"Nachhaltigkeit ist das neue ‘sexy’", sagt Architekturabsolventin Johanna Mekus von der TU Darmstadt auf dem Podium des BDA Hochschultags in Berlin. Umso mehr wundert sie sich, warum sie in ihrem Studium keinen Pflichtentwurf eines Bestandsumbaus bearbeiten musste. Der Architekturlehre attestiert sie einen dringenden Nachholbedarf, was die Anpassung der Inhalte an die neue klimabewusste Praxis im Bauwesen anbelangt. "Mehr Umdenken zu wagen", fordert sie von den Lehrenden, aber auch vom Nachwuchs selbst. Dann müsse es kurz vor der Abgabe eines Projekts an der Universität nicht länger zur Beruhigung des Gewissens heißen: "Kann jemand noch schnell ein nices Nachhaltigkeits-Piktogramm zeichnen?"

Auf dem BDA Hochschultag erörterten die Teilnehmenden in themenbezogenen Panels und in gemeinsamen Diskussionsrunden, wie die Architekturlehre der Zukunft aussehen könnte.

Auf dem BDA Hochschultag erörterten die Teilnehmenden in themenbezogenen Panels und in gemeinsamen Diskussionsrunden, wie die Architekturlehre der Zukunft aussehen könnte.

Mit ihren Erfahrungen ist Mekus nicht allein. Ob eine Bauwende gelingt, hängt wesentlich von der Ausbildung der jungen Baufachkräfte ab. Diese fühlen sich nach ihrem Studium jedoch größtenteils unvorbereitet auf die Herausforderungen, vor denen die Baubranche steht. Die Klimakrise erfordert eine neue Praxis. Das kreative Weiternutzen im Bestand, ein ressourcensparendes Bauen mit nachwachsenden Materialien sowie der sparsame Umgang mit Flächen rücken stärker in den Fokus. Die Universitäten und Hochschulen stehen in der Pflicht, den Nachwuchs mit fundierten Fähigkeiten und Methoden auszustatten, damit er diesen Paradigmenwechsel mitgestalten und steuern kann.

Im Oktober hat der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) zu einem Dialog über die Architekturlehre in Zeiten des Klimawandels eingeladen. Studierende, Hochschullehrende, wissenschaftliche Mitarbeiter*innen und Praxisvertreter*innen kamen im Deutschen Architektur Zentrum (DAZ) in Berlin zusammen. Unter den Schwerpunkten "Lehrinhalte und Methoden", "Haltung und Werteverständnis" sowie "Forschung" diskutierten die Teilnehmenden ihre Anforderungen an eine Lehre der Zukunft.

Pflicht zum Bauen im Bestand, Rhetorik-Training und Ende der "Materialschlacht"

In ihrem Einstiegsvortrag zieht Mekus eine Bilanz ihres Bachelorstudiums an der TU Darmstadt. Wie sehr Nachhaltigkeit im Lehrplan verankert sei, variiere stark von Lehrstuhl zu Lehrstuhl. Die Absolventin plädiert dafür, "mindestens einen verpflichtenden Entwurf zum Bauen im Bestand" in den Lehrplan einzubringen. Für die spätere Berufspraxis sei es bedeutend, dass man eine architektonische Haltung in diesem Gebiet entwickele.

Um das nachhaltige Planen in der Lehre voranzutreiben, müssten auch die diesbezüglichen Anstrengungen der Studierenden entsprechend gewürdigt werden, sagt Mekus. Lehrende sollten Entwürfe besonders hervorheben, die sich durch ihre nachhaltige Materialwahl, ein cleveres Energiekonzept oder Ideen zur ressourcensparenden Flächennutzung auszeichnen.

Johanna Mekus, Absolventin der TU Darmstadt, setzt sich für eine Verpflichtung zum Bauen im Bestand im Studium ein.

Johanna Mekus, Absolventin der TU Darmstadt, setzt sich für eine Verpflichtung zum Bauen im Bestand im Studium ein.

