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Einladungswettbewerb | 08/2021

Büro- und Wohnbebauung am Waldwiesenkreisel in Kiel

3. Preis

Preisgeld: 8.500 EUR

ksw | kellner schleich wunderling

Architektur

Lohaus · Carl · Köhlmos PartGmbB Landschaftsarchitekten · Stadtplaner

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

Städtebauliche Leitidee
Einem Flaggschiff gleich, steht das Büroensemble in seiner robust vorgetragenen Materialität, die an Hafenanlagen erinnern lässt, am Waldwiesenkreisel. Die Fernwirkung der Neubebauung ist bei der stadträumlich relevanten Lage des Grundstücks von wesentlicher Bedeutung und wird künftig durch den höhendifferenziert und abwechslungsreich ausformulierten skulpturalen Solitär am Entree in die Hamburger Chaussee, der gewissermaßen als pars pro toto für die Stadt am Wasser steht, geprägt.
Die Cortenstahlfassade trägt zur Fernwirkung ihr übriges bei: die rostrot changierende Färbung des Stahls steht im starken Kontrast zum klaren Himmelsblau an der See und stellt als äußerst haptisches, rauhes Material den unverzichtbaren, narrativen Bezug zur Historie der Hafenstadt her: Kiel.sailing.city.

Eingespannt zwischen Gleisanlagen im Norden, Hamburger Chaussee im Süden und dem stark frequentierten Theodor-Heuss-Ring entsteht im Windschatten des Flaggschiffs ein kleines Stadtquartier, das die Lagegunst zum nördlich angrenzenden Naherholungsgebiet der Moorteichwiese nutzt und sich seiner „Hinterhof-Situation“ enthebt.
Als Kompensationsmaßnahme für die Insellage wird in Verlängerung der Johann-Meyer-Straße eine Fuß- und Radwegbrücke über die Gleisanlagen vorgeschlagen, die nicht nur das neue Quartier, sondern auch den südwestlich angrenzenden Stadtraum an diesen öffentlichen Grünraum anbindet und damit großräumig die fußläufige Wegeverbindung vom Südfriedhof, über die Moorteichwiese bis ins Vieburger Gehölz herstellt.
Das Netz der den Stadtraum dominierenden, motorisierten Verkehre wird mit einem Wegenetz für Fußgänger und Radfahrer überlagert und ergänzt.

Typologie des Büroensembles
Über ein großzügig bemessenes Foyer, das sich sowohl zum Theodor-Heuss-Ring als auch zur Hamburger Chaussee hin orientiert und je nach Single- oder Multi-Tenant-Lösung als Lobby mit Aufenthaltsqualität zum Stadtraum der Hamburger Chaussee hin erweitert werden kann, lassen sich pro Etage bis zu fünf Einheiten erschließen: in unterschiedlicher Größe, vertikal oder horizontal flexibel miteinander verbunden und autark erschlossen - ohne den im Hochpunkt befindlichen zweiten baulichen Rettungsweg zu beeinträchtigen. Das Treppenhaus auf der Nordseite dient neben der Adressbildung zum Quartiersplatz der vertikalen Verbindung bei geschossübergreifenden Nutzungseinheiten der obersten Geschosse.
Dem Freiraumbezug der Nutzungseinheiten wird großer Wert beigemessen, die Attraktivität des Arbeitsumfeldes wird hiermit wesentlich aufgewertet. Die meisten Einheiten verfügen über direkte Freiraumbezüge in Form von direkten Zugängen in die Atrien oder auf Dachterrassen.
Separate, über die Lobby zu erschließende Einheiten aus Konferenzraum, Teeküche, WC und Dachterrassen im obersten Geschoss - mit Abendsonne und Blick über die Stadt und auf das Wasser - können von allen Einheiten gebucht oder fremd vermietet werden und tragen so zu einer Verringerung der Hauptmietflächen pro Einheit und zu einer multicodierten Mehrfachbelegung dieser sonst im normalen Büroalltag weniger genutzten Räume wesentlich bei. So lassen sich zudem auch kleinere Nutzungseinheiten anbieten, die auf dieses Raumangebot zurückgreifen können.
Die den Längsseiten des Atriums gegenüberliegend angeordneten Büroflächen sind aus Gründen der optischen Diskretion jeweils einer Büroeinheit zugeordnet. Der am Quartiersplatz gelegene „kleine Bruder“ des Bürokomplexes öffnet sich ebenfalls mit einem Hauseingang und einem Pocket-Cafè zum Platz. Diese Nutzungsmischung belebt das neue Wohnquartier und den öffentlichen, quartiersbezogenen Platzraum und lädt zur Pausenzeit ein.

