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Offener Ideenwettbewerb (auch für Studenten) | 02/2014

AIV-Schinkel-Wettbewerb 2014: Spandau bei Berlin

SONDERPREIS LANDSCHAFTSARCHITEKTUR

Preisgeld: 1.000 EUR

Lars Schwitlick

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

1. EINORDNUNG DES BEARBEITUNGSGEBIETES
Das Bearbeitungsgebiet befindet sich unmittelbar östlich der Spandauer Altstadt - an jener Stelle, an der die Spree in die Havel mündet. Das war der INDIREKTE Grund für erste slawische Siedlungen im Gebiet vor über 1300 Jahren. Der DIREKTE Grund war, neben der sicheren Grenze, dem Verkehrsweg und dem biodiversen Nahrungsangebot, das Wasser selbst - als Lebensgrundlage.

Im Quellbereich der Havel im Nordosten des Müritz-Nationalparks ist dies selbstverständlich - die Quelle mit ihren zahlreichen Einzugsgebieten wird weiträumig GESCHÜTZT. In der Unteren Havel bis zur Mündung in die Elbe initiierte der Naturschutzbund mit anderen Akteuren zahlreiche Renaturierungsmaßnahmen um die Havel auf einer länge von 90 Kilometern wieder in ein natürliches Gleichgewicht zu bringen. Die Spree wiederum entspringt an der tschechischen Grenze in Sachsen und ist bis Berlin ein weitestgehend ökologisch intaktes Gewässer. Der Spreewald ist als UNESCO- Biosphärenreservat seit 1991 geschützt.

Die Abschnitte von Havel und Spree innerhalb Berlins sind Teil dieses überregionalen ja sogar europäischen GEWÄSSER- UND BIOTOPVERBUNDES.

2. BESTANDSBESCHREIBUNG/ RAHMENBEDINGUNGEN
Doch genau bei diesem Zusammenhang öffnet sich in Berlin eine große Diskrepanz. Die Beziehung zum Wasser als Lebensgrundlage ist verloren gegangen. Weite Teile von Havel und Spree fließen begradigt und gestützt von SPUNDWÄNDEN durch die Stadt - mit WARNSCHILDERN und ZÄUNEN an den Stellen, wo Menschen Kontakt mit dem Element Wasser aufnehmen könnten. Die Gewässer sind der Berufsschifffahrt vorbehalten. DIE MENSCHEN LEBEN AM KANAL.

Das Spandauer Horn im Mündungsbereich der Spree ist gleichzeitig Markierung eines Wasserstraßendreiecks: hier treffen sich die Havel-Oder-Wasserstraße, die Spree Oder-Wasserstraße und die Untere Havelwasserstraße.

Mit dem Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nummer 17 (VDE 17) ist der Ausbau des TRANSEUROPÄISCHEN WASSERNETZES von Wolfsburg-Magdeburg-Berlin auf 280 Kilometer für Großmotorgüterschiffe bis 110 Metern Länge („großes Rheinschiff“) und Großschubverbände bis 185 Meter Länge geplant. Davon betroffen sind auch Havel und Spree, im Bearbeitungsgebiet als Teil der Nordtrasse der Wasserstraße. Die gesamte Strecke sollte nach den ursprünglichen Plänen auf 4 Meter Tiefe und je nach Profil (Spundwand oder Böschung) auf eine Wasserspiegelbreite von 42-55 Meter (in Kurven bis zu 72 m) AUSGEBAGGERT werden.

Die kontrovers geführten Planungsverfahren und neuere Bedarfsanalysen ließen vom geplanten Ausbau ab. Eine Verbreiterung ist im Bearbeitungsgebiet nicht mehr vorgesehen, die Tiefe ist nun mit 3,50 Meter geplant. Damit Großschiffe, von der Spree kommend, direkt zur Spandauer Schleuse und weiter in die Havel-Oder-Wasserstraße gelangen, soll das Spandauer Horn ausgerundet werden.

3. GESETZLICHE VORGABEN
Das Gewässersystem von Havel und Spree ist Teil eines überregional bedeutenden Gewässer- und Biotopverbundes. Spree und Havel gehören zum sogenannten Koordinierungsraum Havel, als einer der fünf deutschen Koordinierungsräume, die die
Flussgebietseinheit ELBE konstituieren. Diese Begriffe wurzelt in der Umsetzung der EUROPÄISCHE WASSERRAHMENRICHTLINIE (WRRL), die seit dem Jahr 2000 in Kraft getreten ist. Sie rückt den Fokus der europäischen Wasserpolitik stärker auf eine umweltverträgliche und nachhaltige Gewässerbewirtschaftung. Prämisse dieser Richtlinie ist die: „Vermeidung einer weiteren Verschlechterung sowie SCHUTZ UND VERBESSERUNG DES ZUSTANDS DER AQUATISCHEN ÖKOSYSTEME und der direkt von ihnen abhängenden Landökosysteme und Feuchtgebiete im Hinblick auf deren Wasserhaushalt“ (Art.1a WRRL).

