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Nichtoffener Wettbewerb | 07/2012

Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal

Modellfoto

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Eine Stiftung an die Zukunft

2. Preis

Preisgeld: 17.500 EUR

realities:united

Kunst

schlaich bergermann partner - sbp SE

Bauingenieurwesen

prozessagenten

sonstige Fachplanung

Belgrad Creative

sonstige Fachplanung

Erläuterungstext

Das Konzept „Stiftung an die Zukunft“ ist vergleichsweise einfach und folgt einem logischen Aufbau. Hier gibt es wenig Geheimnisvolles. Auf metaphorische Andeutungen wird überwiegend verzichtet; die wenigen baulichen Elemente und die dynamische Platzgrafik, die als gut erkennbares Zeichen im Stadtraum erscheint, bestehen aus direkten und unmissverständlich lesbaren Forderungen.
Allerdings weicht dieser Entwurf in seiner elementaren Zusammensetzung so stark von einer gewöhnlichen Denkmalkonzeption ab, dass er deshalb aus einer konventionellen Betrachtung heraus nicht sofort verständlich ist.
Denn eigentlich wird hier kein Denkmal gebaut. Stattdessen wird ein zeitlich unbegrenzter Prozess zur Förderung des politischen und gesellschaftlichen Engagements in Gang gesetzt, der den Denkmalplatz zum Ort für politische Demonstrationen der Gegenwart macht.

Dabei dient der Platz nicht nur politischen Aktionen selbst, sondern er archiviert auch dauerhaft die von der Bevölkerung durch Protestaktion geäußerten Forderungen und Anliegen, indem sie weithin sichtbar direkt auf die Platzoberfläche geschrieben werden. (Zusätzlich werden die Protestaktionen digital archiviert und online zugänglich gemacht, übrigens auch das eine Neuheit.)
Durch diesen Beschriftungsprozess entsteht eine knapp 4000 Quadratmeter große kreisförmige Grafik, die sich schrittweise selbst übermalt und sich auf diese Weise einmal pro Jahr vollständig erneuert. Sie enthält zu jedem Zeitpunkt eine objektive und unmittelbar lesbare Sammlung der relevanten politischen Forderungen und gesellschaftlichen Anliegen der Gegenwart.
Fast schon eine „Infografik“ der politischen Gegenwartskultur, die Bezug nimmt auf die historischen Ereignisse des Revolutionsjahres 1989.
Entsprechend dieser Neuanordnung des Denkmalformats stellt dieser Entwurf das Finanzierungsmodell auf den Kopf. Statt die zur Verfügung stehenden Mittel in einem Bauwerk zu verbrauchen, dessen Erhalt später zusätzliche Kosten verursacht, bleiben die Mittel in Form einer gemeinnützige Stiftung dauerhaft erhalten. Ihre Überschüsse sichern die permanente bauliche Erneuerung des Denkmals auf unbegrenzte Zeit. Die Stiftung als überwachende Einrichtung hat zusätzlich den Auftrag, die Stellschrauben des Denkmalprozesses bei Bedarf dem Wandel der Zeit anzupassen.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Arbeit gestaltet einen „Platz der Meinungsfreiheit“, der für die Ur-Idee von Demokratie steht. In besonderer Weise hebt der Entwurf auf den urbanen öffentlichen Platz als Ort der Versammlung und freien Rede ab. Das Konzept zeigt klar definierte Nutzungszonen mit unterschiedlicher Aufenthaltsqualität. Die Arbeit als künstlerisch-sozialer Prozess lockt zum Wiederkommen (man hat sie nicht „einmal gesehen“). Der performative Gestus lässt sich mit dem Leipziger Lichtfest kombinieren.

Die Losung „Wir sind das Volk“ wird als einzige in dauerhaftem Material herausgehoben. Sie wird jedoch zugleich eingebettet in einen historischen Prozess der ständigen Aktualisierung dieser Idee der demokratischen Selbstbestimmung. Die besondere künstlerische Qualität besteht im Konzept der Formfindung aus einem Prozess der Partizipation. Durch die Beteiligung der Bürger entsteht ein „Bild“: ein kollektives „Meinungs-Bild“, um dessen „Komposition“ sowohl politisch wie künstlerisch gerungen wird. Dieses abstrakte farbige Bild ermöglicht viele Assoziationen: Knotenpunkt, Explosion der Meinungen, Fächer der Vielfalt.