Nachhaltigkeitskonzept
Ein umfassendes Energiekonzept mit Fernwärme oder BHKW, kombiniert mit Photovoltaik und adabiater Kühlung des Büroensembles, eine verantwortungsvolle Materialisierung, wie der Einsatz von Recyclingbeton, wo es aus statischen Gründen möglich ist, bilden gemeinsam mit der Cortenstahl-Fassade, den multicodierten „sharing-Zonen“ im Bürogebäude und reduzierten Flächen unter Terrain wichtige Elemente auf der ökologischen Seite. Begrünte Dachterrassen und Gründächer dienen zudem als Retentionsflächen und beugen der urbanen Überhitzung vor. Soziale Bausteine, wie die hohe Aufenthaltsqualität für BewohnerInnen und Berufstätige, in den Gebäuden wie auch auf dem Quartiersplatz, der Hauch von Nutzungsmix im Wohnquartier und die ins Grüne führende Brücke zur Moorteichwiese schaffen ein lebenswertes Quartier, das für eine gute Nachbarschaft und die damit einhergehende soziale Kontrolle, wie auch für die Sicherheit seiner BewohnerInnen eine gute Basis legt.
Der Niveauversprung auf dem Grundstück wird genutzt, um beinahe ebenerdig in die Tiefgaragen hineinzufahren. Die Abstellplätze für Fahrräder im Bürogebäude werden über zwei Durchlader im obersten Geschoss mit direkter Anbindung an die Chill-out-Area und die Besprechungsräume untergebracht. Der Anteil an monofunktionaler Flächenzuweisung ohne direkte Tageslichtzufuhr und der Einsatz von stahl-lastigem WU-Beton in den Untergeschossen lässt sich damit minimieren.

Resümee
Die Adresse ist gegeben, für den einprägsamen Charakter und die Unverwechselbarkeit eine tragfähige Raumstruktur entwickelt, für Aneignung und Individualität Raum und Freiheit gelassen. Alle weiteren Nachweise der architektonischen Gestaltung des neuen Quartieres bleiben einem anderen Maßstab vorbehalten. Dabei gilt: „Wer immer in allen Jahrhunderten nur ein Notwendiges plante, hat auch das Notwendigste nicht erreicht. Die Menschheit bedurfte des emotionalen Bezuges zu ihren Wohnstätten, sie forderte die ästhetische Überhöhung, eine Kultur der Gestaltung, die dem Alltag mehr als allein Glanz verleiht.“ Stephan Braunfels

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Verfasser*innen formulieren eine souveräne städtebauliche Figur, die die Chancen und Restriktionen des besonderen Ortes einbezieht. Vier Baufelder gliedern das Grundstück. Das Bürohaus besetzt offen-siv in Höhe und Ausdruck die heterogene Situation am Kreisel und schafft es, den Ort sowohl durch die Entwicklung der Kubatur als auch in der Anmutung der Fassaden positiv zu besetzen. Das zweigeglie-derte Bürogebäude wird vom öffentlichen Raum an der Kreuzung aus großzügig erschlossen und enthält in seinem höheren Hauptteil ein sicheres Treppenhaus als Doppelhelix. Gut belichtete, in zwei autarke Bürozonen teilbare Flächen umspielen den Kern. Weitere Büroräume befinden sich im westlich angren-zenden niedrigeren Annex, der insbesondere geeignet ist, das Bestandsgebäude zu erweitern. Bei einer externen Vermietung müsste eventuell die Querung eines fremden Nutzungsbereichs gelöst werden. Ein weiteres Treppenhaus dient hier als zusätzliche Erschließung. Die originelle Dachlandschaft mit grüner Terrasse wird begrüßt, die Fahrradgarage mit Ausblick kontrovers diskutiert.
Die Erschließung des Areals für alle Verkehre erfolgt durch die Gasse an der Hamburger Chaussee. Leider wurden vier separate Tiefgarageneinfahrten gewählt, deren Zufahrten tief in den urbanen Bereich im Innern des Areals hineinführen und nicht zur Freiraumqualität beitragen. Hier wäre eine Bündelung an der Peripherie wünschenswert.
Die Wohnhöfe selbst zeichnen sich durch eine besondere Großzügigkeit aus und lassen – auch dank Verzicht auf querende Feuerwehrtrassen – eine sehr gute Atmosphäre erwarten. Ein guter Griff, den der Bahn zugewandten Wohnhof durch eine eingeschossige Abschirmung zu schützen. Die gewählten Ty-pologien sind – mit Ausnahme der kleinen zur Bahn orientierten Wohnungen im nordöstlichen Wohnhof – sehr gut in der Lage, schöne Wohnungen mit ausreichendem Schallschutz zu bieten, müssten aller-dings im genannten Hof typologisch überprüft werden.
Die Fassadenthemen unterscheiden in ein selbstbewusstes Bürogebäude (mit kontrovers diskutierter Höhenentwicklung) in metallischer Anmutung und in so robust wie selbstverständlich wirkende Wohnfas-saden, die gekonnt an den Bestand anknüpfen.
Die Jury würdigt die ernsthafte Auseinandersetzung der Verfasser*innen mit wichtigen ökologischen Ele-menten wie begrünten Dachterrassen und Gründächern als Retentionsflächen.
Alles in allem ein sehr spannungsvoller und gelungener Entwurf, der den romantischen Bauplatz am Waldwiesenkreisel mit einer neuen städtebaulichen Setzung aufladen könnte.
Lageplan

Lageplan