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Nichtoffener Wettbewerb | 09/2017

Altstadtplätze Carl-Schurz-Straße

2. Preis

Preisgeld: 12.000 EUR

club L94

Landschaftsarchitektur

Schüßler-Plan

Verkehrsplanung

Erläuterungstext

VIA EST VITA
Straße ist Leben

Die alten Straßen der Römer hatten eine enorme politische, wirtschaftliche und militärische Bedeutung für die Antike, denn Rom betrieb schon viele Jahrhunderte vor Christi eine starke Expansionspolitik. Zu dieser Politik gehörte es, die neu eroberten Länder an das bereits existierende römische Straßennetz anzuschließen. So konnte man die unterworfenen Völker an das Mutterland Italien/Imperium Romanum binden. Auch der kulturelle Austausch wurde durch die Anbindung der Völker an das Römische Reich begünstigt. Heute ist unsere Kultur gerade im Rheinland tief durchwoben mit romanischen Wurzeln. `Straße ist Leben` soll als Synonym für die Lebendigkeit des öffentlichen Raumes genutzt werden. Die Gestaltungsqualitäten sind die Grundlage für Urbanität in unseren Siedlungen und Städten.

Situation
Erftstadt stellt sich heute als polyzentrische Siedlungsstruktur dar, die von Wohnnutzungen geprägt ist und dementsprechend wenig Urbanität bietet. Zudem ist die Nähe zu den rheinischen Ballungsräumen Köln und Bonn ein Problem sowohl für den örtlichen Einzelhandel, als auch für Dienstleister und Kulturschaffende. Liblar spielt im Verbund der Siedlungen eine besondere Rolle, denn hier lässt sich heute noch der historische Ursprung der Siedlung ablesen. An der alten Römerstraße Köln-Marseille entstanden hier nahe der Erft die ersten Gebäude, die sich zu typischen Straßendörfern entlang der Handelsroute verdichteten.
Heute liegt das Potential des Stadtteils Liblar nicht nur in der Sichtbarmachung seines historischen Erbes, sondern auch in der Anbindung an den angrenzenden Naherholungsraum der rekultivierten Wald- und Seenlandschaft auf den Flächen des ehemaligen Braunkohletagebaus. Die heutige Carl-Schurz-Straße soll im zentralen Bereich von der Köttinger Straße im Süden bis zur Max-Planck-Straße im Norden als einheitlich gestalteter Straßenraum das räumliche Rückgrat bilden, mit dem die verschiedenen Orte und Plätze der Innenstadt verbunden sind.

Konzept
Die Geradlinigkeit der Via Agrippa liegt der heutigen Carl-Schurz-Straße zu Grunde und wird entsprechend den konzeptionellen Überlegungen zur Sichtbarmachung der Römerstraße mit Säulenbäumen und Kommunikationselementen wie Tafeln und ‚Meilensteinen‘ begleitet. Entlang der Straße werden die unterschiedlichen Plätze thematisch neu programmiert. Von Süden bildet das `Historische Ensemble` mit Kirche, Wasserschloss, Fronhof und Kloster den Altstadtbereich aus. Im Übergang zur verkehrlich intensiver genutzten Carl-Schurz-Straße im Kreuzungsbereich zur Bahnhofsachse soll der Viry-Chatillon-Platz ein moderner Stadtplatz werden. Das Umfeld der VHS mit Marienplatz und der rückwertigen Wiese soll insgesamt zu einem kulturellen Treffpunkt, einem `Bürgergarten` umgestaltet werden. Den Abschluss des Kernbereiches markiert die Seeachse, über die das nahegelegene Erholungsgebiet erreicht werden kann. Parallel zur Haupterschließung entsteht durch die Umgestaltung der Fritz Erler Straße und die Straße Am Hahnacker ein räumlicher Ringschluss.
Das Konzept verspricht auf der einen Seite über ein zusammenhängendes räumliches Thema und eine einheitliche Material- und Ausstattungsfamilie Ruhe, Großzügigkeit und Orientierung. Auf der anderen Seite soll jeder Teilbereich eine eigene Identität und Nutzungsspezifik erhalten, die sich aus der Besonderheit des jeweiligen Ortes ableitet und dadurch den Öffentlichen Raum insgesamt durch verschiedene Stimmungen und Atmosphären aufwertet und qualifiziert.

