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Städtebaulich-landschaftliches Workshopverfahren | 08/2013

Wohnen am Avenberg

Perspektive auf ein Landschaftsfenster

Perspektive auf ein Landschaftsfenster

1. Rang

WRS ARCHITEKTEN & STADTPLANER GmbH

Architektur, Stadtplanung / Städtebau

Erläuterungstext

Von Fenstern und Höfen

Traditionelle Siedlungselemente
Die historische Kulturlandschaft der Vier- und Marschlande wird geprägt durch einige immer wieder kehrende Elemente:
Zur Entwässerung der Parzellen wurden parallel verlaufende Gräben in immer gleichen Abständen angelegt, heute teilweise zu Gehölzreihen aufgewachsen. Die ursprüngliche Bebauungsstruktur bestand aus großzügigen Gehöften. Ein freier Platz als „Werkhof“, Lagerplatz und Erschließung war von verschiedenen Zwecken dienenden Gebäuden umstanden und so locker gefasst, nie allerdings vollständig umschlossen. Zwischen diesen Gehöften lagen die Ländereien der Bauern – von Bebauung freie Flächen, mittlerweile aufgrund der dichter gewordenen Bebauung zu teils sehr schmalen „Landschaftsfenstern“ geworden. Charakteristischerweise sind diese vollständig von Bebauung, Bepflanzung und Einfriedungen freigehalten.
Ziel dieses Entwurfes ist die Umsetzung dieser drei traditionellen Elemente in moderne Siedlungsstrukturen. Hierbei sollen ein zeitgemäßes differenziertes Wohnangebot gemacht und dafür eine angemessene bauliche Dichte gefunden werden.

Umsetzung der traditionellen Elemente
Das Gesamtquartier wird in drei parallel zu den vorhandenen Siedlungsstrukturen „Am Avenberg“ ausgerichteten „Streifen“ gegliedert, zwischen denen jeweils schmale Landschaftsfenster – freigehalten von Bepflanzungen und Einfriedungen – Durchblicke bieten vom Ochsenwerder Landscheideweg bis zur Graumanntwiete. Damit werden wirkungsvolle Zäsuren gesetzt, um die neue Siedlung zu gliedern. Diese Landschaftsfenster werden jeweils beidseitig von Gräben eingefasst und nehmen so die historische Strukturierung der Landschaft auf. Sie werden gebildet von den rückwärtigen Bereichen der an sie angrenzenden Privatgrundstücke. Auf diese Weise erfolgt eine Gliederung eines jeden Grundstückes in einen eher privaten Garten - bepflanzt und eingefriedet – und einen eher halböffentlichen „Wiesenteil“. Beide Teile stehen transparent miteinander in Blickbeziehung und sind über Brücken miteinander verbunden. Gleichzeitig vermeiden die Gräben eine stillschweigende Ausdehnung der Privatgärten auf die Wiesenfläche. Die Summe dieser „Wiesenteile“ bildet für alle Bewohner, da nicht bepflanzt oder eingefriedet, ein besonderes Angebot zum Spielen, Toben und zur Bewegung mit einer Großzügigkeit, die ansonsten in Kleinsiedlungsgebieten nicht vorkommt.
Den Kern der Bebauung bilden die drei modernen Höfe. Um eine halböffentliche (rechtlich gesehen private) Freifläche herum gruppieren sich Gebäude von höherer Geschossigkeit als im übrigen Quartier als räumliche Fassung dieser Höfe. Die Freifläche bildet eine gemeinsame Erschließung für die umstehenden Häuser, dient der Kommunikation, als Treffpunkt, Stellfläche für Fahrräder und zum kleinen Teil auch für Pkw. Diese Hoffläche wird nicht von Durchgangsverkehr zerschnitten, sondern bildet eine eigene Sackgasse und kann so als gefahrlose Aufenthalts- und Spielfläche dienen. Die Gebäudegruppe des Gehöftes ist mit unter 20 Wohneinheiten ideal für generationenübergreifende Baugemeinschaften oder ähnliche Projekte geeignet. Typologie und Baumasse heben sich deutlich von der übrigen Bebauung ab. Mit zwei Vollgeschossen plus Dachgeschoss soll sich diese Bebauung vom übrigen Quartier abheben und aufgrund ihrer Baumasse eher an die wuchtigen Bauernhäuser der Vier- und Marschlande anknüpfen.

