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Nichtoffener Wettbewerb | 11/2012

Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie"-Morde

Lageplan

Lageplan

3. Preis

Dagmar von Wilcken

Innenarchitektur

Henningsen Landschaftsarchitekten PartG mbB

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

Gestaltungskonzept
Ausgangspunkt
Ein Adresskürzel als Chiffre für eine Mordaktion: Mehr Abstraktion ist kaum denkbar. Diese Begriffslosigkeit war nicht nur eine der NS-Zeit. Worte können Aspekte des Geschehens beschreiben, fassbar machen können sie es nicht.
So hermetisch wie die Chiffre »T4« ist der Ort, von dessen Adresse sie abgeleitet ist. Dass der erste nationalsozialistische Massenmord gerade von hier aus gesteuert wurde, ist ein historischer Zufall und zeitlich ein kurzer Abschnitt in der Geschichte des Geländes. Das Gelände wie die ehemalige Villa haben ihre eigene Historie, und diese ist heute kaum mehr lesbar. Lange blieben die Ermordeten namenlos. Opfer der NS-»Euthanasie« wurden, anders als die ermordeten Juden, Sinti und Roma, meist anonymisiert genannt und werden dies zum Teil auch heute noch. Weil sie Krankenakten haben, weil Behinderungen und psychische Krankheiten noch immer stigmatisiert sind, weil verhindert werden soll, dass ihre Familien als »erbkrank« diskriminiert werden. Inzwischen veröffentlichen Tötungsanstalten Gedenkbücher, Familien erinnern sich ihrer ermordeten Angehörigen, Lebensgeschichten werden rekonstruiert. Das Wissen über die Morde kehrt in die Gesellschaft zurück, welche diese Morde einst geplant und durchgeführt hat. Die Auseinandersetzung mit den vielen einzelnen Geschichten hat vielleicht gerade erst begonnen. Das geplante Denkmal ist ein wichtiger Teil dieser Entwicklung.
Idee
Die Ermordeten stehen im Zentrum des Gedenkens und des Versuchs, die nicht fassbare Dimension des Verbrechens zu markieren. Alle bekannten Namen von Opfern sollen präsent sein und fortlaufend ergänzt werden. Exemplarische Opferbiographien korrespondieren mit diesen Namen. So wird betont, dass hinter jedem Namen eine Biographie steht, in welche die »Aktion T4« durch Erfassung, Begutachtung, Verlegung, Ermordung und Verschleierung der Todesumstände gewaltsam eingegriffen und diese abgebrochen hat. Die unübersehbare Anzahl von Namen und Schicksalen wird der abstrakten Chiffre gegenübergestellt. Aus dem Kürzel »T4« wird die Form der Skulptur abgeleitet. Sie ist Träger der historischen Informationen und in einem Teilbereich Ort des Gedenkens an die Opfer. Die dritte Ebene bildet die Sichtbarmachung der Archäologie des Geländes.
Zentraler Bestandteil der Konzeption ist der barrierefreie Zugang zu allen Teilen des Denkmals und allen Informationen.

Freilegen der historischen Schichtung
Die Topographie des Grundstücks wird wieder lesbar. Seine ursprüngliche Begrenzung wird markiert und bildet eine Zäsur im heutigen Stadtraum. Der Grundriss der Villa wird – bis zur Arealgrenze – mit dunklem Beton ausgegossen und hebt sich so farblich vom Grundstück (heller Asphalt) und vom Garten ab, diese Fläche liegt einige Zentimeter tiefer als die Umgebung und wird so zum »Historischen Fußabdruck«. Diese Negativform markiert den exakten Standort des Gebäudes und zugleich seine Abwesenheit.
Von der Skulptur aus sehen die Besucher/innen diesen Standort durch das groß auf eine transparente Fläche gezogene Foto der Villa (2.60x1.60m). So entsteht eine weitere Verbindung zwischen skulpturaler und archäologischer Ebene.
Wichtiger Teil der historischen Schichtung ist auch die 1989 gegen Widerstände durch-gesetzte Gedenkplatte, die an ihrem bisherigen Ort bleiben und durch einen Hinweis in Bezug zu dem neu gestalteten Ort gesetzt werden soll. Der Boden des barrierefreien Zugangs zur Gedenkplatte wird im gleichen Material gestaltet wie der Gedenk- und Informationsbereich und stellt somit eine visuelle Verbindung her.