Historisches Ensemble/ Carl-Schurz-Platz
Durch die städtebauliche Neuordnung der heterogenen Bebauung im Umfeld des Platzes sind die ersten wichtigen Bausteine zur Revitalisierung des Ortes gesetzt. Die neuen Platzkanten können mit entsprechenden Nutzungen im EG den Platz beleben und ihn wieder zu einem gern besuchten Ort im historischen Zentrum Liblars werden lassen. Die Ortsmitte mit den beiden wichtigen Bauten Kirche und Schloss soll über einen gemeinsamen, durchgehenden Belag aus Naturstein die dörfliche Atmosphäre unterstützen, den Verkehr beruhigen, MIV reduzieren und sich auch von den Belägen im weiteren, `moderneren` Raum abheben.
Wichtigstes Ziel der Umgestaltung des Platzes ist die Verbesserung der Blickbeziehung zwischen dem Schloss und der Kirche. Dies wird erreicht, indem einige von den größeren Bäumen gefällt werden und die Topographie des Platzbereiches im Übergang zum Wassergraben über ein neues Rasenplateau vermittelt wird. Der Platz erhält einen steinernen Bereich und einen grünen Bereich, der im Sommer auch als Aufenthaltsbereich für Familien und Kinder genutzt werden kann. Das vorhandene Denkmal bleibt dem Platz erhalten, soll aber weniger stark inszeniert werden. Der steinerne Platzraum wird mit einem großen Stadtmöbel ausgestattet, das als markanter Identifikationspunkt für Verabredungen dienen kann und von dem aus schöne Blicke über den Platz möglich sind.
Die Naturstein-Beläge im historischen Ensemble der Ortsmitte werden in den Randbereichen vor den Geschäften und Wohngebäuden mit gesägten Oberflächen zur Verbesserung der Laufqualität und barriere freundlichen Nutzung eingebaut. Die größeren Flächen in der Platzmitte können spalt-rau eingebaut werden; dieses Material ist kostengünstiger und darüber hinaus ist die Wirkung des Belags durch die lebendigere Oberfläche erfahrungsgemäß atmosphärischer.

Stadtplatz Viry-Chatillon-Platz
Die architektonischen Raumkanten der Winkelbebauung werden auch in Zukunft, mit Ausnahme der Gastronomienutzung, wenig positive Strahlkraft auf den Platz haben. Der Austausch der alten Beläge und Möbel alleine wird keine nachhaltige Verbesserung der Aufenthaltsqualität erreichen. Vor diesem Hintergrund wird der Platz mit einem Baumrahmen gefasst. Dieser soll einerseits die Fassadenansichten abmildern, andererseits aber auch eine völlig neue Aufenthaltsqualität auf dem Platz generieren. In der Abwägung um die Flächengröße und die besondere Lage des Platzes am Kotenpunkt zur abknickenden Vorfahrtsstraße der K45, entscheidet sich der Entwurf für eine klare Platzstruktur, die von ihrer intimen Stimmung lebt und den angrenzenden Verkehr über ein langes Blütenfeld zurückdrängen kann. Die Pflanzfläche wird die kleine Partnerschaftsskulptur umspielen und wird mit einer langen Sitzbank ausgestattet. Das baumumstellte Platzinnere ist groß genug, um sowohl Platz für den kleinen Wochenmarkt am Freitag vorzuhalten, als auch im Schatten der Baumkronen die Außengastronomie der angrenzenden Läden zu verorten.