Wohnungsbau-Typologie
Ziel ist ein differenziertes Wohnungsangebot. Neben den traditionellen Einfamilien- und Doppelhäusern entlang der drei Straßen, deren Angebot sich vornehmlich an Familien richtet, werden einige Reihenhäuser und etliche Geschosswohnungen angeboten. Gerade in ländlichen Gebieten wie hier ist ein Wohnungsangebot für die dem demo-grafischen Wandel unterworfene, älter werdende Bevölkerung rar. Aus diesem Grunde werden hier verstärkt entsprechende Angebote vorgeschlagen. Insgesamt 45 meist Zwei- und Dreizimmer- aber auch größere Wohnungen können realisiert werden. Jenen Ochsenwerderern, die ihr eigenes Haus nicht mehr bewirtschaften können und wollen, soll ein Angebot gemacht werden. Andererseits werden diese Wohnformen auch von Haushaltsgründern nachgefragt – beide Gruppen müssen heute vielfach ihr gewohntes meist ausschließlich aus Einfamilienhäusern bestehendes Umfeld verlassen. Diese Baukörper stehen jeweils auf eigenen Grundstücken. Aufgrund der wohnungsweisen Teilung, der gemeinsamen Hoffläche und Stellplatzanlage ist eine Realteilung hier nur bedingt möglich.

Anzahl der Wohneinheiten
Einfamilienhäuser: 30, Doppelhaushälften: 12, Reihenhäuser: 12, Geschosswohnungen: 47, Summe: 101

Architektur
Eine Auseinandersetzung mit den traditionellen Bauformen der Vier- und Marschlande - auch im Gestaltungsleitfaden festgehalten - zeigt eindeutig, dass klassische Dachformen wie Satteldach, Walm- und Zeltdach vorherrschen. Diese Dachformen werden für diesen Ort für angemessen gehalten und daher für die gesamte Bebauung vorgeschlagen. Als Fassadenmaterialien herrschen Verblendmauerwerk in Rottönen und farbige und naturbelassene Holzverschalungen vor. Für die Dächer finden sich vor allem Ziegeldeckungen in Rottönen. Auch hier wird der Tradition für das gesamte Quartier gefolgt.
Es wird bzgl. der angesprochenen Punkte eine gewisse Einschränkung der Individualität über entsprechende Regelungen im Bebauungsplan angeregt. Ziel ist nicht Uniformität, sondern eine gewisse Homogenität im Sinne eines geschlossenen, sich in die Umgebung einfügenden Gesamtbildes sowie eine moderne Neuinterpretation der traditionellen Bauformen: „Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme“.
Die Bauten des Geschosswohnungsbaus sowie die Reihenhäuser als verdichtete Bauformen finden sich ausschließlich in den drei Höfen, werden mit zwei Vollgeschossen plus Dachgeschoss höher ausgebildet als die Bebauung entlang der Straße.
Architekten träumen von Einfamilienhäusern, die von Architekten entworfen wurden. Realität ist aber uniforme – oder eben überbunt gewürfelte - Katalogware. Umso wichtiger hier die oben diskutierten Regelungen hin-sichtlich Dachform und Materialien für Dächer und Fassaden.

