Architekturpreis der Stadt Leipzig 2021

Jurybeurteilung:

Das Wohnensemble, bestehend aus Winkel und Turm, bildet den gekonnten Abschluss einer Reihe von Neubauten am Lindenauer Hafen in Leipzig. Beide Gebäude sind fünfgeschossig, wobei der turmartig erhöhte Solitär dank größerer Geschosshöhe über die Nachbarbebauung ragt und wohltuend die gleichförmige Höhenlinie des neuen Hafenquartiers bricht. Die räumliche Distanz zum Winkelbau verstärkt zudem die Inszenierung des Turms als Anfangs- und Endpunkt der neuen Bebauung.

Diese herausgehobene Position setzt sich in der architektonischen Gestaltung konsequent fort. Der Turm zeigt klare Kante: Alle Öffnungen – Fenster ebenso wie Loggien – sind in der gleichförmigen Rasterung integriert und werden von der präzisen, geradlinigen Kubatur gerahmt. Dagegen tritt die hofseitige Fassade des Winkelbaus hinter die Gebäudekante zurück und wirkt durch filigrane Brüstungsgeländer und außenliegende, geschosshohe Vorhänge geradezu verspielt. Dieser Sicht- und Sonnenschutz kann von den Bewohnern individuell angepasst werden. Das weiße Gewebe wird zum interaktiven Element der Fassade. Beide Bauten sind in das gleiche Material gehüllt, ein rotbrauner Klinker als Reminiszenz an die historische Industriearchitektur der näheren Umgebung, sie präsentieren sich dennoch mit gegensätzlichem Ausdruck.

Winkel und Turm spannen einen Innenhof auf, der an zwei Seiten in die umgebende Promenade und Parkanlage übergeht. Das Ensemble bildet so eine durchlässige, bauliche Grenze, die der Integration der Baukörper im neuen Quartier zuträglich ist. Material und Detail sind wohlüberlegt und erzeugen vielfältige Kontraste. Ein Beispiel dafür sind die Eingangs- und Treppenbereiche, wo der hanseatisch angehauchten Eleganz der Fassade mit ruppigen Sichtbetonflächen begegnet wird.

Am Lindenauer Hafen, weit in Leipzigs postindustriellem Westen, der im Zuge des Bevölkerungswachstums zunehmend in den Fokus der Stadtentwicklung rückt, sollte ein lebendiges, urbanes Quartier entstehen. Das Viertel ist inzwischen fast fertiggestellt, die erhoffte Lebendigkeit will aber bisher nicht so recht aufkommen. Dies liegt vor allem an der weitgehenden Monofunktionalität, aber auch an der Architektur der in den letzten Jahren entstandenen Wohnbauten, die bis auf Ausnahmen keinen angemessenen gestalterischen Anspruch erkennen lässt. Mit dem von W&V Architekten entworfenen Wohnensemble Hafen Eins hat das städtebauliche Projekt allerdings deutlich an Qualität gewonnen. Wer sich dem Lindenauer Hafen von der Stadt aus, dem vor einigen Jahren verlängerten Karl-Heine-Kanal folgend, nähert, wird von den beiden am östlichen Kopf des Areals situierten Bauten begrüßt, die damit einen städtebaulichen Auftakt des Viertels bilden. Ein winkelförmiger Fünfgeschosser nimmt die Traufhöhe und Typologie der Nachbarbauten auf. Sein Gegenstück ist auch fünfgeschossig, zeigt dabei aber einen starken Höhendrang. Turmartig überhöht und freigestellt, tritt das Gebäude als markanter Solitär in Erscheinung, der an der Wasserseite die Ecke des bebauten Areals akzentuiert. Die beiden Bauten, die insgesamt 56 Wohnungen aufnehmen, bilden einen durchwegten begrünten Innenhof aus, mit dem das Ensemble zum Wasser geöffnet ist. Die sorgfältig ausgeführten dunkelroten Klinkerfassaden zeigen eine lebendige Struktur und schaffen einen Bezug zur Industriearchitektur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, von der der Leipziger Westen besonders geprägt ist. Mit seinen großen fabrikartigen Fenstern erinnert der Turmbau an die einstigen Produktionsstätten in den benachbarten Stadtteilen, die heute als Loftwohnungen begehrt sind. Loftartige Qualitäten zeigen auch die für Wohnen und Arbeiten geeigneten, lichtdurchfluteten Innenräume des Turms, die mit Raumhöhen von über dreieinhalb Metern beeindrucken. Beide Bauten bestechen gleichermaßen durch die Sorgfalt der Detailbehandlung mit vielen guten gestalterischen Ideen, zu denen etwa die geschickt gesetzten Holzakzente auf den Sichtbetonoberflächen der Treppenhäuser gehören. Mit ihrem massiven Mauerwerk und der Verkleidung aus dem so schönen wie robusten Klinker versprechen sie auch Wertbeständigkeit und leisten damit einen Beitrag zu der in der Masse der Leipziger Wohnungsbauten der Nachwendejahrzehnte schmerzlich vermissten Nachhaltigkeit. Während in der Nachbarschaft das mit dem diesjährigen Architekturpreis ebenfalls ausgezeichnete kooperative Projekt OurHaus vor allem durch innovative, gemeinschaftsfördernde Wohnideen überzeugt, führt das Wohnensemble Hafen Eins vor Augen, dass es auch bei Bauten gewinnorientierter Investoren gelingen kann, einen hohen Qualitätsstandard durchzusetzen. Schade nur, wird man einwenden können, dass Hafen Eins zu den letzten und nicht zu den ersten Bausteinen am Lindenauer Hafen gehört. Dem Viertel wäre es wohl zugutegekommen, wenn das Ensemble gleich zu Beginn die Maßstäbe für die Folgebauten gesetzt hätte. Mit seinem gestalterischen Anspruch sollte es aber eine Signalwirkung für die Entwicklung künftiger Leipziger Stadtquartiere haben.