Bürgergarten Marienplatz
Aus der konzeptionellen Gesamtperspektive des Gestaltungskonzeptes erhält der kränkelnde Marienplatz entgegen den formulierten Zielvorstellungen des Auslobungstextes ein anderes Bild. Der heute offene, großzügige, bis über die Fahrbahn der Straße aufgespannte Platz wird zum Garten umprogrammiert. Dies hat vor allem den Vorteil, dass der steinerne Stadtplatz mit seiner heterogenen räumlichen Fassung, aus sich heraus funktionieren kann. Ein grüner Platz, ein hybrider Stadtraum, der dem historischen Gebäude der Volkshochschule vorgelagert ist und den Höhenunterschied über Pflanzbeete mit sitzhohen Einfassungen terrassenartig überwindet. Über die seitlichen Zugänge ist ein stufenfreier Zugang des Gebäudes möglich, auch wenn man hierfür Gefälle von 6% in Kauf nehmen muss. Eine wirklich barrierefreie Erreichbarkeit der Volkshochschule soll über den rückwertigen Zugang von der Straße Am Hahnacker gewährleistet werden. Die dortige Wiesenfläche wird in die Gesamtgestaltung des VHS Umfeldes einbezogen und generiert ein Gestaltungsbild für das gesamte Grundstück. Besondere Veranstaltungen können die mit Blütenbäumen überstellte Wiese temporär bespielen. Die geschützte Lage der Wiese hat auch in Bezug auf Konflikte mit dem Verkehr der Carl-Schurz-Straße Vorteile in der Nutzung.
Der Vorbereich der Volkshochschule hat unter dem Begriff Bürgergarten nun mehrere Möglichkeiten, sich im Bewusstsein der Erftstädter zu etablieren. Im Umfeld von Blüten und Staudenflächen kann der Bürgergarten ein Ort des Rückzugs und der Entspannung sein. Die angrenzenden Gastronomiebetriebe versprechen einen gewissen Grad an Geschäftigkeit, der man im Schatten der Blütenbäume sitzend zu schauen kann. Der Bürgergarten hat aber auch das Potential, als Mitmachgarten genutzt, entwickelt und gepflegt zu werden. Er kann sowohl Skulpturengarten werden oder Kulisse für kleinere Veranstaltungen von Kleinkunst sein.

Seeachse
Das Rudiment der historischen Wegeverbindung zum benachbarten Brühl und seiner barocken Schlossanlage soll wieder stärker herausgearbeitet werden. Die Verbindung über die Brühlerstraße mit der angrenzenden Wald und Seenplatte soll über eine alleeartige Bepflanzung gestärkt werden. Eine einheitliche Pflasterung der Fahrbahnen und Seitenräume im Sinne einer Wohnstraße verbessert das Nebeneinander der unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer. Die Seeachse formuliert aber auch den nördlichen Abschluss der Ortsmitte und bildet mit der Straße Am Hahnacker den Ringschluss zu Schloss und Carl-Schurz-Platz.