Zentrales Anliegen der WRRL ist es, die europäischen Gewässer als zusammenhängendes und grenzenloses Gewässer- und Biotopverbundes zu betrachten. Die Umsetzung in deutsches Bundesrecht erfolgte durch die Anpassung des deutschen WASSERHAUSHALTSGESETZES (WHG) im Jahr 2002 (aktuell 2009).
§ 1 WHG: „Zweck dieses Gesetzes ist es, durch eine nachhaltige Gewässerbewirtschaftung die Gewässer als Bestandteil des Naturhaushalts, als Lebensgrundlage des Menschen, als LEBENSRAUM FÜR TIERE UND PFLANZEN sowie als nutzbares Gut zu SCHÜTZEN.

Im Berliner Wassergesetz (BWG) ist der Umgang mit Wasser im Landesrecht folgendermaßen konkretisiert: §2a Abs. 1 BWG Grundsätze: „Die Gewässer sind als Bestandteil des Naturhaushaltes so zu bewirtschaften, dass sie dem Wohl
der Allgemeinheit und im Einklang mit ihm auch dem Nutzen Einzelner dienen, vermeidbare Beeinträchtigungen ihrer ökologischen Funktionen und der direkt von ihnen abhängenden Landökosysteme und Feuchtgebiete im Hinblick auf deren Wasserhaushalt unterbleiben und damit insgesamt eine nachhaltige Entwicklung gewährleistet wird. Natürliche oder naturnahe Gewässer sollen erhalten werden; bei ANDEREN Gewässern ist ein naturnaher Zustand anzustreben; die oberirdischen Gewässer einschließlich ihrer Gewässerrandstreifen und Uferzonen sind als Lebensstätten und Lebensräume für heimische Tier- und Pflanzenarten zu erhalten und so weiterzuentwickeln, dass sie ihre großräumige VERNETZUNGSFUNKTION auf Dauer erfüllen können.“

4. GEWÄSSERVERBUND = BIOTOPVERBUND
Aufgrund der Tatsache, dass Fließgewässer aller Größenordnungen netzartig verbreitet sind, eignen sie sich in besonderer Weise zur REALISIERUNG EINES BIOTOPVERBUNDES. Die Voraussetzung sind mit den Naturräumen der Oberen und der Unteren Havel in Mecklenburg Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt gegeben. In Berlin werden durch zahlreiche Europäische Schutzgebiete (NATURA 2000, FFH) sowie Natur- und Landschaftsschutzgebiete und Geschützte Biotope nördlich und südlich Spandaus die Voraussetzungen für eine flächendeckende Biotopvernetzung geschaffen. Dabei spielen kleinere sogenannte Trittsteinbiotope, wie die Zitadelle Spandaus, eine ebenso bedeutende Rolle wie linienhafte Korridore, die beispielsweise entlang von Fließgewässern ausgebildet werden. Dies steht keineswegs in Konkurrenz zum Menschen, der ebendiese Bereiche insbesondere in Berlin zur Erholung aufsucht.

5. NAHERHOLUNGS- UND FERNWANDERZIEL
Insbesondere für Naherholungssuchende und Fernreisende sind der TEGELER SEE im Norden Spandaus und der WANNSEE mit der PFAUENINSEL im Süden gängige Begriffe. Die Wasser- und Waldreichen Gebiete werden seit jeher von Erholungssuchenden entdeckt. Die Havel entlang der Spandauer Altstadt ist das V E R B I N D E N D E E L E M E N T dieser Nord-Süd-Achse als Teil eines Naherholungs- und Fernwandernetzwerks sowie des Gewässer- und Biotopverbundes.