Aus methodischer Sicht sei es an der Zeit, dass die Architekturlehre Neues wage. Dazu gehörten eine stärkere Digitalisierung des Studiums sowie das Trainieren der Soft-Skills der Studierenden. Rhetorik und Kommunikation würden in der späteren Berufspraxis zu den wichtigsten Fähigkeiten zählen, um Bauherr*innen zu überzeugen oder mit anderen Fachplaner*innen sowie Laien in den Austausch zu treten. Die Lehre bereite den Nachwuchs darauf jedoch ungenügend vor, findet Mekus.

In die Berufsausbildung könnte dies zum Beispiel mit einem Planspiel einfließen, schlägt die Absolventin vor. Die Studierenden versetzen sich dafür in die Rollen verschiedener Planungsbeteiligter: Architekturschaffende, Bauherr*innen, Fachplaner*innen, Bauaufsicht, Statiker*innen und co. Wie beim Monopoly könnten Ereigniskarten das Spiel steuern. Dadurch würden die Studierenden für die Probleme und Konflikte sensibilisiert, mit denen sie in der späteren Berufspraxis konfrontiert werden.

Abgesehen von den Lehrinhalten müsse man aus ökologischer Sicht auch dringend die "Materialschlacht" überdenken, in der Projektabgaben häufig mündeten. Braucht es wirklich für jedes Zwischentestat geplottete Pläne und eine Masse nahezu identischer Umgebungsmodelle?

Gegen den "Knowledgegap" und für ein neues Verständnis der Architekt*innenrolle – am besten gestern

Eine weitere Perspektive zum Studieren für ein ressourcensparendes Bauen bringen die Architekturstudierenden Merlin Ehlers und Katerina Tzouvala von der TU Berlin ein. Sie machen auf den "Knowledgegap" aufmerksam, den sie nach mehreren Semestern an der Universität empfinden. Viele Themenbereiche kämen in der Lehre nur am Rand vor, bemängeln sie. Die Architekturtheorie sei zu stark auf den europäischen Kontext ausgerichtet und soziale Gerechtigkeit werde kaum adressiert. Die Baustofflehre setze ihren Fokus nach wie vor auf umweltbelastende Baustoffe wie Beton und Kunststoffe.

Merlin Ehlers und Katerina Tzouvala, Studierende der TU Berlin, erwarten von einer klimabewussten Lehre mehr Praxisbezug und eine Ausrichtung auf die soziale und ökologische Verantwortung der Architekt*innenrolle.

Merlin Ehlers und Katerina Tzouvala, Studierende der TU Berlin, erwarten von einer klimabewussten Lehre mehr Praxisbezug und eine Ausrichtung auf die soziale und ökologische Verantwortung der Architekt*innenrolle.

Auch an der TU Berlin zeigt die Bestandsaufnahme des Lehrplans Luft nach oben: Im gesamten Studienverlauf beschäftige sich kaum ein Modul explizit mit nachhaltigem Planen und Bauen – und die wenigen thematisch verwandten Lehrveranstaltungen müssten die Studierenden nicht pflichtmäßig belegen. Zudem fehle es an Praxisbezug. "Hands-on-Projekte, bei denen man einen Entwurf tatsächlich baut, sind eine Rarität", sagen die beiden. Die Anzahl der Teilnehmenden sei oft so begrenzt, dass man bis zum Abschluss keine Chance erhalte, an einer Realisierung mitzuwirken.

Von einer Lehre der Zukunft erwarten Ehlers und Tzouvala, dass sie ein neues Verständnis der Architekt*innenrolle vermittelt, in der die soziale und ökologische Verantwortung im Mittelpunkt stehen. Außerdem wünschen sich die Studierenden, dass die politische Mitbestimmung des Nachwuchses in der akademischen Welt stärker unterstützt wird "… und all das eigentlich gestern!", appellieren sie.