Grundsätzliches zur Materialität
VIA EST VITA soll die Lebendigkeit des öffentlichen Raumes beschreiben, die sich vor allem auf den Plätzen abspielt. Vor diesem Hintergrund soll die Oberflächenqualität im verkehrsberuhigten historischen Ensemble über Natursteinbeläge nachhaltig gesichert werden. Zudem können die vorhandenen Natursteine z. B. am Carl-Schurz-Platz wieder verwendet werden.
Das vorliegende Gestaltungskonzept sieht die Qualität für den öffentlichen Raum in einer stringenten und klar gegliederten Straßengestaltung, die sich auf das Wesen der schnurgeraden, römischen Straßen bezieht und die Funktionalität in den Vordergrund stellt. Das hat zur Folge, dass die Materialien einfach, nachhaltig und extensiv in der Bewirtschaftung sind. Die Fahrbahnen werden in Asphalt ausgebaut und sind von Muldenrinnen und Bordsteinen begleitet, die eine barrierefreie Querung im gesamten Innenstadtbereich möglich machen. Der Radfahrer wird in der Fahrbahn mitgeführt. Die Busse halten auf der Fahrbahn, was eine deutliche Geschwindigkeitsreduzierung zur Folge hat.
Die Seitenräume erhalten durchgehende Pflasterplattenbeläge aus Betonwerkstein, die im Reihenverband senkrecht zur Fahrbahn verlegt sind. Die Formate werden bewusst nicht zu groß gewählt, damit sie sich in die dörfliche Struktur und in die Anschlussbereiche besser einpassen. Ein Format 20x40cm 12-14cm stark entspricht den teilweise hohen Belastungsklassen im Straßenraum. Das vorgeschlagene Format hat den Vorteil, dass Parkplatzflächen oder Überfahrten nicht mit eigenen Formaten ausgebaut werden müssen. Innerhalb der Plattenflächen können Nuancen von verschiedenen Farbintensitäten eine angenehme Lebendigkeit in die Oberflächen bringen.
Die Farbigkeit der Oberflächen soll sich zurücknehmen, da die angrenzenden Fassaden sehr heterogen sind. Vorstellbar sind mittelgraue Oberflächen, die über entsprechende Wahl der Grundkomponenten, wie dem Sand, auch leicht erdfarbene Nuancen erhalten könnten.
Baumscheiben sind überpflastert oder in Bezug zu den neuen Säulenbäumen mit `römischen` Pflanzenarten wie Lavendel o.ä. unterpflanzt. Der Stadtplatz Viry-Chatillon-Platz und das Umfeld der Volkshochschule Bürgergarten-Marienplatz, sowie die Seeachse und die Straße Am Hahnacker werden ebenfalls im neuen Oberflächenmaterial `Stadtbelag Erftstadt` in Betonwerkstein ausgebaut.

Beurteilung durch das Preisgericht

Der Entwurf gliedert das Wettbewerbsgebiet entlang der Carl-Schurz-Straße in drei Plätze:
- Altstadtplatz
- Stadtplatz
- Bürgergarten

Der Entwurf betrachtet den städtebaulichen Zusammenhang über das eigentliche Wettbewerbsgebiet hinaus bis zum Schlosspark Gracht über den Hahnenacker bis zur Seeachse und stellt damit den Bezug zum städtebaulichen Umfeld her.

Für die Carl-Schurz-Straße wird ein Profil vorgeschlagen, das mehr Raum für Fußgänger schafft, den Ansprüchen des motorisierten Verkehrs jedoch eher nicht gerecht wird. Für die Straßenraumgestaltung werden nur wenig differenzierte Vorschläge vorgelegt.

Durch die Ausbildung der Fahrbahn in Asphalt und großformatige Plattenbeläge wird eine durchgehende Gliederung erzielt und gleichzeitig eine klare Funktionstrennung erzeugt. Inwieweit zusätzlich relativ große Natursteinpflasterflächen erforderlich und nachhaltig sind, bleibt zu hinterfragen.

Die relativ gleichmäßige Pflanzung von Straßenbäumen kann unter Umständen wegen der Raumverhältnisse nicht realisiert werden und berücksichtigt zu wenig die örtlichen Unterschiede der Randbebauung.

Der Carl-Schurz-Platz (im Entwurf Altstadtplatz)
Der Entwurf stellt die Blickverbindung zu Schloss Gracht her. Er schafft an der städtebaulich „richtigen“ Stelle im Zentrum des Ortes einen vielfältig nutzbaren Stadtplatz und dadurch die Hervorhebung der stadträumlich wichtigen Lage.

Viry-Chatillon-Platz (im Entwurf Stadtplatz)
Der Platz wird durch Baumreihen gefasst. Die Aufwertung wird zudem durch Materialien und eine klare Struktur erreicht. Als Nutzung sind vor den Gebäuden Gastronomie und auf der Platzfläche Marktbetrieb vorgesehen. Der Platz erhält eine für seine Funktion passende Form und Gestaltung.

Marienplatz (im Entwurf Bürgergarten)
Hier ist die Benennung Programm. Mit drei Beeten werden die Höhenunterschiede überwunden und die große Fläche strukturiert. Der Platz erlangt dadurch einen besonderen Wiedererkennungswert und eine Hervorhebung in der Stadtstruktur. Flächen für konkrete Nutzung werden nicht angewiesen.