Erschließung
Das Gesamtquartier gliedert sich in drei Baufelder mit jeweils einer beidseitig angebauten Erschließungsstraße, einer zunächst typischen Struktur für die Nachverdichtungen in den Vier- und Marschlanden.
Hier allerdings wird nur das östliche der drei Felder direkt an den Ochsenwerder Landscheideweg angebunden. Hier wird eine Fahrbahnbreite von 8,00 m angesetzt, während in den beiden anderen Feldern eine 6,00 m breite Fahrbahn vorgeschlagen wird. Alle drei Straßen werden – ein typischer Aufbau für die Vier- und Marschlande – von einem Graben flankiert – bis zur Grabenmitte als öffentliche Fläche. Alle Gräben, auch jene entlang der Gemeinschaftswiese, werden, wie vom Verkehrsgutachter vorgeschlagen, 4,00 m breit ausgebildet. Die drei Erschließungsstraßen werden durch 5,00m breite Verbindungswege zu einer Ringerschließung ergänzt, so dass für Entsorgungs- und ähnliche große Fahrzeuge keine Kehre notwendig ist.
Wechselweise werden das nördliche und das südliche Ende der drei Erschließungsstraßen durch die privaten Freiflächen der drei Gehöfte gebildet. Diese Freiflächen schließen mit einem – ebenfalls privaten – Fußweg von 2,00 m Breite ab, der am Ochsenwerder Landscheideweg oder der Graumanntwiete geführt wird. Obwohl eigentumsrechtlich privat, sollen Höfe und Fußwege durch Geh-, Fahr- und Leitungsrechte der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Den Gehöften gegenüber werden die „anderen Enden“ der Erschließungsstraßen als Notüberfahrten bis an Graumannstwiete bzw. Ochsenwerder Landscheideweg geführt. Auf diese Weise ist, trotz nur einer Zufahrt für das Gesamtquartier, jede Erschließungsstraße im Notfall anfahrbar.

private Pkw-Stellplätze
Für die Gehöfte wird je Wohneinheit im Geschosswohnungsbau ein Stellplatz in einer Gemeinschaftsanlage und je Reihenhauseinheit ein Stellplatz auf dem Grundstück realisiert.
Entlang der Erschließungsstraße wird je Doppelhaushälfte ein Stellplatz auf dem Grundstück geschaffen. Je Einfamilienhaus werden zwei Stellplätze vorgeschlagen, in Carport oder Garage fünf Meter von der Grundstücksgrenze entfernt angelegt werden, um Platz für ein zweites Auto zu schaffen. Die Zufahrt für jene Grundstücke jenseits der Gräben erfolgt über jeweils eigene Brücken oder Dämme.

öffentliche Pkw-Stellplätze
Bei einer Anzahl von 99 Wohneinheiten werden 20 Plätze in Form von Längsparkständen in den Erschließungsstraßen angeordnet. Bei der östlichen Erschließung verbleiben an diesen Stellen 6,00 m Fahrbahnbreite – genug für den Begegnungsfall Pkw/Lkw. In den beiden anderen Erschließungsstraßen verbleiben partiell nur 4,00 m, hier kann ein Begegnen nicht stattfinden. Allerdings ist dies vor dem Hintergrund des hier zu erwartenden sehr geringen Verkehrsaufkommens vertretbar und aus Sicht einer Verkehrsberuhigung auch wünschenswert, da es keine separaten Gehwege gibt. Da alle drei Erschließungsstraßen sowohl an den Ochsenwerder Landscheideweg als auch an die Graumannstwiete angebunden sind, dürfte das Fußgängeraufkommen jeweils gering genug sein.

Entwässerungssystem
Der entlang der nordöstlichen Grundstücksgrenze verlaufende Graben wird geradlinig bis an die Ostecke des Grundstücks verlängert und dient als Sammelgraben. Die Zuleitung in den Vorfluter erfolgt über den vorhandenen Durchlass. Die Grabenstruktur muss aufgrund sich verändernder Achsmaße zwischen den Gräben neu angelegt werden. Insgesamt acht neue Gräben durchziehen das Quartier parallel zur nordwestlichen und zur südöstlichen Grundstücksgrenze, sammeln das Oberflächenwasser von Privatgrundstücken und Straßenflächen und führen es dem genannten Sammelgraben zu.
Hierbei werden die Straßengräben unter den Freiflächen der Gehöfte verrohrt durchgeführt. Als Querschnittsprofil aller Gräben wird das vom Verkehrsgutachter vorgeschlagene, 4,00 m breite und 1,20 m tiefe Profil übernommen.
Eigentumsrechtlich werden die Hälfte der Straßengräben und der Sammelgraben zwischen den Einleitpunkten der Straßengräben öffentliche Flächen, um die Behandlung des Oberflächenwassers von sämtlichen Flächen unabhängig von privater Hand zu gewährleisten. Alle anderen Gräben bleiben privat.