Perspektive der Lehrenden: Methodenkompetenz, Forschungsbezug und Studierende als Katalysator*innen der Transformation

Dass sich in der Lehre etwas ändern muss, darin sind sich auch die Vertreter*innen der Hochschulen und Universitäten einig. Wie genau diese Transformation umgesetzt werden könnte, darüber herrscht jedoch Unsicherheit. Stephan Birk, Professor für Architektur und Holzbau an der TU München, versucht sich daran, vier Schlüssel zu identifizieren:

  1. Die Erkenntnis der Notwendigkeit für eine Anpassung der Lehrinhalte müsse in der Breite ankommen – insbesondere an den Entwurfslehrstühlen. Dabei müsse Nachhaltigkeit als Querschnittsthema verstanden werden.

  2. Die Lehre müsse die Methodenkompetenz für die Transformation vermitteln.

  3. Die Lehre sollte forschungsbasierter werden.

  4. Die Studierenden nehmen selbst eine wichtige Rolle im Transformationsprozess ein. An der TU München forderten sie beispielsweise mehr Nachhaltigkeitsthemen im Modulkatalog ein.

Um die Klimaziele zu erreichen, sei ein disruptiver Umbruch an den Unis und Hochschulen notwendig. "Wenn wir diese Veränderungen nicht in den Fokus der Lehre setzen und auf die Forderungen der Studierenden nicht eingehen, machen wir uns als Disziplin unglaubwürdig und letztendlich überflüssig", so Birk. "Dadurch verlieren wir nicht nur Zeit, sondern auch unseren Nachwuchs."

Stephan Birk, Professor für Architektur und Holzbau an der TU München, ist überzeugt, dass die Architektur ihren Nachwuchs verliert, wenn die Hochschulen nicht auf die Forderungen der Studierenden eingehen, die Lehre anzupassen.

Stephan Birk, Professor für Architektur und Holzbau an der TU München, ist überzeugt, dass die Architektur ihren Nachwuchs verliert, wenn die Hochschulen nicht auf die Forderungen der Studierenden eingehen, die Lehre anzupassen.

Grundlagen verfestigen vs. Inhalte neu denken

In der Frage, bis zu welchem Grad die Lehrinhalte erneuert werden müssten, sind die Hochschulvertreter*innen geteilter Ansichten. Ein Lager plädiert dafür, dass die geltenden Grundlagen ihre Aktualität und Relevanz nicht durch den Klimawandel verloren hätten. Andere sprechen sich dafür aus, die Lehrinhalte beispielsweise in der Baukonstruktion oder Materialkunde zumindest um die Erkenntnisse zu ergänzen, die die Branche bezüglich nachhaltiger Ressourcenwirtschaft und Strategien zur Klimaanpassung in den letzten Jahren erarbeitet hat. Ein weiterer Ansatz besteht darin, ganz neue Wertesysteme und Ziele für die Lehre zu definieren.

Komplexität vs. Überforderung

Eine große Herausforderung sehen die Lehrenden darin, dass die Inhalte des Studiums immer komplexer werden, während die Studiendauer mit der Bologna-Reform verkürzt wurde. Auf der einen Seite müsse man die Studierenden darauf vorbereiten, komplexe Aufgaben zu lösen – zum Beispiel über anspruchsvolle Entwurfsprojekte im Bestand, die viel Überblickswissen voraussetzen. Andererseits dürfe man den Nachwuchs gerade zu Studienbeginn nicht überfordern. Zunächst gehe es darum, die notwendigen Grundlagen und -kenntnisse aufzubauen.

Formulierung von Thesen und Forderungen für eine angepasste Lehre in Zeiten des Klimawandels.

Formulierung von Thesen und Forderungen für eine angepasste Lehre in Zeiten des Klimawandels.

Kollaboration über alle Maßstabsebenen

Innerhalb der Hochschule müssten die Lehrstühle stärker zusammenarbeiten, indem sie zum Beispiel gemeinsame Entwurfsprojekte anbieten. Auch müsse eine stärkere Verknüpfung mit anderen Fachbereichen und Disziplinen erfolgen. Um die Lehre zu verbessern, sei es sinnvoll, sich mit anderen Hochschulen und Unis über geeignete Lehrinhalte und -formate sowie Methoden auszutauschen bzw. diese gemeinsam zu entwickeln. Immerhin stünden alle Lehrenden vor ähnlichen Herausforderungen.