Skulptur
Der Begriff »T4« wird als begehbare Skulptur auf das ehemalige Villen-Grundstück gestellt. Die Skulptur ist Informationsträger und bietet einen geschützten Bereich für das Gedenken an die Opfer. Sie ist leicht geneigt und vermittelt so den Eindruck, langsam aus Vergessenheit und Vergangenheit aufzutauchen. Auch wenn das »T4« nicht aus jeder Perspektive sofort lesbar ist, entsteht eine einprägsame Markierung der Stadtlandschaft. Die Skulptur besteht aus dunkelgrauem Beton wie der Grundriss der ehemaligen Villa. Durch diese optische Klammer verbinden sich Villa und Skulptur, Vergangenheit und Gegenwart, Verdrängtes und Aufklärendes.
Die Entscheidung für dieses Material stellt einen deutlich wahrnehmbaren Bezug zum Denkmal für die ermordeten Juden Europas und dem Denkmal für die im National¬sozialis¬mus verfolgten Homosexuellen her. Die unterschiedlichen Verfolgungs- und Vernichtungs¬programme werden als Teil eines zusammenhängenden großen Verbrechens betrachtet.



Licht
Die Skulptur wird bei Dunkelheit von unten mit planeingesetzten Bodenleuchten angestrahlt, somit kann der Ort jederzeit besucht und auch aus der Ferne wahrgenommen werden. Lichtbänder markieren die Übergänge zu den Grünflächen. Sie werden in die Fußpunkte der beiden langen Sitzelemente integriert, die dort als Ruhepol genutzt werden können.

Gliederung der Inhalte und Layout
• Einführung und Verortung der Verbrechen
• Täter (-biographien)
• Opfer (-biographien)
• Villa und stadthistorischer Überblick
Jeder der vier Themenbereiche wird durch ein großformatiges Motiv eingeleitet. Im Bereich Opferbiographien sind es überdimensionale Augenpaare, die mit den Besucher/innen in »Blickkontakt« treten.
Sämtliche Bild- und Textelemente setzen sich aus 40 x 40 cm-Modulen zusammen und können hinterleuchtet werden, so dass sie auch bei Dunkelheit lesbar sind. Die Module sind einzeln montiert und daher schnell und unkompliziert austauschbar im Falle von Vandalis¬mus. Jedes Thema hat einen übergeordneten Text (ca. 750 Zeichen): deutsch, leichte Sprache, englisch und taktile Profilschrift. Die Schriftgröße von 40p (10mm) ist bis in 3m Entfernung gut lesbar. Erklärende Thementexte (ca. 1.250 Zeichen) sind ebenfalls in deutsch, leichter Sprache, sowie englisch auf 40 x 40 cm Tafeln gedruckt, in einer Schriftgröße von 30p (7,5mm). Anstelle der taktilen Profilschrift werden diese Inhalte über eine Audiostation vermittelt, die zusätzlich mit weiteren Sprachen bespielt werden kann, falls es sich als sinnvoll erweist. Die Vertiefungsebenen können Besucher/innen über zwei interaktive Monitore (Touchscreens) pro Themenbereich abrufen. Jeweils einer der Monitore ist barrierefrei angebracht.




Gedenken
In einer Endlosschleife sollen alle bekannten Namen der Opfer in chronologischer Abfolge nach dem Todesdatum über sämtliche Monitore laufen, die in die Skulptur eingelassen sind. Durch die virtuelle Präsentation können neue Namen jederzeit ergänzt werden.
Die Diskussion über die Frage, welche der zwischen 1940 und 1945 in Anstalten gestorbenen Menschen zu den Opfern der NS-»Euthanasie« zu zählen sind, könnte ggf. in einer Computerstation dokumentiert werden.
Es entsteht der Eindruck als würden die Namen der Opfer unsichtbar auf einem breiten Band durch alle Wände der Skulptur fließen. Die Monitore wirken wie Fenster, die einen Einblick in diesen Namensfluss ermöglichen. Dadurch sind die Opfernamen in allen Bereichen der Skulptur präsent. Gleichzeitig sind fast alle Monitore so programmiert, dass vertiefende Informationen zum historischen Geschehen abrufbar sind. Über Bewegungsmelder schaltet sich diese Vertiefungsebene automatisch ein, sobald sich Besucher/innen auf einen Meter annähern. Nach Benutzung setzt der Namensfluss wieder selbstständig ein. Auf drei nebeneinander angebrachten Monitore im inneren der Skulptur (Biographiebereich 1) werden ausschließlich die Namen präsentiert.
Lageplan

Lageplan

Ansicht von Außen

Ansicht von Außen

Lageplan

Lageplan

Ansicht vom Inneren der begehbaren Skulptur

Ansicht vom Inneren der begehbaren Skulptur

Schnitt Nord-Süd

Schnitt Nord-Süd

3D-Ansicht

3D-Ansicht

Schnitt Ost-West

Schnitt Ost-West

3D-Ansicht

3D-Ansicht

Perspektive

Perspektive