Öffentliche Grünfläche
An der nordöstlichen Grundstücksgrenze verläuft mit dem Marschbahndamm eine überregionale Freizeitroute direkt am Rand des neuen Quartiers. Es erscheint sinnvoll, dieses vorhandene Angebot zu ergänzen, statt ein weiteres an anderer Stelle zu schaffen. Daher wird vorgeschlagen, hier einen attraktiven Spielplatz anzulegen, der den Bewohnern des neuen Quartiers ebenso wie ihren Nachbarn in für alle gleichermaßen gut auffindbarer Lage offen-steht. Zwar liegt der eigentliche Spielplatz außerhalb des Grundstückes, ist hier aber als gemeinsames, vom Investors herzurichtendes Angebot zu verstehen.

Gelände- und Gebäudehöhen
Auf dem Grundstück sind NN-Höhen von 50 cm bis 70 cm zu finden. Innerhalb der Baufelder werden diese konsequent auf 1,0 m aufgehöht, im Bereich der Gemeinschaftswiesen bei 60 cm belassen und leichte Kuppen auf 70 cm ausgebildet. Die umgebenden Höhen bewegen sich zwischen 2,10 m und 3,00 m. Der Ausgleich an diese Höhen erfolgt innerhalb der Haupterschließung, der Fuß- und Radwege sowie der Notzufahrten mit einem Gefälle von maximal 5%. Auf diese Weise wird das gesamte Quartier barrierefrei erschlossen sein. Die Höhen der neuen Gebäude werden mit einer Höhe von 3,00m je zu errichtendem Geschoss angenommen. Damit ergibt sich für die Einfamilien- und Doppelhäuser eine Gebäude-höhe von 8,00m sowie für Reihenhäuser und Geschosswohnungsbau eine Gebäudehöhe von 10,50m.

Beurteilung durch das Preisgericht

Das Leitbild des Entwurfs wird sehr konsequent und sicher aus den Eigenarten des landschaftlichen und siedlungstypologischen Umfelds entwickelt: Landschaftsfenster und Gehöfte sind das zentrale und tragende Thema. Die Transformation dieser regionaltypischen Elemente führt zu einem sehr selbstverständlichen und gleichsam spannungsvollen städtebaulichen Konzept, das von der Jury positiv bewertet wird.

Die Siedlungsstreifen mit Häusern in Reihe und einem Gehöft als Abschluss sind als zeitgemäße Ableitung der ortstypischen Baustrukturen lesbar und geben dem Gesamtgebiet eine gute Gliederung, die durch sogenannte Landschaftsfenster geschaffen wird. Die Idee, diese Korridore zwischen den Gräben als private, gemeinschaftlich nutzbare Flächen der Grundstücke zu organisieren und von Bepflanzungen, Zäunen, Gartenschuppen etc. freizuhalten, wird sehr positiv gewertet, erfordert allerdings bis zur Realisierung noch viel Planungsarbeit.

Mit der vorgeschlagenen Siedlungsstruktur gelingt es den Verfassern, zu allen Rändern einen selbstverständlichen und maßstäblichen Anschluss zu finden, sodass das Baugebiet eine gute Einbindung isolierter Bestandsbebauungen schafft.

Die Lage des Spielplatzes außerhalb des Wettbewerbsgebietes wird kritisch beurteilt. Die vorgeschlagene Erschließung mit einem Anschlusspunkt ist möglich und ausreichend. Eine zweite Anbindung anstelle der nordwestlichen Notzufahrt könnte die Leistungsfähigkeit steigern. Die vorgeschlagenen Gestaltungsleitbilder mit der Reduzierung auf regionaltypische Elemente wie Satteldach, Ziegelfassaden mit Holzanteilen etc. und klarem Votum für eine moderne Architektursprache überzeugt die Jury. Diese Gestaltungsrichtlinien sollten im Bebauungsplan fixiert und in einen Gestaltungsleitfaden überführt werden.

Insgesamt stellt die Arbeit einen gelungenen Beitrag zum Siedlungsbau in der Marschlandschaft dar.
Lageplan 1:1.000

Lageplan 1:1.000

Perspektive auf das Plangebiet

Perspektive auf das Plangebiet

Lageplan 1:500

Lageplan 1:500

Bebauungstypologien

Bebauungstypologien

Perspektive auf einen Hof

Perspektive auf einen Hof