Forschungs- und Praxisbezug verstärken

Die Idee der Kollaboration sollte auch in die Bereiche Forschung und Praxis weitergetragen werden. In diesem Feld gebe es schon einige vielversprechende Ansätze wie etwa die Initiative, eine gemeinsame Materialbibliothek der deutschen Hochschulen und Unis zu etablieren, sagt Dirk Hebel, Professor für Entwerfen und Nachhaltiges Bauen am KIT. Dies könnte durch Kooperationen mit Forschungseinrichtungen oder der Industrie erfolgen. Außerdem müsse man dringend die Ausstattung der Bildungseinrichtungen mit eigenen Laboren und Werkstätten verbessern.

Dirk Hebel, Professor für Entwerfen und Nachhaltiges Bauen am KIT: Universitäten müssen im Bereich der Forschung besser zusammenarbeiten.

Dirk Hebel, Professor für Entwerfen und Nachhaltiges Bauen am KIT: Universitäten müssen im Bereich der Forschung besser zusammenarbeiten.

Das Idealbild stehe derzeit noch im Konflikt mit der Leist- und Machbarkeit, so die Lehrenden. Für solche Einrichtungen fehle es an den Unis und Hochschulen an Material, Flächen, finanziellen Mitteln und entsprechend ausgebildeten Lehrkräften, die ihr Wissen weitergeben können. Sie fordern, mehr Mittel für die Forschung freizugeben, interdisziplinäre Forschungsprojekte (auch mit Herstellern) anzuregen und mehr physikalische Grundlagen im Studium zu vermitteln.

Thesen und Forderungen

Die Teilnehmenden entwickeln folgende Thesen und Forderungen für eine angepasste Lehre in Zeiten des Klimawandels:

Kopf und Hand: Das Studium muss praxisnäher werden. Es sollte ein Grundverständnis für das Handwerk vermittelt werden, zum Beispiel über verpflichtende Praktika in dem Bereich oder eine größere Anzahl an "Hands-on"-Projekten.

Kreislaufübergeordnet: Das Wissen aller Hochschulen und Universitäten sollte kollektiv geteilt werden. Davon können alle Beteiligten profitieren.

Interdisziplinär: Die Fachgebiete sollen stärker zusammenarbeiten, einen interdisziplinären Wissensaustausch ermöglichen und im Team lernen. Dies trägt der Komplexität der Berufsrealität Rechnung, die die jungen Planer*innen nach dem Studium erwartet.

Loslassen: Veraltete Lehrinhalte sollen aus den Lehrbüchern verbannt werden. Stattdessen müssen sie permanent entsprechend des aktuellen Wissensstands in Forschung und Entwicklung erneuert werden.

Im Fluss: Anstatt alle fünf bis sieben Jahre eine grundlegende Reform zu durchlaufen, sollte die Methodik in der Architekturlehre stetig hinterfragt und angepasst werden.

Zeitfaktor: Die Regelstudienzeit von sechs Semestern im Bachelor nach der Bologna-Reform hält ein Großteil der Lehrenden für zu knapp. Der Nachwuchs brauche mehr Zeit im geschützten Raum der Universitäten und Hochschulen, um eine Haltung zur Architektur zu entwickeln. Verlängerte Studienzeiten würden mehr Freiräume für eine Einbindung von Praxis- und Forschungsinhalten ermöglichen.

Die wohl wichtigste Erkenntnis des Tages: Nachhaltigkeit ist ein Querschnittsthema. "Daher muss sie in jedem einzelnen Fach im Lehrplan verankert werden", fordert ein Professor der TH Ostwestfalen-Lippe. Es sollten nicht nur einzelne Module mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit hinzukommen, sondern umfänglich anders gelehrt und radikal umgedacht werden. "Wir haben eine Chance, die Bauwende zu erreichen, wenn jedes Fach im Architekturstudium mit einem UN-Nachhaltigkeitsziel hinterlegt ist", sagt er.