Sitzmauer akzentuiert und funktionalisiert. Im Vorbereich der Mensa befindet sich der 300m2 große Eventbereich. Die hier platzierten Sitzgelegenheiten fungieren gleichzeitig als außen gelegene Tribüne.

Ausgehend von der Hauptverbindung zwischen dem östlichen Zugang des Platzes über den Eingang zur Mensa, den Hörsälen der Universität bis zum Ärztehaus wird ein axiales "Grid" entwickelt, in dessen Raster die Baumsetzungen eingepasst werden. Durch die topografische Verformung wird dieses zweidimensionale Grid auch in seiner Dreidimensionalität lesbar.
Als prägender Baum des neuen landschaftlichen Entwurfes werden Birken mit ihrem wilden Charakter diesen städtischen Raum seine Prägung geben. Insbesondere durch ihre Genügsamkeit und Flexibilität bei unterschiedlicher Besonnung sind sie für diesen heterogenen Raum besonders gut geeignet. Durch ihre besondere Linearität der Stämme geben die Birken dem Platz einen künstlichen Charakter, der aber durch die unterschiedlichen Dichten der Kronen und Setzung der Bäume und den damit verbundenen natürlichen Lichteinfall in Balance gebracht wird. Diese Mischung von Künstlichkeit und Naturaspekten erreicht ein spannendes Verhältnis von Urbanität und landschaftlicher Anmutung. Es wird eine Hybridbirke gewählt, um den allergieauslösenden Pollenflug zu minimieren (Betula x aurata). Der derzeit im Sommer heiße und stickige Platz wird durch die neuen Bäume deutlich an Aufenthaltsqualität gewinnen. Das Laub schafft schattige Orte, befeuchtet die Luft und bindet Staub. Im Winter kann die Sonne ungehindert auf den Platz scheinen. Um die bepflanzten Bereiche über die topografisch erhöhten Bereiche hinaus zu erweitern werden einige der Birken in Pflanzgefäßen platziert. Die breite Kante dieser Behältnisse bietet gleichzeitig gute Sitzgelegenheiten, z.B. in der Nähe der Straßenbahnhaltestelle. In Anlehnung an die technischen Ausstattungen und Kunstwerke auf dem Platz werden die Pflanzbehälter in Edelstahl ausgeführt.

Leitgedanke für die Gestaltung der Oberflächen ist das Bild einer homogenen steinernen Textur, die in elegantem Kontrast zu den in einem Raster gepflanzten Bäume steht. Gesägtes Granitkleinsteinpflaster (10x10x8) in unterschiedlichen Grautönen in einem richtungslosen Verband erlaubt eine übergangslose Geländemodellierung und ist durch seine gesägte Oberfläche komfortabel zu belaufen und rollstuhlfreundlich.

Im übergeordneten Raster des Platzes werden Bodenleuchten um die Baumgruppen herum eingesetzt und erzeugen so bei Nacht ein sichtbares "Halo". Weitere Lichtelemente in den Sitzbänken leuchten die Platzsituationen vor den wichtigen Eingängen aus. Insgesamt 500 Fahrradstellplätze werden auf dem Ernst-Abbe-Platz angeboten und hauptsächlich an den Eingänge zur Mensa und Hörsaal platziert. Anfallendes Regenwasser wird durch das an die neue Höhensituation angepasste Bestandsentwässerungsnetz abgeleitet.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Verfasser leiten durch eine Schrittfolge von Interventionen in das Platzgefüge die Entwurfsidee her: Das Raster wird durch Drehung an die komplexe Geometrie des Platzes angepasst, Baumpflanzungen werden durch Modellierung ermöglicht und klare Kanten zur Gewährleistung von Platzfunktionen eingeschnitten. Durch diese Gestaltungsidee gelingt es, Bewegungsbereiche von Ruhe- und Erholungszonen abzugrenzen.

Der Vorschlag des Birkenhains steht in starkem Kontrast zur ehemals industriell geprägten Umbauung. Auf intellegente Art und Weise wird das Thema von Frank Stella – der Abschied von der Industrialisierung des Hudson Valleys – in die Sprache der Landschaftsarchitektur übertragen. Die Birke als Pioniergehölz könnte in dieser Umgebung für den Neubeginn am Alt-Industriestandort des ehemaligen Zeiss-Hauptwerkes, das nach der politischen Wende in einen multifunktionalen Campus mit Einkaufszentrum und Büros überführt wurde, stehen. Es kann davon ausgegangen werden, dass die beim Aufwachsen der Birkenhaine durch Lichtmangel entfallenden Kleinbäume keine Schwächung der Entwurfsidee bedeuten – die Pflanzlöcher würden durch Pflasterung geschlossen.

Die an und für sich entbehrlichen Edelstahl-Pflanzkübel kaschieren die ansonsten frei einsehbaren störenden Zugänge der Tiefgarage.

Funktionale Mängel bestehen noch durch das Verstellen der Anlieferzone Carl-Zeiss-Straße durch Fahrradständer und durch die zu erwartende Blendwirkung, hervorgerufen durch die Bodenstrahler der Platzbeleuchtung.

Die Baumhaine werden sehr gut geeignet sein, die kleinklimatischen Verhältnisse (Verdunstungskühlung, lichter Schatten) zu verbessern.

Die neue Konzeption des Ernst-Abbe-Platzes wäre geprägt von einem sanft welligen, durch Birkenhaine überstandenen Relief, in das Kunstwerke und Sitzelemente eingebunden sind. Ausreichend große freie Verkehrsflächen und Multifunktionsbereiche sichern auch zukünftig die vielfältigen Nutzungen des Platzes.

Zusammenfassend wird eingeschätzt, dass diese Arbeit einen signifikanten Beitrag zur Aufwertung des Platzcharakters zu leisten verspricht.
Blickrichtung Hörsaalgebäude

Blickrichtung Hörsaalgebäude