Der Entwurf enthält in besonderem Maße die Leipzig-spezifischen Kriterien der Ausschreibung (im Unterschied zu Berlin):

• Freiheit ist das prägende Leitthema. Einheit wird als andauernder und komplexer Prozess des Aushandelns erfahrbar.
• Die freie Meinungsäußerung ist Leitmotiv der Friedlichen Revolution.
• Die Aufrechterhaltung des Gedächtnisses und der immer wieder notwendigen Verteidigung der Werte durch künftige Generationen.

Der Entwurf weist zugleich über den Leipzig-Bezug hinaus und vernetzt die singulären Leipziger Freiheitsdemonstrationen einerseits mit weltweiten vergleichbaren, jedoch nicht gleichen Vorgängen sowie andererseits durch ständige Aktualisierung mit einem geschichtlichen Prozess immer wieder neuer politischer Aktionen. Die Singularität der Leipziger Ereignisse von 1989 wird durch eine andere Materialität und Dimension unveränderlich in die Gestaltung eingeschrieben. Kontrovers diskutiert die Jury, wie die systemische Differenz des Widerstands gegen einen totalitären Staat und dem Gebrauch des Demonstrationsrechtes in einer Demokratie deutlich gemacht werden kann. In besonderem Maße zeigt der Entwurf „Geschichte“ als Prozess der „Schichtungen“: ein Wechsel von Erinnerung und von Vergessen. Das Altern ist nicht ein „Defekt“ sondern Kernbestandteil des Konzepts.

Eine Stiftung sichert Dauerhaftigkeit und stetige Aktualisierung des Entwurfs. Damit sind auch Anpassungen nach der Eröffnung und ersten Erfahrungen möglich. So sorgt der Entwurf sehr konsequent für seine eigene Lebendigkeit und Überlebensfähigkeit.

Ja: es wird auch Konflikte geben - der Pluralismus der Botschaften, die Gleichzeitigkeit des Dissenses, die Frage wie mit potentiellem Missbrauch umgegangen wird (Extremismus, Vandalismus usw.) bleiben eine Aufgabe, eine Herausforderung für künftige Generationen – so wie die Verteidigung der Werte von 1989 auch.

Kontrovers diskutierte die Jury folgende Fragen:

• Organisationsstruktur der Betreuung des Projektes?
• Anbindung des Projektes an bereits bestehende Leipziger Institutionen?
• Etablierung eines Gremiums, das über die Wertung der „Slogans“ wacht und möglichen Missbrauch verhindert?
• Klärung der Finanzierung der Betreuungsinstitution?
• Präzisierung der Methoden für die Darstellung und Formulierung der „Slogans“?
• Spezifizierung der Materialität?
• Ausarbeitung des Partizipationsmodells im Internet, was bisher nur skizziert wurde?

Details:
Im Entwurf ist eine sehr konkrete Planung von Nutzer-Szenarien enthalten – es ist ein Entwurf, der den Besucher zum wesentlichen Faktor macht und dabei ganz unterschiedliche Zugangsweisen zulässt.

Die Kombination von „Zeichensetzung“ und „Aufenthaltsqualität“: wie und wo können die zentrale Fläche eingefasst und die stadträumliche Einbindung erreicht werden? Hier ist noch Bedarf an Konkretisierung.

Die Ortsspezifik des Leuschnerplatzes (vgl. die Leipziger Standort-Debatte) wird aufgenommen und weitergeführt: es war der Platz, an dem die Montagsdemonstrationen sich auflösten, sie werden hier nun sozusagen wieder aufgenommen und in die Zukunft weiter geführt.

Außerdem fand auf dem Leuschnerplatz die Leipziger „Beatdemo“ statt, in der sich 1965 Jugendliche gegen die Reglementierung des Musikstils durch die SED stellten.
GrundriĂź

GrundriĂź

Blick vom Neuen Rathaus

Blick vom Neuen Rathaus

Blick nach Norden

Blick nach Norden

Prozess im zeitl. Ablauf

Prozess im zeitl. Ablauf

Elemente

Elemente