Daher sind die ZIELE dieses Konzepts nicht nur eine adäquate Freiraumgestaltung für eine ZENTRAL GELEGENE GRÜNANLAGE am Wasser zu schaffen, sondern darüber hinaus, die gesetzlich verbrieften BELANGE DER NATUR zu berücksichtigen und eine wichtige Lücke im großen Gewässer- und Biotopverbund zu schließen. Damit einher sollen FAHRRAD- UND FUßWEGE die Havel begleiten und das Element Wasser für Menschen ZUGÄNGLICH UND ERFAHRBAR machen. Ein (ent)spannender RUNDWEG westlich der Altstadt entlang von Havel und Spree klärt fragen wie: ‚Warum ist die Zitadelle ein Naturschutzgebiet europäischen Ranges?‘ und ‚Woher stammt der Name Kolk?‘ und ‚Liegt das Rathaus links oder rechts der Havel?‘ Die Belange der SCHIFFFAHRT werden dabei gleichwertig berücksichtigt und das Spandauer Horn entsprechend angepasst.

6. IDENTITÄT UND ALLEINSTELLUNGSMERKMALE
Mit dem Aufgreifen naturschutzfachlicher Maßnahmen, in Form einer natürlicheren und vielfältigen Uferlinie, der Schaffung von Flachwasserzonen, der Bepflanzung von Teilabschnitten mit endemischen Gehölzen und Stauden als Initialpflanzungen etc., wird der eigentlichen Identität des Ortes - der HAVEL - am ehesten entsprochen.

Durch den geringen Q U A N T I T A T I V E N Verlust an öffentlichen Grünflächen erfahren die direkt angrenzenden Bereiche einen erheblichen Q U A L I T A T I V E N Zuwachs. Die öffentlichen Grünflächen entlang der Gewässer durchlaufen eine Bedeutungsänderung - von der Hundespielwiese zum Erlebnispark Havelufer. Die kanalisierten Wasserstraßen erwachsen zu artenreichen, regionaltypischen Flachlandgewässern. Sowohl die Umgebung des Menschen, der einen attraktiven Erholungsraum mit vielen abwechslungsreichen Natur- und Kulturschauplätzen erhält, als auch die Bedingungen für die endemische Flora und Fauna werden verbessert.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Arbeit verfolgt das Ziel, einen Gewässer- und Biotopverbund der oberen und unteren Havel entlang der Spandauer Ufer zu etablieren. Dabei steht das Wasser als nutzbares Gut für Mensch und Natur im Vordergrund. Die Schaffung eines naturnahen Uferbereichs soll im Sinne der Umsetzung der europäischen Wasserrahmenrichtlinie den Biotopverbund stärken und einen wertvollen Beitrag für die Naherholung am Spandauer Ufer leisten. Zudem ist das Ziel der Arbeit, die Beschiffbarkeit der Gewässer mit einer Biotopverbesserung in Einklang zu bringen. Das geschieht über die Schaffung abgestufter Flachwasserzonen, in denen Initi-alpflanzungen aus standortgerechten Wasserpflanzen, Gehölzen und Stauden vorgeschla-gen werden. Die kanalisierten Ufer werden überwiegend zurück gebaut und versiegelte Flä-chen entfallen. Urbane Nutzungen werden behutsam in die umgestalteten Uferzonen inte-griert und sind in Form eines Rundweges über Stege und kleine Plätze am neuen Ufer an-geordnet. Die Anknüpfungspunkte des Uferparks zu den angrenzenden Spandauer Quartie-ren sind richtig erkannt.

Die Jury lobt die den mutigen Versuch der Verfasser, an den räumlich begrenzten Uferberei-chen einerseits die Vorgaben der EU zu naturnaher Ufergestaltung umzusetzen und gleich-zeitig urbane Nutzungen zu integrieren. Der artenreiche Vegetationsvorschlag für die ver-schiedenen Uferbereiche und Wasserzonen wird positiv aufgenommen. Mit einer Initialpflan-zung standortgerechter Gehölze, Wasserpflanzen und Stauden kann der gewünschte ökolo-gische Mehrwert erzielt werden. Leider wurde dies nicht weiter in einem dynamischen Ent-wicklungskonzept ausgeführt.

Trotzdem kann die Arbeit nicht in allen Punkten überzeugen: Kritisch wird vor allem die Ge-staltung der urban geprägten Nutzungsbereiche auf der Seite des Lindenufers gesehen, da diese für den zu erwartenden Nutzungsdruck der Naherholung unterdimensioniert und zu wenig robust erscheinen: Die sensiblen Uferzonen müssten baulich vor den entsprechenden Auswirkungen geschützt werden. Hier bleiben die Verfasser eine Antwort schuldig ebenso wie für den Schutz der Uferbepflanzung vor dem starken Wellenschlag der Schifffahrt.
Jury würdigt grundsätzlich den konzeptionellen Ansatz der Arbeit. Gleichwohl scheint er für diesen speziellen Standort wenig realistisch und in der gestalterischen Umsetzung verbesse-rungswürdig.